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GEGENWIND/837: Wie viel Verhüllung erträgt Schleswig-Holstein?


Gegenwind Nr. 374 - November 2019
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

Kommentar
Wie viel Verhüllung verträgt Schleswig-Holstein?

von Reinhard Pohl


Eine kleine und eigentlich unbedeutende Diskussion ist ins Parlament geschwappt. Seit Längerem studiert an der Uni Kiel eine Frau, die einen Niqab trägt. Nachdem es einige Semester lang zwar bemerkt, aber nicht problematisiert wurde, wandte sich schließlich ein Dozent an die Uni-Leitung: Es störe ihn. Was er mache könnte. Die Uni-Leitung verbot das Tragen eines Niqab. Die Studentin klagte.

Dann wendete sich die Uni-Leitung an das Ministerium: Ob man das Verbot oder die Ermächtigung zum Verbot bitte im Hochschulgesetz verankern könnte. Nein, sagte die Regierung. Denn in der Koalition bestand keine Einigkeit, die Grünen waren (und sind?) gegen Bekleidungsvorschriften für Frauen.

Die AfD nutzte die Gelegenheit und brachte einen Gesetzentwurf dazu in den Landtag ein, den die anderen Fraktionen in den Bildungsausschuss verwiesen. Dort liegt er nun. Die anderen Parteien zogen sich erstmal aus der Affaire: Sie forderten mehr als hundert Organisationen, Vereine und Personen auf, zum Gesetzentwurf Stellung zu nehmen. Das taten diese, rund 40 Stellungnahmen trudelten ein. Eine Übersicht findet sich in diesem Heft auf den folgenden Seiten. Sie sind aber auch in ganzer Länge nachzulesen: Auf der Seite "Umdrucke" des Landtages.

Viel Lärm um nichts?

Kennzeichnend für diese Debatte ist: Es gibt sicherlich sehr, sehr wenige Menschen, die Katharina K. aus Kronshagen bei Kiel kennen. Und es gibt vermutlich noch weniger, die irgendein Problem mit ihrer Bekleidung, vor allem aber durch ihre Bekleidung haben. Dagegen gibt es viele, die sich teils leidenschaftlich an der Debatte beteiligen. Darf die das? Und wenn nicht, wie kann man das verhindern?

Immerhin sieht das Grundgesetz nicht nur vor, dass die Religionsausübung frei ist und alle anderen Menschen ein gewisses Maß an Sichtbarkeit der jeweiligen Interpretation der Religion zu ertragen haben. Auch der Zugang zur Universität ist frei. Dass einige ihn 2019 ausgerechnet einer Frau verweigern wollen, verträgt sich schlecht damit, dass sie sich damit nach eigenen Bekundungen für die Rechte von Frauen einsetzen wollen.

Klüger wäre es gewesen, nichts zu machen. Wenn ein Dozent sich gestört fühlt, müsste die Uni-Leitung zwar mit Verständnis reagieren, aber auch klar sagen: Damit musst Du klar kommen, dafür wirst Du bezahlt. Und fragen, ob es ein echtes Problem gibt. Sonst kann der nächste sich über Tätowierungen, rote Blusen oder blaue Haare beschweren, denn die Möglichkeiten, sich gestört zu fühlen, sind gerade an der Uni reichlich vorhanden.

Ein Ministerium, das um Hilfe ersucht wird, sollte der Uni-Leitung sagen: Wir haben 2019, und wir haben ein Grundgesetz. Alle Probleme im Zusammenhang mit Katharina K. sind bereits gelöst. Und wenn welche auftauchen, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Identifizierung zu Beginn einer Prüfung: Ihr seid Universität, Ihr könnt all Eure Fachkenntnis mobilisieren, um Probleme zu lösen. Dazu ist eine Universität da.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 374 - November 2019, Seite 3
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. November 2019

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