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GEGENWIND/809: Was passiert im Sudan?


Gegenwind Nr. 368, Mai 2019

Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

Was passiert im Sudan?
"Wir demonstrieren, bis unsere Forderungen alle erfüllt sind"

Interview mit Sara Elsheikh von Reinhard Pohl


Seit langem gibt es Proteste gegen Sudans Diktator Omar al-Bashir. Im April haben sie sich zugespitzt, der Diktator stürzte. Auch hier in Norddeutschland wurden die Proteste unterstützt. Darüber sprach ich mit Sara Elsheikh in Hamburg.

Gegenwind: Sara, wann bist Du nach Deutschland gekommen?

Sara Elsheikh: Ich bin 2003 nach Deutschland gekommen.

Gegenwind: Jetzt hast Du mir ja schon erzählt, dass Du in letzter Zeit von deinen eigentlichen Plänen stark abgelenkt warst. Was ist geschehen, was hast Du gemacht?

Sara Elsheikh: Es war die Situation im Sudan, was dort jeden Tag passiert. Es gab jeden Tag Demonstrationen, es ging um unser Land und die Politik dort. Wir haben dreißig Jahre lang demonstriert, wir haben dreißig Jahre lang gekämpft gegen die Diktatur, den Diktator und seine Partei.

Gegenwind: Fangen wir mit dem Sudan an. Du bist ja schon lange in Deutschland und stellst Dich vielen Bekannten vor, dass Du aus dem Sudan kommst. Was wissen die Menschen hier über den Sudan?

Sara Elsheikh: Als erstes wissen viele von der Regierung und dem Krieg in Dafur. Ich werde dann oft gefragt, warum es dort so viel Krieg oder Bürgerkrieg gibt. Viele wissen, dass die Diktatur etwas mit diesem Bürgerkrieg zu tun hat, dass er durch die Diktatur entstanden ist. Aber die genauen Gründe, weshalb und warum, das wissen viele nicht. Aber es gibt auch rassistische Ignoranz: Man weiß, dass der Sudan in Afrika liegt, und viele wollen gar nicht genau wissen, warum im Sudan Bürgerkrieg herrscht. Sie glauben, dass man das nicht verstehen muss.

Viele haben auch die Zerlegung des Sudans in den Norden und den Süden mitbekommen, dass sich 2011 der Südsudan unabhängig gemacht hat, was wir natürlich nicht wollten und nicht wollen.

Gegenwind: Wie hat sich die Diktatur auf die Situation von Frauen ausgewirkt?

Sara Elsheikh: Es war auch ein langer Frauenkampf gegen die Diktatur, gegen die Regierung von al-Bashir. Denn die Regierung hat zum Beispiel im Strafgesetz den Paragraphen 152 "gegen unmoralische Kleidung" geschaffen, es gab deshalb Strafen für Frauen, die Hosen angezogen haben, das ist bei einigen bekannt. Aber vor allem sind die Aktivistinnen verfolgt worden, die dagegen geschrieben oder gesprochen haben. Aber es haben auch viele einfache Frauen gelitten, die zum Beispiel an einem Stand auf der Straße Tee verkauft haben. Oft sind Verkaufsstände von Frauen angegriffen, die Frauen geschlagen, die Waren vernichtet worden, ihnen ist verboten worden, öffentlich Dinge zum Verkauf anzubieten. Sie konnten natürlich Geld bezahlen, dann war es wieder erlaubt, aber das war für viele ein Problem und Unterdrückung.

Gegenwind: Jetzt hast Du ja auch während des Interviews Hosen an. Wird das auch heute im Sudan bestraft?

Sara Elsheikh: Im Sudan tragen heute viele Frauen Hosen. Es ist ja nicht direkt verboten. Die Diktatur kann das Gesetz jederzeit so auslegen, und die Sicherheitsdienste können jeder Frau und jedem anderen Menschen Probleme machen.

Gegenwind: Seit wann gibt es die offenen Proteste, die wir in den letzten Tagen gesehen haben?

Sara Elsheikh: Die gibt es seit 1989. Es gab von Anfang an Proteste. Aber alle, die Demonstrationen veranstaltet haben, die etwas gegen die Diktatur und sein Partei geschrieben haben, sind sehr stark unterdrückt und verfolgt worden. Viele wurden inhaftiert, aber es wurden auch immer wieder Menschen erschossen.

Gegenwind: In den letzten Wochen hat es sich ja stark zugespitzt. Was waren die Gründe dafür, dass die Proteste so groß wurden?

Sara Elsheikh: Angefangen haben die Proteste in dieser Form 2013. Es begann mit einem Streik gegen die Erhöhung der Medikamente-Preise. Damals sind ungefähr 200 Menschen umgebracht worden, vor allem vom Sicherheitsdienst der Abgeordneten. 2016 gab es einen großen Streik, zivile Sit-ins, vor allem gegen die Erhöhung der Benzinpreise und Medikamenten-Preise. 2018 starteten neue Proteste am 19. Dezember, direkter Auslöser war die starke Erhöhung der Brotpreis und der Benzinpreise. Außerdem konnte man bei den Banken kein Geld mehr abheben, jedenfalls nicht mehr das was man wollte, sondern die Regierung legte Höchstgrenzen fest. Die Schlangen in der Bank, vor der Tankstelle oder beim Bäcker wurden immer länger. Es startete in Atbara im Süden, einer Stadt mit mehr als 100.000 Einwohnern, aber es gab danach sehr schnell Proteste in allen anderen Städten bis hin zur Hauptstadt Kartoum.

Gegenwind: Wie wird im Sudan mobilisiert? Wie erfahren die Menschen von Protesten in anderen Städten?

Sara Elsheikh: Das läuft natürlich über das Internet. Die Medien berichten unter dieser Regierung nicht, das dürfen sie nicht. Die Demonstrantinnen und Demonstranten nutzen "WhatsApp" oder "Facebook", und es wird von denen verteilt, die gerade nicht im Sudan sind.

Gegenwind: Jetzt gab es seit dem Putsch 1989 immer wieder Wahlen, die al-Bashir gewonnen hat. Wie waren die Wahlen?

Sara Elsheikh: Das war natürlich nicht wie in Deutschland. Es gibt eine große Korruption, und durch die Unterdrückung bekommt das Regime bei Wahlen immer zwischen 98 und 99 Prozent. An solche Wahlen glaubt niemand, das sind keine ehrlichen Wahlen.

Gegenwind: 2011 hat sich der Südsudan abgespalten. Welche Folgen hatte das für den Sudan? Damit hat der Sudan ja viele Ölquellen verloren.

Sara Elsheikh: Wir haben dadurch viele Ölquellen verloren, wir haben aber auch landwirtschaftliche Ressourcen verloren, wie haben viele Rohstoffquellen für Mineralien verloren. Der Wirtschaft ging es danach schlecht, es ging tief nach unten und vor allem das wichtigste unsere Brüdern und Schwestern die mit uns gelebt haben, wir sind einen Volk.

Gegenwind: Haben die Preissteigerungen für Benzin, Medikamente und Brot auch mit der Abspaltung des Südens zu tun?

Sara Elsheikh: Das ist ein Grund, aber es gibt viele Gründe. Es ist die Abspaltung, die Unfähigkeit der Regierung, die Korruption. Es ist der lange Krieg, der Krieg des Nordens gegen den Süden. Es ist die Diktatur, die falschen Wahlen. Alles sind Gründe, es kommen alle zusammen.

Gegenwind: Was können denn Sudanesinnen und Sudanesen im Ausland und in Norddeutschland machen, um Einfluss zu nehmen?

Sara Elsheikh: Es wurden mehrere Demonstrationen organisiert, hier in Deutschland, aber auch in allen anderen europäischen Ländern. Wir haben auf die Situation aufmerksam gemacht. Wir haben auch Geld gesammelt, um den Kampf im Sudan zu unterstützen, haben Hilfe in den Sudan geschickt. Uns ging und geht es darum, hier in Europa, in Deutschland die Wahrheit zu zeigen und zu verbreiten, damit die Menschen wissen, was im Sudan passiert.

Gegenwind: Was fordert Ihr auf den Demonstrationen?

Sara Elsheikh: Wir wollen eine komplette Übergabe der Regierung und der Macht an Zivilisten. Alle, die für die Unterdrückung verantwortlich sind, al-Bashir und alle seine Helfer sollen vor Gericht kommen. Wir wollen eine gute Politik, mehr Freiheit für die Jugendlichen, mehr Machtbeteiligung für Frauen. Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit, "die Revolution ist die Wahl der Bevölkerung".

Gegenwind: Es gibt seit 2009 einen Haftbefehl vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gegen al-Bashir. Welche Rolle spielt das im Sudan? Ist das für Euch wichtig?

Sara Elsheikh: Das spielt natürlich eine riesige Rolle. Wir sind nicht dagegen, wir sind dafür, dass er ausgeliefert wird. Wir wissen alle, was er gemacht hat, was sein Regime gemacht hat, das ist alles klar und alles bewiesen. Und auch im Moment machen die Demonstrantinnen und Demonstranten starken Druck, dass der Haftbefehl auch vollstreckt wird, dass alle ausgeliefert werden und vor Gericht gestellt werden.

Gegenwind: Seit dem 11. April regiert al-Bashir nicht mehr. Welche Informationen hast Du, welche habt Ihr, was ist mit ihm passiert und wer regiert?

Sara Elsheikh: Es wurde ja nicht offiziell erklärt, das er verhaftet wurde. Es wurde gesagt, dass er noch dabei ist. Wir sind dagegen, und wir glauben, es ist nicht wahr, was das Regime erklärt. Wir glauben, die Namen haben sich geändert, aber die Partei herrscht immer noch. Wir wollen diese Partei einfach abschaffen.

Gegenwind: Du lebst seit langem in Deutschland, diskutierst hier viel mit anderen Menschen. Ist so eine Demokratie wie in Deutschland oder europäischen Staaten auch im Sudan möglich? Welche Zukunft wollt Ihr für den Sudan?

Sara Elsheikh: Wir wollen alle irgendwann zurück. Alle, die hier lange gelebt, studiert haben, lange gearbeitet haben, träumen davon, dass sie irgendwann zurück können. Jeder träumt von seinem Land und hat Kontakt zu seiner Familie. Aber die meisten haben keine Möglichkeit, jetzt zurückzukehren und dort zu leben. Wir müssen ein menschenwürdiges Leben unter einer demokratischen Regierung gewährleisten.

Gegenwind: Welchen Einfluss hat die Entwicklung in Nachbarländern? In Äthiopien hat im April 2018 die Regierung gewechselt. Ist das eine Hoffnung für Euch?

Sara Elsheikh: Das macht uns viel Hoffnung. Wir sehen die Entwicklung in Äthiopien, aber auch in Ruanda, und haben viel Hoffnung. Es gibt dort freie Wahlen, die Freilassung aller politischen Gefangenen, das macht uns Hoffnung.

Gegenwind: Im Jemen ist 2011 der Präsident auch gestürzt worden, aber der Vizepräsident hat ihn ersetzt.

Sara Elsheikh: Wir haben uns mit den jemenitischen Geschwistern und Freunden gefreut, dass der Diktator geflohen sind. Aber was jetzt dort geschieht, damit sind wir natürlich nicht einverstanden. Es ist genau der Fehler, es ging nur vom Militär zum Militär.

Gegenwind: Du hast die Situation in Ägypten beobachtet: Auch dort ist 2011 ein Diktatur gestürzt worden, es gab Wahlen, aber jetzt regiert wieder ein Diktator.

Sara Elsheikh: Wir glauben, es war keine freie Wahl, es regiert wieder einer vom Militär. Die Partei ist geblieben, und die Entwicklung in Ägypten ist auch eine Warnung, dass es im Sudan nicht eine ähnliche Entwicklung geben darf.

Gegenwind: Was wird im Sudan passieren?

Sara Elsheikh: Wir haben eine große Hoffnung, Der Volk demonstriert weiter, Sit-Ins geht weiter, bis unsere Forderungen alle erfüllt sind.

Gegenwind: Hast Du verfolgt, wie Deutschland und die EU in den letzten Jahren mit der sudanesischen Regierung verhandelt haben?

Sara Elsheikh: Ja, die EU rief zu einem friedlichen Prozess auf, um demokratische Reformen in Sudan durchzuführen und Gewalt gegen Demonstranten zu vermeiden. Wir hoffen auf mehr Solidarität mit Menschen und nicht mit der Partei von al-Bashir, und solange sie dies tun, heißt es für uns, dass unsere Forderungen schwerer in Erfüllung gehen können. Wir hoffen, dass die EU auf uns hört. Aber das ist unsere Aufgabe, die Aufgabe von allen, die im Ausland sind, dass wir unsere Forderungen weitergeben. Und wir hoffen, dass die EU zu uns steht.

Gegenwind: Welche konkreten Forderungen habt Ihr an Deutschland und die EU?

Sara Elsheikh: Sie sollen die demokratische Bewegung mehr unterstützen und Druck ausüben. Sie dürfen die militärische Übergangsjunta nicht anerkennen. Sie dürfen überhaupt kein Regime anerkennen, bis die Macht an eine ziviler Regierung abgegeben wird.

Gegenwind: Vielen Dank, Sara.


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Sudan

Mit mehr als 1,8 Millionen Quadratkilometern ist der Sudan eines der größten Laänder Afrikas. Die Rund 40 Millionen EinwohnerInnen verfügen mit einem Durchschnitteinkommen von weniger als 2.500 US-Dollar pro Jahr allerdings nur über ein Sechzehntel des Einkommens in Deutschland. Der Staat wurde am 1. Januar 1956 unabhängig. Im Norden dominieren arabischsprachige Muslime, im Süden englischsprachige Christen. Nach jahrzehntelangem Bürgerkrieg trennte sich der Süden 2011 ab, der Südsudan mit rund 12 Millionen EinwohnerInnen versinkt seitdem in einem Bürgerkrieg. Allerdings liegen rund 75 Prozent der Erdölquellen im Süden, der Norden hat zunehmend Probleme, die lange üblichen Subventionen für Grundnahrungsmittel aufzubringen.

Im Sudan regierte seit 1989 Umar al-Bashir, der durch einen Militärputsch an die Macht kam, seitdem allerdings regelmäßig Präsidentschaftswahlen durchführen ließ, die er gewann. Im Bürgerkrieg in Darfur (Westsudan) ließ er Tausende von Menschen umbringen, seit 2009 gibt es einen internationalen Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit (Völkermord).

2019 gab es Massenproteste, die sich zunächst an der hohen Inflation und Preiserhörungen für Grundnahrungsmitteln entzündeten. Letztlich richteten sie sich gegen die Regierung und das Militär. Umar al-Bashir wurde am 11. April 2019 angeblich abgesetzt und verhaftet, die Militärspitze kündige für 2021 freie Wahlen an.
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Quelle:
Gegenwind Nr. 368, Mai 2019, Seite 7 - 10
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juni 2019

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