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GEGENWIND/650: Deutschland, wir reichen dir die Hand


Gegenwind Nr. 327, Dezember 2015
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein

Deutschland, wir reichen dir die Hand

von Klaus Peters


Es ist schon etwas überraschend, wenn ein als Konservativer geltender Publizist die Position des russischen Präsidenten verteidigt und für freundschaftliche Beziehungen zu Russland wirbt. Wilfried Scharnagl, der Autor des Buches "Am Abgrund, Streitschrift für einen andere Umgang mit Russland" war langjähriger Chefredakteur des Bayernkurier, einer von der CSU herausgegebenen Wochenzeitung. Scharnagl war selbstverständlich auch ein Freund von Franz Josef Strauß.


Der Autor und Strauß waren Ende Dezember des Jahres 1987 auf Einladung von Michail Gorbatschow nach Moskau gereist. Dieser Besuch war offensichtlich von gegenseitigem Respekt geprägt. Ausgangspunkt des Buches von Scharnagl, der für ein Vorwort Michail Gorbatschow gewinnen konnte, ist dieser Besuch. Das zweite prägende Ereignis in den deutsch-russischen Beziehungen war für Scharnagl, und sicher nicht nur für ihn, der endgültige Abzug der ehemaligen sowjetischen Truppen aus Berlin am 31. August 1994. Dieses Ereignis war mit vielen Hoffnungen auf eine gute und freundschaftliche Zukunft mit Russland verbunden. Diese Hoffnungen drückten sich auch in dem von den ehemaligen Sowjetsoldaten vorgetragenen Lied "Deutschland, wir reichen dir die Hand ... wir bleiben Freunde allezeit" deutlich aus. Die Sowjetunion hatte sich schon aufgelöst, eine NATO-Osterweiterung war in den Gesprächen, die zur Zusammenführung der beiden deutschen Staaten geführt worden waren, zwar ausgeschlossen, doch nicht schriftlich fixiert worden. Zu diesem Zeitpunkt bestand schließlich auch noch der Warschauer Pakt.

Die NATO-Osterweiterung begann dann allerdings 5 Jahre nach dem Abzug der russischen Truppen, nachdem bereits 1997 überraschend und trotz der Kritik Russlands zunächst Polen, Tschechien, und Ungarn Beitrittsverhandlungen angeboten worden waren. Diese Kritik, der russische Präsident Wladimir Putin bezeichnete die Erweiterung später als Provokation, ist für Scharnagl verständlich und wird offensichtlich von ihm geteilt. Inzwischen sind neun ehemalige Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts der NATO beigetreten. Weitere Staaten sind interessiert, darunter auch die Ukraine.

Bis zur Präsidentschaftswahl 2004 war es in der Ukraine politisch relativ ruhig geblieben, allerdings schwelte ein Konflikt über die außenpolitische Orientierung. Die überwiegend russisch-sprachige Ostukraine wollte enge Beziehungen zu Russland beibehalten, während ein großer Teil der Bevölkerung sich stärker mit dem Westen verbunden fühlte. Nach von Anhängern des extrem knapp unterlegenen Präsidentschaftskandidaten Wiktor Juschtschenko und von seinen Anhängern verbreiteten Informationen über Wahlmanipulationen kam es im November zu der von Kräften aus dem Westen unterstützen "Orangenen Revolution". Im Dezember 2004 erhielt Juschtschenko bei einer Neuwahl die meisten Stimmen. Diese Phase der politischen Entwicklung und die nachfolgenden Ereignisse, wie der Konflikt mit Russland über Gaslieferungen und die internen Streitigkeiten zwischen Juschtschenko und der Ministerpräsidentin Julia Timoschenko, werden vom Autor nicht näher beleuchtet.

Nach der 2010 erfolgten Wahl des Vertreters der Partei der Regionen, Viktor Janukowitsch, zum Präsidenten der Ukraine kam es zunächst zu einer Beruhigung der politischen Verhältnisse. Allerdings standen Bestrebungen einer Annäherung an die EU und gleichzeitig die Mitgliedschaft in einer Zollunion mit Russland, Kasachstan und Weißrussland, ebenso wie die Blockfreiheit, weiter auf der politischen Agenda.

Ende November 2013 sollte auf dem EU-Gipfel in Vilnius ein Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnet werden. Zu einer vertraglichen Regelung kam es allerdings nicht, einerseits wegen russischer Bedenken andererseits aber auch wegen der von der EU geforderten Freilassung der inhaftierten ehemaligen Ministerpräsidenten Julia Timoschenko. Kurz darauf begannen die Proteste auf dem Euromaidan in Kiew, die schließlich im Februar 2014 zum Putsch gegen Viktor Janukowitsch führte. Aufgrund der folgenden Unsicherheiten erfolgte auf der Krim im März 2014 eine Volksabstimmung über den Anschluss an Russland und nachdem eine weit überwiegende Mehrheit zugestimmt hatte, beschloss das russische Parlament eine Aufnahme der Halbinsel Krim.

Die Krim, 1954 vom Ukrainer Nikita Chruschtschow seiner Heimat aus persönlichen Motiven geschenkt, war und ist, nicht zuletzt wegen des russischen Stützpunkte in Sewastopol wie Scharnagl schreibt, für Russland unaufgebbar. Im Mai 2014 folgten schließlich Referenden über die Eigenständigkeit der "Volksrepubliken Donezk und Luhansk". Im März hatte die EU bereits auf Druck der USA erste Sanktionen gegen Russland beschlossen. Als neuer Präsident war im Mai 2014 der Milliardär Petro Poroschenko gewählt worden.

Der Autor bezieht sich in seinem Buch mehrfach auf zahlreiche in- und ausländische Persönlichkeiten, die die russische Position verteidigen, die Sanktionen ablehnen und für ein dauerhaft gutes Verhältnis zu Russland plädieren. Er nennt beispielsweise Helmut Schmidt, Günter Verheugen, Peter Gauweiler oder den für konservative Positionen bekannten schweizer Publizisten Roger Köppel. Scharfe Kritik äußert er gegenüber denen, die den Konflikt anheizten, wie John Mc Cain, Madeleine Albright, Viktoria Nuland und Arsenij Jazenjuk, dem in deutschen Medien auffallend viel Raum zur Agitation gegeben wurde. Einige Personen werden ausgelassen, wie eine deutsche Europaabgeordnete der Partei Die Grünen. Auffallend uneingeschränkt gelobt werden wiederum Angela Merkel und Francois Hollande, der Autor bezieht sich aber im Wesentlichen nur auf deren Verhandlungsführung. Positionen und Aktivitäten der SPD werden nicht behandelt, da diese auch wenig eigene Initiativen entwickelt hatte. Frank-Walter Steinmeier hatte zwar kurz vor dem Putsch mit dem französischen Außenminister Laurent Fabuis in Kiew noch Verhandlungen geführt, diese erwiesen sich letztlich jedoch als Misserfolg, obgleich ihm dies persönlich sicher nicht angelastet werden kann.

Insgesamt zeichnet Scharnagl ein übersichtliches Bild mit kleinen Auslassungen. Wie von einem Konservativen zu erwarten, werden sozialistische Positionen und Perspektiven nicht weiter thematisiert. Zur Lösung des gegenwärtigen Konflikts und zur Verbesserung des Verhältnisses mit Russland, wären diesbezügliche Überlegungen und Vorschläge vermutlich auch verfrüht und deshalb wenig hilfreich. Um allerdings mittel- und langfristig dauerhaft schwere Konflikte zu vermeiden und gute Beziehungen zwischen den Ländern zu sichern, dürften kapitalistische Systeme grundsätzlich wenig geeignet zu sein.


Wilfried Scharnagl: Am Abgrund, Streitschrift für einen anderen Umgang mit Russland, 2015, 183 Seiten, 19,90 Euro.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 327, Dezember 2015, Seite 44-45
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Dezember 2015

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