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GEGENWIND/591: Die Armen bleiben arm, die Reichen werden reicher


Gegenwind Nr. 307 - April 2014
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Die Armen bleiben arm, die Reichen werden reicher

von Günther Stamer



Nirgendwo in der EU ist das Vermögen so ungleich verteilt wie in Deutschland. Forscher des Wirtschaftsinstituts DIW weisen in einer Ende Februar 2014 veröffentlichten Studie nach, dass die Kluft in Deutschland zwischen Arm und Reich besonders groß ist. Demnach besaß das reichste Zehntel der Bevölkerung ein Nettovermögen von mindestens 217.000 Euro, beim reichsten ein Prozent waren es wenigstens 817.000 Euro. Dem DIW-Bericht zufolge konnten die oberen Einkommensgruppen zwischen 2002 und 2012 "ihren Vermögensbestand weiter ausbauen".


Verschärfend hinzu kommt, dass besonders wohlhabende Personen praktisch nicht erfasst werden können. "Dies gilt insbesondere für Milliardäre und für Millionäre mit einem Vermögen in dreistelliger Millionenhöhe. Im Ergebnis bedeutet dies, dass das wahre Ausmaß an Vermögensungleichheit unterschätzt wird." Ein Sinnbild dieser Tatsache ist z.B. der Steuerhinterziehungsprozess gegen den Fleischer- und Fußballkonzernchef Hoeness.

Bei den 30 Prozent Einkommensschwächsten hat sich das Vermögen in diesem Zeitraum dagegen nicht verändert. Die Studie weist jedoch darauf hin, dass die Arbeitslosen als einzige soziale Gruppe in den vergangenen zehn Jahren signifikant an Vermögen eingebüßt hätten. Das Nettovermögen der Arbeitslosen ist seit 2002 von 30.000 auf 18.000 Euro gesunken. "Wir interpretieren dieses Ergebnis so, dass hier aller Wahrscheinlichkeit nach die Hartz-IV-Gesetzgebung wirkt, weil der Bezug dieser staatlichen Transferleistung erst dann möglich ist, wenn bis auf ein geschütztes Schonvermögen kein nennenswertes Vermögen mehr vorhanden ist", so DIW-Forscher Markus Grabka bei der Präsentation der Studie.

Illustriert wird diese Aussage durch eine aktuelle Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit. Darin wird bestätigt, dass der Staat auf Kosten der Arbeitslosen Milliarden einspart. Die "Kosten der Arbeitslosigkeit in den vergangenen zehn Jahren [haben] sich real mehr als halbiert". Während 2012 die gesamtfiskalischen Kosten der Arbeitslosigkeit mit 53,8 Milliarden Euro etwa zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) entsprachen, waren es 2003 (vor Einführung von Hartz IV) mit 91,5 Milliarden Euro noch 4,3 Prozent des damaligen BIP.

Der Anteil der Personen mit Schulden stieg laut der DIW-Analyse in den zehn Jahren von 27,5 auf 32 Prozent. Knapp die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung besaß 2012 Geldvermögen (Sparguthaben, Spar- und Pfandbriefe, Aktien, Investmentfondsanteile) oder Vermögen in Form von privaten Versicherungen und Bausparverträgen. Im Durchschnitt betrug der Wert dieser Anlagen 29.000 Euro bei Geldvermögen und knapp 19.000 Euro bei den privaten Versicherungen. Gut ein Fünftel aller Erwachsenen in Deutschland verfügt über gar kein persönliches Vermögen.

"Ob mit dem bescheidenen Vermögen die Lücken in der Absicherung durch die gesetzliche Rentenversicherung geschlossen werden können, bleibt fraglich", heißt es in der Untersuchung. Dem Risiko der Altersarmut könnten vor allem "Ostdeutsche mit ihrem privaten Vermögen kaum begegnen". Bemerkenswert an der aktuellen DIW-Studie ist die Feststellung, dass "25 Jahre nach der Vereinigung noch immer ein starkes Gefälle zwischen West- und Ostdeutschland" besteht. Das durchschnittliche Nettovermögen der Ostdeutschen (41.000 Euro) war 2012 um mehr als die Hälfte niedriger als das der Westdeutschen (94.000 Euro). Auch bei den Geschlechtern waren die Unterschiede erwartungsgemäß hoch.

Die DIW-Analyse von Ende Februar 2014, die von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung gefördert wurde, beruht auf den neuesten Daten des Sozioökonomischen Panels (SOEP). Dafür werden jedes Jahr gut 20.000 Menschen in Deutschland befragt. Für die Analyse der Vermögensverteilung wurden nun erstmals die Zahlen von 2012 berücksichtigt, die bei der Abfassung des Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung noch nicht vorlagen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch auf den im Dezember letzten Jahres vom Paritätischen Wohlfahrtsverband vorgelegten "Bericht zur regionalen Armutsentwicklung 2013" hinzuweisen. Danach liegt die Armutsquote in Deutschland bei 15,2 Prozent - seit 2006 kontinuierlich steigend. Eine Trendumkehr gibt es nicht, obwohl die Arbeitslosigkeit statistisch deutlich gesunken ist. Die Autoren des Armutsberichts führen das auf die "Amerikanisierung des Arbeitsmarkts" zurück, d.h. mit einer Zunahme an prekären, schlecht bezahlten Jobs. Als arm gilt, wer über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verfügt; das heißt, wer als Single weniger als 869 Euro im Monat zur Verfügung hat, für ein Paar mit zwei Kindern liegt die Grenze bei 1.826 Euro.

Im Norden ist jeder zehnte Hauptverdiener von Armut bedroht - und besonders groß ist das Risiko nach Berechnungen des DGB Nord im Hotel- und Gastgewerbe. (Presseerklärung vom 5.3.2014):

"In der Energieversorgung, bei Banken und Versicherungen, in der öffentlichen Verwaltung, der chemischen Industrie oder im Fahrzeug- und Maschinenbau sind weniger als 3 Prozent der Beschäftigten armutsgefährdet. Am Bau sind es gut 8 und im Handel schon 12,5 Prozent.

Stark überdurchschnittlich betroffen sind Beschäftigte im Bereich Kunst, Unterhaltung und Erholung sowie Beschäftige in Heimen und in Sozialeinrichtungen, wo jeder fünfte Hauptverdiener unter der Armutsgefährdungsschwelle liegt.

Am höchsten ist die Risiko-Quote im Gastgewerbe: 35,8 Prozent der Hauptverdiener, die in Gastronomie, Catering oder Hotelbereich arbeiten, sind von Armut bedroht.

Uwe Polkaehn (DGB): "Die Behauptung aus dem Arbeitgeberlager, es handele sich bei den Niedriglöhnern häufig nur um Zuverdiener, die nur einen kleineren Beitrag zum Haushaltseinkommen leisteten, trifft nicht zu. Wenn fast jeder zehnte Hauptverdiener, 9,5 Prozent, von Armut bedroht war, ist das ein Alarmzeichen und ein gutes Argument, die Lohnspirale endlich nach oben zu drehen. Ausnahmen und Abstriche vom gesetzlichen Mindestlohn wären daher völlig falsch - denn auch diese untere Lohngrenze schützt ja vor Armut nicht. Nötig ist eine neue Ordnung der Arbeit, mit allgemeinverbindlichen Tariflöhnen, von denen man wirklich leben kann."

Zum Beispiel Kiel: Hier waren fast 14 Prozent der erwerbsfähigen Menschen Ende 2012 auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen - 18.186 der Kieler/innen im Alter von 15 - 64 Jahren. Gut drei Viertel der erwerbsfähigen Hartz-IV-Bezieher/Bezieherinnen der Stadt sind bereits im Langzeitbezug und haben in den letzten zwei Jahren mindestens 21 Monate Hartz-IV bezogen. Mehr als die Hälfte aller Empfänger/Empfängerinnen im Alter von 15 - 64 Jahren sind sogar seit mindestens vier Jahren auf Hartz-IV angewiesen." (DGB Nord-Presseerklärung vom 26.11.2013)

"Armut ist für die Aufrechterhaltung der bestehenden Macht- und Herrschaftsverhältnisse erforderlich, hält sie doch unmittelbar Betroffene, Erwerbslose und Arbeitnehmer/innen gleichermaßen unter Kontrolle. Armut dient als politisch-ideologisches Druckmittel, materielles Disziplinierungsinstrument und soziale Drohkulisse zugleich: Sie demonstriert jenen Menschen, die arm sind, dass ihre Leistungsfähigkeit und/oder -bereitschaft nicht ausgereicht hat, um sich zu etablieren, und sie demonstriert jenen Menschen, die nicht arm sind, dass ihre Loyalität weiterhin nötig ist, um nicht abzustürzen," so der Kölner Sozialwissenschaftler Christoph Butterwegge.


Grabka/Westermeier, Anhaltend hohe Vermögensungleichheit in Deutschland. In: DIW-Bericht Nr. 9/2014. Kann heruntergeladen werden unter: www.diw.de/documents/publikationen/73/diw

Christoph Butterwegge: Armut in einem reichen Land. Campus Verlag 2012, 378 Seiten, 24,90 EU

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Quelle:
Gegenwind Nr. 307 - April 2014, Seite 17-18
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. April 2014