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GEGENWIND/590: Leichen im Keller des AKW Brunsbüttel - Die vorläufige Geschichte von den Rostfässern


Gegenwind Nr. 307 - April 2014
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Leichen im Keller des AKW Brunsbüttel:
Die vorläufige Geschichte von den Rostfässern

von Karsten Hinrichsen



Beim Betrieb eines AKW fallen nicht nur abgebrannte und defekte Brennelemente an, sondern auch schwach- und mittelaktive Stoffe, z. B. Putzlumpen und Bekleidung, Kabel, Metalle, Ionentauscher, Filterkonzentrate (Pulverharze), Verdampferkonzentrate. (Von den Nuklidemissionen über die Luft und das Abwasser wird hier nicht gesprochen. Auch nicht von den Umwelt- und Gesundheitsbelastungen vom Uranabbau bis zur Brennelementfertigung).

Die Minimierung der Strahlenbelastung ist oberstes Gebot. Von der Atomwirtschaft wird allerdings auch die Reduzierung des Abfallvolumens angestrebt, um die Zwischen- und Endlagerkapazitäten klein und damit kostengünstig zu gestalten. Jedoch sollte das nicht auf Kosten des Strahlenschutzes für die Mitarbeiter und die Anwohner erfolgen.

Die folgenden Angaben sind zu großen Teilen einer Antwort aus der Atomaufsichtbehörde aus dem Jahr 2012 entnommen. Weitere Informationen sind der Homepage des MELUR, Reaktorsicherheit, FAQ zum Fund korrodierender Stahlblechfässer zu finden.

1. Die brennbaren Abfälle wurden in den 1980er Jahren auch ins Belgische Atomzentrum Mol zum Veraschen = Verbrennen (wegen der dadurch erzielten Volumenreduktion) geliefert.

Im Zuge des Transnuklear-Skandals 1987/88 (dazu findet sich viel Material bei google) erhielt der damalige Betreiber des AKW Brunsbüttel 21 Fässer à 200 Liter mit Asche zurück, denen in Mol Plutonium und Kobalt 60 beigemischt worden war. Der tatsächliche Inhalt dieser Fässer ist nicht bekannt. Es wurden aber aus 2 Fässern Proben im Kernforschungszentrum Jülich entnommen. Man geht davon aus, dass der Plutoniumgehalt der übrigen Fässer ähnlich hoch ist. Es gab auch ein "Blähfass".

Mit Genehmigung vom 11.7.1988 erteilte die Atomaufsicht dem AKW Brunsbüttel eine Erlaubnis "zum Umgang mit sonstigen radioaktiven Stoffen", so werden die Mol-Fässer verharmlosend genannt. Seitdem lagern die 21 Fässer in Kaverne V "bis zur Rücklieferung nach Mol". Sie stehen noch immer im Keller des AKW Brunsbüttel.

Das Bergen dieser seit 25 Jahren dort abgestellten, Pu enthaltenden Fässer, dürfte besonders heikel sein, zumal in Kaverne V auch noch 8 stark verstrahlte Pumpenläufer aus dem Reaktordruckbehälter lagern.

Ob die Mol-Fässer jemals wieder zurück nach Mol transportiert werden, dürfte mehr als fraglich sein. Derzeit werden die brennbaren Abfälle überwiegend ins Schwedische Studsvik "zur Volumenreduktion" transportiert.

2. Die Verdampferkonzentrate lagern in den Kavernen in 200 l Rollreifenfässern. Da sie noch (Rest)Feuchtigkeit enthalten können, die zu Rostbildung führen kann, werden diese Fässer in einen Mosaikbehälter vom Typ IV eingestellt und mit Spezialbeton vergossen. Sodann werden sie in die Bereitstellungshalle transportiert, bis zum späteren (wann?) Abtransport nach Schacht Konrad. Die überwiegende Menge der Fässer enthalten aber Pulverharze.

3. Die Pulverharze sollen trocken in 200 l Rollreifenfässer eingefüllt werden. Trotz entsprechender Vorschriften und trotz der Kontrollen durch den TÜV und von der Atomaufsicht ist das offensichtlich nicht bei allen Fässern geschehen. Mittlerweile ist klar, dass der Rostfraß im Inneren der Fässer beginnt.

In der Einlagerungserlaubnis ist nicht vorgeschrieben, dass die Fässer kontrolliert werden müssen. Inzwischen ist klar (anders als der Bevollmächtigte von Vattenfall, Pieter Wasmuth, es im SH-Magazin darstellte), dass die Fässer in den Kavernen niemals inspiziert wurden, weil zwischen den Fässern kein Platz für eine Begehung vorhanden ist.

Außerdem ist die Strahlenbelastung zwischen den Fässern extrem hoch. Die Atomaufsicht nannte einen Wert von 500 Millisievert pro Stunde. Das ist das ca. Zweihunderttausendfache der mittleren Strahlendosisleistung, die einem AKW-Mitarbeiter zugemutet wird. Nach ca. 6 Stunden Aufenthalt wäre eine tödliche Dosis erreicht, d. h. schwach- und mittelradioaktiver Atommüll ist keineswegs harmlos. Laut Definition entwickelt er allerdings keine Wärme mehr.

Es wurden bereits 678 Fässer aus den Kavernen entnommen und in endlagerfähige Container des Typs Mosaik VI umgefüllt (wie?). Ende März 2012 befanden sich noch 631 Fässer in den insgesamt sechs Kavernen.

Vor ca. drei Wochen wurden erneut Container mit Pulverharzen (entsprechend ca. 180 Fässern) aus dem AKW Krümmel nach Brunsbüttel geschafft, weil in Krümmel kein Platz dafür sein soll. Die Atommüllverschiebung nach Brunsbüttel ist also schon voll im Gang und wird mit der beabsichtigten Annahme von Resten aus der Wiederaufarbeitung im englischen Sellafield nicht beendet sein.

Es wurden bisher mindestens drei Fässer mit starkem Rost geborgen: Fässer Nr. 1523 und 1324, sowie Fass Nr. 1384, bei letzterem wurde entdeckt, dass Filterharz in flüssiger (!) Form ausgetreten ist.

Am Fass Nr. 1324 wurde im Dezember 2011 starker Rost entdeckt, nachdem es aus der Kaverne geholt worden war, siehe Foto links. Im Januar 2012 wurde das Fass völlig zerstört vom TÜV entdeckt. Es ist wohl das meistfotografierte Fass weltweit (Foto rechts [in der Printausgabe]). Mich würde interessieren, ob der TÜV-Mitarbeiter für seine Meldung entlassen wurde.


Was war passiert?

Mit Datum vom 5.10.2011 war dem Betreiber der Zustimmungsbescheid erteilt worden, unter Benutzung eines Staubsaugers (Pulverharzumsauganlage = Pusa) Fässer trockenen Inhalts zu entleeren und bis zu 10 endlagerfähige Gusscontainer vom Typ VI mit getrockneten Filterharzen zu befüllen.

Normalerweise dauert das Absaugen ca. 3 bis 4 Stunden. Für Fass Nr. 1324 erhielt ich zwei verschiedene Auskünfte: Es wurde vergessen, die Pusa über Nacht abzuschalten, so dass der Staubsauger durch ständiges Kratzen die stark korrodierte Fasswand zerstört hat (ob das Fass beim Saugen gedreht wird, weiß ich nicht). Die andere Version lautet: Die (feuchten, zusammengebackten) Filterharze ließen sich nur schlecht absaugen, so dass die Pusa das Fass ca. 8 Stunden "bearbeitet" hat.

Wird ein Fass derart weitgehend zerstört, ist mit einer erhöhten Strahlenbelastung für die Mitarbeiter zu rechnen. Deshalb wurde das Absaugen mit der Pusa sofort untersagt, die schweren Betondeckel über die Kaverne IV geschoben und alle Arbeiten eingestellt.

Zwei Jahre später, so lange hatte es gedauert, bis eine Spezialkamera entwickelt worden war, wurden im Februar 2014 mit der fern bedienten Kamera 18 der noch 70 in Kaverne IV gestapelten Fässer als verrostet identifiziert. Vor deren Bergung sollen die Fässer mit einem Verhüterli geschützt werden (s. Homepage des MELUR).

4. Die entleerten Fässer werden in einer Dekontaminationsbox per Hochdruckreiniger und Wasser gereinigt und dekontaminiert. Das bei der Reinigung anfallende Wasser muss seinerseits filtriert und möglichst weitgehend von Radionukliden befreit werden.

Die leeren Fässer werden wie folgt "entsorgt":

a. Falls ein Fass nicht freigemessen werden kann (d. h. bestimmte Grenzwerte der radioaktiven Kontamination können nicht unterschritten werden), wird es in Folie eingeschweißt und zwischengelagert.

b. Falls gerade viel Abfall im AKW anfällt, können die Fässer im Kontrollbereich als Abfallbehälter für Metalle, Kunststoffe, Lappen usw. genutzt werden.

c. Kann das Fass freigemessen werden, wird es gepresst und als Metallschrott entsorgt und kann als Zahnspange oder Bratpfanne wieder in den Wirtschaftskreislauf gelangen.

5. Eine EDV-gestützte Dokumentation nach § 73 der Strahlenschutzverordnung existiert seit 1988 (Transnuklear-Skandal). Darin wird für jedes Fass der Inhalt, der Verarbeitungszustand, Herkunft, Standort, Umlagerung, Verbleib usw. gespeichert. Für detaillierte Angaben müsste eine detaillierte EDV-Liste bei der Atomaufsicht angefordert werden.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 307 - April 2014, Seite 28-29
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. April 2014