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GEGENWIND/458: Muttersprache - Petya Dimitrova aus Bulgarien


Gegenwind Nr. 269 - Februar 2011
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Petya Dimitrova aus Bulgarien:
"Meine Muttersprache ist Griechisch"

Interview: Reinhard Pohl


GEGENWIND: Was ist Deine Muttersprache?

PETYA DIMITROVA: Meine Muttersprache ist Griechisch, denke ich. Und Bulgarisch.

GEGENWIND: Seit wann sprichst Du Griechisch, seit wann Bulgarisch?

PETYA DIMITROVA: Ich bin mit beiden Sprachen aufgewachsen. Bei mir zu Hause wurde Griechisch gesprochen, und auf der Straße, beim Einkaufen oder mit Freunden habe ich Bulgarisch gesprochen.

GEGENWIND: Habt Ihr als griechische Familie alleine gelebt? Oder lebten dort mehr Griechen?

PETYA DIMITROVA: In der Stadt haben wir als griechische Familie alleine gelebt. Aber wenn wir am Wochenende zu unserer Oma gefahren sind, die lebte in einem griechischen Dorf; dort lebten nur Griechen.

GEGENWIND: Wie hast Du es als Kind empfunden - waren die Sprachen gleich viel wert, oder gab es einen Unterschied, wenn Du Griechisch oder Bulgarisch gesprochen hast?

PETYA DIMITROVA: Es gab Zeiten, in denen ich beide Sprachen verwechselt habe. Für mich waren beide Sprachen gleich wichtig. Es war nur schwer, oder ich fand es als Kind komisch, warum nicht alle eine Sprache sprechen. Ich verstand auch nicht, warum ausgerechnet ich mit zwei Sprachen aufwachsen musste, und die ganze Schwierigkeiten haben muss. Aber später, als ich zur Schule gegangen bin, hat sich das geändert.

GEGENWIND: Gibt es in Bulgarien nur bulgarische Schulen? Oder gibt es auch griechische Schulen?

PETYA DIMITROVA: Nein, es gibt leider keine griechischen Schulen in Bulgarien.

GEGENWIND: Hat es Dir in der Schule genützt, dass Du eine zweite Sprache konntest, oder war es egal?

PETYA DIMITROVA: Am Anfang hat es mir ein bisschen geschadet, weil ich sie manchmal verwechselt habe. Genützt hat es mir in der Schule nichts, dass ich auch Griechisch kann.

GEGENWIND: Gab es andere griechische Schülerinnen oder Schüler?

PETYA DIMITROVA: In meiner Schule schon, aber nicht in meiner Klasse und nicht in meiner Altersgruppe.

GEGENWIND: Habt Ihr auf dem Schulhof Griechisch gesprochen?

PETYA DIMITROVA: Nein. Es gab andere Kinder in der Schule, die sich auf türkisch unterhalten haben. Auf Griechisch haben wir uns nicht unterhalten, weil es nicht so viele Griechen gab und wir kannten uns nicht gut genug. Aber wenn es mehr Griechen in der Schule gegeben hätte, hätten wir sicherlich auch Griechisch gesprochen.

GEGENWIND: Wie wird in Bulgarien mit anderen Sprachen umgegangen? Wird das gefördert oder bekämpft?

PETYA DIMITROVA: Das wird eher ignoriert. Die Bulgaren, die normalen Leute, mögen es nicht, wenn sie eine andere Sprache hören. Meistens wird das mit Zigeunern, mit Roma verbunden, die sind leider nicht so beliebt. Aber sonst können Bulgaren gut damit umgehen. Sie respektieren das, wenn Menschen eine andere Sprache können oder sprechen. Fast alle in Bulgarien sprechen auch Englisch, und in der Schule wird gefördert Fremdsprachen zu lernen.

GEGENWIND: Welche anderen Sprachen gibt es in Bulgarien?

PETYA DIMITROVA: In erster Linie ist das die türkische Sprache. Dann die Sprache der Zigeuner, das Romanes, aber die haben kein Alphabet, es gibt nichts Schriftliches. Aber die Sprache existiert und wird gesprochen. Dann gibt es Armenisch, es gibt viele Armenier in Bulgarien. Und Russisch gibt es, natürlich auch Griechisch, aber nicht so viel.

GEGENWIND: Hat sich das Verhältnis der Regierung zur den Sprachen verändert im Laufe der Zeit?

PETYA DIMITROVA: Ja. Viel kann ich nicht dazu sagen, weil ich dort nicht mehr lebe. Was sich in letzter Zeit bewegt hat - ich bin überrascht worden, dass ich jetzt Nachrichten auf Türkisch gehört habe. Die Regierung hat erlaubt, dass im Fernsehen die Nachrichten auch auf Türkisch gesendet werden, denn es gibt Leute mit wenig Bildung, die außer Türkisch keine andere Sprache können, obwohl sie in Bulgarien leben. Damit sie nicht zurück bleiben und wissen, was los ist, gibt es jetzt auch Nachrichten auf Türkisch.

GEGENWIND: Zu welcher Zeit war das?

PETYA DIMITROVA: Das war vor drei oder vier Jahren.

GEGENWIND: War das der Wille der ganzen Regierung? Oder hatte es damit zu tun, dass die Partei der türkischen Minderheit flur die Koalition gebraucht wurde?

PETYA DIMITROVA: Ich bin mir nicht ganz sicher. Ich denke aber, die Türken haben das der Partei der türkischen Minderheit zu verdanken.

GEGENWIND: Wie geht Bulgarien mit Minderheiten um? Gibt es welche, die besser oder schlechter behandelt werden?

PETYA DIMITROVA: Ja, die Behandlung ist unterschiedlich. Minderheiten ist immer ein Thema. Die Bulgaren mögen keine Ausländer und auch keine Minderheiten. Die meisten sind Patrioten, die meinen, in Bulgarien wäre nur Platz für Bulgaren. Wenn es um Türken und Zigeuner geht, ist es ganz schlimm. Da werden die Leute ignoriert und nicht respektiert, weil die meisten von ihnen keine gute Schulbildung haben oder nie eine Schule besucht haben. Roma, Zigeuner gelten als kriminell, die Kriminalität wird in Bulgarien Türken und Zigeunern angelastet, obwohl man nie so richtig wissen kann, wer Roma und wer Türke ist, da die Roma sich als Türken vorstellen weil sie sich schämen die Wahrheit zu sagen. Andere wie Russen, Armenier oder Griechen werden mit mehr Respekt behandelt und akzeptiert.

GEGENWIND: Gibt es Aktivitäten der griechischen Regierung, das Griechische zu fördern?

PETYA DIMITROVA: Nein, in Bulgarien nicht. Oder nicht dass ich wüsste.

GEGENWIND: Wie ist es hier in Deutschland? Was nützt es Dir, mehrere Sprachen zu können?

PETYA DIMITROVA: Es ist gut, wenn man Sprachen kann. Es hat mir am Anfang geholfen. Ich bin nach Deutschland gekommen, ohne ein Wort Deutsch zu können. Ich hatte dann die Möglichkeit, bei einem Griechen zu arbeiten. Es war also ein Vorteil, dass ich Griechisch konnte, mit Bulgarisch hatte ich keine Chance.

GEGENWIND: Wann bist Du denn nach Deutschland gekommen?

PETYA DIMITROVA: Ich bin Ende 2003 zum ersten Mal nach Deutschland gekommen, seit dem bin ich mit einigen Unterbrechungen hier.

GEGENWIND: Und warum bist Du hergekommen?

PETYA DIMITROVA: Das ist eine Familiengeschichte. Ich war 12 Jahre alt, als meine Mama gestorben ist. Mein Papa hat neu geheiratet, und die Familienverhältnisse waren nicht so gut, ich musste einfach da weg. Deswegen bin ich nach Deutschland gekommen. Hier lebte eine Freundin, die hier studiert hat. Die hat mich hier aufgenommen.

GEGENWIND: Was machst Du jetzt?

PETYA DIMITROVA: Jetzt gerade? Ich lerne Deutsch, ich mache einen Grammatik-Kurs, um mein Deutsch zu verbessern. Ich mache beim Gegenwind den Dolmetsch-Kurs. Und ich arbeite als Zahnarzthelferin. Ich möchte aber in Zukunft als Dolmetscherin arbeiten und Migranten helfen, die Hilfe brauchen. Ich weiß, wie schwer das ist, irgendwo fremd zu sein und Hilfe zu brauchen - nicht zu wissen, was man machen soll.

GEGENWIND: Kannst Du das Angebot in Deutschland für Sprachkurse beurteilen?

PETYA DIMITROVA: Ich finde das sehr gut. Hier hat man die Möglichkeit, sehr viele Sprachen zu lernen. Es gibt viele verschiedene Angebote, man kann teilweise gleichzeitig arbeiten und abends oder am Wochenende einen Kurs besuchen. Es gibt auch Kurse nur für die Grammatik, für Leute wie mich, das hat mich überrascht. Ich spreche schon sehr gut deutsch, habe aber noch nie deutsch gelernt, und ich brauche nur diesen Grammatik-Kurs. Das Angebot hier ist sehr gut, nicht nur für Deutsch.

GEGENWIND: Hast Du hier schon etwas über Deine Muttersprache gehört? Wie wird die beurteilt?

PETYA DIMITROVA: Meine Muttersprache Bulgarisch ist leider in Deutschland nicht so beliebt, das kann ich auch irgendwie verstehen, wir sind aber ein EU-Land und unser Sprache gehört wie alle Dinge, die zu Europa gehören, auch zu Europa. Aber bei mir ist es so, dass mich eigentlich alle bewundern, dass ich drei Sprachen fließend spreche. Und manche sind ein bisschen neidisch, aber ich bekomme oft zu hören, dass ich beruflich etwas mit Sprachen machen und weiter Sprachen lernen soll. Ich werde das auch machen.


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Quelle:
Gegenwind Nr. 269 - Februar 2011, Seite 49-50
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Februar 2011