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GEGENWIND/426: Sinti und Roma - "Die Vergangenheit unserer Eltern prägt unsere Zukunft"


Gegenwind Nr. 262 - Juli 2010
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

"Die Vergangenheit unserer Eltern prägt unsere Zukunft"
Studie zu Deportationen von 200. Schleswig-Holsteiner Sinti und Roma im Mai 1940 wird in Kiel vorgestellt

Von Surya Stülpe


Sinti und Roma sind seit mindestens 600 Jahren als Minderheiten in Schleswig-Holstein vertreten. Über die Jahrhunderte hinweg und bis heute haben Menschen dieser Volksgruppe unter Diskriminierung, Ausgrenzung und Rassismus zu leiden. Die Geschichte dieser Diskriminierung gipfelte im "Porajmos", im gezielten und systematischen Völkermord an den Sinti und Roma, der von den deutschen Nationalsozialisten 1938-1945 verübt wurde. Auch die fehlende Aufarbeitung des Porajmos fügt sich ein in die Geschichte der Diskriminierung: Bis heute ist der Völkermord an den Sinti und Roma niemals in ähnlicher Weise wissenschaftlich aufgearbeitet und gesellschaftlich bekannt gemacht worden, wie der Holocaust. Bis heute sind viele Zahlen und Fakten unklar.


Die Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft hat sich im vergangenen Jahr daran gemacht, diesem Missstand etwas entgegenzusetzen und hat eine Studie in Auftrag gegeben, die die Deportationen von norddeutschen Sinti und Roma im Mai 1940 beleuchtet. Der Verfasser der Studie, der Historiker Marut Perle, stellte sein Werk im Mai in Hamburg vor. Die Studie brachte wichtige Erkenntnisse, Zahlen und Fakten über die deportierten Menschen, ihre Herkunft und ihr Schicksal. Besonders die Verantwortlichkeiten der Freihafenverwaltung, der HHLA, der Hafenbahn und der Reichsbahn wurden durch die Studie deutlicher. Es kam heraus, dass die Sinti und Roma damals nicht über den Hannoverschen Bahnhof deportiert wurden, sondern im Fruchtschuppen C in der heutigen Hafen City gesammelt wurden, um dann von der Deutschen Reichsbahn in den Osten abtransportiert zu werden.

"Neben den 550 Hamburger Sinti und Roma wurden im Mai 1940 auch 200 Schleswig-Holsteiner über den Fruchtschuppen C im Hamburger Freihafen deportiert. Dies nehmen wir zum Anlass, die Studie, die dies herausgefunden hat, auch in Schleswig-Holstein vorzustellen", so Heinz-Werner Jezewski Fraktionsvorsitzender der Fraktion DIE LINKE im Schleswig-Holsteinischen Landtag.

Nun fanden sich der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein, der Landesverband der Sinti und Roma Schleswig-Holstein, die Linksfraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag und die Rosa-Luxemburg-Stiftung zusammen, um eine Veranstaltung zu dem Thema zu machen.

In Schleswig-Holstein leben zurzeit circa 5000 Sinti und Roma. Die Realität dieser Menschen ist bis heute von Diskriminierung und Anfeindungen bestimmt. "Es gibt viele Vorurteile gegen unser Volk; die Respektlosigkeit dauert bis heute an", meint Matthäus Weiß, der Landesvorsitzende des Landesverbands Deutscher Sinti und Roma in Schleswig-Holstein.

Aus diesem Grund wird im Parlament zurzeit über eine Verfassungsänderung beraten, die den Sinti und Roma, neben anderen nationalen Minderheiten besonderen Schutz und besondere Förderung zuerkennen soll. Obwohl Sinti und Roma auf europäischer und Bundesebene bereits anerkannte Minderheiten sind, hat die Regierung aus CDU und FDP in der ersten Lesung bereits durchblicken lassen, dass sie die für eine Verfassungsänderung erforderliche Mehrheit verweigern will.

"Die Dänen und Friesen genießen mit Recht den Schutz der Verfassung schon seit vielen Jahren. Es kann nicht sein, dass den Sinti und Roma kein besonderer Schutz gewährt wird; obwohl sie ihn offensichtlich brauchen", so der Fraktionsvorsitzende der Fraktion DIE LiNKE im Schleswig-Holsteinischen Landtag Heinz-Werner Jezewski.

Neben dieser Verfassungsänderung wollen Grüne, Linke, SPD und SSW gemeinsam auf der nächsten Landtagssitzung einen Abschiebestopp für Roma und Askali in das Kosovo durchsetzen. "Menschen dieser Volksgruppen, die zum Teil schon seit mehr als 10 Jahren in Deutschland leben, sollen in eine unzumutbare Situation abgeschoben werden. Wir können nicht zulassen, dass unsere Nachbarn in Länder verbracht werden, in denen sie massiv diskriminiert und in Elend leben müssen", so Heinz Werner Jezewski zum gemeinsamen Antrag.


Surya Stülpe

Referentin für Inneres und Recht
Kontakt für Nachfragen: Fraktion DIE LINKE, im Schleswig-Holsteinischen Landtag
Düsternbrooker Weg 70, 24105 Kiel
Telefon: 0431/9881615, Telefax: 0431/9881618
Email: suryu-stuelpe@linke.ltsh.de


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Quelle:
Gegenwind Nr. 262 - Juli 2010, Seite 16-17
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
Schweffelstr. 6, 24118 Kiel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juli 2010