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GEGENWIND/419: Die beste Schuldenbremse ist Carstensens Rücktritt


Gegenwind Nr. 259 - April 2010
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Die beste Schuldenbremse ist Carstensens Rücktritt

Von Dr. Thomas Herrmann


Die Neufassung des schleswig-holsteinischen Staatsverschuldungsrechtes in der Landesverfassung ist am 19.05.2010 im Landtag mit den Stimmen der CDU, SPD, FDP, Grünen und des SSW gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen worden. Damit folgt der Landtag der Einführung der Schuldenbremse für Bund und Länder im Grundgesetz. Dabei ist die Schuldenbremse für Schleswig-Holstein nicht erforderlich, weil das Bundesrecht unmittelbar für die Länder gilt.

Dieser Zusammenhang wirkt vor dem Hintergrund, dass es ja ums Sparen geht, skurril. Diese Verschrobenheit, eine eigene überflüssige Schuldenbremse in die Landesverfassung zu schreiben, um damit wirksames Bundesrecht zu doppeln, kippt vollends ins Lächerliche wenn man die Begründung im schwarz-gelben Koalitionsvertrag betrachtet: man will nach der Verabschiedung in Karlsruhe gegen die Schuldenbremse mit dem Argument "Eingriff in Länderhoheit" klagen und hofft die Klagechancen zu erhöhen, indem man selbst eine einführt. Auf solch schmale Bretter kommt nur schwarz-gelb.

Die Schuldenbremse schien der großen Koalition nötig, um nach der 480 Milliarden schweren Bankenrettung ein Signal an den Finanzsektor zu richten mit dem Ziel, die Zinsen für deutsche Staatsanleihen niedrig zu halten. Bundesschätze rentieren mit drei Prozent am Ende der europäischen Staatsanleihenverzinsung. Das hat auch geklappt. Allerdings ist der erste Teil der Schuldenbremse bereits wieder Makulatur, weil Finanzminister Schäuble nach dem Euro-Rettungspaket in Höhe von 750 Milliarden Euro angekündigt hat, dass das mit der Schuldenbremse in dieser Legislaturperiode nichts wird, weil für "außergewöhnliche Notsituationen die sich der Kontrolle des Staates entziehen", Ausnahmeregelungen vorgesehen sind, für die lediglich Tilgungspläne erstellt werden müssen. Und auch danach wird man "außergewöhnliche Notsituationen" sehen, und dann, wenn die Krise deutlich nach 2020 bewältigt sein wird, werden alle Beteiligten froh sein, die Schuldenbremse in aller Ruhe zu beerdigen.

Die gesamte Verfassungsänderung in Schleswig-Holstein ist also überflüssig wie ein Kropf. Sie ist die Imitation einer Symbolisierung, die sie für denkende Zeitgenossen sogar eher verdächtig macht. Jetzt führt also Schleswig-Holstein die Bremse ein; Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen und Thüringen haben sie schon in ihre Haushaltsordnungen geschrieben; Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Hessen und Rheinland-Pfalz wollen sie noch einführen. Wer will schon ein Auto fahren, das zehn Bremsen hat? Schleicht sich da nicht der Verdacht ein, dass das Auto gar nicht bremsen kann? Das ist ein gefährliches Auto!

Es findet sich an keiner Stelle der vielen Schuldenbremsen eine Begründung zum konkreten finanzpolitischen Handlungsbedarf Ein Szenario-Denken, in dem verschiedene mögliche Entwicklungspfade durchdacht werden, mit entsprechenden Finanzierungsbedarfen der öffentlichen Hände? Fehlanzeige! Man glaubt und hofft, dass es so wieder wird, wie es immer war und gefällt sich im "Wir-leben-über-unseren-Verhältnissen"-Geraune. Dabei ist das nun ganz falsch. Dankenswerterweise hatte die Kanzlerin darauf aufmerksam gemacht, dass ein Land wie die USA deshalb über seinen Verhältnissen lebt, weil es jeden Tag für zwei Milliarden Dollar mehr Waren, Güter und Dienstleistungen importiert als es exportiert. Aus Deutschland wurde seit dem Jahr 2000 für eine Billion Euro mehr exportiert als importiert. Es wäre schön, wenn die Kanzlerin mal sagen würde: ja die Amis haben über ihre Verhältnisse gelebt und aus demselben Grund leben wir unter unseren Verhältnissen. Das wird nicht kommen, weil es dann heißen wird, der Staat lebe über seinen Verhältnissen. Aber auch das ist falsch. Schaut man sich die Verschuldungsraten in Europa an, so ist es so, dass die Länder mit den höchsten Steuern, Dänemark, Schweden aber auch die Niederlande die niedrigste Staatsverschuldung haben und die Länder mit den niedrigsten Steuern, England, Griechenland, Irland die höchsten Schulden. Mit Griechenland teilt Deutschland übrigens eine Politik, die es den oberen Zehntausend überlässt, ihre Steuerzahlungen selbst zu kalibrieren. Die Reichen in beiden Ländern können selbst entscheiden, wie viel Geld sie dem Staat geben. Dann ist es schön, wenn öffentlich posaunt wird, wie miserabel der Staat ist. Denn das gibt diesen Leuten Rechtfertigung und Legitimation gar keine Steuern zu zahlen - und zugleich auf der überwiegend von den Arbeitenden finanzierten Infrastruktur ihr Vermögen zu mehren.

Angesichts der Schuldenbremsen wird die Unterscheidung zwischen dem strukturellen Finanzierungsdefizit und dem konjunkturell bedingten Defizit bedeutungsvoll. Beim ersten geht es um die dauerhafte Unterfinanzierung eines Haushaltes, beim zweiten um Defizite, die im Konjunkturtal entstehen, weil das Steueraufkommen sinkt. Die Lehman-Pleite war vielleicht der Auslöser der Finanzkrise, aber bereits im Sommer 2008 ging die Konjunktur in die Knie, und zwar nicht zuletzt aufgrund des steigenden Leitzinses der EZB (vier Prozent), überteuerter Rohstoffe (Benzin über 1,50 Euro) und einem astromischen Außenwert des Euro (Ein Euro kostet über 1,50 US-$). Das führte in den Abschwung und dieser fand in der Lehman-Bank sein erstes Opfer. Seither befindet sich das Land in einer Rezession. Die offene Frage ist, wie die Landesregierung beabsichtigt, in diese krisenhafte Zukunft, mit. absehbar schwankenden Einnahmen Ausgabenziele hinein legen will, die halbwegs realistisch auch und gerade in ihrer finanziellen Tragfähigkeit und Verschuldungsreduktion sind. Jedenfalls führt der dauernde Hinweis auf die Schuldenbremse, den die Regierung wie das Haupt der Medusa vor sich her, in der Hoffnung, dass alle erstarren, die sie direkt anschauen, dazu, dass dieser Unterschied eingeebnet wird. Dazu gehört unmittelbar, dass die Regierung sich selbst und ihren Bürgern Rechenschaft abzulegen hat, welche Auswirkungen die massiven Steuerausfälle auf die Wirkungsweise der Schuldenbremse haben werden und welche Einsparnotwendigkeiten sich aus der Schuldenbremse ergeben. Vor allem aber kann man nicht oft genug betonen, dass eine Reduktion der staatlichen Ausgaben in der Rezession das Problem verstärkt und direkt in eine Depression führt. Es gibt dann kein wirtschaftspolitisches Instrument mehr, das da raus führt, es ist der Weg in die Gewaltkur. Es muss alles getan werden, um die zaghaften Widerstände gegen das Depressionssparen der Landesregierung zu stärken, zusammenzuführen und zu vernetzen und ein Druckpotential aufzubauen, welches geeignet ist, politische Kosten in der Rechnung der Landesregierung geltend zu machen. Dies ist auch im Bund eine dringende politische Aufgabe, weil die merkwürdig unentschlossene Haltung der Kanzlerin ein Indiz dafür ist, dass in der Führung des Landes ein Konflikt über den Kurs des Landes ausgebrochen ist. Dieser kann als Konflikt zwischen Brüning und Roosevelt gedeutet werden: Entweder das Land kaputtsparen, die Bevölkerung in den politischen Raum treiben und eine autoritäre Lösung mithilfe von Polizei und Militär anstreben oder jetzt Investitionen in die Zukunft des Landes mit starker öffentlicher Beschäftigung anstreben, dabei über Neuinstitutionalisierung auch neue Professionalität ausbilden und hohe Steuern bis zu 80% für die Superreichen einführen.

Perspektivische Bedeutung kommt nicht der Schuldenbremse zu, sondern einer Analyse des Landeshaushaltes, die sich bemüht festzustellen, welche Kosten dort überhaupt disponibel sind. Der überwältigende Teil des Landeshaushaltes ist ohnehin rechtsgebunden. Und der kleine disponible Teil ist wiederum überwiegend funktional, das heißt, wenn dort gekürzt wird, so fallen die Kosten in Form von Steuermindereinnahmen oder Kosten anderer Ressorts wieder an.

Ein Großteil der Wirtschaftssubventionen besteht aus der staatlichen Übernahme von Transaktionskosten. Das sind Kosten, die entstehen um Produkte an die Abnehmer zu bringen (für die Industrie sind das bis zu 45%). Wenn die Betriebe die Kosten selbst zahlen, reduzieren sie damit ihre Steuerlast. Wenn sie aufgrund der fehlenden Transaktionssubventionen vom Markt verschwinden mindern sich die Steuereinnahmen. Und an dieser Stelle ist auch darauf hinzuweisen, dass das alte Spiel Wettbewerbspolitik auf Kosten der Nachbarn zu betreiben endlich beendet gehört.

Es gibt Ausgaben im Landeshaushalt, die sich zu einem mehr oder weniger großen Teil durch zurück fließende Steuereinnahmen selbst finanzieren. Es macht wenig Sinn hier zu kürzen, weil die Ausgabenreduktion einer Einnahmereduktion entspricht. Und an dieser Stelle ist auch darauf hinzuweisen, dass das alte Spiel Kosten des Landes auf die Kommune oder auf den Bund abzuwälzen endlich beendet gehört.

Eine der großen Erfahrungen der Regierungen Thatcher und Reagan war, dass es ihnen nie gelungen ist, zu insgesamt sinkenden Staatsausgaben zu kommen. Die scharfen Einschnitte in die Sozialhaushalte führten in 80er Jahren in England und den USA zu noch höheren Ausgaben im Bereich innere Sicherheit (Polizei, Gerichte, Gefängnisse und letztlich zu der irren amerikanischen Staatsverschuldung von zwölf Billionen Dollar. Und an dieser Stelle ist auch darauf hinzuweisen, dass das alte Spiel sich in einen Steuersenkungswettbewerb zu begeben aufzuhören hat.

Auch die Privatisierung von öffentlichen Betrieben führt zu geringeren Steuereinnahmen. Dies geschieht dadurch, dass Privatisierungen mit Lohnsenkungen verbunden sind - also das Einkommenssteuereinkommen und die Kaufkraft vor Ort schwächen. Zum Zweiten werden keine Steuern im Land gezahlt, wenn die Zentrale außerhalb liegt und drittens werden oft gar keine Steuern mehr gezahlt, wenn die Privatfirma sich clever genug aufstellt. Und an dieser Stelle ist auch darauf hinzuweisen, dass das alte Spiel "privat gut - öffentlich schlecht" beendet gehört.

Einzelne Ausgaben zu lassen ist immer möglich. Das Land muss dem Marineverein Laboe nicht 600.000 Euro fürs Hübsch machen des Ehrenmals überweisen. Man kann das Abschiebegefängnis in Rendsburg schließen und eine Million weniger ausgeben, weil da nur noch vier, fünf Gefangene auf ihre Abschiebung warten. Schleswig-Holstein braucht auch keinen Landtag mit über 90 Abgeordneten und es steht sehr wohl die ganz praktische Frage an, was dort zu tun ist und was besser zu lassen ist. Aber all das bringt vielleicht zehn, zwanzig Millionen bei kaufmännischer Haushaltsführung, die wünschenswert ist. 125 Millionen jedes Jahr zusätzliche Ausgabenreduktion kann man so nicht erreichen.

Man wird sich mit dem Gedanken anfreunden müssen, dass es sich bei der Schuldenbremse um ein Wolkenkuckucksheim handelt. Es ist zur Kenntnis zu nehmen, dass die zurück liegenden Sparpolitiken wesentlich zum jetzigen Verschuldungsproblem beigetragen haben. Im Grunde hat man eine moderate Verschuldung des Landes, die immer durch Landesvermögen gedeckt war und nicht zuletzt die Vermögen der Bürger durch Verzinsung der Staatsanleihen gemehrt hat, durch eine Staatsverschlankungsidiotie und Niedriglohnideologie ersetzt, dann das Landesvermögen verscherbelt und so eine Explosion der Landesschulden herbeigeführt. Aus der Verschuldung wird das Land nur entkommen, wenn in einen neuen öffentlichen Vermögensaufbau investiert wird. Unter Vermögen sind einerseits materielle Werte zu verstehen, die die Attraktivität des Landes in vielerlei Hinsicht erhöhen und andererseits immaterielle Vermögen, die das individuelle Vermögen der Bevölkerung in Gegenwart und Zukunft zu handeln, steigern.

Die letzte Frage ist dann, wo soll das Geld herkommen? Die Deutsche Bundesbank teilte Ende April mit, dass die privaten Haushalte in Deutschland 2009 147 Milliarden Euro gespart haben. Das waren 21 Milliarden Euro mehr als im Jahr 2008. Damit stieg das Geldvermögen der privaten Haushalte bis Ende 2009 auf 4.672 Milliarden Euro und lag damit rund 240 Milliarden Euro über dem Niveau von 2008. Die Schulden der privaten Haushalte betrugen nahezu unverändert Ende des vergangenen Jahres rund 1532 Milliarden Euro. Die bisherige Politik orientiert die Vermögen in das Rattenrennen des Finanzsektors um hohe Zinsen. Wenn es dann schief geht, weil hohe Zinsen nur mit hohen Risiken zu haben sind, und die Regierenden die Banken Sparer mit Steuermitteln raushauen, führt dies zur Zunahme der öffentlichen Verschuldung (Die Bundesregierung teilte am 11.05.2010 mit: "Die Verschuldung von Bund, Ländern und Gemeinden hat sich aufgrund der Bankenrettung bis Ende 2009 um knapp 98,6 Milliarden Euro erhöht". Wahrscheinlich muss man den Landsleuten mit Geldvermögen viel deutlicher als bisher sagen, dass sie nur die Alternative haben, riskant in dieses Land zu investieren oder es im Finanzsektor zu verlieren.

Es kann nur so gehen, dass das Geld der Sparer auf verschiedenen Wegen statt in den Finanzsektor in öffentliche Investitionen gelenkt wird (es ist sicher auch vernünftig wieder verstärkt private Investitionen steuerlich attraktiv zu machen). Das führt zu mehr Sicherheit auch der privaten Vermögen, zu praktischer Vermeidung von zusätzlicher Verschuldung durch "Rettungspakete" und zur Möglichkeit über die Zukunft des Landes wieder auf demokratischem Wege zu entscheiden, anstatt diese dem Finanzsektor und deren Miet- und Kaufparteien in der Landesregierung zu überlassen.


Dr. Thomas Herrmann
Finanzreferent DIE LINKE Fraktion im schleswig-holsteinischen Landtag


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Quelle:
Gegenwind Nr. 261 - Juni 2010, Seite 20-21
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juni 2010