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GEGENWIND/409: Landgericht Flensburg verurteilt Antimilitaristin


Gegenwind Nr. 259 - April 2010
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Krieg & Frieden Landgericht Flensburg verurteilt Antimilitaristin

Von Hauke Thoroe


Am 17. Februar und 10. März wurde vor dem Landgericht in Flensburg eine Klage der Bahn gegen eine Friedensaktivistin verhandelt. Die Bahn hatte der jungen Frau 14.000 Euro in Rechnung gestellt, die diese durch eine Blockadeaktion verursacht hätte. Die Verteidigung argumentierte, dass die Versammlung nicht aufgelöst worden sei, und deshalb kein Zwang zum Entfernen bestanden habe. Richter Biermann befand die Angeklagte für schuldig. Die Höhe der Zahlung wurde jedoch noch nicht festgelegt.


Im Februar 2008 stoppte ein Transportzug der Bundeswehr zwischen Husum und Jübek aufgrund einer antimilitaristischen Aktion. "Die Bundeswehr verteidigt eine zutiefst ungerechte Weltwirtschaftsordnung. Widerstand dagegen ist nicht nur legitim, sondern notwendig" so Hanna Poddig, die sich 2008 an die Gleise gekettet hatte. Die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen der Aktion; und im Dezember 2009 kam es zum ersten Prozess im Strafverfahren. Der Prozess endete mit einem Befangenheitsantrag gegen den Richter und muss nun komplett wiederholt werden. Das Landgericht hatte offenbar nicht die Geduld, auf ein Urteil im Strafverfahren zu warten, und setzte daher den Zivilprozess vor der Entscheidung im Strafverfahren an.


Justiz: Abschreckung statt Aufklärung

Die damalige Blockadeaktion sorgte für sehr viel Wirbel in der Region. Auf die Frage, ob die Aktion erfolgreich gewesen sei, antwortet Hanna: "Als wir die Aktion gemacht haben, war das Konzept der Friedenserzwingung z.B. wie in Afghanistan kaum Thema. Heute lehnen die meisten Menschen dies ab." Aber das sei nicht nur der Aktion nahe Husum zu verdanken, führt Hanna weiter aus. Es gäbe vielmehr einen breiten Widerstand sehr vieler Initiativen im Land, die sehr vielfältig gegen die Bundeswehr aktiv seien. Und in Verbindung mit den öffentlich gewordenen Verbrechen der Bundeswehr in Afghanistan habe dies zu einer Ablehnung der Kriegsbeteiligungen des deutschen Militärs geführt. "Vor diesem Hintergrund ist auch die Repression gegen Hanna und drei weitere Angeklagte zu verstehen", erklärte Jan Hansen von der Husumer Initiative "militarismus-jetzt-stoppen.de.vu". "Die Militärs fürchten, dass es aufgrund der hohen Ablehnung ihres Handelns vielerorts so mutige Aktionen des zivilen Ungehorsams wie 2008 in Nordfriesland geben könnte.


Schadenersatz trotz fehlender "Auflösung der Versammlung"?

Die Bahn argumentiert, die Aktivistin habe durch ihre Räumung bewusst die Durchtrennung der Schiene in Kauf genommen und so die Kosten verursacht. Angesichts zahlreicher ähnlicher Aktionen beispielsweise zu CASTOR-Transporten ins Wendland erscheint diese Aussage der Bahn absurd, da solche Aktionen in den meisten Fällen durch Auftrennung der Ankettvorrichtung beendet werden. "Es kann also in keinem Fall behauptet werden, ich hätte die Durchtrennung der Schiene wissentlich provoziert!" kommentierte Hanna Poddig die Vorwürfe. Zudem wurde die Aktion von der Polizei zwar als Versammlung erkannt, jedoch nicht so behandelt. Da es keine Versammlungsauflösung gab, gab es auch zu keinem Zeitpunkt einen rechtlichen Zwang für die AktivistInnen, die Schienen zu verlassen. Eigentlich...


Der Prozess als Farce

Doch all dies interessierte den Richter nicht. Bereits am Eingang zum Gericht ordnete er Personenkontrollen an und den Prozess begann er mit einem Moral-Vortrag über anständiges Verhalten vor Gericht. Auch im folgenden Prozessverlauf ließ sich der Richter überhaupt nicht auf die Argumentation der Verteidigung ein. Etwa 30 Unterstützerinnen begleiteten den Prozess im Zuschauerraum, vor dem Gericht wurde ein Transparent gespannt und die Justizangestellten riefen die Polizei, weil Menschen mit Kreide malten. "Ich wundere mich nicht über diesen Verlauf, das Gericht wird sich nicht von mir überzeugen lassen", so Hanna Poddig. Zum erwarteten Schuldspruch erschienen wieder etwa 10 UnterstützerInnen und drei Mitglieder des "Freundeskreises Bundeswehr-Bahn" die bereits vor dem Urteilsspruch PassantInnen "zur Feier des Tages auf ein Glas Sekt" einluden, um zu feiern, dass Richter Biermann "Endlich freie BAHN für Militär- und Waffentransporte" durchsetze. Während der Urteilsverkündung "unterstützten" sie ihn mit Klatschen und "Bravo"-Rufen.


Ohne Gewalt keine Gerichte

Die hässliche Seite des Gerichtes zeigte sich nach der Urteilsverkündung. Eine Person aus dem Publikum las ein Gegenurteil vor, in dem die Beteiligung der Bundeswehr am Krieg in Afghanistan verurteilt und die mutige gewaltfreie Aktion der Aktivistin gelobt wurde. Das war zu viel Meinungsfreiheit für "das Volk", in dessen Namen Richter Biermann gerade sein Urteil verlesen hatte. Er versuchte, den Saal räumen zu lassen, und die Justizwachtmeister drohten dem Vorlesenden mit Gewalt. Da die Wachtmeister jedoch zu zögerlich agierten und das Gegenurteil schnell verlesen war, kam es nicht zu dem von Richter Biermann mit der Saalräumung in Kauf genommen und durch die Beamten bereits angedrohten Gewaltausbruch.


Die Bahn als Teil der militaristischen Infrastruktur

Laut Poddig sei der Konzern Die Bahn ein Unternehmen, das Truppen, Material und Kriegsgerät ohne jegliche Bedenken für die Bundeswehr, andere Armeen und für den Export transportiere. "Die Bahn ist fest in den deutschen militärisch-industriellen Komplex integriert, und profitiert sowohl von der Existenz der Bundeswehr, als auch von den Rüstungsexporten der deutschen Wirtschaft!" sagte Jan Hansen, von der Husumer Antimilitarismus-Initiative "www.militarismus-jetzt-stoppen.de.vu". Es sei eine Frechheit, dass die Verantwortlichen der Bahn, die jedes Jahr viel Geld auf den Schultern anderer Leute verdienten, nun versuchen würden, die Durchsetzungskosten ihrer den Krieg in aller Welt unterstützenden Konzernpolitik auf eine engagierte Antimilitaristin abzuwälzen.


Spenden für die Anwaltskosten

Wer Hanna bei den Anwaltskosten unterstützen möchte: Kontonr. 111 026 274 BLZ 217 500 00. Inhaber: H. Thoroe. "Noch wichtiger ist es aber, dass alle, die die Bundeswehr und ihre Auslandseinsätze ablehnen, dies auch mit Aktionen und Widerstand in die Öffentlichkeit tragen!", fordert Jan Jansen vom Solifond.


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Quelle:
Gegenwind Nr. 259 - April 2010, Seite 17-18
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. April 2010