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GEGENWIND/382: CCS blockiert die Energiewende und kostet viel Steuergeld


Gegenwind Nr. 250 - Juli 2009
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

CCS blockiert die Energiewende und kostet viel Steuergeld

Von Ingrid Nestle


CO2 aus einem Kohlekraftwerk zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen soll zunächst aus dem Abgas abgeschieden und dann mit einer langen Pipeline nach Schleswig-Holstein transportiert und dort in den Untergrund verpresst werden (Carbon Capture and Storage - CCS).


Diese Pläne von RWE und das unterstützende Gesetzesvorhaben der Bundesregierung haben in den letzten Monaten für viel Furore gesorgt. Denn die Anwohner wehren sich gegen das überstürzte und riskante Projekt, das zudem dem Klimaschutz in Deutschland mehr schadet als nutzt.

Denn die Stromkonzerne wollen gar nicht die heute im Bau befindlichen Kohlekraftwerke mit CCS ausstatten, sondern nur die zusätzlichen Kohlekraftwerke, die sie nach 2020 bauen wollen, mit dieser Technologie ausstatten. Diese Kohlekraftwerke werden nicht gebraucht, sie würden den Ausbau der Erneuerbaren Energien ausbremsen, und sie belasten so oder so das Klima - denn CCS führt nur zu einer Minderung der CO2-Emissionen von rund 75 % (BMU, RECCS-Studie, S. 19).

Verschiedene Punkte sprechen gegen CCS in Deutschland. Die berechtigten ökologischen Bedenken sind bereits Gegenstand zahlreicher Veröffentlichungen. Es gibt aber auch handfeste wirtschaftliche Kritikpunkte, die im Folgenden angesprochen werden:

Erstens: Die Abscheidung und Ablagerung von CO2 ist eine junge, noch in der Entwicklung befindliche Technologie. Die hohen Forschungskosten werden aber nicht auf die Preise der Stromerzeugung aus fossilen Brennstoffen aufgeschlagen, sondern entweder von den Stromkonzernen auf alle Energieträger umgelegt oder gar über Steuermittel abgedeckt. So hat z.B. die EU am 12.12.2008 allein für 10 CO2-Lagerstätten 300 Millionen Emissionszertifikate kostenlos zur Verfügung gestellt - das entspricht bei dem damaligen Zertifikatspreis einem Betrag von über 4,5 Milliarden Euro. Geld, mit dem z.B. der nötige Umbau des Stromnetzes für eine Erhöhung des Anteils der Erneuerbaren Energien weit vorangetrieben werden könnte. Übrigens gibt es für die deutlich klimafreundlicheren Erneuerbaren Energien keinerlei Zertifikate.

Zweitens: Es ist bereits jetzt absehbar, dass der Einsatz von CCS die Stromkunden - jenseits der Subventionen - teuer zu stehen kommen wird. Die Kosten der Abscheidung, des Transportes und der Ablagerung von CO2 sind mit ca. 50 Euro je Tonne CO2 zu veranschlagen. Bezieht man die zweifelsfrei langfristig steigenden Preise für fossile Brennstoffe und Kosten für Zertifikate für die verbleibenden CO2-Emissionen mit ein, wird der Strompreis aus konventionellen Kraftwerken mit CCS-Technologie bereits 2020 über dem (Durchschnitts-)Preis erneuerbarer Energien liegen (8 ct/kWh; BMU, RECCS-Studie, S. 161) - und vor 2020 steht CCS großtechnisch nicht zur Verfügung.

Drittens: Weit schwerer wiegen noch die volkswirtschaftlichen Schäden aus dem Einsatz von CCS in großem Umfang. CCS ist in jedem Falle nur eine Übergangslösung, da die Lagerkapazitäten auf wenige Jahrzehnte begrenzt sind. Das bedeutet, dass auch mit CCS der Anteil der Erneuerbaren Energien an der Stromproduktion zwingend weiterhin gesteigert werden muss. Dann führt CCS aber zu einem unauflösbaren Systemwiderspruch. Mit zunehmendem Anteil der teilweise fluktuierenden Erneuerbaren Energien sind die Grundlastkraftwerke (also vor allem Kohle- und Atomkraftwerke) immer weniger einsetzbar. Sie können nur langsam hoch- und heruntergefahren werden und sind deshalb nicht in der Lage, auf die Schwankungen einer von Erneuerbaren Energien geprägten Stromversorgung zu reagieren. Grundlastkraftwerke würden entweder gänzlich unbrauchbar oder zumindest unrentabel werden. Diese - jahrelang von der Stromindustrie geleugnete - Unvereinbarkeit hat nunmehr kürzlich auch E.ON eingeräumt - pikanterweise in einer als Lobbying für neue Atom- und Kohlekraftwerke gedachten Stellungnahme an die Britische Regierung: Der Neubau kapitalintensiver Grundlastkraftwerke wie Atommeiler sei mit einem hohen Anteile an erneuerbaren Energien unvereinbar. Die verträgliche Obergrenze liege bei 33 %. Die riesigen Summen für den Neubau konventioneller Kraftwerke würden somit absehbar in Anlagen fließen, die keinen Bestand haben dürfen. Die Zeche für solche Investitionsruinen zahlen die Stromkunden der Zukunft. Die Mittel sollten stattdessen in die Steigerung der Energieeffizienz, den Ausbau der Erneuerbaren Energien und die notwendige europaweite Vernetzung durch Stromleitungen mit geringen Übertragungsverlusten und in Speicheranlagen fließen. Damit würde in die Zukunft und nicht in die Vergangenheit investiert.

Schließlich sei noch auf die von den Stromkonzernen anvisierte Haftungsbegrenzung der CO2-Lagerung auf 30 Jahre oder weniger hingewiesen. Sie läuft dem Verursacherprinzip zuwider und deckt Widersprüche auf. Die Stromindustrie wird nicht müde zu behaupten, die CO2-Lagerung sei absolut sicher. Wieso die gebotene Haftung von mindestens 100 Jahren für eventuelle Schäden dann zu einer "unvertretbaren Verteuerung" der CCS führt (so E.ON; RWE), ist nicht nachvollziehbar. Entweder ist die Lagerung sicher, dann ist die Risikovorsorge nicht teuer. Oder die Lagerung ist eben doch nicht sicher. Dann wäre CCS für die Betreiber teuer - es sei denn, der Steuerzahler zahlt die Zeche.

CCS wird in Deutschland nicht gebraucht. Nicht für den Klimaschutz, nicht für die sichere Stromversorgung und auch nicht für eine preiswerte Energieversorgung. Das gleiche gilt für die Atomenergie. Die noch laufenden Kraftwerke müssen schnell abgeschaltet werden - mindestens so schnell, wie es das Gesetz vorsieht. Der Weg in eine zukunftsfähige Stromversorgung geht nach wie vor über die drei E: Energie sparen, Energieeffizienz und Erneuerbare.


Ingrid Nestle ist Bundestagskandidatin von Bündnis 90/Die Grünen


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Quelle:
Gegenwind Nr. 250 - Juli 2009, Seite 17-18
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juli 2009