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GEGENWIND/379: Prozesse gegen Polizeikritiker in Bad Oldesloe


Gegenwind Nr. 250 - Juli 2009
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Prozesse gegen Polizeikritiker in Bad Oldesloe

Maschinerie ins Stocken gebracht


In Bad Oldesloe fanden innerhalb einer Woche gleich zwei Prozesse gegen politische engagierte Menschen statt. Die Vorwürfe hören sich spektakulär an (Beleidigung, Widerstand, versuchte Körperverletzung und falsche Personalienangabe), doch basieren die Anklagen ausschließlich auf Vorwürfen von PolizistInnen.


Zudem ereigneten sich die Geschehnisse immer im Kontext von durchaus kritikwürdigen Polizeieinsätzen. Die Urteile stehen noch aus, da beide Prozesse nach einer offensiven Verteidigung der Angeklagten auf den 29.6.und den 30.6. vertagt wurden.

Ein Rückblick: November 2008. Kurz nach 14 Uhr. Es klingelt an der Tür: Die zivile Polizei mit einem Gerichtsbeschluss zur DNA-Abgabe. Dieser ist vom Amtsgericht Rostock gekommen, und richtet sich an einen Antifa-Aktivisten, der mittlerweile aus Rostock nach Bad Oldesloe zog. Doch im Eifer des Gefechtes verhaften die Polizeibeamten die falsche Person und bemerken den Irrtum erst, als der Betroffenen beeinflusst durch "einfache körperliche Gewalt", wie es bei PolizistInnen so schön heißt vor ihnen liegt. Doch anstatt sich zu entschuldigen, gibt es einen Bußgeldbescheid wegen "falscher Namensangabe".

Ein Monat später. Beim Containern (d.h. Entwenden von weggeworfenen Lebensmitteln aus Supermarktcontainern) in Bad Oldesloe wird unter anderem der Betroffene des DNA-Gerichtsbeschlusses verhaftet. Es kommt noch in der Nacht zu einer Solidaritätsdemonstration vor der Oldesloer Polizeiwache. Diese wird durch die dort anwesenden Polizeibeamten brutal aufgelöst. Und wieder hagelt es Vorwürfe: Die DemonstrantInnen sollen angefangen haben.

Am 11. Juni wurde nun der Vorfall aus dem Dezember verhandelt. Die im Februar zugestellten Strafbefehle, in denen die Staatsanwaltschaft eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen verlangt, stützen sich auf Behauptungen dreier Polizeibeamter. "Die Polizisten waren in meinen Augen während des Einsatzes total überfordert, und versuchen nun, auf diese Wiese ihre Fehler zu tarnen", sagt Jan H. zu den Vorwürfen. Im Prozess wollten die Angeklagten ihre Unschuld durch die Befragung dieser Zeugen beweisen. Allerdings kam es dazu gar nicht, da bereits vor der Verlesung der Anklageschrift mehrere Rechtsfehler auftraten, so dass die Verhandlung gegen 13 Uhr unterbrochen und auf den 30. Juni (9 Uhr, Amtsgericht Bad Oldesloe, Saal 119) vertagt werden musste. Jan H. Kommentar dazu: "Sich offensiv verteidigende Angeklagte sind auch in politischen Prozessen eher selten. Das Amtsgericht war einfach nicht darauf vorbereitet, dass wir in der Lage sind, die Verurteilungsmaschinerie durch Anträge derart ins Stocken zubringen."

Bereits im Vorfeld hatten die Angeklagten einen Pflichtverteidiger beantragt. Dieser war mit der Begründung, die Rechtslage sei einfach und die Angeklagten hätten ausreichend Rechtskenntnisse, verweigert. Als sich im Prozess die Rechtslage immer wieder als sehr diffizil herausstellte, beantragte einer der Angeklagten eine Person aus dem Publikum als juristischen Beistand zuzulassen. Dies wurde seitens des Richters zunächst abgelehnt. Im Laufe des Verfahrens konnten die Angeklagten allerdings beweisen, dass die Strafprozessordnung dies vorsieht. "Wir haben den Richter schließlich zwingen können, den Beistand doch zuzulassen. Allerdings hat der damit verbundene Befangenheitsantrag den Prozess erst mal abgewürgt", kommentiert Jan H. den Vorgang.

Trotz weiterer zu erwartender Verhandlungstage zeigten sich die Angeklagten sichtlich zufrieden mit dem bisherigen Verlauf, kritisierten aber, dass sie es als juristische Laien ohne anwaltliche Vertretung schwer hätten, ihre Rechte durchzusetzen. "Aber letztlich ist das auch egal. In Prozessen, in denen PolizistInnen versuchen, ihr eigenes Fehlverhalten durch Gegenvorwürfe zu tarnen, hat mensch keine Chance, weil Gerichte die Aussagen von Polizeibeamten immer höher gewichten, als die anderer Menschen."

Auch Besucher des Prozesses äußerten sich positiv. Eine Besucherin erzählt: "Die Anträge und Erklärungen der Angeklagten waren spannend zu hören." Sie spielte damit auf deren politische Inhalte an. Unter anderem wurde die Strukturierung des Rechtswesens und gesamtgesellschaftliche Zustände kritisiert, die durch Gerichte legitimiert und verteidigt würden.

Der Prozess am 15. Juni wegen der Ordnungswidrigkeit "falsche Namensangabe" endete vorerst ähnlich. Nach drei Stunden Verhandlung wurde der Prozess auf den 29.6.2009 vertagt. Für Erheiterung sorgte jedoch ein Zettel, der im Amtsgericht verklebt worden war und mit expliziter Erwähnung des laufenden Prozesses besondere Maßnahmen nach der Strafprozessordnung den BesucherInnen androhte, und die extra angereiste Justiz-Mobile, Einsatzgruppe, die in Bad Oldesloe sonst nicht übliche schikanöse Eingangskontrollen durchführte. Statt wie beim letzten Prozess einem (sehr unsouverän, aggressiv und mit Thorshammer um den Hals) waren diesmal acht Justizwachtmeister anwesend, welche das Publikum während der Pausen u.a. aufforderten das Spielen und Singen einzustellen.

Der Prozess wurde von inhaltlich sehr treffenden politischen persönlichen Erklärungen und Anträgen geschmückt. Übrig blieben entnervte Wachtmeister, entnervte Zeugen, die auf den nächsten Verhandlungstag vertröstet wurden, und ein teils genervter, teils amüsierter aber verunsicherter Richter.

Hauke


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Quelle:
Gegenwind Nr. 250 - Juli 2009, Seite 42
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juli 2009