Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

GEGENWIND/359: Brunsbüttel - Vier Kohlekraftwerke geplant


Gegenwind Nr. 245 - Februar 2009
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Brunsbüttel
Vier Kohlekraftwerke geplant

Von Anke Dreckmann


Eine Entscheidung muss jetzt fallen. Wollen wir für vermeintlich mehr Lebensqualität Kapital aus Energie-Fabriken generieren und damit die Lebensgrundlage unserer Kinder verbrauchen? Oder wollen wir im Einklang mit der Natur wirtschaften und in Menschenwürde leben? Letzteres ist möglich und angedacht.


*


Die Vorhaben für Energieversorgung

Als am 21.12.2005 in der Brunsbütteler Zeitung zu lesen war, dass die belgische Firma Electrabel ein Kohlekraftwerk beabsichtigt zu bauen, da haben manche Brunsbütteler Engagierte für den Umweltschutz noch laut gedacht: na ja, wenn das Atomkraftwerk über kurz oder lang (Frühjahr 2009) vernünftiger Weise abgestellt wird, dann brauchen wir Ersatz.

Zuvor, mit dem Schreiben vom 12.12.2005 erging Aufforderung an die Träger Öffentlicher Belange, bis zum 17. Januar 2006 eine Stellungnahme zu dem Vorhaben abzugeben.

Zum 31. Januar 2006 hatte das Staatliche Umweltamt Itzehoe zum Scopingtermin für das geplante Kohlekraftwerk am Elbehafen eingeladen. Es soll ein Block von 600 MW elektrische Leistung werden mit einer Feuerungswärmeleistung von 1.614 MW.


Biomasse-Heizkraftwerk

Um die Ankündigung des Biomasse-Heizkraftwerks Novus-Energie aus Flensburg mit einer Generatorleistung von 7,5 MW für Strom sowie Prozesswärme haben wir Umweltschützer uns gar nicht gekümmert, es war ja das, was wir wollen. Dabei hätte man auch dort für Optimierung sorgen können. Die Feier zum ersten Spatenstich war am 17. November 2006. Wie radikal unsere Knicks seit der Zeit auf den Stock gesetzt werden, das hat nicht mehr viel mit Pflege zu tun. Die Feier zur Inbetriebnahme fand am 27. Oktober 2008 mit Vertretern aus Wirtschaft, Politik und Medien statt.


"Freiburger machen Brunsbüttel Dampf"

Das titelt am 14. November 2006 die Brunsbütteler Zeitung. Die Firma Bayer lässt von der GWE (Gesellschaft für wirtschaftliche Energieversorgung mbH, Munzinger Straße 1, 79111 Freiburg) ein IHKW (IndustrieHeizKraftWerk) für EBS (Ersatzbrennstoff) auf dem eigenen Bayer-Gelände projektieren. Am 19.12.2006 ist der Scopingtermin in Itzehoe.

Am 14.07.2007 berichtet die Zeitung, dass der erste Spatenstich wohl Mitte 2006 sein wird. Unser Augenmerk gilt der Verbrennung von Kohle. Nach dem derzeitigen Stand des Wissens gibt es keine für den Lebensraum Erde unverträglichere Form der fossilen Brennstoffe als Braunkohle und alte Steinkohle mit ihren weiteren schädlichen Inhaltsstoffen bis hin zu radioaktiven Elementen. Trotzdem sind wir gezwungen, auf alles zu schauen, was versucht wird, in Brunsbüttel anzusiedeln.

In Anwesenheit von Pressevertretern haben wir am 3. Januar 2008 unsere IHKW-Einwendungen im Staatlichen Umweltamt Itzehoe abgegeben. Und so haben wir sehr gute Fachleute aus den eigenen Reihen und auch Beauftragte auf dem Erörterungstermin am 5., 6., und 7. Februar 2006 aufstellen können, um gegen die weitere Müllverbrennung neben der Sonderabfallverbrennungsanlage SAVA in unserem Gebiet zu argumentieren.


Das Grünbuch

Im Juni 2007 veröffentlicht der Wirtschaftsminister die Broschüre "Schleswig-Holstein Energie 2020 Grünbuch". In der Zusammenfassung auf Seite 6 ist zu lesen "Schleswig-Holstein erzeugte im Jahre 2005 etwa 35 Terawattstunden (1 TWh = 1 Mrd. KWh) Strom, davon 26 TWh aus Kernenergie, 4,5 TWh aus Kohle, 4 TWh aus Wind, den Rest aus Abfall etc. Der Stromverbrauch belief sich hingegen auf etwa 13,7 TWh. Schleswig-Holstein war und ist damit stets Stromexportland."


Gründung der Bürgerinitiative Unterelbe

Die Information, dass in Hamburg ohne große Öffentlichkeitsbeteiligung ein Kohlekraftwerk gebaut werden soll, erreicht Mitte 2007 endlich die Öffentlichkeit. In einer Aktion haben Mitglieder des Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND)-Hamburg 45 Akten mit Unterlagen zum Genehmigungsverfahren für das geplante Vattenfall-Kraftwerk in Moorburg aus der Hamburger Umweltbehörde mitgenommen, um sie zu kopieren und durchzuarbeiten. Vattenfall hat dann selber die Unterlagen ins Internet gestellt.

Am 17. September 2007 fand der Erörterungstermin statt. Von Kohlekraftwerksansiedlung bedrohte Standorte vernetzten sich. So kam es dazu, dass BUND-Hamburg Referent Christian Backes am 3. Dezember 2007 um 19 Uhr im Amt Wilstermarsch informierte. Thema: "Keine Kohle-/Müllverbrennung in Brunsbüttel - Was kommt auf uns zu? Wie wehren wir uns?" Gut eine Woche später gründete sich die Bürgerinitiative Unterelbe, genauer gesagt BiGKU, will heißen Gesundheit Klima Unterelbe. Sie trifft sich seit der Zeit regelmäßig, erstellt Informationsmaterial und hat einige Veranstaltungen auf den Weg gebracht (www.bi-unterelbe.de).


Stadtwerke und Südweststrom

Dass die großen vier Energieversorgungsunternehmen in Deutschland, EON, EnBW, RWE und Vattenfall ihre Macht nutzen, um die Gewinne zu vergrößern, das versuchen manche Kommunalpolitiker mit der Werbung für eigene Stadtwerke zu umgehen. Mit der Idee, Stadtwerke gemeinsam zu betreiben und Strom en gros einzukaufen, kommt eine Firma namens Südweststrom (SWS) nach Brunsbüttel. Am 15. September 2007 titelt die Lokalzeitung Brunsbüttels Bürgermeister. "Das macht ja richtig Spaß".

Bettina Morlok von SWS bringt ihr Anliegen mit allen Mitteln herüber. In ihrem Infobrief 10 vom Januar 2007 schreibt sie wörtlich: "Hürde bleibt wie an jedem Standort das Genehmigungsverfahren mit öffentlichem Erörterungstermin. Da die Brunsbüttler Bürger aber schon seit Jahren mit Großindustrie leben, ist von dieser Seite nicht mit Problemen bzw. unvernünftigen Einwendungen zu rechnen. Die Bürger stehen positiv zum Kernkraftwerk Brunsbüttel, einer Sonderabfallverbrennungsanlage und dem Chemiepark Bayer. Die Gemeinde begrüßt das Projekt sehr. Sie erhofft sich natürlich einen Ersatz für das (vielleicht) in 2009 stillzulegende Kernkraftwerk Brunsbüttel. Öffentliche Akzeptanz scheint in Brunsbüttel für unser Projekt gegeben."

Genau diese Aussage muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Es sind zwei Blöcke geplant, der Bebauungsplan wird beantragt. Für den ersten Kohlekraftwerks-Antrag, der beim Staatlichen Umweltamt Itzehoe eingeht, besteht die Möglichkeit, die Anlage mit Elbwasser zu kühlen, das ist bedeutend preiswerter als Kühltürme zu bauen und auch im Wirkungsgrad effizienter. Südweststrom sucht noch Stadtwerke in Schleswig-Holstein als Mitglieder, um eine bessere Basis für die Genehmigung zu bekommen.

Von der Landesregierung werden Kohlekraftwerke in Brunsbüttel gewünscht. Noch vor seinem Abgang sagte Wirtschaftsminister Austermann. "Na, eines (Kohlekraftwerk) werden wir wohl kriegen!"

Am 15. Februar 2008 lädt Südweststrom einige interessierte Stadtwerke der Republik zu einer Tagung ins Elbeforum ein. Ca. 60-70 Demonstranten mit Transparenten, einige als Pinguine und Eisbären verkleidet mit Kohle beladene Schubkarren begrüßen die Gäste vor dem Elbeforum.


Noch ein Steinkohlekraftwerk

Am 18. Dezember 2007 findet ein Scopingtermin zu einem weiteren Kohlekraftwerk im Staatlichen Umweltamt statt. Die Firma GETEC aus Hannover ist sich einig mit der Firma Bayer, auf dem Industrieparkgelände anzusiedeln. Das Gebiet gehört zur 48-Seelen-Gemeinde Büttel. Es existiert bereits ein gültiger 8-Plan. Alle relevanten Genehmigungen besitzt die Firma Bayer vorsorglich.

Der Unmut bei Leuten in der Wilstermarsch über jetzt schon VIER Kraftwerksblöcke ist zu vernehmen. Darum lud die BI auch ein zu der Veranstaltung am 21. Februar 2008 mit Prof. Olav Hohmeyer, Uni Flensburg, Mitglied des UN-Klimarats, der den Friedensnobelpreis 2007 erhielt. Sein Thema: "Kohlekraftwerke - keine Lösung für das Klimaproblem".


Ein Flyer vom Wirtschaftsministerium

Selbstverständlich gibt es in Brunsbüttel und Umgebung Leute, die auch die heraufkommende Klimakatastrophe erkennen. Am 16. Mai 2008 in einer Informationsveranstaltung zur Energiepolitik mit dem Titel "Immer nur Kohle? Alternativen für Brunsbüttel" referieren Rainer Baake von der Deutschen Umwelthilfe und Dr. Arne Firjahn von der BI-Unterelbe. Hauptsächlich geht es um Kraftwärmekopplung.

Eine Postwurfsendung an alle Haushalte im Bereich Wilster und Brunsbüttel erreichte in der Woche vor der Landtagswahl am 25. Mai 2008 in Form eines im März gedruckten Flyers der besagt, dass es 2018 eine Stromlücke gibt, die nur mit Kohlekraftwerken gestopft werden kann. Kleingedruckt steht u.a.: "Auch ohne zeitlichen Bezug zu einer bevorstehenden Wahl darf die Druckschrift nicht in einer Weise verwendet werden, die als Parteinahme der Landesregierung zu Gunsten einzelner Gruppen verstanden werden könnte."

Um zu verdeutlichen, was für ein Dreckloch Brunsbüttel werden soll oder schon ist, sei hier erwähnt, dass Hexachlorbenzol (HCB)-Sondermüll aus Australien in der Sonderabfallverbrennungsanlage in Brunsbüttel entsorgt werden soll. Ein hoch entwickeltes Industrieland will so etwas um die halbe Welt zur Entsorgung verschiffen. Das ist nicht hinnehmbar. Es werden Unterschriften gesammelt. Am 15. März 2008 findet eine Demonstration statt vom Marktplatz durch die Koogstraße bis zum Gustav-Meyer-Platz am Nordostseekanal zu eine Kundgebung mit Protestliedern. Einen Zwischenstopp ist schon am Rathausplatz mit Pastor Peter Marten, der für die Kirche spricht.


Wechselbäder

Die Firma Südweststrom stellt bei der Stadt Brunsbüttel den Antrag für einen Bebauungsplan, der zur Einsicht und Stellungnahme ausgelegt wird. Es erscheint wie ein Strohhalm zur Rettung, dass es in Kiel für den Bau des Kohlekraftwerks ein Memorandum gibt, das am 11. April in die Öffentlichkeit kommt. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel wirbt ohne Unterlass für Kohlekraftwerke, um den Ausstieg aus dem Ausstieg aus der Atomkraft zu verhindern. Was so mancher Schlauberger in die Presse bringt, von ganz oben Wirtschaftsminister Michi Glos bis hin zur Lokalprominenz, ist das mit dem Grundgesetz, Artikel 1 die Menschenwürde, Artikel 2 das Recht auf körperliche Unversehrtheit zu vereinbaren?

Am 13. Mai 2006 stellt Marten Jensen, Unternehmer aus Nordfriesland das Projekt seiner Brunsbütteler Kraftwerksalternative in Neuendorf-Sachsenbande vor. Sehr interessant ist die Variante der Gas- oder Luftspeicherung in zu ermöglichenden unterirdischen Kavernen für Zeiten, wenn der Wind mal nicht weht und die Sonne nicht scheint.

Pfingsten, am 15. Mai 2008 macht die BI eine Luftballonaktion, um zu zeigen, wie hoch das Wasser der Nordsee dann über unseren Köpfen steht, wenn wir der Erwärmung keinen Einhalt gebieten.

Am 17. Oktober 2008 kommt die Deutschlandtour der Klimaallianz mit einem 5 Meter hohen Phantasietier, dem "Kolosaurus" nach Brunsbüttel auf den Rathausplatz zu einer Podiumsdiskussion mit Befürwortern und Gegnern von Kohlekraftwerken. Zum Abschluss steigen Ballons mit der Aufschrift CO2 in den Himmel. "Zukunft statt Kohle" ist das Motto.


Und wozu diese ganze Geschichte?

Es gibt keine einzige Betriebsgenehmigung von den vier Projekten.

Noch bis zum 16. Februar sind Bundesimmissionsschutz-Einwendungen gegen die Ansiedlung des Electrabel-Kohlekraftwerks sehr hilfreich, um gegebenenfalls auch am Erörterungstermin teilnehmen zu können und zu klagen. Zum Wasserrecht kann eingewendet werden. Der Termin für eine Stellungnahme gegen den Bebauungsplan ist verstrichen.

Niemand kann sagen, nicht gewusst zu haben, welche Auswirkungen vier Kohlekraftwerksblöcke in Brunsbüttel haben. Es ist alles gesagt. Schon die Cree haben gesagt: "Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann!"


Also los: Bis zum 16. Februar 2009 Einwendungen schreiben an das Staatliche Umweltamt, ab dem 1. Januar 2009 umbenannt in Landesamt für Landwirtschaft Umwelt und ländliche Räume (LLUR), Oelixdorfer Straße 2 in 25524 Itzehoe.


*


Quelle:
Gegenwind Nr. 245 - Februar 2009, Seite 18-20
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
Schweffelstr. 6, 24118 Kiel
Redaktion: Tel.: 0431/56 58 99, Fax: 0431/570 98 82
E-Mail: redaktion@gegenwind.info
Internet: www.gegenwind.info und www.gegenwind-online.de

Der "Gegenwind" erscheint zwölfmal jährlich.
Einzelheft: 3,00 Euro, Jahres-Abo: 33,00 Euro.
Solidaritätsabonnement: 46,20 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Februar 2009