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GEFANGENEN INFO/095: Ausgabe 358, Oktober/November 2010


Gefangenen Info

Hervorgegangen aus dem Angehörigen Info. Das Angehörigen Info entstand im Hungerstreik der politischen Gefangenen 1989.

Nr. 358, Oktober/November 2010


Inhalt dieser Ausgabe

Schwerpunkt

- Interview mit Thomas Meyer-Falk zu Knastarbeit und -Privatisierung

Inland

- No Justice No Peace
- Der Tod von Dennis J. und seine Folgen
- Gegen die Verfolgung des kurdischen Widerstandes
- Aktivitäten zum 18.10.'77 in Stuttgart
- Freispruch für das Gefangenen Info
- Finger weg von unseren Läden!

International

- Marco Camenisch bei Nacht und Nebel verlegt
- 10 Jahre Knast gegen die engagierte Anwältin Lynne Stewart
- "Jetzt nur nicht die Wut verlieren!"
- Aufruf zur Mumia-Demo in Berlin
- Zum Knastsystem Russlands und dem Fall Chimki
- Zur Situation der Gefangenen in Griechenland
- Menschenrechtsaktivist in Oaxaca (Mexiko) von Regierung bedroht
- Zu den jüngsten Knastkämpfen in Nordirland

Gefangene

- Brief von Nurhan Erdem
- Brief von Faruk Ereren
- Brief von Tommy Tank
- Brief von Günter Finneisen
- Gefangenenadressen


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Vorwort

Liebe Leserinnen und Leser,

weil eine Zeitung wie das Gefangenen Info wegen ihres spezifischen Zuschnitts größtenteils schwer verdauliche Beiträge aus der Welt der Repression gegen revolutionäre und fortschrittliche Kräfte publiziert, möchten wir das Vorwort mit einer guten Nachricht beginnen: Der Berufungsprozess gegen unsere Zeitung endete mit einem Freispruch. Die Staatsanwaltschaft ist nicht mehr in Revision gegangen, so dass das Urteil nun rechtskräftig ist. Auf Seite 7 haben wir einen Bericht der ProzessbeobachterInnen und einige Auszüge aus Soliadressen abgedruckt. Wir bedanken uns nochmals recht herzlich für die Solidarität, die uns aus den Knästen und unserem Umfeld draußen zuteil wurde.

Nun zu einer Mitteilung an unsere AbonentInnen: Bei mehreren AbonentInnen kam es bei der Zustellung der letzten Ausgabe zu Schwierigkeiten und die verschickten Exemplare landeten wieder in unserem Briefkasten. Dafür möchten wir uns entschuldigen. Deshalb erhalten diese AbonentInnen neben dieser Ausgabe auch die letzte Ausgabe.
In eigener Sache möchten wir überdies mitteilen, dass wir momentan versuchen, eine Auswertung der letzten zwei Jahre zu machen. In diesen zwei Jahren ist eine Menge passiert und wir haben viele Erfahrungen bezüglich des Erstellens und des Vertriebs dieser Zeitung gemacht. Eine Auswertung soll uns dabei helfen, das Gefangenen Info besser an die stattfindenden Entwicklungen - seien sie objektiver oder subjektiver Natur - und den tatsächlichen Anforderungen an eine Antirepressions- und Solidaritätszeitung anzupassen. In dieser Hinsicht würden wir auch gerne die Meinung unserer Leserinnen und Leser erfahren. Also wenn ihr uns bei der Entwicklung dieser Zeitung behilflich sein wollt, dann schreibt uns doch einfach.

In dieser Ausgabe setzen wir den angekündigten Schwerpunkt "Knast und Kapitalismus" mit einem Interview fort, das wir mit dem anarchistischen Gefangenen Thomas Meyer-Falk geführt haben. Somit kann das - teilweise doch sehr abstrakt erscheinende - Themenfeld durch einen authentischen Beitrag mit konkreten Erfahrungswerten aus einem deutschen Knast ergänzt werden. In den kommenden Ausgaben werden wir dieses Thema weiter vertiefen.
Einen weiteren Schwerpunkt stellt unsere gelaufene Kampagne zum 18. Oktober 1977 "Nulla è finito! Nicht ist vorbei!" dar. Bereits in der letzten Ausgabe hatten wir dieses angekündigt. In dieser Nummer dokumentieren wir mit einem Beitrag die Aktivitäten und die solidarischen Reaktionen aus dem In- und Ausland. Zu den laufenden §129b-Prozessen in Düsseldorf möchten wir noch mitteilen, dass das Verfahren gegen Cengiz, Nurhan und Ahmet laut Informationen noch im Dezember diesen Jahres enden wird. Die angeklagten GenossInnen haben mitgeteilt, dass sie vor dem Ende des Verfahrens noch Schlussworte verlesen möchten. Achtet diesbezüglich auf Ankündigungen.
Der internationale Teil dieser Ausgabe besteht hauptsächlich aus Gastbeiträgen. Wir möchten uns bei den Genossinnen und Genossen bedanken, die uns diese Beiträge zugesandt haben. An dieser Stelle möchten wir nochmals dazu aufrufen, sich an den anstehenden Mobilisierungen und Aktionen für die Gefangenen zu beteiligen. Ausdrücklich möchten auf die Mumia-Demo in Berlin am 11. Dezember verweisen und die Dringlichkeit in diesem Fall unterstreichen.

Wie in jeder zweiten Ausgabe ist auch in dieser wieder eine aktualisierte Liste der politischen Gefangenen aus dem deutschsprachigen Raum abgedruckt. Schreibt ihnen, informiert sie über die Entwicklungen draußen und bezieht sie in eure Kämpfe ein!

In diesem Sinne:
Drinnen und draußen - ein Kampf!

Die Redaktion


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Schwerpunkt

Interview mit Thomas Meyer-Falk zu Knastarbeit und -privatisierung

Gefangenen Info: Hast du schon mal im Knast gearbeitet? Wenn ja, was?

Thomas: Produktive Arbeit kam für mich nicht in Frage, denn hier im Gefängnis geht es um Zwangsarbeit (so nennt es selbst das deutsche Grundgesetz in Artikel 12). Vorbereitung auf ein Leben als fleißige Arbeitsbiene, die zu möglichst niedrigem Tarif ihre Arbeitskraft verkauft.
Demgemäß lehnte ich es auch während meiner Zeit, als ich in Bruchsal in Isohaft saß (1998 - 2007) ab zu arbeiten. Erst wollte man mir eine Nachbarzelle als Einzelarbeitsplatz herrichten, später sollte ich tagsüber in einen Minibetrieb mit 3-5 anderen "gefährlichen" Gefangenen, um dort Akkordarbeit zu verrichten.
Als Konsequenz für die Arbeitsverweigerung wurden mir Taschengeld und Fernseher vorenthalten; Beides nicht wirklich ein Verlust (wobei ich als Nichtraucher es sicher leichter hatte als jemand, der stark raucht. Tabakwaren, wie alle anderen Nahrungs- und Genussmittel muss man im Knast vom erarbeiteten Lohn oder eben vom Taschengeld zahlen. Aber wo kein Taschengeld und kein Lohn, dort auch keine solche Sachen).
Seit die Isohaft im Mai 2007 aufgehoben wurde, habe ich erst einen EDV-Kurs besucht, 2008 dann einen Lageristen-Lehrgang der DEKRA absolviert und 2010 erneut einen Computerkurs. Die Lehrgänge fanden allesamt in den Schulräumen der Anstalt statt, mussten selbst bezahlt werden (bzw. es fiel ein Eigenanteil an: 210 Euro für den EDV-Kurs und über 500 Euro für den DEKRA-Kurs), dafür wurde man dann während der Dauer der Lehrgänge gefängnisüblich entlohnt, d.h. so als würde man in einem Betrieb arbeiten.
Jetzt ab Herbst 2010 ist eine Ausbildung zum Mediengestalter (Dauer 3 - 3 ½ Jahre) Jahre) geplant; da ich danach kaum entlassen werde, da ab 2013 Sicherungsverwahrung notiert ist, könnte ich später noch das Abitur machen, um dann im Rahmen eines Fernstudiums (Fernuni Hagen) weiter zu lernen.
Wenn schon im Knast, dann sollte der Mensch etwas für seine Bildung tun. Der Bildungsbereich ist zudem nicht so elementar von finanziellen Kürzungen betroffen, zumindest in Bruchsal, wie der Arbeitsbereich. In letzterem wurde in jüngster Zeit radikal gekürzt. Baden-Württemberg möchte über 2 Millionen Euro bei den Gefangenenlöhnen sparen. Das geht nur auf dem Rücken und auf Kosten der Insassen. Eine Methode ist die Neubewertung von Arbeitsplätzen; man stuft sie schlicht in der Bezahlung runter.
Wo im Vormonat noch 1,40 Euro / Stunde gezahlt wurde, bekommt mensch plötzlich nur noch 1,20 oder 1,15 Euro / Stunde. Oder die früher üblichen Leistungszuschläge von bis zu 30 %. Diese wurden radikal eingeschmolzen, so dass nun maximal 7,5 % gewährt werden dürfen.
Mitgefangene dazu zu bewegen sich für elementare Rechte als ArbeiterInnen einzusetzen ist eine große Herausforderung und selten von Erfolg gekrönt. Selbst reformistische Mittel wie Beschwerden sind den Allermeisten schon viel zu wagemutig.

GI: Was hat die JVA für Mittel um den Arbeitszwang durchzusetzen?

Thomas: Körperlich durchsetzen kann die JVA den Arbeitszwang nicht, wie überhaupt körperliche Repression durch psychische Zwangsmittel abgelöst wird, im Vergleich zu früher. Heute kann die JVA durch die Anordnung von so genannten Disziplinarmaßnahmen versuchen die Arbeitspflicht durchzusetzen, z.B. Arrest, Entzug von Radio und TV, Verbot Briefe zu schreiben und zu empfangen. Alles zeitlich immer befristet, nur ist laut Rechtsprechung auch das wiederholte Anordnen von solchen Maßnahmen möglich, wenn jemand auch weiterhin die Arbeitsaufnahme verweigert. Wer die Arbeit verweigert bekommt auch kein Taschengeld (entspricht in etwa der "Sperrzeit", wie man sie draußen in Freiheit kennt, wenn man das ALG II gestrichen erhält). Je nach Anstalt kommen auch isolationsähnliche Maßnahmen hinzu: Die Zelle bleibt 23 h / Tag geschlossen, gesonderter Hofgang, keine Möglichkeit mit anderen Gefangenen an Freizeit / Sportgruppen teilzunehmen, etc....
Zudem können auf die Gefangenen Rechnungen zu kommen von circa 400 Euro im Monat für Kosten und Logie, sprich "Haftkosten"! Verschuldete Gefangene kommen dann mit noch mehr Schulden aus dem Knast als sie rein kamen. Zumindest Baden-Württemberg hat insoweit mal was Vernünftiges gemacht und beschränkt die Geltendmachung von solchen Haftkosten auf jene Fälle, in welchen Gefangene Zinseinnahmen oder Mieteinnahmen erzielen, also vermögend sind. Alle anderen Betroffenen werden nicht in Anspruch genommen.
Da die Anstalten nur eine Minimalversorgung bieten, sind Gefangene letztlich gezwungen zu arbeiten, denn sonst können sie sich weder Tabak, Kaffee, noch irgendein Duschgel leisten.

GI: "Draußen" steht es (noch) den Menschen zu sich dort wo sie arbeiten gewerkschaftlich zu organisieren? Trifft das auf Gefangene auch zu?

Thomas: Inhaftierte sind nach den Vorstellungen dieses Staates im Regelfall keine Arbeitnehmer im Sinne der einschlägigen Bestimmung (sieht man von dem Spezialfall ab, dass jemand im offenen Vollzug sitzt und in Freiheit arbeiten gehen kann). Deshalb hat auch der DGB schon 1997 auf Anfrage mitgeteilt, dass es schwierig sei Mitglied einer Gewerkschaft zu werden, gerade weil man "kein Arbeitnehmer (ist), wenn im Rahmen der Anstaltsgewalt Arbeit" geleistet werde. Dies korrespondiert mit einer Mitteilung des Ministeriums für Arbeit des Landes Baden-Württemberg vom 23.08.2010, in welchem ausdrücklich eine Diskriminierung behinderter Gefangener bestritten wurde, wenn diesen den "freien BürgerInnen" (gem. § 125 SGB IX) zustehende Zusatzurlaub für Behinderte verweigert werde.
Soweit mir bekannt hat es noch keine ernstlichen Versuche gegeben eine bundesweite Gewerkschaft für Gefangene zu gründen. Letztlich könnte eine rechtlich wirksame Gründung an dem nach herrschender Meinung fehlenden Arbeitnehmerstatus der Gefangenen scheitern.
Losgelöst von dieser rechtlichen Dimension ist es keiner Gefangenenhilfsorganisation oder auch Einzelpersonen untersagt, sich gegen Zwangsarbeit einzusetzen oder die Arbeitsbedingungen im Gefängnis anzuprangern. Neben durchaus sinnvollen Aktivitäten im Gefängnis (wie Ausbildung, Schule, Studium) gibt es nämlich nach wie vor stupide Akkordarbeit unter teils beklagenswerten Umständen.

GI: Was für Arten von Arbeit müssen Gefangene so im Knast verrichten?

Thomas: Die in den Knästen von Inhaftierten abverlangten Arbeiten ähneln sich einerseits, andererseits gibt es auch von Knast zu Knast teils erhebliche Unterschiede. So ziemlich in jedem Gefängnis gibt es die so genannten "Eigenbetriebe": d.h. Küche, Wäscherei, welche primär zur Versorgung der Mitgefangenen tätig sind. Dann gibt es die Schänzer / Kalfaktoren / HausarbeiterInnen, sprich jene, die das Essen an die Gefangenen verteilen, die Flure und Beamtenbüros putzen (und die in den Augen der Justiz ganz besonders zuverlässig sein müssen, deshalb unter dem Generalverdacht - der leider allzu oft begründet ist - der Spitzelei stehen).
In den Arbeitsbetrieben der Gefängnisse reichen die Arbeiten von stupider Akkordarbeit: es müssen z.B. Metallwerkstücke im Akkord entgratet, Einbanddecken gefalzt, Teppichmusterkataloge mit Teppichstücken beklebt, Spielzeugteile sortiert, Kugelschreiber montiert werden und Ähnliches mehr, bis hin zu qualifizierten handwerklichen Arbeiten. Ob Schreinereien, Buchbindereien, Flechtereien, kaum ein Handwerk, welches nicht in irgendeiner Anstalt vertreten ist. Mitunter können dann auch reguläre Ausbildungen absolviert werden, die mit einem Gesellenbrief abschließen.
Von Sabotageakten liest man selten. So genannte "Schlechtleistung" (Unterschreitung des Arbeits-Solls) wird in vielen Gefängnissen disziplinarisch geahndet. Wer erwischt wird, wie er einen Penis in ein von der JVA-Druckerei hergestelltes Strafvollzugsgesetzbuch malt (so geschehen im Sommer 2010 in Bruchsal) wird sofort von seinem Arbeitsplatz "abgelöst" (in Freiheit würde man es fristlose Kündigung nennen).

GI: Welche Firmen stecken hinter den Arbeitsbetrieben? Wer profitiert von der Ausbeutung der Gefangenen und wie funktioniert das?

Thomas: Konkrete Firmennamen sind mir gerade nicht präsent, zumal die Vollzugsanstalten durchaus bemüht sind diese nicht an die große Glocke zu hängen. Aber man findet z.B. Firmen, die Teppichmusterkataloge in den Anstalten herstellen lassen; Firmen, die Kinderspielzeug herstellen und in den Anstalten z.B. für Spielzeugpuppen das Zubehör sortieren, eintüten und verschweißen lassen. Aber auch - das kann ich aus eigener Erfahrung berichten - Behörden und Gerichte, die Formulare in den Knästen produzieren lassen. Nicht nur drucken, sondern von den Mediengestalter-Auszubildenden setzen, Druckplatten herstellen und dann drucken lassen. Selbst die Polizei nutzt diese Gefangenenarbeit; aktuell die Bereitschaftspolizei Göppingen, die ein Formular für PolizeibewerberInnen hat korrigieren lassen.
Wer hier den Profit macht ist nicht leicht zu sagen. Manche sagen spontan: der Knast! Rechnet man die Kosten der Gefangenenlöhne, der Gehälter der Wärter und die Kosten für die Arbeitsmaterialien zusammen und stellt dem die Einnahmen gegenüber, verbleibt je nach Betrieb sicherlich ein Gewinn. Sobald jedoch die Kosten für den gesamten Knast, die Baukosten, wie auch die Gehälter der anderen Beamtinnen und Beamten, wie der Pensionisten einkalkuliert werden, ist auch Knastarbeit für die Vollzugsanstalten nicht wirklich profitabel. Manche Auftraggeber profitieren sicherlich von den nicht immer marktgerechten Preisen der Anstalten; so beklagen mitunter z.B. freie Buchbinder oder Druckereien die Knastkonkurrenz. Wirklichen Profit dürften noch am ehesten Firmen wie Kötter machen, die teilprivatisierte Anstalten bauen und betreiben, oder Firmen wie - um zwei Beispiele zu nennen - Massak Logistik GmbH (http://www.massak.de ) und Telio Communications GmbH (http://www.telio. de ), welche Leistungen direkt an Inhaftierte verkaufen (Massak: Lebensmittel und Kleidung; Telio: Telefondienstleistung und TV-Empfang), die hierfür mit ihrem hart erarbeiteten kärglichen Lohn bezahlen.
Versteht man den Begriff "Profit" recht weit, dann profitiert sicherlich die jeweilige Anstalt, mithin der Justizhaushalt und somit der / die SteuerzahlerIn davon, dass Gefangene keinen wirklichen Lohn erhalten, sondern nur 9% des Durchschnittsverdienstes der ArbeiterInnen / Angestellten. Das ist jedoch kein tatsächlich vorhandenes Geld, welches in irgendwelche Taschen fließt.
Und was die Ausbeutung angeht - auch ich verwende den Begriff, aber es gibt sicher Gefangene, auf die passt er nicht. Die sind sogar stolz darauf, wenn sie (wie oben angedeutet) für Staatsanwaltschaften und die Polizei Aufträge erledigen dürfen. Keineswegs Menschen mit beschränktem Horizont, sondern aus tiefstem Herzen stolz!

GI: In welchem Zusammenhang steht das bisher gesagte mit der Privatisierung von Knästen?

Thomas: Provokant gesagt ist es mir persönlich erst einmal egal, ob mir ein privatisierter Wärter die Zelle auf und zu schließt oder einer, der sein Gehalt direkt von der Justiz bezieht. Darin liegt jedoch keine Bagatellisierung der Tendenzen der Privatisierung im Bereich Strafvollzug, denn wie man exemplarisch an Verhältnissen in den USA oder Großbritannien sehen kann, bedeutet Privatisierung in aller Regel eine unmittelbare und spürbare Verschlechterung der Lebensbedingungen für die Gefangenen (ironischer Weise auch für die WärterInnen, denn die Löhne, die im privaten Gewerbe bezahlt werden, weichen erheblich nach unten ab im Vergleich zu den Beamtengehältern).
Das Diktat der Ökonomie bestimmt alle Lebensbereiche in unserer Gesellschaft und somit zwangsläufig auch den Sektor Knastwirtschaft; wer sich als Privatunternehmen in diesem Bereich "engagiert", hat letztendlich eine Lizenz zum Gelddrucken, denn die Justiz sorgt zuverlässig dafür, dass die "Kundschaft" niemals aus geht und der Staat ist solventer Schuldner, wenn es darum geht die Profiteure zu bezahlen.
Ich denke, der Begriff der "Privatisierung" sollte weiter gefasst werden als es die Fragestellung vorgibt, denn neben der rechtlichen Privatisierung ganzer Knäste oder Teilbereichen davon findet schon heute eine Art der Privatisierung in Richtung der Gefangenen statt. In dem man ihnen Kosten auferlegt für ganz selbstverständliche Dinge, die noch vor einiger Zeit oder vor wenigen Jahren kostenfrei erhältlich waren. Gab es z.B. in Bruchsal früher morgens ein Kaffeeersatzgetränk, am Wochenende auch mal Kakao und abends Tee, wurde in einer ersten Stufe diese Ausgabe gestrichen und es wurde an alle Kaffeeersatzpulver (Malzkaffee) ausgegeben, bzw. man erhielt Teebeutel. Seit Neuestem bekommen nur noch bedürftige Insassen derartiges ausgehändigt. Stromkosten? Wurden früher nicht angesetzt, heute schon. Mit Radio / Fernseher / Lampe und vielleicht noch einem Wasserkocher und einer Spielkonsole ist man gleich mit fast 8 Euro Stromkosten pro Monat dabei.
Einerseits wird einem die Bewegungsfreiheit entzogen, andererseits soll man dafür dann auch noch bezahlen, es sei denn man setzt sich bei (kaltem) Wasser aus dem Wasserhahn in eine leere Zelle und lebt in absoluter Askese.
Zusammenfassend kann also festgehalten werden: Verlierer der Privatisierungstendenzen sind neben den Gefangenen, deren Familien auch Bedienstete und der Staat höchst selbst. Gewinner (die großen Gewinner!) sind die Privatfirmen, sie scheffeln die Gewinne, bei minimalem Risiko und höchstmöglicher Rendite.

GI: Abschließend bleibt die Frage, was für Möglichkeiten für die Inhaftierten bestehen sich zu organisieren und für ihre (auch ökonomischen) Rechte zu kämpfen? Und wie könnte mensch dies von draußen unterstützen bzw. die Kämpfe von drinnen und draußen verbinden?

Thomas: Die Möglichkeit sich zu organisieren besteht auch für Gefangene, gleich wohl in der Praxis mannigfache Herausforderungen zu bewältigen sind.
Zum einen die Versuche der Anstalten jeglichen Versuch sich zu organisieren zu unterbinden. Schon eine simple Unterschriftensammlung für eine Petition kann zu energischen Reaktionen führen. Hier bedarf es einfach einer gewissen Hartnäckigkeit, ja, Verbissenheit der Gefangenen und auch die Bereitschaft Nachteile in Kauf zu nehmen. Denn wenn die Justiz sieht, dass offene Repression zum Scheitern verurteilt ist, agiert sie subtiler: "Sie wollen doch bestimmt mal in den offenen Vollzug, oder Ausgang, Urlaub,...?".
Zum anderen muss man realistischerweise feststellen, dass ein Großteil der Gefangenen mit dem Spatzen in der Hand zufriedener sind, als mit der Aussicht auf die Taube, die weit entfernt auf dem Dach sitzt. Sprich, das monatliche Einkommen, sei es auch noch so karg, ist ihnen lieber, denn auf Tabak und Kaffee wollen sie nicht verzichten, als die Aussicht vielleicht, irgendwann einmal mehr Lohn und bessere Bedingungen zu erhalten. Und noch reicht der Lohn zur Deckung der elementarsten Tabak- / Kaffeebedürfnisse.
Wichtig ist jene Insassinnen und Insassen, die bereit sind sich aus dem Fenster zu lehnen durch Post, aber auch Öffentlichkeitsarbeit zu unterstützen, neben politischem, auch mit notwendigem juristischen Material zu versorgen, gegebenenfalls auch Anwältinnen / Anwälte einzubinden, denn mitunter reagieren Anstalten mit Kontaktverboten, wenn sie die Sicherheit und Ordnung bedroht sehen. Mit einer Verteidigerin / einem Verteidiger jedoch kann kein Gefängnis den Briefwechsel verbieten. Auch wenn ich aus Gründen, die hier keine Rolle spielen sollen, mit dem Initiator der Interessenvertretung Inhaftierter, Peter Scherzl, keinen Kontakt mehr habe, so zeigt sich doch, dass die I.V.I. Einiges an Organisationsgrad erreichen konnte und wenn Scherzl nicht so hartnäckig wäre, gäbe es die I.V.I. Längst nicht mehr.
"Teile und herrsche", ein auch im Strafvollzug praktizierter Grundsatz, der ganz gezielt seitens der Anstalten zur Anwendung kommt: dem einen Gefangenen wird etwas zugestanden, was dem Anderen verwehrt wird, der Eine bekommt bestimmte Informationen zugespielt, der Andere nicht. Dann gewährt man mal wieder irgendeine marginale Vergünstigung oder droht damit bestehende Vergünstigungen zu streichen. Bis in deutschen Gefängnissen, so das durchaus bittere Resümee, ein Zustand erreicht sein wird, wo Gefangene mit der Faust auf den Tisch schlagen und rufen: "So nicht!" und sich organisieren und aktiv wehren, wird wohl noch einige Zeit vergehen.


Nachrichten aus dem Strafvollzug

ISBN: 978-3-941552-04-3
Preis: 9,90 Euro

Blumige Worte gehören nicht zu seinem Repertoire. Thomas Meyer-Falk sitzt seit 1996 im Gefängnis, davon mehr als 10 Jahre in Isolationshaft. Die eingeschränkte Kommunikation, die in vielerlei Hinsicht fehlenden Sinneseindrücke und die ständigen Auseinandersetzungen für den Erhalt kleinster individueller Freiheiten haben seinen Blick auf das Wesentliche geschärft. In seinen Essays und Gedichten beschreibt Thomas Meyer-Falk eine Welt, die erstaunliche Parallelen zu unserem eigenen Alltag aufzeigt.

Abseits von Schuld, Reue und Sühne bezieht dieses Buch klar Stellung zu aktuellen Entwicklungen in den Justizvollzugsanstalten. Im Zuge der Diskussion um eine Ausweitung der Sicherungsverwahrung sollte auch der Standpunkt der Inhaftierten Berücksichtigung finden. Thomas Meyer-Falk zeigt die Kehrseite der Medaille. Auch wenn es einigen Leuten nicht passt...


Zur Person Thomas Meyer-Falk

Thomas Meyer-Falk

Thomas Meyer-Falk sitzt seit 1996 aufgrund eines Banküberfalls in Haft. Das Geld, was er enteignen wollte, sollte legalen und illegalen linken politischen Projekten zu Gute kommen. Das Interview führten wir mit Thomas über einen längeren Zeitraum per Briefwechsel. Ziel des Interview ist es einen Einblick in das Themenfeld Knast und Arbeitszwang und die Rolle der Privatisierung zu schaffen.

Anzumerken bleibt, dass Thomas inzwischen seine Ausbildung zum Mediengestalter abgebrochen hat. Grund hierfür ist unter anderem der Umstand, dass die Gefangenen im Rahmen ihrer Ausbildung Aufträge für die Justiz erledigen zu haben, wie beispielsweise Formulare für Gerichte und Polizei herstellen. "Ich halte es für skandalös und mich macht es wütend, wenn Gefangene an ihrer eigenen Inhaftierung mitwirken. Ob es nun jene Insassen sind, die die Zellen-Fenstergitter schweißen, die Käfighöfe für "gefährliche Insassen" herstellen oder die mithelfen Haftbefehle und Papiere für Polizeibehörden zu produzieren. Hierin liegt meines Erachtens auch ein stückweit Erniedrigung: Selbsterniedrigung, aber auch seitens der Justiz gegenüber den Gefangenen." (Thomas Meyer Falk - "Ausbildung im Knast?! Keine Alternative!")

Weitere Informationen zu Thomas auf:
www.freedom-for-thomas.de

Schreibt den Gefangenen!
Thomas Meyer-Falk, JVA Bruchsal, Z. 3117,
Schönbornstraße 32, 76646 Bruchsal


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Kurzmeldungen

Kurzmeldungen bundesweit

Berlin: Am 13. Oktober hat der Bundesrat einen Entwurf zur Verschärfung der § 113 und 114 des StGBs beschlossen. Dieser sieht vor, das Strafmaß bei Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte von bis zu zwei auf bis zu drei Jahre Haft zu erhöhen. Zudem sollen Feuerwehr- und Rettungskräfte in den Schutz mit einbezogen werden. Darüber hinaus wurde der 2. Absatz des §113 so ergänzt, dass das Mitführen "eines anderen gefährlichen Werkzeuges" als besonders schwerer Fall von Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte bewertet wird. (red.)

Schwalmstedt: In der JVA Schwalmstedt traten beinahe 20 Inhaftierte vom 1. November in einen Hungerstreik, der bis zum Redaktionsschluss noch andauerte. Mit ihrem Hungerstreik wollten die Inhaftierten der JVA in erster Linie darauf aufmerksam machen, dass Hessen auch weiterhin die nachträgliche Sicherungsverwahrung fortsetzt - obwohl im Oktober der Europäische Menschengerichtshof ein eindeutiges Urteil gefällt hatte. In der Erklärung der Inhaftierten heißt es: "Wir Sicherheitsverwahrten werden derzeit menschenrechtswidrigen Vollzug von Präventivhaft in Zukunft nicht mehr widerstandslos hinnehmen." (red.)

Berlin: Am 2. November fand in Berlin-Kreuzberg eine Demonstration gegen Nazigewalt und Repression statt, an der 1500 Menschen teilnahmen. Anlass für die Demo war der Brandanschlag auf den Infoladen M99 und die beinahe zur Routine gewordenen Hausdurchsuchungen in linken Buch- und Infoläden. Die Polizei griff mehrmals die Demonstration an. Die Polizei begründete ihre brutalen Übergriffe mit Verstößen gegen das Vermummungsverbot. Die Demo wurde aus "Rücksicht auf das körperliche Wohl der Versammlungsteilnehmer_innen" abgebrochen. (red.)

Frankfurt: Ein 20 jähriger Mann wurde Anfang September zu Hause von 2 Verfassungsschutz-Mitarbeitern aufgesucht und es entstand ein Gespräch über Kurdistan. Die VS-Mitarbeiter waren äußerst zuvor kommend und fuhren die Person zu seiner Arbeitsstelle, um mit ihm auch darüber zu reden, dass der VS ja eigentlich nicht so verkehrt sei. Es wurde ein weiteres Treffen vereinbart, das aber nicht zu Stande kam. Knapp einen Monat später wurde die Person noch einmal angesprochen woraufhin er konsequent jedes Gespräch verweigerte. Lasst euch nicht anquatschen. (red.)


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Inland

No Justice No Peace
Der Tod von Dennis J. aus Neukölln und seine Folgen

Am 3. Juli 2010 fiel das Urteil in dem Prozess gegen drei Berliner Polizisten. Die Anklage lautete: "Totschlag an Dennis J. beziehungsweise Strafvereitelung". Reinhard R., der am 31. Dezember 2008 sein ganzes Magazin auf den 26 jährigen Neuköllner leer geschossen hatte, bekam zwei Jahre auf Bewährung. Mit einer Geldstrafe in Höhe von 10.800 Euro kam der Polizist Heinz S. davon, während sein Kollege Olaf B. 8.400 Euro zu bezahlen hat. Beide hatten behauptet, wegen der Sylvesterknallerei nichts von dem Handeln des wütenden Todesschützen mitbekommen zu haben. Dabei hatte Letzterer erklärt, er habe aus Notwehr zum Schutz seiner Kollegen geschossen.

Mit diesem Urteil wird sowohl die Schuld der Beamten an dem Tod von Dennis J. anerkannt, als auch die Tatsache, dass sie über die Geschehnisse gelogen haben. Doch sind die Strafen nur symbolisch. Der Haupttäter wird aus dem Polizeidienst entlassen werden, sobald das Urteil rechtskräftig ist. Die beiden Mitangeklagten werden als Polizisten weiterarbeiten können und die Geldbußen werden schnell abgezahlt sein. Für den Hauptangeklagten hatte die Staatsanwaltschaft dreieinhalb Jahre gefordert. In ihrem Plädoyer kritisierte sie den "Korpsgeist" der Polizei, welcher die Aufklärung des Todeshergangs verhindert habe. Das ignorierte der Richter und verhängte ein mildes Strafmaß von "zwei Jahre auf Bewährung". Reinhard R. sei "besonders haftempfindlich", hieß es bei der Urteilsverkündung, da er in dem Fall einer Haftstrafe in dem selben Gefängnis sitzen müsse, wie die Männer, die er verfolgt hatte. Die Familie von Dennis J. sieht das Urteil als einen weiteren Justizskandal. Während des Prozesses sind so viele gravierende Pannen aufgetreten, dass sie dessen Neueröffnung verlangt.

Ende 2008 hatte Dennis J. zwei Haftbefehle offen, wonach er etwa zehn Monate hätte sitzen müssen. Aber er wollte nicht in den Knast. Wer will das schon? Zweimal hatte er es geschafft, dem Kommissar Reinhard R., der ihn gesucht hatte, zu entfliehen. Am Sylvesterabend 2008 hatte Reinhard R. den Tip bekommen, dass sich Dennis J. in Schönfließ bei seiner Freundin befindet. Reinhard R. ist daraufhin mit zwei Kollegen nach Schönfließ gefahren. Heinz S., der mitfuhr, war nicht im Dienst und die Anordnung, dass solche Festnahmen während der Feierlichkeiten am Jahresende keine Priorität haben, wurde missachtet. Warum? Das bleibt ungeklärt. Sicher ist, dass an diesem Abend, an dem das Personal knapp ist, die Polizeiwache mit einem Team weniger rechnen musste.

Dennis J. sei in einem parkenden Auto erwischt worden. Die anfahrende Zivilstreife soll wenige Meter vor ihm angehalten und die Straße blockiert haben. Zwei Beamte seien ausgestiegen. Dennis J. soll anschießend versucht haben wegzufahren. Dabei habe er einen der beiden beinahe überfahren, weshalb Reinhard R. geschossen haben soll. So die offizielle Version.

Davon konnte die Familie von Dennis J. nie ein Wort glauben. Eine Woche vor seinem Tod hatte sein Schwager einen Anruf von Reinhard R. erhalten, mit eindeutigen Drohungen gegen Dennis J., falls er sich nicht stellen würde. Am Tag der Beerdigung protestierten Verwandte und Bekannte von Dennis J. deshalb vor dem Sitz des Tempelhofer LKSs, damit Ermittlungen eröffnet werden. "Dennis, das war Mord!", riefen sie. Sie können es nicht hinnehmen, dass Polizisten derart ihre Macht missbrauchen, einen jungen Man erschießen, sich hinter der Behauptung, es sei Notwehr gewesen, verstecken und Dennis J. als Kleinkriminellen oder Intensivtäter aus Neukölln in den Medien darstellen lassen, der es wohl verdient haben muss. Nein! Das hat er nicht verdient.

Diese Proteste ließen sogar die Staatsanwaltschaft an der offiziellen polizeilichen Version zweifeln. Damals sagten selbst Polizisten öffentlich, dass ein solches Vorgehen bei einer Festnahme einfach widerlich ist. Sogar der Berliner Polizeipräsident erklärte in einem Fernsehinterview, dass Dennis J. nicht dafür bekannt war, bewaffnet zu sein. Warum haben also die Polizisten ihre Waffen benutzt? Reinhard R. wurde von der Staatsanwaltschaft angeklagt, jedoch nicht wegen Mordes sondern wegen Totschlags. Dadurch konnten drei Familienangehörige als Nebenkläger in das Verfahren einsteigen und hatten damit auch Anspruch auf Akteneinsicht. Anfang Mai diesen Jahres begann der Prozess gegen die drei Polizisten, wohl um klarzumachen, wer ohnehin die Macht behält, auch wenn diesmal drei von ihnen auf der Anklagebank sitzen.

Am ersten Prozesstag ließen die Angeklagten eine Erklärung vorlesen, die besagte, dass sie zwar die Geschehnisse bereuen, dass es aber Notwehr gewesen sei. Mit dieser Aussage konnten sie sich auch jeglicher Befragung der Richter entziehen. Das dürfen sie machen, so ist das deutsche Recht.

Zum Tatgeschehen gab es mehrere Zeugen. Gut die Hälfte von ihnen sind Kinder im Alter von 11 bis 16 Jahren. An dem Abend waren sie gegen 18 Uhr auf der Straße, um Knaller anzuzünden. "Weißt du, dass du mit 14 Jahren schon straffähig bist?" fragt der vorsitzende Richter einen Jungen mit drohender Stimme. Kurz davor waren schon zwei Schwestern befragt worden, die unter dem Druck ihre Tränen nicht zurückhalten konnten. Sie erzählten, wie es auf der Straße ganz ruhig war, als sie ein Knallen hörten. In die Richtung des Knalls schauend, sahen sie ein Auto, das quer auf der Straße stand. An beiden Seiten des parkenden Autos stand jeweils ein Mann. Dann wurde der Motor des Autos gestartet. Es wurde weiter geschossen. Nach einem chaotischen Manöver fuhr das Auto an den Mädchen vorbei. Sie sahen, wie der Fahrer über das Lenkrad gebückt war. Einige Meter weiter stößt es gegen parkende Autos. Sie wollten dem Mann zu Hilfe kommen, wurden aber von zwei angeblichen Polizisten zurückgehalten. Dafür lief der Eine zum Auto, machte die Tür auf, stellte fest, dass Dennis J., den er lange gesucht hatte, tot war und machte ohne weiteres Zögern die Tür wieder zu. Daraufhin kam eine junge Frau. Der Zivilpolizist nahm sie in die Arme. Sie weinte und sagte: "Das habe ich nicht gewollt." Bei der Zeugenbefragung ging es dem vorsitzenden Richter hauptsächlich darum zu klären, ob zu dem Zeitpunkt wirklich keine Knaller zu hören waren. Dies bestätigten die Kinder. Dem widersprach aber eine Lehrerin, die direkt neben dem Parkplatz wohnt, wo Dennis J. geparkt hatte und die eine Freundin beim BKA hat. Der Richter kam deshalb wohl zu dem Schluss, dass die Zeugenaussagen sich einfach widersprechen und dass der genaue Tathergang nicht zu klären ist.

Das sind aber nicht die einzigen Kröten, die die Familienangehörigen zu schlucken hatten. Am Ende des zweiten Prozesstages kam per Zufall heraus, dass sich der vorsitzende Richter allein mit den Anwälten der angeklagten Polizisten getroffen hatte, um den Prozessablauf abzustimmen. Dabei hätte er "völlig aus Versehen" vergessen, auch die Anwälte der Familie von Dennis J. einzuladen. Ein Sachverständiger, der beim Prozess mitgewirkt hat, wurde von den Anwälten der Angeklagten für ein Gutachten privat angefragt. Nicht hinterfragt blieb auch die Tatsache, dass die Hose von Polizist S., der hingefallen sein soll, bevor er von Dennis J. beinahe überfahren worden wäre, wie frisch aus der Reinigung aussah. Die Freundin von Dennis J. konnte vor dem Gericht nicht gehört werden. Dabei hatte ihr Vater - ein Polizist - sie als Vermisst gemeldet, um ihr Handy abhören lassen zu können, wie es in den Akten steht. Der Experte für Ballistik erklärte, dass der erste Schuss, der tödlich war, aus einer Entfernung von 1,5 Metern abgefeuert wurde. Er betonte, dass Dennis J. die Hände nicht auf dem Lenkrad gehabt haben konnte. Dennis J. sei also nicht nur ein Kleinkrimineller gewesen, sondern auch ein Akrobat, so die Justiz, der ohne das Autolenkrad zu halten, fahren kann...

Am 3. Juli wurden drei Freunde von Dennis J. festgenommen, die ihren Unmut über das Urteil vor dem Gericht äußerten. Am selben Tag wurde eine Spontandemo auf dem Kottbusser Damm brutal niedergeknüppelt.

Gewalt, das ist die einzige Antwort der Staatsmacht, wenn ihr Handeln in Frage gestellt wird. Und anscheinend ihr wahres Gesicht. Rund 15 Menschen sterben jedes Jahr in der BRD durch Polizeigewalt. Meistens werden die Verantwortlichen freigesprochen.

(Artikel entnommen aus "Randnotizen - Stadtteilzeitung aus dem Schillerkiez")


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Gegen die Verfolgung des kurdischen Widerstandes hier und überall!

Freiheit für die kurdischen Jugendlichen!
Freiheit für Kurdistan!

In den letzten Monaten wurden in Stuttgart & Region 18 kurdische Jugendliche verhaftet. Ihnen wird vorgeworfen an einem Angriff auf eine Kneipe in Nürtingen, die regelmäßig von türkischen Faschisten besucht wurde, beteiligt gewesen zu sein. Bei dem Angriff wurden 4 Faschisten verletzt. Die Jugendlichen sind nun wegen "versuchten Mordes" angeklagt und stehen ab dem 17. Januar 2011 vor Gericht. Gegen eine Person wird nach §129 ("Mitgliedschaft / Unterstützung einer kriminellen Vereinigung") ermittelt.

Chronologie der Repressionswelle

Die ersten Verhaftungen in diesem Zusammenhang fanden bereits Ende Mai, keine zwei Wochen nach dem Angriff auf die Kneipe in Nürtingen statt. Ihren Höhepunkt fand die Repressionswelle am 7. Juli - im Großraum Stuttgart wurden den beinahe zeitgleich Hausdurchsuchungen durchgeführt und 8 Personen festgenommen. Danach fanden vereinzelt weitere Verhaftungen statt. Mittlerweile befinden sich nun 19 Jugendliche in verschiedenen Knästen über ganz Baden-Württemberg verteilt.
Neben den Verhaftungen fanden auch zahlreiche Schikanen statt: eine Person wurde durch eine "Namensverwechslung" 33 Tage lang eingesperrt und Freunde und Bekannte wurden von Polizeibehörden am Telefon und vor Ort belästigt und unter Druck gesetzt.

Das alles lässt darauf schließen, dass es den Repressionsbehörden dabei um mehr als nur den Angriff auf die Kneipe in Nürtingen geht. Denn durch die hohe Aktivität der kurdischen Community in Stuttgart, sind diese den Staatsschützern schon seit langem ein Dorn im Auge. Der Angriff richtet sich nicht nur gegen die inhaftierten kurdischen Jugendlichen sondern allgemein gegen die aktive kurdische Linke in Stuttgart.

Unterstützung bekamen die Behörden durch einen Spitzel, der sich seit 5 Jahren in den Reihen der kurdischen Szene in Stuttgart bewegen soll. Darüber hinaus haben zwei der festgenommenen Personen dem Druck der Polizei, den Geldversprechungen und Drohungen nicht standgehalten sondern sie haben ihre politischen Zusammenhänge, GenossInnen und Freunde verraten und sie durch umfangreiche Aussagen dem Staat und der Kriminalisierung ausgeliefert.

Schreibt den Gefangenen

Die Gefangenen befinden sich nun seit mehreren Monaten in Untersuchungshaft und warten auf den Prozessbeginn am 17. Januar 2011. Einige sind bereits seit 6 Monaten weg gesperrt. Daher freuen sie sich über solidarische Grüße und Post. Wenn ihr ihnen schreiben wollt, nehmt Kontakt mit uns auf und wir leiten die Grüße und die Post weiter. stuttgart@political-prisoners.net

Prozesstermin: 17. Januar 2011 | Landgericht Stuttgart

Weitere Informationen zum kommenden Prozess, zur Verhaftungswelle folgen in den nächsten Tagen.

Die Broschüre, die in diesem Zusammenhang erstellt wurde, findet ihr auf:
www.political-prisoners.net


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Die Rote Hilfe

Schwerpunkt der Ausgabe 4/2010:
Zur Lage der Menschenrechte in Deutschland

DIE ROTE HILFE erscheint viermal im Jahr und kostet 2 Euro,
im Abonnement 10 Euro im Jahr. Für Mitglieder der Roten Hilfe e.V.
ist der Bezug der Zeitung im Mitgliedsbeitrag inbegriffen.

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Zuschriften und Anfragen an:
Rote Hilfe e.V.
Literaturvertrieb
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24125 Kiel

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Zeitung der Roten Hlife e.V. - Zeitung gegen die Repression


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Kurzmeldungen

Kurzmeldungen bundesweit

Bochum: Nach polizeilichen Gewalt Eskapaden am 26.3. und 10.4.2010 in Bochum fanden seit Mitte September bisher fünf Prozesse gegen betroffene AntifaschistInnen statt. Die Anklagen lauteten auf Widerstand, Körperverletzung und versuchter Gefangenenbefreiung. Ein Prozess endete mit einem Freispruch und einer wurde eingestellt. Zwei Prozesse endeten mit Verurteilungen zu skandalös hohen Geldstrafen (jeweils 1200 Euro und 800 Euro). Eine Person erhielt einen rechtskräftigen Strafbefehl über 450 Euro. (red.) Ausführliche Informationen gibt es unter: www.ajb.blogsport.de/

Stuttgart: Am 22. Oktober fand ein Knastspaziergang zur JVA Stuttgart-Stammheim statt. Knapp 50 Leute beteiligten sich an dem Spaziergang und riefen dort Parolen. Die Inhaftierten bemerkten die Solidaritätskundgebung und fingen auch selbst an Parolen zu rufen. Hintergrund des Knastspaziergangs war unter anderem die starke Repression gegen kurdische Jugendliche. So wurden innerhalb der letzten Monate 18 Personen festgenommen, denen die Beteiligung an einem Angriff auf eine von türkischen Faschisten besuchte Kneipe vorgeworfen wird (Für weitere Informationen siehe Beitrag "Gegen die Verfolgung des kurdischen Widerstandes"). (red.)

Hannover: Am 20. Oktober wurden die Räumlichkeiten des kurdischen Verein "Kurdistan-Volkshaus e.V. (Mala Gel)" in Hannover durchsucht. Gegen 14 Uhr wurde der Verein von 60 Einsatzkräften durchsucht. Trotz mehrmaligem Nachfragen wurde den anwesenden Personen kein Durchsuchungsbefehl vorgezeigt und mit der Begründung eines "mündlichen Durchsuchungsbefehls" beiseite geschoben. Von den Anwesenden wurden alle die Personalien kontrolliert, vier Personen wurden kurzzeitig auf die Wache mitgenommen. (red.)

Freiburg: In Freiburg fanden vom 14. - 17. Oktober 2010 linke Aktionstage zur Wohnungspolitik und für mehr selbstbestimmte Freiräume statt. An diesem Wochenende wurden verschiedene Gebäude besetzt und es fanden demonstrative Kundgebungen statt. Über das Wochenende verteilt kam es zu 4 Festnahmen. Auswärtigen wurde über das Wochenende ein Stadtverbot erteilt. Eine Person wurde von mehreren BeamtInnen auf den Boden geworfen, in den Rücken getreten und dann weggeschleift. Der Festgenommene lag dann einige Zeit gefesselt regungslos auf dem Boden. (red.)


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Inland

Aktivitäten zum 18.10.'77 in Stuttgart

Am Freitag, den 15. Oktober 2010, fand in Stuttgart anlässlich der Stammheimer Todesnacht eine Veranstaltung unter dem Motto "Nulla è Finito! - Nichts ist vorbei! - Revolutionäre Geschichte aneignen und verteidigen!" statt, welche vom Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen organisiert wurde.
Die Veranstaltung, die im Linken Zentrum Lilo Herrmann durchgeführt wurde, wurde von rund 65 TeilnehmerInnen besucht. Am darauf folgenden Tag, den 16. Oktober, fand ein Besuch an den Gräbern von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe auf dem Dornhalden-Friedhof statt, an dem sich rund 40 Menschen beteiligten.
Die Veranstaltung begann mit einer Schweigeminute zum Gedenken an alle Kämpferinnen und Kämpfer aus dem revolutionären Widerstand, die aufgrund ihres konsequenten Einsatzes gegen den Imperialismus und für Befreiung von der Konterrevolution gefoltert und ermordet wurden. Anlass, sich mit diesem Teil der Geschichte auseinanderzusetzen und die Identifikation mit ihr verstärkt zu propagieren - kurz die Veranstaltung und den gemeinsamen Grabbesuch zu organisieren -, waren einmal die Erinnerung an die Stammheimer Todesnacht, die sich dieses Jahr zum 33. Mal jährte, sowie der aktuell stattfindende Prozess gegen Verena Becker und die damit einhergehende Medienhetze und Diffamierung der Roten Armee Fraktion.
In den einzelnen Beiträgen wurde auf die repressive Situation der Nachkriegs-BRD, auf das Vorgehen des Staates gegen die revolutionäre Linke und die Geschehnisse des 18.10.1977 eingegangen.
Desweiteren folgte ein Beitrag, in dem - gestützt auf Ausschnitten aus Erklärungen der Roten Armee Fraktion - die Konzeption Stadtguerilla sowie die Bedeutung von proletarischem Internationalismus dargestellt und ihr praktischer Antiimperialismus anhand ihrer Aktivitäten aufgezeigt wurde.
Darüber hinaus wurde das Frontpapier als Antwort auf die veränderte Situation nach `77 und die Notwendigkeit der Verbindung unterschiedlicher Ebenen des Widerstandes, sowie ihre Zusammenarbeit mit Brigate Rosse und Action Directe erläutert.
Den Schluss bildete ein Beitrag, in dem sich mit der Frage, ob die Aussagen der Gefangenen aus der RAF heute noch Gültigkeit haben, sowie der Bedeutung von Kollektivität für die revolutionäre Linke, auseinandergesetzt wurde.
Der Gefangene Werner Braeuner aus Sehnde, die Genossinnen und Genossen für den Aufbau einer Roten Hilfe Italiens und die Gruppe Zimmerwald aus der Schweiz beteiligten sich durch Grußworte, in denen auf die Bedeutung der RAF auf die Internationale Linke und die Aktualität und Relevanz des Kampfes der RAF für heute eingegangen wurde.
Durch einen gemeinsamen Grabbesuch am darauf folgenden Tag wurde den Revolutionären der RAF gedacht und die Erinnerung an sie, sowie an alle Gefallenen aus dem revolutionären Widerstand, hochgehalten. Es wurde ein Gedicht von Bertolt Brecht verlesen und rote Nelken auf den Gräbern niedergelegt. Wir beenden diesen kurzen Bericht mit einem Auszug eines Gedicht von B. Brecht, das an den Gräbern verlesen wurde:


"Die Schwachen kämpfen nicht
Die Stärkeren kämpfen vielleicht eine Stunde lang
Die noch stärker sind, kämpfen viele Jahre
Aber die Stärksten kämpfen ihr Leben lang
Diese sind unentbehrlich"


Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen


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Auszüge aus den Grußwörtern

Von dem Gefangenen Werner Braeuner aus Sehnde an "Nulla è finito"

Den Teilnehmenden an der Veranstaltung "Nulla è Finito! - Nichts ist vorbei! - Revolutionäre Geschichte aneignen und verteidigen!" wünsche ich, die Verbindungen zu finden, welche von der RAF zu heutigen Kämpfen führen. Zur Kranzniederlegung am 16.10., 12 Uhr, für fünf im Kampf gegen das zerstörerische Weltunheil Kapitalismus umgekommene Angehörige der Roten Armee Fraktion einen Salut aus dem Knast, dem innersten Heiligtum von Staat, Sozialdemokratie und Kapital.

Holte der Widerstand Luft, wollte er neue Kräfte schöpfen. Aus den kapitalistischen Metropolen diese Metropole schwächen und so zugleich den weltweiten kapitalistischen Aggressor zu Fall bringen.

Nichts ist vorbei!

Venceremos!

Werner Braeuner

PS: Da das Original von Werners Grußwort den Veranstalterinnen abhanden gekommen ist, hat er das aus dem Gedächtnis rekonstruiert.


Von den Genossinnen und Genossen für den Aufbau der Roten Hilfe Italien

Wir ergreifen diese Gelegenheit, um zu unterstreichen, welchen Beitrag die RAF in den 70er und 80er Jahren zur Entwicklung der revolutionären Bewegung auf internationaler Ebene geleistet hat.
Der deutsche Staat hat versucht, den Widerstand der Gefangenen aus der RAF mit allen Mitteln zu brechen, angefangen von der Isolationsfolter bis hin zur physischen Vernichtung. Diese jedoch haben immer widerstanden und weiterhin ihre eigene revolutionäre Zugehörigkeit/ Verständnis verteidigt, sowohl hinter Gittern, wie auch im Rahmen der verschiedenen Prozesse, die sich gegen sie richteten.
(...) Sie hat eine antiimperialistische Politik und Praxis entwickelt, sowie einen neuen proletarischen Internationalismus in Solidarität mit den unterdrückten Völkern, speziell mit dem vietnamesischen und dem palästinensischen Volk. In den 90er Jahren hat die Organisation leider beschlossen, sich einseitig aus der Auseinandersetzung zurückzuziehen und ihrer eigenen Erfahrung ein Ende zu setzen.
Diese Position wurde von großen Teilen der revolutionären Bewegung in Europa und von zahlreichen gefangenen GenossInnen in verschiedenen Ländern scharf kritisiert.
Wir denken, dass es notwendig ist, Lehren aus den positiven wie auch negativen Aspekten zu ziehen, die die Geschichte der RAF charakterisiert haben, um Schritte vorwärts machen zu können im Aufbau einer revolutionären Perspektive, die die einzige Möglichkeit ist, um aus der Barbarei des Kapitalismus zu entkommen. Eine revolutionäre Perspektive, die gerechtfertigt wird durch die existierenden Widersprüche zwischen internationalem Proletariat und imperialistischer Bourgeoisie, die heute, wie gestern, nicht nur noch fortbestehen, sondern sich viel mehr auf verschärfte Art manifestieren.
Die Ausbeutung, das Elend, der Krieg, hervorgerufen durch den Imperialismus, sind Ausformungen einer Realität, der sich das Proletariat wie die unterdrückten Völker immer stärker unterworfen sehen.
Die Knäste auf der ganzen Welt sind voll mit revolutionären KämpferInnen.
Die Isolationsfolter, die Unterdrückung, sind Praktiken, die die Staaten heute weltweit in immer zugespitzterer Form anwenden.
Um hierauf eine Antwort geben zu können, halten wir es für notwendig, immer mehr Solidaritätsstrukturen für die revolutionären Gefangenen auf internationaler Ebene zu etablieren und fortzuentwickeln, mit denen ihre politische Identität verteidigt wird, in denen die revolutionären Versuche/Wege bekannt gemacht werden, indem ihnen eine Stimme gegeben wird und ihre Zugehörigkeit/Verankerung zur Klasse gefestigt wird.
Am Ende unseres Beitrags schliessen wir ab, indem wir den Genossen Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Jan-Carl-Raspe die Ehre erweisen, sowie allen GenossInnen, die weltweit gefallen sind im Kampf gegen den Imperialismus und für den Kommunismus.


Genossinnen und Genossen für den Aufbau der Roten Hilfe in Italien

Gruppe Zimmerwald - Internationale Debatte

Sprechen wir über die historische und aktuelle Dimension der Ereignisse vom Herbst 1977.
Schon die Debatte um die Freilassung von Christian Klar hatte es angedeutet, der Prozess gegen Verena Becker und die Androhung von Beugehaft gegen verschiedene ehemalige Mitglieder der RAF bestätigt es: 33 Jahre nach Stammheim soll erneut abgerechnet werden. Nicht nur mit der Roten Armee Fraktion (RAF), sondern mit revolutionärer Politik ganz allgemein. Bestenfalls sei der Versuch einer revolutionären Veränderung durch die Stadtguerilla in den 70er und 80er Jahren ein fundamentaler Fehltritt der Geschichte'; für die Geschichtsrevisionisten ist es 'irregeleiteter Terrorismus'.
(...) Die Politik der RAF hatte Hoffnungen geweckt, nicht für die breiten Massen, nein, dies leider nicht. Doch für viele, die damals für eine revolutionäre Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse kämpften, verlieh sie Hoffnung und Perspektive: Die Revolution erschien als machbar, nicht nur im Trikont, sondern auch hier, in der Schweiz, im Herzen des Kapitalismus! Die Politik der RAF hatte anfangs der 70er Jahren auf bestimmte Teile der revolutionären Bewegung einen nicht geringen Einfluss. Das soll an dieser Stelle gesagt werden, auch wenn es viele, für die damals die RAF Orientierung war, nicht mehr hören wollen, weshalb sie desinteressiert abwinken. Die Zeiten hätten sich verändert. Die Frage sei erlaubt, was hat sich eigentlich verändert? Die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse? Die Notwendigkeit einer revolutionären Veränderung? Wohl kaum.
(...) Dem wollte die Rote Armee Fraktion die Machbarkeit des bewaffneten Kampfes entgegen setzen und einen Weg für einen offeneren Geschichtsverlauf aufzeigen.
Allerdings wäre die Stadtguerilla ohne eine objektive Situation, in der über den Befreiungskampf in Vietnam, Afrika, Lateinamerika und im Nahen Osten war auch eine vielfältige Rekonstruktion marxistischer Theorie.
(...) Anfänglich gelang es der RAF, den Staat zu demaskieren und mit den bewaffneten Aktionen gegen die US-Armee die Imperialisten in ihrem Hinterland zu verunsichern. (...) Die Faszination der 'Machbarkeit' von revolutionärer Intervention zeigte in der revolutionären Linken Wirkung. Dazu kam, im damaligen sozialen Kontext sehr wichtig, dass subjektive Befreiung in der Illegalität möglich schien.
Auf der anderen Seite nahm der Druck des Repressionsapparates mit der Zeit enorm zu. Dies erforderte eine drastische Reduzierung aufs militärisch Notwendige. Politische und soziale Kontakte litten immer stärker darunter, was zu den eigenen programmatischen Zielsetzungen im Widerspruch stand. Denn die Verbindung der Guerilla mit den Klassenkämpfen war für eine politische Entwicklung unbestritten. (...) Schon damals war klar, eine fehlende Verbindung mit der "eigenen" sozialen Basis entwickelt sich zwangsläufig zu einem Voluntarismus, der immer stärker zum Ausgangspunkt der eigenen Politik führen könnte.
Inwiefern dieser Widerspruch zur fast ausschließlichen Orientierung an den nationalen Befreiungskämpfen führte, bleibe dahingestellt. Tatsache ist, dass die RAF das primäre revolutionäre Subjekt Trikont ausmachte. Dem Metropolenproletariat, korrumpiert durch den in diesen Ländern erpressten Extraprofit, kam allenfalls noch Hilfsfunktion zu. Die Verschärfung der Klassenkämpfe in den Metropolen seien folgerichtig nur über die Kämpfe im Trikont zu realisieren. Einen politischen Aufbauprozess als Teil einer Machteroberungsstrategie fand keinen Raum. Eine 'Revolutionierung' der Situation konnte nicht greifen.
(...) Und was bedeutet das für unsere aktuellen Perspektiven?
Die RAF hat die Frage der Konkretisierung revolutionärer Gegenmacht (...) auch in einer nicht revolutionären Situation theoretisch und vor allem praktisch von Neuem aufgeworfen, und zwar in objektiven Bedingungen, die sich wesentlich von denen in Italien oder Spanien unterschieden. Damit wurde zwischen dem Reformismus und der revolutionären Bewegung in Westeuropa nicht nur endlich wieder ein klarer Trennungsstrich gezogen, sondern für den Klassenkampf neue Möglichkeiten entwickelt und somit auch wieder eine revolutionäre Perspektive sichtbar. Dieser politische Stachel im Fleisch der Herrschenden schmerzt auch nach über drei Jahrzehnten.
Auf der Grundlage einer Analyse der gesellschaftlichen Wirklichkeit bilden Programmatik, Organisation und Strategie eine Einheit, ohne die keine revolutionären Möglichkeiten entstehen. (...) Insofern bleibt die Geschichte der RAF aktuell!


Red. Anmerkungen:
Wegen Platzgründen sind die Texte redaktionell gekürzt worden. Die vollständigen Texte und Material, weiterführende Links und Informationen sind auf der Kampagnenhomepage zu finden: www.nullaefinito.jimdo.com

Zudem berichtete Spiegel TV am 17.10 auf RTL in bekannt abfälliger Manier:
http://www.livingscoop.com/watch.php?v=OTg3


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Kurzmeldungen

Kurzmeldungen bundesweit

Rosenheim: Auf Druck von ermittelnder Kripo nahm am 16.10.2010 das Unternehmen "Beepworld" die Website der autonomen "Infogruppe Rosenheim" vom Netz und sperrte diese. Grund hierfür war der Aufruf der Kampagne "Castor schottern!". Als erste Auswirkung eines beginnenden Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Lüneburg wurde die Seite der Infogruppe Rosenheim kurzzeitig gesperrt. Mittlerweile ist die Infogruppe wieder über eine neue Internetseite erreichbar auf der auch eine Stellungnahme zur Sperrung zu finden ist: http://91.90.148.244/infogruppe/ (red.)

Oschersleben: Die ALGE in Oschersleben wurde am 11. Oktober von einem Großaufgebot der Polizei gestürmt und geräumt. Am selben Tag wurde dann begonnen das Haus einzureissen, so dass eine Rückkehr in das Gebäude unmöglich wurde. Die ALGE (Alternative Lebensgestaltung) war ein langjähriges Projekt in Oschersleben. Sie bot den einzigen antifaschistischen Schutzraum auf der Strecke von Magdeburg nach Halberstadt und hatte immer wieder mit Angriffen von Nazis zu kämpfen. Erst Ende September versuchten drei Nazis Molotov-Cocktails in das Haus zu werfen, die sich aber nicht entzündeten. (red.)

Düsseldorf: Am 03. November wurde eine Person mit dem Vorwurf der Mitgliedschaft in der LTTE (Liberation Tigers of Tamil Eelam) in Düsseldorf festgenommen. Ihm wird mit Hilfe des §129b vorgeworfen von 2005 bis 2009 der deutschen "Auslandsfiliale" der LTTE angehört zu haben. Er soll der Gebietsverantwortlicher der Tamilen für Berlin gewesen sein und "Sachmittel zur Führung des bewaffneten Kampfes der LTTE in Sri Lanka" beschafft haben. Dies ist bereits die 9. Verhaftung gegen die tamilische Bewegung in diesem Jahr. (red.)

München: Abermals wurde der Infoladen in München am 10.11. durchsucht. Grund für die Durchsuchung war die aktuelle Ausgabe der Interim. Ohne Vorwarnung wurde die Eingangstür des Kafe Marat mit einem Rammbock aufgebrochen. Danach wurde der Infoladen mittels Brecheisen geöffnet. Gefunden haben die Beamten nichts. Bei beiden Türen entstand großer Schaden. Dies war bereits die dritte Hausdurchsuchung des Infoladen Münchens innerhalb weniger Monate. Erst im Juli und im September wurden die Räumlichkeiten das letzte Mal durchsucht. (red.)


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Inland

Freispruch für das Gefangenen Info

Am 11. Oktober 2010 fand um 13.30 Uhr vor dem Landgericht Berlin der Berufungsprozess gegen das "Gefangenen Info" statt. Die Zeitung existiert seit 21 Jahren und hat bereits zahlreiche staatliche Angriffe gegen die Pressefreiheit überstanden.
Im April 2010 wurde der presserechtlich Verantwortliche des Gefangenen Infos zur Zahlung einer Geldstrafe in Höhe von 800 Euro verurteilt. Er ist laut Gericht für die Veröffentlichung eines Artikels im Gefangenen Info Nr. 348 verantwortlich, welcher über die zynische Bemerkung bei der Verhängung der Beugehaft durch den Richter Klein in einem Düsseldorfer §129b Prozess gegenüber einem durch Folter erblindeten türkische Zeugen berichtete.
Um 13.00 fand vor dem Gerichtsgebäude eine Kundgebung statt. Es wurde ein Transparent mit dem Karl Marx Zitat "Die Waffe der Kritik kann allerdings die Kritik der Waffen nicht ersetzen" gezeigt.
Den Berufungsprozess besuchten 20 teilweise internationale ProzessbeobachterInnen, darunter Vertreter des Netzwerkes Freiheit für alle politischen Gefangenen, des Komitees für Grundrechte und Demokratie, der Roten Hilfe Magdeburg, der GenossInnen für den Aufbau der Roten Hilfe in Italien und des Tayad Komitees.
Im Vorfeld des Prozesses veröffentlichten verschiedene politische Gefangene wie Thomas Meyer Falk, Nurhan Erdem, Faruk Ereren sowie die Bundestagsabgeordnete der Linkspartei Ulla Jelpke Erklärungen zum Prozess, in denen sie einen Freispruch forderten.
Zu Beginn der Verhandlung stellte der Verteidiger als erstes fest, dass der fragliche Artikel nicht vom presserechtlich Verantwortlichen des Gefangenen Infos, sondern von ProzessbeobachterInnen der Roten Hilfe-Ortsgruppe Mönchengladbach-Neuss-Düsseldorf verfasst wurde.
Der Angeklagte Wolfgang Lettow trug danach eine Prozesserklärung vor. Daraufhin verlas die Richterin die bisher abgegebenen Zeugenaussagen verschiedener Mitglieder des Oberlandesgerichtes Düsseldorf, welche sich alle nicht an die zynische Wortwahl der Bemerkung des Düsseldorfer Richters Klein erinnern wollten.
Sogar die Berliner Richterin fragte sich daraufhin was er denn dann gesagt habe, denn das es sehr zynisch war, schien ihr nach Akteneinsicht durchaus glaubhaft zu sein.
Nun gab die Verteidigung zwei Beweisanträge ab, in welchen sie einerseits forderte, den Rechtsanwalt W. Weckmüller als Zeugen zu laden, welcher in Düsseldorf anwesend war und sich noch genau an die zynischen Umstände des Richterspruches erinnert. Andererseits beantragte sie durch einen weiteren Beweisantrag beim Urteil in Betracht zu ziehen, dass ein anderer Düsseldorfer Richter O. Beidling für ähnliche, häufig auch rassistische Zusätze in Urteilsbegründungen bekannt ist. (Er spricht z.B. bei Urteilen gegen arabisch stämmige Angeklagte gern von "Märchen aus 1001 Nacht" oder "dreisten Lügen")
Das Magazin Focus bezeichnete ihn in einem Artikel als "Richter Tacheles".
Nach einer 10-minütigen Pause und dem Hinweis der Richterin, die Beweisanträge doch lieber als Hilfsbeweisanträge zu betrachten, da sie zu einem Freispruch neige, gaben Verteidigung und Staatsanwaltschaft ihre Plädoyers ab. Die Verteidigung betonte neben der Tatsache des zynischen Spruches die Relevanz der Pressefreiheit und stellte dar, warum der presserechtliche Verantwortliche des Gefangenen Infos bei glaubhaftem Inhalt gar nicht die Aufgabe haben kann, jedes Zitat der Artikel auf ihren genauen Wortlaut zu überprüfen.
Der Staatsanwalt gab nur eine sehr kurze Erklärung ab und meinte dabei, der Abdruck des Artikels wäre doch vorsätzlich der Tatsache geschehen, dass der Angeklagte die Veröffentlichung einer, wie er meinte, Unwahrheit billigend in Kauf genommen habe.
Nach einer weiteren Pause verkündete die Richterin den Freispruch des Angeklagten und begründete ihn damit, dass sie davon ausgehe, dass ein Spruch ähnlich des Dokumentierten gefallen ist und das es nicht die Aufgabe des Angeklagten gewesen sei, beim Richter nachzufragen, ob der ihn denn wirklich zynisch gemeint habe.

Die ProzessbeobachterInnen


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Auszüge aus Solidaritätsadressen

Rote Hilfe International
Zur Geschichte der Klassen- und revolutionären Kämpfen gehören Solidaritätsstrukturen wie das Gefangenen Info mit dazu, spielten und spielen eine wichtige Rolle. Die Kontinuität über verschiedenste Etappen und Phasen linker Bewegungen macht das GI zu einer ganz speziell wertvollen Struktur.
Den Redaktions-GenossInnen ist es bis heute gelungen, das Projekt durch all die Etappen revolutionärer Geschichte nicht nur zu erhalten, nein, wer das neue GI in den Händen hält stellt fest, dass es ihnen gelang es weiterzuentwickeln. Heute ist es ein fester, lebendiger Bestandteil der sich international entwickelnden Bewegungen.

Ulla Jelpke, MdB, Innenpolitische Sprecherin der Linken
Das Gefangenen Info gibt politischen Gefangenen eine Stimme, die jenseits der Isolationshaft und der Gefängnismauern zu hören ist. Diese Kriminalisierung des Gefangenen Info muss im Zusammenhang mit dem Versuch gesehen werden, politische Aktivistinnen und Aktivisten aus der Türkei, die wegen ihres Engagements für Rechte und Freiheiten dort oft schon jahrelang inhaftiert und gefoltert wurden, auch in Deutschland mit dem Paragraphen 129b StGB als "Terroristen" weiter zu verfolgen.
Diese Kriminalisierung zielt auf die Einschüchterung kritischer Gegenöffentlichkeit...

Die GenossInnen für den Aufbau der Rote Hilfe in Italien
Die Kriminalisierung und die Unterdrückung von Verbänden, die mit dem Kampf gegen den imperialistischen Knast und zur Stütze der revolutionären Gefangenen beschäftigt sind, betraf und betrifft Europa. Diesbezüglich wurde die Unterdrückung in der Vergangenheit in der BRD, seit der Nachkriegszeit, gegen die Arbeiter und Studenten besonders massiv praktiziert.
Was Italien betrifft haben die Solidaritätsverbände viele Festnahmen vom Staatsschutzangriffe erlitten. Wir glauben, dass die vom Staatsschutz durchgeführte Unterdrückung und Kriminalisierung nur durch die Verstärkung der Solidarität mit den revolutionären Gefangenen, durch die Unterstützung ihrer Kämpfe, durch die Vermittlung ihres politischen Weges und des Standes ihrer politischen Debatte, besiegt werden können.


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Finger weg von unseren Läden!
Berlin, Oktober 2010

Seit einigen Monaten erhalten die linken Buchläden in Berlin vermehrt unerwünschten Besuch von Polizei und Staatsanwaltschaft. Anlässe sind regelmäßig mal mehr, mal weniger neue Publikationen aus der radikalen Linken, deren inhaltliche Vielfalt den Repressionsorganen zu weit geht. Häufig werden dabei nicht nur die gesuchten Zeitschriften, sondern auch gleich die Computer der Läden mit beschlagnahmt.
Die linken Buch- und Infoläden sind ein wichtiger Teil unserer Infrastruktur. Wir finden dort Rat, wenn wir Literatur für unsere politische Arbeit suchen. Sie bieten uns einen Raum, ins Gespräch zu kommen und uns zu vernetzen. Sie helfen uns, unsere Positionen auch jenseits kommerzieller Verlagsstrukturen zu verbreiten. Kurz: Wir möchten sie nicht missen.
Die aktuelle Repression ist der erneute staatliche Versuch, die offenen Debatten der radikalen Linken, die nicht an den Grenzen der herrschenden Legalität verstummen, zu zensieren. Diesmal wurden die linken Buchläden als Angriffsobjekte von den Repressionsorganen auserkoren. Wir stehen daher solidarisch an ihrer Seite. Gemeinsam wenden wir die staatliche Repression in eine Stärkung der linken Debatten und Strukturen!

Bisherige Unterzeichner_innen:
Anarchist Black Cross (ABC) Berlin, Anarchistische Gruppe Neukölln, Antifa AK Köln, Antifa Gruppe Oranienburg [AGO], Antifa Prenzlauer Berg, Antifaschistische Initiative Moabit [AIM], Antifaschistische Initiative Reinickendorf [A.I.R.], Antifaschistische Linke Berlin [ALB], Antifaschistische Linke Potsdam, Antifaschistische Revolutionäre Aktion Berlin [ARAB], antimilitarismus.blogsport.de, Webseiten-Redaktion, Antirassistische Initiative Berlin (ARI), Archiv der sozialen Bewegungen Bremen, arranca! - linke Zeitschrift, Autonome Antifa Infernal [AAI], Autonome Neuköllner Antifa, Avanti - Projekt undogmatische Linke, Babylonia e.V., Berliner Antirepressionsforum, Berliner Bündnis Freiheit für Mumia Abu-Jamal!, Black Mosquito Mailorder, Buchhandlung Reul, Kevelaer, Buchladen Sputnik, Potsdam, communisme sucré, CONTRASTE - Monatszeitung für Selbstorganisation, Heidelberg, Deutsche Kommunistische Partei (DKB) - Berlin, Emanzipative Antifaschistische Gruppe (EAG-Berlin), entdinglichung.wordpress.com, Webseiten-Redaktion, Für eine linke Strömung (FelS) - organisiert in der Interventionistischen Linken (IL), Gefangenen Info, Gruppe d.i.s.s.i.d.e.n.t. (IL), Jugendantifa Berlin, JungdemokratInnen/Junge Linke Berlin, Køpi 137, Berlin, Lateinamerika Nachrichten, love techno - hate germany, Partykollektiv, Max Delbrück Schulkomitee (MDSK), Berlin, Mehringhof, Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen - Berlin, North East Antifa (NEA) Berlin, Out of Control Berlin, Projekt Rigaer 94, ReachOut - Opferberatung und Bildung gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus, Redaktion Graswurzelrevolution, Roland Bialke, Berlin, Schwarzer Kanal, Berlin, Second-Hand-Buchladen Müßiggang, Seminar für angewandte Unsicherheit [SaU], Berlin, Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) Berlin, Stefanie Katz, Hamburg, Straßen aus Zucker, Jugendzeitung, Subversiv e.V., Wgcompany


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International

Marco Camenisch bei Nacht und Nebel verlegt

Wir haben am 8. Oktober erfahren, dass Marco Camenisch in einer Nacht- und Nebelaktion von Regensdorf nach Orbe in den Hochsicherheitsknast Bochuz verlegt worden ist. Plötzlich und aus dem Nichts heraus, ohne Vorwarnung. Marco war seit seinem Prozess vor 8 Jahren in Pöschwies.

Wir kennen die Gründe dieser überraschenden Aktion der Repression gegen unseren Genossen nicht. Wir können nur vermuten, dass die Kampagne für die Freiheit revolutionärer Langzeitgefangener, der kollektive Hungerstreik mit den seit 7 Monaten in der Schweiz inhaftierten italienischen anarchistsichen Gefangenen Billy, Silvia, Costa , sein aktives Intervenieren und Verhalten in den internationalen politischen Bewegungen, den zunehmenden Mobilisierungen und Aktionen damit in Zusammenhang stehen könnten. Wir werden es nicht hinnehmen und schon gar nicht im eingeschlagenen Weg uns aufhalten lassen:

Drinnen und draußen ein Kampf gegen Staat und Kapital - Solidarität mit den revolutionären Gefangenen!

Schickt Soligrüße massenweise an:
Marco Camenisch
Penitencier de Bochuz
Case Postale 150
1350 Orbe

Solidarität ist unsere Waffe - setzen wir sie ein

Rote Hilfe International


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Marco Camenisch zu seiner Verschleppung

Marco's erster Brief nach seiner Verschleppung vom Pöschwieser Knast in den weit entfernten Hochsicherheitsknast Bochuz!

Orbe, 10.10.10

Liebe GenossInnen

Do. 7.10.10 vor Arbeitsbeginn nachmittags wurde ich über die Gegensprechanlage der Zelle "informiert" es habe keine Arbeit, ich könne auf der Zelle bleiben (in 6 Jahren nie dagewesen. Ha,ha...), dann wurde ich ins Abteilbüro gerufen, " Herr Hauenberger (Chef Abteile 5-8) wollte mich sprechen", da war er aber nicht und zwei Prätorianer-Wärter (gross, nach viel Muskel- und wenig Hirnmasse ausgewählt) brachten mich zum Umkleide- und Effektendienst ("der Hatschier muss Ihnen etwas zeigen", übliche Masche...) Dort weitere Prätorianer, mir wurde die Versetzungsverfügung von Herrn Thomas Noll, sattsam bekannter "Vollzugschef" Direktionsmitglied und ehemaliger Notfallpsychiater Pöschwies, vorgelegt. Versetzung wegen "Gefährdung der Anstalt wegen Demos" und "Gefährdung des Personals". Entzug der aufschiebenden Wirkung aus "Sicherheitsgründen" der 10-tägigen Rekursfrist, und Orbe habe mich zu meiner Weiterinternierung bereit erklärt. Musste mich umkleiden und ohne Effekten "kommen nach" mit einschneidenden Kabelbindern an den Handgelenken am Gurt befestigt und Fußketten, an der Klappenkiste befestigt, mit 4 ZH Bullen losfliegen. Landung Yverdon les Bains auf einem von vermummten Bullen abgesperrten Industrieparkplatz. Die brachten mich mit Transporter rasch hierher, wo ich im "Eintrittsabteil" neugierig auf meine "Ware" warte. Immerhin in "Privatkleidern" Uniform gelte für die Arbeit. Auch sonst sieht es so aus, als werde hier Perfidie und Schwachsinn etwas weniger auf die Spitze getrieben als im Avantgardeknast Pöschwies des Justizabschaums ZH.
Ist aber soweit irrelevant, relevant hingegen ist die eindeutige politische Repressalie und Geiselstatus-Dynamik als politischer bzw. Kriegsgefangener vom Staat und Kapital, und Verantwortlichkeit der Kantone bzw. Institutionen Zürich/Vaud. Nun nehme ich aber keinesfalls an, dass sich militanter Widerstand durch kopflose und schwäche beweisende Symptombekämpfung seitens der Repression so billig ins Bockshorn jagen, einschüchtern und erpressen lässt... (smiley)
Sondern im Gegenteil, dass sie ihre Lage nur noch ein klein wenig verschlimmert haben, dass auch diese weitere kleine Entlarvung ihrer paranoiden Verkommenheit wieder um zu auch grundlegender militanter Reflexion, Analyse und theoretisch-praktischer Entwicklung und Stärkung als korrekte Richtung weit über den spezifische (Fall, Repression) hinaus bewirken kann...

Seid herzlich umarmt , a presto Marco

P.S. Marco hatte Anfang November immer noch nicht all seine Kleidung und Unterlagen: Vor allem seinen Computer vermisst er, auf dem er seit acht Jahren viele wichtige politische Dateien gespeichert hat.


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Kurz was zu Marco Camenisch:

Marco wird am 21. Januar 1952 in der Schweiz geboren. Er begann sein politisches Engagement mit der Unterstützung kämpfender Gefangener und ab 1978 schloss er sich dem Kampf gegen Atomkraftwerke an. Anfang 1980 wird Marco wegen zwei Sprengstoffanschlägen verhaftet: gegen einen Mast einer Hochspannungsleitung des Elektrokonzerns NOK und gegen Transformatoren und den Richtstrahlmasten eines Elektro-Unterwerkes.
Er wurde zu 10 Jahren Knast verurteilt. Am 17. Dezember 1981 brach Marco Camenisch zusammen mit einigen italienischen Mitgefangenen aus dem Gefängnis Regensdorf aus, wobei ein Aufseher getötet und ein anderer verletzt wurde. Während zehn Jahren lebt Marco Camenisch im Untergrund.
Dezember 1989: ein Zöllner an der italienischschweizerischen Grenze wird getötet, und sofort erklären die Medien und die Behörden Marco Camenisch zum Täter. Marco Camenisch hat diese Anklage immer zurückgewiesen. Die lange Flucht von zehn Jahren wurde am 5. November 1991 durch eine gewöhnliche Ausweiskontrolle in der toskanischen Provinz Massa unterbrochen. Die dumme Reaktion eines Karabiniere auf Marcos gezogene Pistole hat einen Schusswechsel zur Folge, ein Karabiniere wird verletzt, und Marco wird an beiden Beinen angeschossen und, an der Flucht gehindert, verhaftet.
Er verweigert jegliche Zusammenarbeit mit der Justiz und wird im Mai 1992 für die Schiesserei mit den Carabinieri und für einen Sprengstoffanschlag gegen einen Masten der Hochspannungsleitung La Spezia-Acciaiolo, womit Atomstrom aus Frankreich importiert wird, zu 12 Jahren verurteilt.
Nach Verbüssung der Strafe wird Marco im April 2002 für die acht verbleibenden Jahre seiner ersten Verurteilung sowie für den Prozess wegen der Flucht und der Schiesserei am Zoll an die Schweiz ausgeliefert. Von Mai 2002 bis 2004 dauert dann das Verfahren gegen ihn und der Prozess wurde mit dem Freispruch in Sachen Tod des Gefängnisaufsehers und mit der Verurteilung zu 17 Jahren für den Tod des Zöllners abgeschlossen. Diese Verurteilung ist auf fehlende "Reue" und seine entschlossene Bekennung zur offensichtlich immer dringenderen Notwendigkeit des revolutionären Umsturzes der kapitalistisch-imperialistischen Weltordnung zurückzuführen. Diese 17 Jahren "Zusatzstrafe" wurden unter Verletzung ihres eigenen Strafgesetzbuches ausgesprochen. Im März 2007 muss die Strafe auf die im spezifischen Fall juristisch mögliche Höchstbemessung von 8 Jahren herabgesetzt werden, was insgesamt 30 Jahre Knast mit Strafende Mai 2018 bedeutet.


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International

10 Jahre Knast gegen die engagierte Anwältin Lynne Stewart

Nach dem Angriff gegen das World Trade Center und gegen das Pentagon im September 2001 entfachte die US-Regierung unter Präsident George W. Bush ihren "Krieg gegen den Terrorismus". Der Krieg nach außen im Irak und Afghanistan wurde vom Krieg nach innen begleitet.
Direkt nach dem 11. September wurden politische Gefangene in Isolationshaft verlegt. Tausende arabische und muslimische Menschen, vor allem Männer, wurden willkürlich festgenommen, verhört, misshandelt und nach langer Inhaftierung, ohne jegliche Möglichkeit sich rechtlich zu verteidigen, abgeschoben. Migranten, die teilweise lange Jahre in den USA gelebt hatten, wurden wegen der geringsten Verstöße gegen die Einwanderungsbestimmungen deportiert.
Knapp sechs Wochen nach dem Angriff wurde das unter der Leitung von Justizminister John Ashcroft entworfene "PATRIOT Act", dass gravierende Einschränkungen von lange erkämpften Bürgerrechten und eine Ausdehnung des Terrorismusbegriffs enthielt, innerhalb von drei Tagen vom Repräsentantenhaus und Senat verabschiedet und von Bush unterschrieben.
Am 9. April 2002 trat Ashcroft vor nationale und internationale Fernsehkameras, um den neuesten "Erfolg" zu verkünden, die Verhaftung der linken Anwältin Lynne Stewart wegen u.a. "materieller Unterstützung des Terrorismus" und vorsetzlicher Täuschung der US-Regierung [1].
Lynne Stewart war keine Unbekannte. Während einer drei Jahrzehnte umspannenden Laufbahn verteidigte sie Mitglieder linker Organisationen wie der Black Panther Party, Black Liberation Front, Ohio 7 und Weather Underground, aber auch viele mittellose Klienten und Mafiamitglieder.

Die Anklage gegen Stewart beruht auf Ereignissen vor dem 11. September. Stewart war Mitte der 1990er Jahre Pflichtverteidigerin des blinden ägyptischen muslimischen Predigers Omar Abdel Rahman. Rahman, einer der führenden Gegner des von den USA gestützten Mubarak Regimes verbüßt eine lebenslange Haftstrafe wegen staatsgefährdender Verschwörung im Zusammenhang mit angeblichen Sprengstoffanschlägen gegen New Yorker Bauwerke.

1998 verhängt das Justizministerium sog. "administrative Sondernahmen" (SAM) gegen Rahman, die ihm jeglichen Kontakt mit der Außenwelt verbot, außer Anwaltsbesuchen und einem wöchentlichen fünfzehnminütigen Telefonat mit seiner Ehefrau. Seine Anwälte mußten schriftlich versichern, dass sie und ihre Angestellten und Beauftragten diese Bedingungen einhalten werden, sonst durften sie ihn nicht besuchen.

Stewart wurde vorgeworfen gegen diese SAM-Bestimmungen verstoßen zu haben, indem sie Nachrichten zwischen Rahman und der Islamischen Gruppe (IG), die für einen islamistischen Staat in Ägypten kämpft, weitergeleitet zu haben. Die Vorwürfe basierten vorwiegend auf Abhörprotokollen von angeblich verfassungsmäßig geschützten Gesprächen zwischen Anwälten und Mandanten. Stewart soll während eines Besuchs laut auf Englisch gesprochen haben, um ein Gespräch zwischen Rahman und dem Rechtsgehilfen bezüglich der Fortsetzung eines Waffenstillstandes zu übertönen und seine Entscheidung die "Feuerpause" nicht länger zu unterstützen, an die Medien weitergegeben zu haben.
Stewart stellte einen Antrag auf Verfahreneinstellung. Der ehemalige Justizminister und Mitverteidiger im Rahman Fall, Ramsey Clark, erklärte, er habe mehrmals gegen die SAM-Bestimmungen verstoßen, die Justizbehörde aber habe sich "niemals beschwert", geschweige denn Anklage erhoben. Clark las Rahman Zeitungsberichte vor und gab, wie Stewart, eine Erklärung an die Medien weiter. Die Anklageschrift machte deutlich wie sehr das Mandanten/Anwalt-Gespräch nicht nur abgehört, sondern auch videoberwacht wurde. Mindestens zweieinhalb Jahre lang hörte die Justiz jedes Wort mit.
Der Prozess gegen Lynne Stewart fing Anfang Juli 2004 an und dauerte bis Februar 2005. Die Staatsanwaltschaft versuchte, Stewart als Terrorismusbefürworterin darzustellen. Es wurden massenhaft Zeitungsausschnitte über Aktivitäten und Anschläge radikaler islamischer Gruppierungen, die auch aus Stewarts Büro beschlagnahmt wurden, und Videoaufnahmen von Osama bin Laden, der seine Unterstützung für Rahman verkündet hatte, gezeigt. Ein Großteil der Zeitungsausschnitte hat Stewart von der Staatsanwaltschaft bekommen. Sie waren angebliche Beweismittel im Rahman Verfahren und mussten an die Verteidigung ausgeliefert werden.
Eine Geschworenenjury befand sie in allen Punkten für schuldig. Wegen einer Brustkrebserkrankung bei Stewart erfolgte die Strafmaßfestsetzung erst im Oktober 2006. Anstatt die von der Staatsanwaltschaft geforderten 15 bis 30 Jahre verurteilte Richter Koeltl Stewart zu einer Haftstrafe von 28 Monaten. Die Staatsanwaltschaft kündigte sofort an, Berufung einzulegen.

Im November 2009 erklärte ein Berufungsgericht das Strafmaß für zu niedrig. Richter Koeltl wurde angewiesen das Strafmaß neu festzusetzen und zu überprüfen, ob Stewart nicht Meineid begangen hätte.
Am 15. Juli 2010 gab Richter Koeltl seine Entscheidung bekannt. Zuerst sprach er eine halbe Stunde lang über die ca. 400 Unterstützungsbriefe, die er bekommen hatte, über die mittlerweile siebzigjährige Stewart und ihren Jahrzehnte langen Dienst an den Armen und Verstoßenen der Gesellschaft und über ihren verschlechterten Gesundheitszustand, insbesondere ihr Krebsleiden. Dann erklärte er, Stewart hat Meineid begangen und keine Reue gezeigt - In Interviews nach ihrer Verurteilung zu 28 Monaten 2006 hat Stewart erleichtert erklärt, sie sitze die Zeit spielend ab bzw. sie sei sich keines Unrechts bewusst und würde es wieder machen. Dann verurteilte er sie ganz trocken zu einer Haftstrafe von zehn Jahren, fast das Vierfache der ursprünglichen Strafe.
Als Stewarts Anwältin fragte, weshalb, erwiderte er, Anweisung von oben. Eine Todesstrafe für eine Siebzigjährige nannte es Stewarts Ehemann.

Wie vor ca. sechzig Jahren als Ethel und Julius Rosenberg im gleichen Gerichtssaal zum Tode verurteilt wurden, ein Exempel im "Krieg gegen den Kommunismus" statuiert wurde, Wird nun das Gleiche mit Lynne Stewart im "Krieg gegen den Terrorismus" gemacht.

Anmerkung:

[1] Mohamed Yousry, Ahmed Abdel Sattar und Yassir Al-Sirri wurden mit Stewart zusammen verhaftet. Die Anklage gegen Al-Sirri wurden später fallengelassen. Yousry, Stewarts Dolmetscher, wurde zu 20 Monaten verurteilt und Sattar zu 24 Jahren.


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International

Jetzt nur nicht die Wut verlieren!

29 Jahre Todestrakt - Freiheit für Mumia jetzt!

Wir dokumentieren den Demo-Aufruf:

Seit 29 Jahren sitzt ein Journalist im Todestrakt - weil er gewagt hat, laut zu sagen, was ist.
Seit 29 Jahren ist ein Mensch von seinen Angehörigen isoliert - weil Gefangene in seinem Land kaum Rechte haben.
Seit 29 Jahren ist ein Afroamerikaner ständig vom Tod bedroht - weil die Todesstrafe das letzte Mittel einer untergehenden Gesellschaftsordnung ist.

Der Gefangene heisst Mumia Abu-Jamal, der Ort liegt im US Bundesstaat Pennsylvania nahe dem kleinen Ort Waynesburg. Eine von der Regierung betriebene Gefängnisfabrik produziert dort jährlich ca. 50 Millionen US-$ Profit durch Zwangsarbeit. Inmitten dieser Fabrik ist ein Hochsicherheitstrakt, in dem knapp 250 Menschen unter weitestgehender Isolation auf das Ende ihres Lebens warten. In 6m² kleinen Zellen haben sie nur eine einzige Gewissheit: dass sie diese Mauern nicht lebend verlassen werden. Manche von ihnen kennen sogar schon den Tag, an dem sie sterben werden.
In einem Land, in dem 80% der Bevölkerung europäischen Ursprungs sind, leben in den vergessenen Todestrakten der Supermax Gefängnisse überwiegend AfroamerikanerInnen sowie Native Americans, Hispanics oder AsiatInnen. Gerade mal 34% der Gefangenen entstammen der Bevölkerungsmehrheit.
In den Gefängnisfabriken, die über die gesamten USA verteilt sind, sieht es ähnlich aus. Der Gefängnisindustrielle Komplex ist einer der grössten Binnenwirtschaftszweige der USA. Das Verfügen über nahezu unbezahlte Arbeitskraft war der historische Motor für den Aufbau der nordamerikanischen Kolonien. Die nach der Gründung der USA auch formal institutionalisierte Sklaverei wurde 1865 offiziell abgeschafft - real existiert sie bis heute in der Gefängnisindustrie weiter. Kein Land der Erde inhaftiert momentan mehr Menschen als die USA, weder prozentual noch nach konkreten Zahlen. Die Todesstrafe als ultimative Bedrohung garantiert dabei das Stillhalten der eingeschüchterten Bevölkerung.
Für einen untergeschobenen Polizistenmord wurde Mumia Abu-Jamal zum Tode verurteilt.
Real jedoch, weil er konsequent über Rassismus, Polizeigewalt und behördliche Korruption berichtete. Das macht er bis heute und erreicht damit inzwischen trotz Isolationshaft Millionen Menschen. Er gibt all denen eine Stimme, die in den Medien in der Regel ignoriert werden. Nach jahrzehntelangen erfolgreichen Protesten versucht die Regierung zur Zeit erneut, seine Hinrichtung doch noch durchzusetzen.
Politische Justizwillkür kennzeichnete ebenfalls die Verurteilungen von Leonard Peltier für dessen Engagement im American Indian Movement (A.I.M.) sowie den Cuban 5, welche den von US Geheimdiensten gedeckten Terror gegen Cuba verhindern wollten. In den USA sitzen laut Menschenrechtsgruppen momentan weit über 100 Gefangene allein wg. ihrer politischen Anschauungen ein. Anti-Repressionsgruppen gehen sogar von über 4000 aus.

Wir wissen um die sterilen Gänge und Zellen, in denen Menschen, deren einzige Schuld es meistens ist, sich keine angemessene Verteidigung leisten zu können, auf ihr gewaltsames Lebensende warten.

Wir wissen um die Kraft, welche Post, Berichte über Solidaritätsproteste oder Haftbesuche in diese sterilen Mauern des Todes tragen. Wir stehen zusammen mit Mumia Abu-Jamal und allen anderen, die von der Todesstrafe bedroht sind. Kein Staat hat das Recht, Gefangene zu ermorden!

LASST UNS GEMEINSAM AUF DIE STRASSE GEHEN, UM DER VERTRETUNG DER USA KLAR ZU MACHEN, DASS WIR NUR EINE LÖSUNG AKZEPTIEREN WERDEN:

Freiheit für Mumia Abu-Jamal!
Freiheit für alle politischen Gefangenen!
Abschaffung der Todesstrafe weltweit!

Demonstration:
Samstag 11. Dezember 2010
14:00 Uhr am Heinrichplatz, Bln X-berg
Abschluss vor der US Botschaft
Brandenburger Tor


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Kurzmeldungen

Großbritannien: In GB wurde Ende Oktober ein langjähriger Aktivist als Polizist enttarnt: Mark "Stone", auch "Flash" genannt war von 2000 bis 2009 für die Polizei tätig. Es handelte sich bei ihm nicht um einen Spitzel oder Informanten, sondern um einen Polizisten, der gezielt eingesetzt wurde. Er war in vielen Bereichen der autonomen Bewegung aktiv: von Earth First!, zu Tierrechtsaktionen, Freiräume, Antifa usw. Darüber hinaus hatte er Kontakte nach Europa und verkehrte desöfteren in Berlin. Nach eigenen Aussagen ist er 2009 aus dem Polizeidienst ausgeschieden. (red.)

Frankreich: Marina wurde verlegt. Sie sollte bei einer Repressionswelle 2000/2001 gegen die baskische Bewegung verhaftet werden, konnte sich aber bis 2006 der Verhaftung entziehen. 2006 wurde Marina festgenommen und war mit baskischen Gefangenen im größten Frauenknast von Paris weggesperrt. 2008 wurde gegen sie und 16 BaskInnen das Verfahren wegen Mitgliedschaft in der ETA eröffnet. Ihr droht eine mehrjährige Haftstrafe. Im Sommer wurde sie nun in einen Vorort von Paris verlegt. (red.) Die neue Anschrift lautet: Marina Bernadó Bonada (951978) MAF - Fresnes, Allée des Thuyas s/n 94261 Fresnes - Cedex Frankreich

Irland: Am Montag, den 18. Oktober 2010, wurden 2 Mitglieder der Republican Sinn Féin vor ein Sondergericht in Dublin gestellt. Seán Ryan und Kevin Devlin waren am 15. Oktober 2010 wegen Mitgliedschaft in der Irisch-republikanischen Armee (IRA), und der Oglaigh na hÉireann ("Kämpfer Irlands") verhaftet worden. Darüber hinaus wird ihnen der Besitz einer explosiven Substanz vorgeworfen. Beide Männer wurden umgehend in den Flügel für politische Gefangene im Hochsicherheitsgefängnis Portlaoise, Co. Laois, gebracht. (red.)

Griechenland: Der Prozess gegen Alfredo Bonanno und Christos Stratigopoulos wird am 22. November beginnen. Die beiden wurden am 01. Oktober 2009 wegen eines Bankraubes verhaftet und befinden sich seitdem in Haft. Beide sind langjährige anarchistische Aktivisten, die auch schon einige Jahre ihres Lebens im Knast verbracht haben. Alfredo, der mittlerweile 72 Jahre alt ist, hat zudem einige theoretische Schriften über den aufständischen Anarchismus verfasst und saß bereits in den 70ern einige Jahre hinter Gittern. (red.)


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International

Zum Knastsystem Russlands und dem Fall Chimki

Staatliche Repression und Knast sind in Russland selbstverständlicher und gegenwärtiger Alltag, auch und vor allem für politische Zusammenhänge, die herrschenden Interessen nicht passen. "Bis 2001 war Russland die Nummer 1 in Sachen Gefangene, seitdem wurde es nur von den USA überholt. Gefängnisse verdeutlichen die allgemeine Gangart der Gesellschaft. Während die Machthaber in Russland Kontrollen ausbauen und die Regierung immer repressiver vorgeht, wächst die Anzahl der Gefangenen. Zur Zeit beträgt die gefangene Bevölkerung in Russland 700.000 Menschen. Die ökonomische Ausbeutung der Gefangenen ist wenig entwickelt, im Gegenteil mangelt es an sinnvoller Beschäftigung - somit ist der wachsende Anteil der Gefangenen weniger ökonomisch durch das Kapital als vielmehr durch Druck vom Staat zu erklären. ("On prison resistance in Russia", Artikel aus der "Abolishing the borders from below" vom Oktober 2008)

Nach der Zeit der Perestroika ging die Zuständigkeit für die Knäste vom Innen- aufs Justizministerium über. Dadurch gab es zunächst verhältnismäßig wenig Folter und Übergriffe, aber auch weniger Geld für den Betrieb der Knäste, so dass die Gefangenen auf Päckchen und Spenden von Angehörigen zum Überleben angewiesen sind, da sie sonst schlichtweg verhungern. Auch die medizinische Versorgung ist minimal, so dass in russischen Knästen (besonders in den zumeist gnadenlos überbelegten Untersuchungsgefängnissen) Krankheiten wie Aids, Tuberkulose und sogar die Diphtherie, die als ausgestorben galt, auf diese Weise geradezu gezüchtet werden. In Gefängnissen gibt es regelmäßig Aufstände, Geiselnahmen und Stürmungen durch Spezialeinheiten mit Toten. Die häufigste Form von Widerstand gegen die Haftbedingungen, Gewalt durch Wärter und schlechte Behandlung, ist die des Hungerstreiks und der Selbstverletzung. Allerdings ist die politische Auseinandersetzung mit dem System Knast in emanzipativen Kreisen zur Zeit praktisch eher schwach. Vereinzelte Kampagnen zur Freilassung einzelner Gefangener vor allem aus dem antifaschistischen Spektrum werden nur von relativ kleinen Gruppen wie "Anarchist Black Cross" in Moskau und anderen Städten auf das Thema Knast aus emanzipativer Sicht generell ausgeweitet. Es gab vor einigen Jahren auch eine Kooperation zwischen FrontAIDS, einer kleinen anarchistisch geprägten Organisation und Gefangenen, die Zugang zu Medizin gegen HIV forderten.

Zur allgemeinen Lage in Russland ist auch der Einfluss des medialen "inneren Feindes" im Kaukasus nicht zu unterschätzen, der viele innenpolitische Konflikte überdecken hilft und der seit 1994 andauernde faktische Kriegszustand in Tschetschenien auf russischem Gebiet. Hier werden Spezialeinheiten wie die OMON (Militärpolizei) in Aufstandsbekämpfung trainiert und lassen ihre Kriegserfahrung bei Einsätzen in Großstädten wie Moskau oder St. etersburg auch gerne raushängen. Die Zusammenarbeit von faschistischen Gruppierungen und staatlichen Organen ist in vielen Fällen offensichtlich. Die russische rechte Szene ist in den letzten Jahren nicht nur rasant gewachsen, auch die Gewalttaten von Rechts haben massiv zugenommen. Allein in Moskau wurden fünf junge Antifaschisten in den letzten Jahren gezielt ermordet. Die repressive und autoritäre Grundstimmung im heutigen Russland wird abgerundet vom "starken Mann" Putin, der sich gerne als Vaterfigur darstellen lässt und von vielen Menschen auch als solche akzeptiert wird, egal ob in Funktion des Staatsoberhauptes oder nicht.

Im Sommer 2010 nahm die Repression gegen Anarchist_innen und Antifaschist_innen vor allem in der Region Moskau rasant zu. Seit 2007 gibt es Proteste einer Bürger_innen- Initiativen gegen den Bau einer Autobahn bei Chimki. Deren Aktivitäten wurden und werden mit enormer Brutalität unterbunden. So haben die Behörden im Chimki gemeinsam mit den Bauträgern mehr als einmal Gewalt gegen die Waldschützer_innen angewandt: Sie lehnten die Genehmigung von Protestaktionen ab, ließen ohne gesetzliche Grundlage Journalist_ innen festnehmen und misshandeln. Unbekannte haben den Chefredakteur der lokalen kritischen Zeitung, "Chimkinskaja Prawda" Michail Beketow, zum Krüppel geschlagen und den Layouter einer anderen Oppositionszeitung, Sergej Protazanow, ermordet. Ende Juli dieses Sommers bekam die Auseinandersetzung eine neue Qualität. Die Rodung des Waldes wurde begonnen und lokale Leute haben ein Camp im Wald errichtet. Daraufhin engagierte die Baufirma Neonazi-Schläger zur Auflösung der Proteste. Die Administration der Stadt Chimki hatte alle Verhandlungsversuche sabotiert. Daraufhin haben am 28. Juli etwa 300 bis 400 Menschen vor allem aus dem antifaschistischen und linken Spektrum eine Spontandemonstration in der Stadt Chimki durchgeführt, wobei einige Scheiben des lokalen Regierungsgebäudes zu Bruch gingen. Die Aktion erhielt in der Öffentlichkeit viel Zustimmung und Aufmerksamkeit. Das Problem kam dadurch in die Medien und wurde in ganz Russland bekannt. Es war nicht der erste Konflikt dieser Art, aber er schien durch die Spontanität und öffentliche Akzeptanz derart unbequem, dass mit voller Härte reagiert wurde. Die öffentlich auftretenden und engagierten Antifaschisten Aleksej Gaskarow und Maxim Solopow wurden am Tag nach den Vorfällen am Rathaus Chimki im Moskau verhaftet. Die Festnahmeprotokolle von Aleksej und Maxim wurden gefälscht, um vorzutäuschen, sie seien in Chimki festgenommen worden. In Folge der Festnahmen gab es zahlreiche Vorladungen, Hausdurchsuchungen und Verhöre anderer Aktivist_innen. Es gab andauernde Berichte von Misshandlungen auf Polizeistationen, ein Jugendlicher musste nach dem Verhör sogar ins Krankenhaus eingeliefert werden, die Ärzte diagnostizierten ein geschlossenes Schädel-Hirn-Trauma, eine Gehirnerschütterung, Prellungen und Hautabschürfungen im Gesicht. Dies ist kein Einzelfall, sondern der systematische Versuch, unbequeme Aktivist_ innen einzuschüchtern und soziale Bewegungen verschiedener systemkritischer Spielarten mit roher Gewalt zu begegenen. Am 31. Juli wurden in Kupawna (Moskauer Gebiet) über 50 Personen unrechtmäßig verhaftet und erkennungsdienstlich behandelt. Am 21. August sprengten Angehörige der Miliz und der Polizeisondereinheit OMON des Moskauer Gebiets ein Wohltätigkeitskonzert in Zhukowskij (Moskauer Gebiet) und nahmen ohne rechtliche Grundlage etwa 70 Personen fest, mindestens 10 davon wurden körperlich misshandelt. Es wurden regelrechte Hetzjagden auf antifaschistisch aktive Personen durchgeführt.

Nach zweieinhalb Monaten Haft ohne Grundlage sind Aleksej und Maxim zur Zeit bis zur Verhandlung im Frühjahr 2011 auf freiem Fuß. Ihnen drohen weiterhin bis zu 7 Jahren Haft wegen "Anstiftung von Massenhooliganismus". Im Rahmen der Aktionstage, die auf Initiative der Kampagne zur Freilassung der Geiseln von Chimki Ende September zustande kamen, fanden in 35 Städten in 12 verschiedenen Ländern Solidaritätsaktionen für die beiden statt. Aleksejs erste Reaktion nach der Freilassung lautete, er habe einen solchen Beschluss nicht erwartet, da er nicht an die Justiz glaube. Für den 12. bis 15. November sind erneut internationale Aktionstage gegen das Verfahren geplant.

Weiterführende Links:
a3yo: www.a3yo.noblogs.org
Zeitungsprojekt "Abolishing the borders from below": www.abb.hardcore.lt
Anarchist Black Cross Moskau: www.avtonom.org/en/anarchist-black-cross
Zum Fall Chimki: http://khimkibattle.org


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International

Zur Situation der Gefangenen in Griechenland

Anarchist Black Cross
www. abc-berlin.net

Seit dem Aufstand im Dezember 2008 versucht der griechische Repressionsapparat die erstarkten subversiven Bewegungen zu zerschlagen. In den letzten 2 Jahren geschah dies wieder vermehrt durch Verhaftungen unter dem Vorwurf der "Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation". Unter diesem Vorwurf wurden 2009 fünf junge GefährtInnen verhaftet, da sie Teil der seit 2008 aktiven Stadtguerilla-Gruppe "Verschwörung der feurigen Zellen" ("Conspiracy of the Cells of Fire") sein sollen. Drei von ihnen, Harilaos "Haris" Hatzimichelakis, Panayiotis "Takis" Masouras und Konstantina Karakatsani sitzen immer noch im Knast. Nicht nur die Polizei tat alles, um den Fall so spektakulär wie möglich zu gestalten, sondern auch die Medien, welche immer wieder von "sicheren Häusern" sprachen, die die GefährtInnen angeblich zur Planung diverser Anschläge und zur Aufbewahrung von Sprengstoff nutzten. Dies ist geplante Taktik. Denn schon 2007 quollen die Medien von schlecht geschriebenen Geschichten über. Damals wurde einer der von den Medien erfundenen "Robbers in Black" Yiannis Dimitrakis von der Polizei angeschossen und verhaftet, als er dabei war eine Bank zu überfallen. Polizei und Medien konstruierten das Bild eines "anarchistischen Terroristen" und dokumentierten dessen Aktivität im anarchistischen Spektrum. Yiannis muss wegen dem bewaffneten Überfall noch weitere 35 Jahre absitzen. Gegen 3 weitere Gefährten liegen Haftbefehle vor, wobei einer, gegen Simos Seisidis, im März diesen Jahres vollstreckt wurde. Bei der Festnahme wurde er von Polizeikugeln am Bein getroffen, wodurch ernsthafte Verletzungen entstanden und ihm schlussendlich das Bein amputiert werden musste. Er wird im Krankenhaus des Knastes Korydallos in Athen unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen gefangen gehalten. Aris Seirinidis, auch ein anarchistischer Gefährte aus Athen, wird vorgeworfen, 2009 auf ein Polizeifahrzeug geschossen zu haben. Er sitzt immer noch im Knast, ohne jegliche Beweise.
Ebenfalls angeklagt wegen bewaffneten Banküberfalls ist Christos Stratigopoulos und wegen Komplizenschaft der 73-jährige Alfredo Bonanno. Beide sitzen seit dem 1. Oktober 2009 in Athen im Gefängnis. Obwohl Christos die komplette Verantwortung für den Überfall übernommen hat, werden jegliche Anträge auf Freilassung Bonannos abgelehnt. Der Gesundheitszustand des 73-jährigen ist sehr schlecht, er hat einen Tumor im Schulterbereich, und ist unter anderem Diabetiker. Der Prozess gegen die beiden Anarchisten ist für den 22. November 2010 angesetzt. Es zeigt sich sehr deutlich, wie der griechische Staat Alfredo trotz seines Gesundheitszustandes versucht, zu schikanieren, er ist seit Jahrzehnten in der anarchistischen Bewegung aktiv und bekannt, durch Texte und andere Aktivitäten.
Wenn mensch sich z. B. das Strafmaß von Vangelis Chrysochoidis und Polykarpos Georgiadis ansieht, die für das Entführen eines Industriebosses im Jahr 2008 zu 22 Jahren verurteilt wurden, oder das von Ilias Nikolau, der wegen eines Brandanschlags auf eine Polizeistation in Thessaloniki im August 2008 7,5 Jahre bekam, so sieht die Zukunft für Bonanno und Stratigopoulos weniger rosig aus.
Bei all diesen Verhaftungen ist es wohl kaum zufällig, dass es sich immer um Menschen handelt, die an eine befreite Gesellschaft glauben und für diese auch kompromisslos kämpften und auch weiterhin hinter Gittern dafür kämpfen werden. Das dann "zufällig" Menschen wie Lambros Foundas von Polizisten erschossen werden, scheint unglaubwürdig. Polizeikugeln trafen ihn tödlich, als er am 10. März 2010 ein Auto knacken wollte. Er sei bewaffnet gewesen, so die Polizisten. Das nur einen Monat später 6 GefährtInnen festgenommen werden, denen Mitgliedschaft in der Stadtguerilla-Gruppe "Revolutionärer Kampf" (Revolutionary Struggle) vorgeworfen wird, kann auch hier wieder kein Zufall sein. Eine Gruppe, die jahrelang erfolgreich Staat und Kapital durch militante Aktionen sabotierte. Denn wie sich herausstellte, nahm Lambros Foundas ebenfalls an den Aktivitäten von "Revolutionärer Kampf" teil, wie 3 der Verhafteten, Panayiota "Pola" Roupa, Constantinos "Costas" Gournas und Nikolaos "Nikos" Maziotis in einem 16-seitigen Selbstbezichtigungsschreiben darlegten.
Am 17. September wurden wieder einmal drei GefährtInnen 150 km südlich von Athen festgenommen. Auch ihnen wird vorgeworfen, einen bewaffneten Banküberfall begangen zu haben, obwohl keinerlei Beute oder irgendeine Bewaffnung zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung vorlag. Einer der nun Gefangengehaltenen, Michalis Traikapis, gehörte zu den Thessaloniki 7, die während der Proteste um den EU-Gipfel 2003, festgenommen wurden. Anfang Oktober wurde ein 19jähriger Gefährte in Thessaloniki unter dem Vorwurf der Brandstiftung (zu der er sich bekannte) verhaftet, wobei noch 4 weitere Personen gesucht werden.
Die Liste solcher Fälle wird nicht kürzer, solange die Regierung und die Medien alles daran setzten, subversive Zusammenhänge zu kriminalisieren. Derzeit sitzen ca. 25 AnarchistInnen, neben unzähligen "sozialen" Gefangenen, in griechischen Knästen. Die Summe für ihre Unterstützung beläuft sich monatlich auf mehrere tausend Euro.
Es scheint eine Hexenjagd in Griechenland im Gange zu sein, in dessen Visier AnarchistInnen und Antiautoritäre geraten, wobei nicht vergessen werden darf, dass die repressiven Maßnahmen Auf alle Teile der kämpfenden Bevölkerung zielen.
Doch der Repression steht eine enorme Solidarität gegenüber. Sei es durch die Besetzung von Fernsehstudios wie auf Kreta, durch die Besetzung der Universitäten, durch Demonstrationen und durch Anschläge. Sei es durch den seit Sommer existierenden Gefangenen-Solidaritätsfond oder durch die Hungerstreiks in den griechischen Knästen. Letzterer veranlasste die griechische Justiz dazu, dass Nikos Maziotis sein neugeborenes Kind von Pola Roupa und ihm besuchen durfte.
Wie wir diesen Artikel schreiben, befinden sich Nikos Maziotis und Costas Gournas seit dem 13. Oktober wieder im Hungerstreik, denn Costas möchte in einen Knast verlegt werden, welcher näher zu seiner Familie liegt. (Costas hat wegen seiner erfolgreichen Verlegung inzwischen seinen HS beendet. Red.)
Gleichzeitig bekamen mehrere Athener GefährtInnen, Angehörige und FreundInnen der wegen Mitgliedschaft in "Revolutionärer Kampf" Eingesperrten, Briefe von der Staatsanwaltschaft, die sie "zu Gesprächen einladen" und zwar nach § b 187 A P.K., was dem Antiterrorparagraphen entspricht.

Das lässt glauben, dass der Staat nicht vor hat, den Druck gegen die Unbeugsamen abzubauen.

Aber die Leidenschaft für die Freiheit bleibt stärker als jede Zelle!


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Kurzmeldungen

Kurzmeldungen international

England: Bereits zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres wurden in England TierrechtsaktivistInnen zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Die Strafen, die gegen die AktivistInnen ausgesprochen wurden, reichen bis zu sechs Jahren Haft. Im Januar wurden bereits 7 AktivistInnen zu Strafen bis zu 11 Jahren Haft verurteilt. Der Vorwurf lautete auf "Verschwörung zur Erpressung", das dem §129a ähnelt. Die 6, die im Oktober vor Gericht standen, wurden zusätzlich mit einem Paragraphen verurteilt, der extra gegen TierrechtsaktivistInnen eingeführt worden ist.

Österreich: Vom 3. bis zum 5. Dezember 2010 findet in Wien das 9. Internationale Symposium gegen Isolation statt. Es werden zahlreiche internationale VertreterInnen über Isolation und Repression, sowie über aktuelle Entwicklungen in ihren Ländern berichten. Das Symposium soll die Solidarität mit den unterdrückten Völkern und mit ihren legitimen Kämpfen, sowie den Austausch von bereits vorhandenenen Strukturen im Bereich der alternativen Kunst, der Gewerkschaftsrechte, sowie der Kämpfe für Demokratie und Unabhängigkeit fördern. Weitere Infos unter: www.ipai-isolation.info.

Marokko/Westsahara: Am Morgen des 08. November 2010 räumten marokkanische "Sicherheitskräfte" gewaltsam das Protestcamp in der Wüste vor den Toren der Stadt El-Aaiún. Dabei starben nach sahrauischen Angaben 12 Menschen, Marokko spricht von zwei getöteten Polizisten und einem Feuerwehrmann. Mehrere Hundert Demonstranten wurden schwer verletzt. Das Camp wurde dem Erdboden gleichgemacht, die Zelte in Brand gesteckt. Seit ca. einem Monat hatten sich mehrere 10.000 Sahrauis in dem Camp versammelt, um gegen soziale Benachteiligung durch die marokkanischen Besatzer zu protestieren.

Schweden: In Schweden war der Iraker Hameed Al-Obaidi von der Abschiebung bedroht. Da Hameed sich solidarisch mit dem Widerstand gegen die Besatzer erklärt und der sogenannten irakischen Regierung ihre Legitimität abspricht, wäre sein Leben im Falle einer Abschiebung akut bedroht gewesen. Der Arbeitskreis Süd-Nord rief deswegen dazu auf, Protestnoten an die schwedischen Behörden gegen die Abschiebung von Hameed und für die Gewährung von Asyl in Schweden zu schreiben. (Kurz vor Redaktionsschluss erfuhren wir, dass sein Status nun gesichert sei.) (red.)


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International

Menschenrechtsaktivist in Oaxaca (Mexiko) von Regierung bedroht

Der Menschenrechtsaktivist Juan Manuel Martínez Moreno aus Oaxaca, Mexiko erhält seit 2006 Morddrohungen, wird überwacht, wurde mehrmals gefoltert und hat 16 Monate unschuldig im Gefängnis verbracht. Im Februar diesen Jahres wurde er schließlich aus Mangel an Beweisen frei gelassen. Die Repressionen und Drohungen gegen ihn, seine Familie und seine Genoss_innen halten jedoch an. Am 24. September wurde ihr Haus in Oaxaca Stadt aufgebrochen und durchwühlt. Die Familie fürchtet nun um ihr Leben. Bevor Juan Manuel Martínez Moreno am 16.10.2008 unter dem fadenscheinigen Vorwand, den Indymedia-Aktivist Brad Will ermordet zu haben, verhaftet wurde, war er der nationalen wie internationalen Öffentlichkeit vollständig unbekannt. Der verheiratete Familienvater aus Santa Lucia del Camino, einem der ärmeren Viertel von Oaxaca Stadt, hatte bis zu diesem Tag als Bäcker gearbeitet und sich in in seiner Nachbarschaft in sozialen Projekten engagiert. Als sich im Früjahr 2006 die Proteste der Lehrergewerkschaft SNTE (Sindicato Nacional de Trabajadores de la Educación - deutsch: nationale Gewerkschaft der Bildungsarbeitenden) zu einer Massenbewegung ausweiteten und zur Gründung der APPO (Asamblea Popular de los Pueblos de Oaxaca - deutsch: Volksversammlung der Völker Oaxacas) führten, beteiligte sich auch Juan Manuel an den Protesten für eine Demokratisierung Oaxacas. Aufgrund seines sozialen Engagements war Juan Manuel Martínez Moreno immer wieder Bedrohungen und Repressionen bis hin zu Entführung und Folter ausgesetzt.
Nachdem es der APPO im Sommer 2006 gelungen war, den Rückzug von Regierung und Polizei aus der Innenstadt Oaxacas zu bewirken und diese mit Barrikaden zu verriegeln um ihrer Forderung nach dem Rücktritt des oaxacenischen Gouverneurs Ulises Ruiz Nachdruck zu verleihen, trieb die Regierung des Bundesstaates die Gewalt auf die Spitze. Im Rahmen einer Serie politischer Morde wurde am 27. Oktober 2006 der US-amerikanische Indymedia-Aktivist Brad Will beim Filmen der Proteste in Santa Lucia erschossen. Auf seinem letzten Videoband sind die Mörder zu sehen, die von der Seite der Angreifer aus auf Will und weitere Journalisten in seiner Nähe schießen.
Im November werden gegen zwei der Männer auf dem Videoband Ermittlungen eingeleitet: Abel Santiago Zárate, Gemeindebeamter von Santa Lucia del Camino und Oswaldo Manuel Aguilar Coello, Polizist. Beide haben enge Verbindungen zur regierenden Partei der institutionalisierten Revolution (spanische Kurzform PRI). Die beiden werden am 2. November verhaftet, jedoch wenige Wochen später wieder freigelassen.
Der Fall wandert zu den Akten, wo er mit Sicherheit auch geblieben wäre, wäre die mexikanische Regierung im Sommer 2008 nicht von den Vereinigten Staaten unter Druck gesetzt worden, die Mörder Brad Wills zu überführen: Die USA knüpfte die Auszahlung von 1,6 Miliarden US-Dollar zur Unterstützung von Calderóns Krieg gegen die Drogenkartelle im Rahmen des Merida-Abkommens an die Bedingung ernsthafter Ermittlungen in diesem Fall. Aufgrund massiver internationaler und us-amerikanischer Proteste, die eine Aufklärung des Falls forderten konnte die us-amerikanische Regierung den Mord an Brad Will nicht ignorieren. Am 16.10.2008, 48 Stunden vor Ablauf des Ultimatums und drei Tage nach dem Besuch der us-amerikanischen Außenministerin Condoleezza Rice in Mexiko, wurde Juan Manuel Martínez Moreno verhaftet.
Da die tatsächlichen Mörder enge Verbindungen zur oaxacenischen Regierung aufweisen und vermutlich für mindestens siebzehn weitere politische Morde innerhalb des gleichen Jahres verantwortlich sind, von denen nach wie vor kein einziger aufgeklärt wurde, wurde auf diese Weise offensichtlich versucht, die Forderungen der Vereinigten Staaten zu einem politisch niedrigen Preis zu erfüllen. Dabei sollte gleichermaßen ein unliebsamer Zeitgenosse aus dem Weg geräumt werden, dessen Bedeutung jedoch nicht als ausreichend angesehen wurde, um internationalen Protest zu mobilisieren. Ein Irrtum: der Prozess gegen Juan Manuel der eröffnet wurde, nachdem dieser der tagelangen Folter standgehalten und die Unterzeichnung eines Geständnisses verweigert hatte, wurde nicht nur in Mexiko, sondern auch den USA und Europa von Vielen verfolgt und solidarisch begleitet.
Auch Familie und Freunde Brad Wills unterstützten von Anfang an die Verteidigung Juan Manuels, den sie niemals für den wahren Mörder gehalten hatte und forderte seriöse Ermittlungen. Dazu veranlassten sie auch die Erstellung eines forensischen Gutachtens aus welchem hervorgeht, dass Brad nicht, wie im Rahmen des Prozesses behauptet wurde, aus der Nähe erschossen worden war, sondern aus einer größeren Entfernung.
Trotz zahlreicher entlastender Tatsachen sowie des Umstandes, dass keiner der Belastungszeugung Juan Manuel tatsächlich gesehen hatte, sollte es 16 Monate dauern, bis dieser im Februar 2010 aus Mangel an Beweisen entlassen wurde. Seitdem besteht noch eine Anzeige wegen angeblichem Waffenbesitz fort. Auch haben die Drohungen, denen seine Familie und Genoss_innen bereits während seiner Haft ausgesetzt waren, mit seiner Freilassung nicht nachgelassen.
Seit längerer Zeit werden Haus und Telefon der Familie permanent überwacht. Die Familie musste deswegen bereits dreimal umziehen. Juan Manuel, seine Familie und Genoss_innen haben dennoch nicht aufgehört, das Vorgehen der oaxacenischen Regierung und ihrer Repressionsorgane zu denunzieren. Dies setzt die verantwortlichen Autoritäten besonders in den vergangenen Wochen im Kontext der Jahrestage der Verhaftung Juan Manuels sowie der Ermordung Brad Wills, dessen Mörder sich nach wie vor auf freiem Fuss befinden, unter Druck. Bereits im September diesen Jahres spitzten sich die Repressionen gegen Juan Manuel und seine Familie ständig zu. So wurde etwa das Haus, in dem die Familie gerade einmal seit 6 Monaten lebt, erneut von bewaffneten Personen überwacht. Außerdem erhielt die Familie Drohanrufe, die sich auch gegen das Leben der Kinder richteten. Diese neue Repressionswelle gipfelte nun darin, dass am 24. September in Abwesenheit der Familie in ihr Haus eingebrochen wurde. Entwendet wurden ausschließlich Dokumente und Beweismittel, die den Fall Juan Manuels sowie die soziale Bewegung in Oaxaca betreffen, die wenigen Wertgegenstände der Familie wurden nicht angerührt. Ziel des Einbruchs war neben der Entwendung von Beweismaterial - und zwar an erster Stelle - die Einschüchterung der Familie. Einmal mehr demonstriert der mexikanische Staat hier, dass ihm zur Zerschlagung der sozialen Bewegungen jedes Mittel recht ist. Die Familie fürchtet, dass die Repressionsorgane der noch amtierenden PRI-Regierung auch vor einem politischen Mord nicht zurückschrecken werden. Auch wenn sich verschiedene Menschenrechtsorganisationen vor Ort mit dem Fall befassen und die Familie auch heute noch begleiten, ist mit einem Nachlassen der physischen und psychischen Bedrohung der Familie kaum zu rechnen. Internationale Solidarität und Unterstützung ist jetzt unbedingt notwendig.
Konkret benötigt die Familie dringend finanzielle Unterstützung dabei, den Schutz ihres einfachen Steinhauses, etwa durch den Einbau solider Türen zu verbessern. Da ein erneuter Umzug nur sehr kurzfristig zu einer Verbesserung der Lage führen würde bis ihnen die Repressionsorgane der Regierung auch hierhin gefolgt sein würden, hat sich die Familie nun entschieden, in ihrem bisherigen zuhause zu bleiben.

Wer die Familie konkret unterstützen möchte kann sich an diese Emailadresse wenden: unidas_porlalibertad@live.com

Weitere Informationen:
www.comite25denoviembre.org


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International

Zu den jüngsten Knastkämpfen in Nordirland

AG Victory to the prisoners!, Oktober 2010

Diesen Sommer bildete der Knast von Maghaberry in Nordirland einen Fokus des irisch-republikanischen Widerstands.
Maghaberry liegt ausserhalb von Lisburn, Co. Antrim, auf einem alten Armeestützpunkt, und dient seit der Schliessung von Crumlin Rd. und Long Kesh als wichtigster Hochsicherheitsknast in Nordirland. Die Haftbedingungen sind hart. Besonders für republikanische (1) Gefangene, die wiederholt Angriffen der loyalistischen (2) Wärterorganisation Prison Officers' Association ausgesetzt sind.
Im Frühjahr 2010 verschärft sich die Situation im Sondertrakt "Roe House" infolge eines Bummelstreiks der Wärter. Im zweistöckigen "Roe House" sitzen gut 30 verurteilte und nichtverurteilte Republikaner zwischen 20+ und 60+ Jahren. Sie sind unabhängig oder gehören einer Guerilla an - etwa der "Real" IRA, der "Continuity" IRA (beides Abspaltungen der "Provisional" Irish Republican Army) oder der nicht mehr aktiven Irish National Liberation Army.
Am Ostersonntag wehren sie sich kollektiv und verbarrikadieren sich mehrere Tage in der Kantine, um gegen die Verschlechterung der Haftbedingungen zu protestieren.
Die Knastleitung reagiert umgehend mit Bestrafung. Weil die Gefangenen während des Protestes Osterlilien getragen haben (um an den Osteraufstand von 1916 zu erinnern), isoliert man sie fortan 23 Stunden pro Tag. Aus den Zellen verschwinden sämtliche persönlichen Gegenstände, Wasch- und Duschmöglichkeiten werden eingeschränkt, Besuche von Familien und Anwält/innen verhindert. Es gibt mehr Leibesvisitationen, ausserhalb der Zelle wird jeder Gefangene von mindestens drei Wärtern "begleitet". Mehrere Gefangene werden geschlagen.
Draussen formieren Angehörige zusammen mit unabhängigen Exgefangenen und Gruppen aus dem fortschrittlichen/linken Spektrum das Bündnis "Families, friends and ex-prisoners" (mit dabei Irish Republican Socialist Party, 32 County Sovereignty Movement, Éirígí, Republican Network for Unity). Mehrere gutbesuchte Demos in Maghaberry und Lurgan, Kundgebungen in Belfast und Derry, Soli- und Infoveranstaltungen werden organisiert. Daneben hält die traditionalistische Republican Sinn Féin separate Kundgebungen ab.
Erste Vermittlungsversuche des "Families ..."-Bündnisses werden von der Knastleitung selbst oder von den Wärtern verhindert. Mitte Juni beginnen die Gefangenen mit einem beschränkten Dreckprotest, da sich nichts bewegt. Sie fordern zwei grundlegende Dinge: 1. Schluss mit der "Begleitung" durch Wärter - Recht auf freie Zusammenkunft, 2. Schluss mit den erniedrigenden Leibesvisitationen.
Eine zweite Initiative zur Konfliktlösung kommt mit Hilfe der Amsterdamer Dialogue Advisory Group, dem Ráth Mór Centre und dem irischen Gewerkschaftsbund zustande, die zusammen eine neue Vermittlergruppe gebildet haben. Am 12. August erzielt sie eine Übereinkunft, welche die Forderungen der Gefangenen zu einem Gutteil erfüllt. Die Knastleitung sagt zu, in einem mehrstufigen Verfahren sowohl die Leibesvisitationen grösstenteils einzustellen, wie auch grundlegende Versammlungsrechte und eine gewisse Bewegungsfreiheit im Trakt zuzugestehen. Darauf beenden die Gefangenen ihren Protest.
Wie es aussieht, haben sich Knastleitung und Wärter bisher nicht an die Übereinkunft gehalten. Die Leibesvisitationen gehen individuell weiter, Versammlungsrechte werden nicht gewährt. Wer sich wehrt, bezieht Prügel - so vor kurzem Colin Duffy, der zudem sexuell angegriffen wurde. Man muss den Protest im Kontext der letzten Jahre betrachten. Das Karfreitagsabkommen von 1998, das am Ende des 30jährigen Konflikts in Nordirland stand, garantierte zwar die Freilassung der politischen Gefangenen. Allerdings kamen nur jene frei (und blieben frei), die sich den von der britischen Besatzungsmacht diktierten Bedingungen unterwarfen. Diesen Weg wählten grosse Teile der "Provisional" IRA und Sinn Féin, ihrem politischer Flügel.
Im Grunde formalisierte dieses Abkommen die Niederlage der republikanischen Bewegung. Dagegen wehren sich die sog. "dissidents" (3), von denen einige den bewaffneten Kampf fortsetzen. Der politische Dissens selbst ist nicht ohne Widersprüche. Nicht alle halten die Bedingungen für eine Weiterführung des bewaffneten Kampfes für gegeben. Aber alle halten die Entwicklung nach 1998 für gescheitert, wenn nicht für falsch.
Lange schwelende Konflikte zwischen der republikanischen Basis und ihrer versozialdemokratisierten Führung brachen um 2007 auf, als Sinn Féin die britische Polizei anerkannte und versprach, mit ihr zu kooperieren. Das brachte für viele das Fass endgültig zum überlaufen. Mobilisierungsfähigkeit und Aktivitäten "dissidenter" Gruppen nehmen seither stark zu. Das mag mit der Perspektivlosigkeit der von Sinn Féin vorgegebenen Richtung zu tun haben, die auf die Mitverwaltung der britischen Besatzung hinausläuft. Genauso wichtig ist, dass sich die Lebensbedingungen der irischen Unterklasse kaum verbessert haben, die konfessionelle Spaltung den Alltag immer noch beherrscht.
Die britische Regierung begegnet dem Erstarken des republikanischen Widerstands mit dem Ausbau des repressiven Apparats, was medial legitimiert wird durch das ständige Wiederholen von Bedrohungsszenarien einerseits und der Brandmarkung der "dissidents" als Kriminelle andererseits.
Die Armee ist mit Spezialeinheiten vor Ort. Ein Jahr nach dem offiellen Ende der Nordirlandoperation "Operation Banner" wurde 2008 die Aufklärungseinheit des Special Air Service (4) wieder stationiert - zunächst geheim. Vor kurzem ist eine weitere Einheit für Aufstandsbekämpfung in Derry gelandet. Der Inlandsgeheimdienst MI5 gibt jährlich 40 Mio. £ für Operationen in Nordirland aus. Und die Polizei hat laut eigener Statistik von April 2009 bis März 2010 über 28'000 Personen im Rahmen der Antiterrorgesetzgebung angehalten und gefilzt. Im Vergleich zum Vorjahr ist das eine Verdreifachung der Vorfälle.
Die Entwicklung in Maghaberry bleibt offen. In der Vergangenheit waren Knastkämpfe in Nordirland immer auch ein mobilisierendes Moment. Die Wärter, welche Collin Duffy misshandelt haben, wurden jedenfalls vorsorglich angewiesen, künftig Schusswesten zu tragen.

Anmerkungen

(1) republikanisch = für eine ganz Irland umfassende, sozialistische Republik kämpfende Militante.

(2) loyalistisch = loyal gegenüber der englischen Krone, faschistisch-protestantische Sektierer/ innen.

(3) dissident = eine andere Meinung vertreten, hier: gegen das Karfreitagsabkommen sein.

(4) SAS, eine für Killfahndungen berüchtigte Aufstandsbekämpfungseinheit. Für Informationen zu den Gefangenen in Maghaberry:
http://friendsofcolinduffy.com/maghaberryregime.aspx


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Kurzmeldungen

Kurzmeldungen international

Spanien: Ab dem 01. Dezember 2010 treten die Gefangenen der PCE(r), der GRAPO und der SRI (Spanien) in einen Tageshungerstreik. Jeden Dienstag und jeden Freitag werden die Gefangenen das Essen verweigern. "Das Ziel (...) ist (...), die Verbitterungs- und Vernichtungskampagne, die der faschistische und terroristische spanische Staat gegen das Kollektiv der politischen Gefangenen aus PCE(r) und GRAPO führt, anzuklagen." Weitere Forderungen sind: Die sofortige Freilassung aller erkrankten politischen Gefangenen sowie die Zusammenlegung aller Gefangenen der PCE(r) und GRAPO. (red.)

Peru: Ein peruanischer Richter hatte die Entlassung von Lori Berenson beantragt. Der Staatsanwalt hat gegen diese Entscheidung sofort Widerspruch eingelegt, was ihre Freilassung um einige Zeit noch verzögern wird. Die US-Amerikanerin Lori wurde 1995 wegen eines Interviews mit der MRTA (Revolutionäre Bewegung Túpac Amaru) verhaftet. In Folge dessen wurde sie zu 20 Jahren Haft verurteilt. Bereits im Mai dieses Jahres kam es zu einem ähnlichen Urteil, was aber in der Berufung seitens der Staatsanwaltschaft aufgehoben wurde. (red.)

Türkei: Am 30. Oktober wurden von der türkischen Anti-Terror-Polizei zahlreiche Razzien und Hausdurchsuchungen durchgeführt. Bei diesen Razzien wurden 11 AktivistInnen verhaftet, denen vorgeworfen wird Mitglieder der verbotenen DHKP-C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front) zu sein. Kaum eine Woche später wurden 18 Studenten der Youth Federation in Istanbul mit dem selben Vorwurf verhaftet. Bei einer politischen Aktion wurden weitere elf Mitglieder der Youth Federation zunächst vor laufender Fernsehkamera verprügelt und dann festgenommen. (red.)

Indien: Die Sicherheitskräfte haben am 22. Oktober Foren Sardar Singh, einen der meistgesuchtesten maoistischen Guerrileros, verhaftet. Ein Informant hatte den Beamten die den Aufenthaltsort von Sardar verraten. Ihm werden zahlreiche Delikte zur Last gelegt und er wurde seit einiger Zeit gesucht. In den folgenden Wochen kam es zu mindestens weiteren 6 Verhaftungen von maoistischen Guerilleros. Anfang November wurde Santosh Lohra, ein weiterer maoistischer Kommandant, festgenommen. Bei ihm wurden Waffen gefunden. (red.)


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Gefangene

Briefe aus den Knästen

Nurhan Erdem:
Auszüge aus einem Brief vom 10. Oktober 2010

So, die Frage zu meiner Gesundheit. Das Problem ist, das ich immer ein Mensch war oder bin, der nicht gerne über sein Befinden redet. Gesundheit ist natürlich wichtig, aber nicht alles. Man muss entscheiden, welchen Teil man in Vordergrund stellen will. Diese Entscheidung zu treffen, bedeutet, dass ein wichtiger Punkt in unserem Dasein vernachlässigt wird, aber §129b ist für mich bedeutsamer und wichtiger als meine Gesundheit.
Das ist der eine, der andere Punkt ist, wie ich oben betont habe, privater Natur, das einzig persönliche, was für mich übrig geblieben ist, worüber ich selbst entscheiden kann. Mein ganzes Leben wurde in dem Verfahren durchleuchtet. Als "Terrorverdächtige" habe ich keinerlei Rechte auf ein Privatleben, die Gesetze habe ich, wie du weißt, nicht auf meiner Seite, im Gegenteil - und schamlos wird dieser "Vorteil" vom Gegner ausgenutzt: vom Senat, der Bundesanwaltschaft usw.

Schreibt den Gefangenen!
Nurhan Erdem, JVA Köln, Rochusstr. 350,
50827 Köln


Faruk Ereren:
Zum GI-Berufungsverfahren vom 11. Oktober 2010

Liebe Genossinnen und Genossen,

all jene Menschen, deren Herzen für Demokratie und Gerechtigkeit schlagen, die Tatsache, dass die Repressions- und Zensurmassnahme gegen den presserechtlich Verantwortlichen für das Gefangenen Info, Wolfgang Lettow, als Nebenprodukt des unrechtmässigen und ungerechten Prozesses gegen meine Person zutage tritt, macht mich umso empfindlicher und wütender. Dieser betreffende, gegen meine Person geführte Prozess wurde mehrmals Schauplatz solcher Repressions-, Terror- und Rechtsbruchsvollstreckungen.
Beispielsweise sei genannt, dass Prozessbeobachter angegriffen und viele verletzt worden sind. Nuri Eryüksel wurde zu einer Beugehaft verurteilt und verhaftet, weil er für den Prozess völlig unrelevante Fragen unbeantwortet liess. Eines der Schreiben, das ich für meine Anwälte verfasst habe, wurde dem Senatsvorsitzenden weitergeleitet.
Wiederum wurden manche Dokumente, mit der Behauptung, es handle sich um Gesprächsprotokolle mit meinen Anwälten, als Beweismaterial in die Prozessakten aufgenommen.
Manche Zeitschriften und Schriften, die mir zugeschickt wurden, hat man zensiert/beschlagnahmt. Auch ein Schreiben, das den Prozess gegen Wolfgang Lettow thematisiert hatte, befindet sich unter diesen zensierten Schriftstücken.
All dies kann ausser mir auch von allen Prozessinteressierten /-beteiligten bezeugt werden. All dies sind Vorgehensweisen, die sich gegen jegliche demokratische Kriterien richten. Es sind Praktiken, die der Einschüchterung und Mundtotmachung von demokratischen, revolutionären und fortschrittlichen Menschen, die sich gegen Rechtlosigkeiten wehren und Ungerechtigkeiten Einhalt gebieten wollen, dienen sollen.
Aus diesem Grund ist es die Aufgabe von uns allen, zuallererst der Zensur- und Repressionspraktik gegen Wolfgang Lettow und alldem den Kampf anzusagen.
Im Bewusstsein dieser Aufgabe protestiere ich aufs schärfste gegen die Repressions- und Zensurpraktiken gegen Wolfgang Lettow. All jene, die mit ihm Schulter an Schulter gegen diese Repression und Ungerechtigkeit stehen, begrüsse ich aus ganzem Herzen.

In Liebe....

Faruk Ereren

Schreibt den Gefangenen!
Faruk Ereren, JVA Düsseldorf, Ulmenstr.95
40476 Düsseldorf


Tommy Tank:
Auszüge aus Briefen vom Monat Oktober

Das ist echt toll, dass die Leute fast alle ihre Hilfe anbieten. Das gibt auch Kraft und verhindert Vereinsamung und "unüberlegtes Handeln".
Draußen schon immer die (nüchternen) Sprüche Solidarität sei eine Waffe. Das spürt mensch, wenn er da drin steckt, erstmal so richtig. So kann Mann und Frau gut vorankommen. (...)
In jedem Fall hat mir die Veröffentlichung (einige Briefe von ihm) schon sehr geholfen, weil dadurch bundesweit Leute mit mir Kontakt aufnahmen. Schätzungsweise 5-10. Bei einigen denke ich, entwickelt sich auch ein längeres Verhältnis. Und ein paar nette solidarische Grüße z.B. aus Stuttgart und Berlin, z. T. ohne Absender, taten /tun mir sehr gut. Steigert das Wohlbefinden hier im Knast und nimmt Kraftverluste weg, wodurch mir eine Auseinandersetzung mit Politischen leichter fällt. Sorgenfreiheit ist da Grundvoraussetzung. (...)
Zum Freispruch für das Gefangenen Info: Ich bin sehr froh, informiert zu sein, wie das Landgericht in Berlin urteilte, denn Infos kommen hier in dem Knast nur sehr zögerlich.
Es ist auch ein Gewinn, dass die "Junge Welt" überhaupt berichtet. Soweit ich es mitbekommen habe, verweigerte sich diese Zeitung auch im Vorfeld, unmittelbar vor Prozessbeginn von dem Skandal zu berichten und die Mobilisierung zum Prozess überhaupt voranzutreiben. Schade.
Die 20 UnterstützerInnnen sind schon wichtig, vor allem dass sie vor dem Gericht Aufmerksamkeit erzeugten, aber es hätten auch mehr sein können.
Uns stehen nun mal nicht die enormen Mittel wie bei e.on, Vattenfall, EnBW usw. zur Verfügung, um "ganzseitige Appelle" in zahlreichen Zeitungen zu platzieren. Sollen die in ihren Geldern ersticken. (...)
Besonders erfreulich ist, das die Richterin des Landgerichts nun auch der Überzeugung ist, das die angeblich nicht gefallene Äußerung - Nuri könne sich in Beugehaft (blind) besinnen - doch oder so ähnlich aus dem Mund des Richters Klein gefallen ist.
Ein erfolgreicher Prozess, der auch noch einmal verdeutlicht, dass kritische und linke Publikationen einem staatlichen Unterdrückungsangriff ausgesetzt sind.

Nochmals meinen herzlichen Glückwunsch!


Günter Finneisen:
Auszug aus einem Brief vom 23. Oktober 2010

moin, moin...,

na das war dann ja mal wieder ein schöner glatter freispruch!! und wieder so ein lichtblick, der mal wieder lehrt, dass wer sich nicht wehrt, nicht nur verkehrt lebt, sondern er schon verloren hätte... und das in einem staate wo recht haben und recht kriegen nichts selbstverständliches ist, das sollte allen wieder neuen mut und energie geben.
ja, icke meine das so. und auch wenn ich ja nicht alles so überblicken kann, was sich da draußen so da tut, fand ich auch schon schön, dass wieder so mehr zusammenhalt auch untereinander da is. das kam eben nicht immer so rüber, und is ja auch nichts neues, dieser ewige streit der unterschiedlichen meinungen bei gleichen gegnern. kann ja ruhig auch sein, muss sogar, aber eben auch, dass da wieder so zusammenhalt is, wenn es darum geht, die sache es erfordert. und diesmal wars wohl auch so, das tut uns allen nur gut.

Schreibt den Gefangenen!
Günter Finneisen, Trift 14, 29221 Celle


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Gefangene

Gefangenenadressen

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JVA Wupperal
Simonshöfchen 26
42327 Wuppertal
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Cengiz Oban
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Ulmenstr.95
40476 Düsseldorf
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Faruk Ereren
JVA Düsseldorf
Ulmenstr.95
40476 Düsseldorf
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Hakan Eroglu
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Alt Moabit 12a
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Jose Fernandenz Delgado
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53359 Rheinbach
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Laurynas Mogila
Buch-Nr. 890/09-0
JVA Moabit
Alt-Moabit 12a
10559 Berlin

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Marco Camenisch
Postfach 3143
CH-8105 Regensdorf
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Nurhan Erdem
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50827 Köln
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Sadi Özpolat
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Stephanie Träger
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Sven Maurer
JVA Ebrach
Marktplatz 1
96157 Ebrach

Thomas Meyer-Falk
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Schönbornstraße 32
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Tommy Tank
JVA Leipzig
Leinestr. 111
04279 Leipzig
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Ünal Kaplan Düzyar
JVA Diez
Limburger Str. 122
65582 Diez
www.no129.info
www.political-prisoners.net

Werner Braeuner
JVA Sehnde
Schnedebruch 8
31319 Sehnde


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Solidarität ist hörbar ... Der Sampler

Auf 2 CDs mit über 140 min. Spieldauer, mehr als
35 MusikerInnen und Bands, mit z.T. exclusiven Titeln
aus fast allen Genres

Erhältlich ab November 2010 beim Literaturvertrieb
der Roten Hilfe, Jump Up, Fire & Flames, im gut
sortierten Buchhandel, dem Infoladen deines Vertrauens
und bei deiner Rote Hilfe Ortsgruppe.

literaturvertrieb@rote-hilfe.de
www.rote-hilfe.de


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Knast und Justiz - Das Info gegen Rebellion

jeden Freitag
von 19 bis 20 Uhr auf Radio - FSK -
FM 93,0 MHz / 101,4 MHz (im Kabel)
livestream: www.fsk-hh.org/livestream

E-Mail: knastundjustiz@fsk-hh.org
Telefon: 040 - 432 500 46
Postbox: Redaktion K&J c/o Schwarzmarkt
Kleiner Schäferkamp 46
20357 Hamburg


radio flora - hannovers webradio

"Wieviel sind hintern Gittern, die wir
draußen brauchen!"
Politische Gefangene -
Sendung zu Repression und Widerstand

Freundeskreis Lokal-Radio e.V.
Zur Bettfederfabrik 3, 30451 Hannover
Jeden ersten Dienstag im Monat von 18 bis
19 Uhr.

Zu empfangen per Livestream über:
www.radioflora.de


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IMPRESSUM

Gefangenen Info
Oktober/November 2010, Nr. 358

Das Gefangenen Info ist aus dem Angehörigen Info hervorgegangen, welches im Hungerstreik der politischen Gefangenen 1989 entstand.

HerausgeberInnen:
Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen und FreundInnen

V.i.S.d.P.:
Wolfgang Lettow c/o Stadtteilladen Lunte e.V.
Weisestraße 53, 12049 Berlin

Nichtredaktionelle Texte spiegeln nicht unbedingt die
Meinung der Redaktion wider. Beiträge der Redaktion
sind entsprechend gekennzeichnet.

Redaktionsanschrift:
Gefangenen Info, c/o Stadtteilladen Lunte e.V.
Weisestraße 53, 12049 Berlin
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E-Mail Vertrieb: vertrieb@gefangenen.info
Internet: www.gefangenen.info

Bestellungen: Einzelpreis: 2 Euro. Ein Jahresabonnement kostet 29,90 Euro (Förderabo 33,20 Euro), Buchläden, Infoläden und sonstige Weiterverkäufer erhalten bei Bestellungen ab 3 Stück 30% Rabatt. Bei Bestellungen erhalten Sie eine Rechnung, die anschließend auf das Konto des Gefangenen Info zu überweisen ist.

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Quelle:
Gefangenen Info Nr. 358, Oktober/November 2010
Redaktionsanschrift: Gefangenen Info, c/o Stadtteilladen Lunte e.V.
Weisestraße 53, 12049 Berlin
E-Mail: redaktion@gefangenen.info
Internet: www.gefangenen.info


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Dezember 2010