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GEFANGENEN INFO/088: Ausgabe 351, November/Dezember 2009


Gefangenen Info

Hervorgegangen aus dem Angehörigen Info. Das Angehörigen Info entstand im Hungerstreik der politischen Gefangenen 1989.

Nr. 351, November/Dezember 2009


Inhaltsverzeichnis

- Vorwort

Schwerpunkt

- Urteil im MG-Prozess in Berlin - eine erste Einschätzung
- Bericht zum TagX: Soliaktivitäten zur Urteilsverkündung
- Diffamierungskampagne - Engagement gegen staatliche Repression im Visier

Inland

- Briefe der §129b Gefangenen belegen das Kalkül
- Zur Verhaftung von Verena Becker (Teil 2)

International

- Brief des baskischen politischen Gefangenen Markel Ormazabal
- Repressionsschlag gegen Jugendliche der baskischen linken Unabhängigkeitsbewegung
- Zu den Festnahmen in Italien am 10. Juni 2009
- Prozessauftakt gegen österreichische Tierrechtler
- Zum Tod der Gefangenen Diana Blefari Melazzi
- Aus dem Gespräch mit der kolumbianischen Delegation Simon Trinidad: Kolumbianischer Gefangener in den USA
- Ahmad Sa'adat weiterhin in Isolationshaft
- Güler Zere freigekämpft

IRH/RHI Dossier (Teil 3)

- Kampagnen und Kooperationen der Internationalen Roten Hilfe

Gefangene / Briefe aus den Knäste

- Arbeitszwang und Arbeitsverweigerung von Thomas Meyer-Falk
- Brief von Cengiz Oban
- Brief von Devrim Güler
- Brief von Günter Finneisen

Feuilleton

- Buch und CD-Ankündigungen:
- Schneider: Tod in der Scheune
- Solisampler für Mumia
- Hubert: Krisenreaktion


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Vorwort

Liebe Leserinnen und Leser,

mit der 351. Ausgabe des Gefangenen Infos lassen wir das Jahr 2009 hinter uns und wenden uns langsam 2010 zu. Wir sind momentan mit der Auswertung unserer einjährigen Erfahrung als Redaktions- und Vertriebsstruktur befasst, wodurch wir in der Lage sein werden, entstandene Probleme zu erkennen, um diesen in Zukunft vorbeugen zu können. Alles weitere und nähere dazu erfahrt Ihr dann im kommenden Jahr.

Obwohl wir im Innenteil auf Seite 6 auf die Repression gegen Solistrukturen und das Gefangenen Info eingehen, möchten wir vorab mitteilen, dass Passagen des Textes zur Beugehaft gegen Nuri Eryüksel (Nr. 348, Seite 5) vor der Aushändigung an die §129-Gefangenen in NRW geschwärzt wurden. Cengiz Oban hat außerdem die Nr. 350 des Gefangenen Infos nicht erhalten, da diese angehalten wurde. Mehr dazu schildert er in seinem Brief auf Seite 16.

Als Schwerpunkt dieser Ausgabe haben wir uns für die Urteilsverkündung im MG-Prozess entschieden. Wir haben eine erste kurze Einschätzung des Prozesses verfasst und informieren dazu über den Aktionstag zur Urteilsverkündung und über die aktuellen Kriminalisierungsversuche des Verfassungsschutzes gegen das "Engagement gegen staatliche Repression" anhand der Diffamierung Inge Högers. Durch die Seiten dieser Ausgabe ziehen sich bei näherer Betrachtung der Kurzmeldungen vermehrt wieder staatliche Hinrichtungen wie Alaattin Karadag und Aydin Erdem in der Türkei, Jon Anza im Baskenland und der faschistische Mord an Iwan Chutorskoi in Russland. Neben solchen traurigen Meldungen haben wir uns auch etwas Platz aufgespart für die krebskranke Güler Zere, die nach einem langen Kampf am 6. November 2009 freigelassen wurde.

Einen weiteren inhaltlichen Schwerpunkt stellen die Artikel zum Baskenland dar. Neben dem Brief des baskischen politischen Gefangenen Markel Ormazabal haben wir eine Meldung zur jüngsten Repressionswelle untergebracht. Wir gedenken dieses Thema in den kommenden Ausgaben zu vertiefen und die internationalen Initiativen für die baskischen politischen Gefangenen in unserer Zeitung zu begleiten. Mit der aktuellen Ausgabe schließen wir mit dem dritten Beitrag zunächst das Dossier zur Internationalen Roten Hilfe (IRH) und bereiten uns für die Fortsetzung dieser Textserie vor, in der wir uns mit der im Jahr 2000 ins Leben gerufenen internationalen Initiative zu Gründung der Roten Hilfe International (RHI) tiefer näher werden. Wir möchten abschließend Mustafa Atalay, der am 13. November 2009 freigelassen wurde, alles Gute und viel Kraft wünschen. Wir hatten im Rahmen unserer Möglichkeiten die Initiativen zur Freilassung Mustafa Atalays unterstützt. Unseren Informationen zufolge kann er nun endlich die notwendige medizinische Behandlung aufnehmen, die ihm seitens des Staatsschutzsenates in Stuttgart-Stammheim vor und seit Prozessbeginn am 27. März 2008 verweigert worden war. Die Justizfarce selber dauert gegen Ahmet Düzgün Yüksel und Devrim Güler an.

Während wir nun ein weiteres Jahr hinter uns lassen wünschen wir allen, insbesondere den Gefangenen, viel Kraft und Ausdauer für das neue Jahr:
Drinnen und Draußen - EIN KAMPF!

Die Redaktion


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Schwerpunkt

Urteil im MG-Prozess in Berlin - eine erste Einschätzung

Der erste Show-Akt im Berliner MG-Verfahren ist über die Bühne gegangen. Eine Aufführung, die keinen Applaus verdient hat. Als der Vorhang am 16. Oktober 2009 gegen 14 Uhr fiel wurde das vorläufige amtliche Endergebnis durch den Strafsenat des Berliner Kammergerichts genannt: Versammlungsleiter Joseph Hoch erhob sich und verkündete mit leicht bebender Stimme Haftstrafen zwischen 3 und 3 ½ Jahren für die drei Angeklagten Axel, Florian und Oliver. Dieses Strafmaß gab es für die versuchte Brandstiftung an drei Bundeswehr-LKWs und vor allem für die vermeintliche Mitgliedschaft in der klandestinen Militanten Gruppe (MG) nach § 129, d.h. Mitgliedschaft in einer sog. kriminellen Vereinigung. Das Verfahren zog sich über ein Jahr hin, lange 63 Verhandlungstage waren zu absolvieren, die allen direkt oder indirekt Beteiligten vieles an Kraft und Zeit abverlangten. In diesem Sitzungsmarathon war es das nicht öffentlich erklärte, aber für alle interessierten ProzessbeobachterInnen offensichtliche Ziel, dass es am Prozessende auf Biegen und Brechen zu einer Verurteilung nach § 129 kommen muß. In diesem Pilotverfahren im "MG-Komplex" mußte der § 129 durchgebracht werden, um so einen Präzedenzfall schaffen zu können. Durch diesen dürfte es ein Leichtes sein, in potentiellen Folgeverfahren, die in den Kontext des "MG-Komplexes" gestellt werden, nach § 129 abzuurteilen, so dünn und brüchig die Indizien auch sein mögen.

Auch sonst hat das Verfahren einige Elemente ans Tageslicht gefördert, die zu einem "ordentlichen" Staatsschutzprozeß gehören. Die Fake-Beiträge zur Militanzdebatte, die in den Analysezimmern in Meckenheim beim BKA angefertigt und in der Berliner Szene-Zeitschrift "Interim" veröffentlicht wurden, oder die codierten und kostümierten BKA-BeamtInnen als sie in den Zeugenstand des hochgesicherten Sitzungssaals 700 hereingerufen wurden. Überflüssig zu erwähnen, dass die VerteidigerInnenrechte regelmäßig durch verfahrensrechtliche Tricks ausgehebelt, Akten nicht vollständig ausgehändigt und Entlastungszeugen nicht gehört wurden. Und auch sonst waren die Begleiterscheinungen typisch. Still und leise wurden mehrere frühere MG-Verfahren wegen offensichtlicher Unbegründetheit eingestellt. Jahrelang sind Dutzende Menschen in das Fadenkreuz der Ermittlungsbehörden geraten, ihr politisches und soziales Leben wurde ausgespäht und in die Datenbanken gegeben. Die staatlichen Behörden haben ein eng gestricktes Netz über "Verdächtige" geworfen, aus dem es kein Entrinnen mehr geben konnte.

Ein klassischer Fall von Klassenjustiz, der sich nur eine rissige rechtsstaatliche Fassade zu geben braucht, da die zivilgesellschaftliche Empörung weitgehend ausgeblieben ist. Wenn sie sich einmal zeigte, wurde sie prompt als "Unterstützung des gewalttätigen Linksextremismus" angefeindet, wie bei der Bundestagsabgeordneten Inge Höger, die der Fraktion der Partei "Die Linke" angehört und sich durch Prozeßbesuche und Presseerklärungen für die Rechte der Angeklagten eingesetzt hat.

Und jetzt? Ruhe ist eingekehrt. Man wartet auf die schriftliche Urteilsbegründung, um darauf den Revisionsantrag der Verteidigung aufbauen zu können. Ob es überhaupt zu einer Revision kommt, ist überaus fraglich. Es handelt sich vermutlich um keine zu sehr gewagte These, dass Axel, Florian und Oliver Mitte des kommenden Jahres ihren Termin zum Haftantritt erhalten werden.

Zu einer detaillierten Gesamteinschätzung dieses MG-Pilotprozesses ist es bis zum jetzigen Zeitpunkt noch zu früh. Interessant wird sein, wie sich der Begründungszusammenhang des mündlichen Urteilsspruchs in der schriftlichen Fassung zeigen wird und wie die AnwältInnen ihrerseits den Revisionsantrag formulieren. Einstweilen gilt es, das Material abzuwarten, das für eine wirkliche Verfahrensanalyse benötigt wird. D.h., wir werden in den nächsten Ausgaben des GI des öfteren auf den abgelaufenen MG-Prozess zu sprechen kommen.


Ein Nicht-Plädoyer vor Gericht und eine Verteidigung des Anti-Militarismus

Neben diesen eher ernüchternden Fakten, gibt es allerdings auch einige Aspekte, die positiv aus dem Verfahren zu ziehen sind. Da ist zum einen die Weigerung der AnwältInnen, vor dem Staatschutzsenat ein Plädoyer zu halten. Vor dem Hintergrund wie sich der Prozess von seiten des Strafsenats gestaltete, wäre es ein Hohn gewesen, sich an dieser Posse mit dem Einhalten der "prozessualen Standards" zu beteiligen. Ein mutiger Schritt, der begründet ist: "Das Schlußplädoyer der Verteidigung hat den Sinn und Zweck, das bisherige Prozeßgeschehen zusammenzufassen und die Schlußfolgerungen darzulegen, die sich für die Verteidigung daraus ergeben. Notwendige Voraussetzung dafür ist die Erwartung, dass das Gericht dazu bereit ist, diese Darlegungen und Argumente anzuhören, nachzuvollziehen und in seine Beratungen mit einzubeziehen", so die VerteidigerInnen in ihrer Erklärung. Weiter heißt es: "Angesicht des Verfahrensverlaufs können wir diese Erwartung in keiner Weise mehr aufrechterhalten." Nur konsequent ist die abschließende Formulierung der AnwältInnen: "Ein Einhalten formaler Spielregeln, die ihres Inhaltes entkleidet sind, macht für die Verteidigung jedoch keinen Sinn. Wir verzichten daher auf einen Schlußvortrag."

Positiv ist ebenfalls anzumerken, dass sich über das MG-Verfahren der Anti-Militarismus als politisches Betätigungsfeld öffentlichkeitswirksam transportieren ließ. Das Berliner Einstellungsbündnis hat in einer Erklärung zum Prozeßausgang dazu geschrieben: "Trotz Repression und Kriminalisierung hat antimilitaristischer Widerstand in Deutschland während dieses Prozesses mehr Aufmerksamkeit und Präsenz bekommen. Der Widerstand gegen den Krieg wird wieder deutlich entschlossener und geschlossener geführt, ohne dass friedliche Proteste und nicht gesetzeskonformer Widerstand gegeneinander ausgespielt werden konnten."

Dass die kriegführende Bundesregierung ihre Justiz dazu anhält, genau diesen vielfältigen antimilitaristischen Protest mit Hilfe "rechtlicher Mittel" abzustrafen, ist und war abzusehen. Unsere Solidarität wird unsere Antwort auf ihre Repression sein! (Red.)

Weitere Infos unter:
www.einstellung.so36.net


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Schwerpunkt

Bericht zum Tag X: Soli-Aktivitäten zur Urteilsverkündung im MG-Prozess

Im Rahmen des bundesweiten dezentralen Aktionstages fanden aus Solidarität mit Axel, Florian und Olli, die wegen einer versuchten Brandstiftung an Bundeswehrfahrzeugen als Mitglieder in der Militanten Gruppe (MG) zu Haftstrafen zwischen 3 und 3,5 Jahren verurteilt wurden, in vielen Städten Soli-Aktionen statt. Wir dokumentieren an dieser Stelle einen Überblick über die gelaufenen Aktionen und Aktivitäten:

Berlin: Vor dem Gericht in Berlin-Moabit versammelten sich ca. 50 Leute und machten eine Kundgebung. Die Polizei nahm ein Transparent mit der Aufschrift "Was in Deutschland brennt kann in Afghanistan keinen Schaden mehr anrichten" zum Anlass die Kundgebung zu stören und zwei Personen kurzzeitig festzunehmen. Im Gerichtssaal wurde währenddessen das Urteil verkündet. Wenig überraschend sah es das Gericht trotz vager Indizien als erwiesen an, dass die drei Angeklagten Mitglieder der MG gewesen seien. Als die Verurteilten aus dem Gericht kamen wurden sie lautstark begrüßt. Am Abend fand eine Demo mit etwa 800 Leuten statt, viele Leute liefen in Ketten und es wurden viele Parolen gerufen. Auf einem Hausdach wurde ein Transparent mit der Aufschrift "Feuer und Flamme der Repression" aufgehängt und Pyrotechnik gezündet. Eine Spontandemo bildete sich, die jedoch schnell einkesselt wurde und sich dann auflöste.
In der Nacht zum 17.10. wurden außerdem zwei Firmenwagen der Firma Imtech angezündet. Imtech stattet die Deutsche Marine mit klimatechnischen Systemen aus.
Hamburg: Zur Soli-Kundgebung versammelten sich am Abend 200 Menschen am S-Bahnhof Sternschanze. Nach den Redebeiträgen wurde eine Spontandemo angemeldet und ein Panzer aus Pappe in Brand gesetzt. Die Demo zog lautstark durch das Hamburger Schanzenviertel.
Stuttgart: Knapp 25 TeilnehmerInnen thematisierten auf einer Kundgebung und mit einem Infotisch das Urteil und informierten über die § 129b-Verfahren in Stuttgart-Stammheim und Düsseldorf.
In der Nähe vom Hauptbahnhof wurde außerdem ein Transparent mit der Aufschrift "Feuer und Flamme der Repression! Solidarität ist eine Waffe" aufgehängt.
Leipzig: 120 vermummten Personen demonstrierte im Leipziger Stadtteil Connewitz und zündeten bengalische Feuer. Ein Teil der Demo baute Barrikaden aus Autoreifen und Containern und steckte diese in Brand. Mehrere Gebäude wurden beschädigt, wobei die Auswahl der Ziele nicht sonderlich geglückt ist: u.a. traf es eine Apotheke, eine Einkaufspassage und eine Securityfirma. Die anrückende Polizei wurde mit Steinen angegriffen und 7 ihrer Fahrzeuge beschädigt. 6 Personen wurden festgenommen.
Düsseldorf: In den Abendstunden versammelten sich 50 Personen zu einer lauten lauten Spontandemo und zündeten währenddessen Bengalos und Rauchbomben. Es wurde eine kurze Rede verlesen. Die Polizei versuchte die Demo einzukesseln und nahm nach Auflösung 6 Personen kurzzeitig fest.
Erfurt: In der Nacht zum 17.10. wurden mehrere DHL-Paketstationen angegriffen und Postfahrzeuge zerstört.
Für die Bundeswehr übernimmt die Post-Tochter DHL logistische Aufgaben wie die Feldpost und den Transport von leichtem Kriegsmaterial unter 50 kg. Sie trägt zu einem funktionierenden Militärapparat bei und verdient nebenbei auch gut daran. Auf dem hinterlassenem Flugblatt wird festgestellt: "Kriminell ist das System und nicht der Widerstand - Freiheit für Axel, Florian und Oliver!"
Bremen: In Bremen machten etwa 100 Menschen eine Spontan-Demo. In der Nacht zum 16.10. wurden Einrichtungen der Post und der DHL in olivgrün angestrichen. In der Erklärung dazu heißt es: "Aus Anlass des bundesweiten Aktionstages zur Solidarität mit den Beschuldigten im Berliner MG-Prozess, die Kriegsfahrzeuge unbrauchbar machen wollten, haben wir das inkriminierte Thema - Widerstand gegen Krieg - aufgegriffen (...)".
Marburg: Aus Solidarität mit den Verurteilten des MG-Verfahrens demonstrierten am Abend 30 Personen spontan durch die Marburger Innenstadt.
Hannover: In Hannover wurden abends Flugblätter von den Etagen eines Einkaufzentrums abgeworfen, in denen über den Prozess informiert wurde. Außerdem wurden an zwei Brücken Soli-Transparente aufgehängt und in der Stadt Wandzeitungen plakatiert.
Frankfurt am Main: Rund 40 Menschen demonstrierten gegen die Urteile im MG-Prozess und gegen die willkürlichen Verhaftungen von AnarchosyndikalistInnen in Serbien. Sie verlasen vor dem serbischen Konsulat einen Redebeitrag und beendeten die Demo mit einer Kundgebung für Axel, Florian und Oliver.
Freiburg: Eine kleinere Gruppe versammelte sich am 17. Oktober aus Solidarität mit den Verurteilten. An einer Brücke wurde ein Soli-Transparent aufgehängt und eine Feuerwerksrakete abgeschossen.
Burg: Am 24. Oktober kam es in den Abendstunden in der Burger Innenstadt zu einer Spontandemo. In der Nacht wurde außerdem das Polizeirevier mit Farbbeuteln beworfen.
Zürich: In der Nacht auf den 20. Oktober wurde das deutsche Generalkonsulat in Zürich mit Farbe angegriffen. In der Erklärung zur Aktion heißt es: "(...) Unsere Solidarität gilt Florian, Axel und Oliver, Mumia Abu Jamal, sowie allen, die im Kampf für eine klassenlose Gesellschaft von der Repression betroffen sind. Freiheit für alle politischen Gefangenen! (...)" (Red.)


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Diffamierungskampagne - Engagement gegen staatliche Repression im Visier

"Linke Gewalt in Berlin" lautet der Titel einer "Studie" des Landesamtes für Verfassungsschutz in Berlin, die im November 2009 durch Innensenator Ehrhart Körting (SPD) und die VS-Landeschefin Claudia Schmid der Presse vorgestellt wurde. Hintergrund ist die seit Monaten heißlaufende mediale Berichterstattung über brennende Fahrzeuge, Ausschreitungen bei Demonstrationen und Attacken auf Polizisten und deren Einrichtungen.

Auf dieser Pressekonferenz wurde u.a. eine Kampagne gegen Personen losgetreten, die über ihre öffentliche Funktion gegen offensichtliche Verstöße rechtsstaatlicher Normen Stellung beziehen. Insbesondere hatten es die Vertreter der "Inneren Sicherheit" Berlins auf die Bundestagsabgeordnete Inge Höger (Die Linke) abgesehen. Diese wurde dafür gebrandmarkt, dass sie sich kritisch gegenüber dem Prozedere im Staatsschutzverfahren vor dem Berliner Kammergericht gegen vermeintliche Mitglieder der Militanten Gruppe (MG) per Presseerklärungen geäußert hat. Darüber hinaus setzt sich Inge Höger als Abrüstungspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke und Mitglied im Verteidigungsausschuss für friedenspolitische und antimilitaristische Initiativen ein.

Wie sich dieser Versuch, kritische Stimmen gegen den zunehmenden Sicherheitswahn und die Auswüchse staatlicher Repression mundtot zu machen, ausdrückt, läßt sich lehrbuchhaft an einem Auszug aus einem Tagesspiegel-Interview vom 10.11.09 unter dem Titel "VS-Chefin: 'Es ist verheerend, linke Gewalt zu rechtfertigen'" ablesen:

"Nun hat die Juso-Vorsitzende Franziska Drohsel an einer Demonstration für drei mutmaßliche Mitglieder der Militanten Gruppe alias MG teilgenommen, die das Kammergericht im Oktober wegen eines versuchten Brandanschlags und der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung verurteilt hatte.

Frau Drohsel hat wie jeder andere das Recht, auf eine Demonstration zu gehen. Doch grundsätzlich darf bezweifelt werden, ob es richtig ist, mit autonomen Gruppen gemeinsame Sache zu machen. Zumindest sollten Parteien und Organisationen links von der Mitte, die sich auf die Bündnis-Politik von Linksextremisten einlassen, eine strikte Abgrenzung zu Gewalt vertreten. Es ist verheerend, wenn Politiker das nicht tun oder sogar Gewalt rechtfertigen, wie das bei der Militanten Gruppe die Bundestagsabgeordnete der Linken, Inge Höger, getan hat." Das, was durch die VS-Chefin als "verheerend" bezeichnet wird, ist lediglich der Einsatz für ein anti-militaristisches Engagement, ein Engagement, das vor dem Hintergrund der eskalierenden Kriegführung der BRD vor einer weiteren staatlichen Kriminalisierung unsererseits als linke AktivistInnen zu schützen sein wird.


Dokumentiert:

Keine Denunziation von Engagement für Rechtsstaatlichkeit

Zu den Äußerungen der Berliner Verfassungsschutzchefin Claudia Schmid und des Berliner Innensenators Ehrhart Körting im Zusammenhang mit "linker Gewalt" erklärt die Bundestagsabgeordnete der LINKEN, Inge Höger:

"Ich frage mich ernsthaft welches Verhältnis der Innensenator und die Verfassungsschutzchefin Berlins zu den Bürgerrechten in unserem Land haben. In dem gesamten Vorgehen gegen vermeintliche Angehörige der militanten Gruppen wurden die Rechte der Betroffenen massiv missachtet. Anstatt nun zu prüfen, wie rechtsstaatlichen Spielregeln wieder stärker zur Geltung verholfen werden könnte, werde ich wegen meines Eintretens für einen fairen Prozess denunziert. Es war eine gute und wichtige Lehre aus dem Dritten Reich, die Arbeit von Polizei und Geheimdiensten zu trennen. Genau dieses Trennungsgebot wird jedoch zurzeit systematisch ausgehöhlt. Um davon abzulenken, wird nun so getan, als hätte ich zum Abbrennen von Fahrzeugen aufgerufen, was schlicht Quatsch ist. Derartige Denunziationen müssen aufhören.

Ich fordere die Verfassungsschutzchefin und Innensenator Körting auf, keine weiteren Lügen über mich in die Welt zu setzen. Wer Relativierung von Gewalttaten wirklich konsequent und ohne doppelte Standards thematisieren will, der sollte sich derzeit vor allem mit den Handlungen der Bundeswehr und den Äußerungen des Verteidigungsministers zu Gutenberg auseinandersetzen. Wer Gewalt ernsthaft ablehnt, kann die Bombardierung von Tanklastzügen und den daraus folgenden Tod von Zivilisten nicht gutheißen." (Red.)


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Kurzmeldungen:

Berlin: Der Buchladen Schwarze Risse wurde am 2. Oktober 2009 wieder durchsucht: LKA-Beamte suchten nach einem antimilitaristischen Flugblatt in dem (Zitat) "zu verschiedenen, auch schweren Straftaten zum Nachteil von Bundeswehrangehörigen, z.B. Körperverletzungshandlungen und Brandstiftungen aufgerufen" werde und beschlagnahmte 6 Exemplare. Dem Buchladen wird vorgeworfen, zur Verbreitung dieses seit Monaten bekannten Flugblatts beigetragen zu haben. (Red.)

Stuttgart: Am 6. Oktober 2009 wurde ein Stuttgarter Antifaschist in seiner Wohnung verhaftet und 3 Wochen in der JVA Stuttgart-Stammheim in U-Haft genommen, bis er am 29. Oktober gegen eine Kaution in Höhe von 3000,- wieder frei gelassen wurde. Ihm wird vorgeworfen, an einer Auseinandersetzung mit Nazis am 22. September in Stuttgart-Zuffenhausen beteiligt gewesen zu sein. Die Nazis belasteten ihn auf Basis vorgelegter Bilder bei der Polizei und deswegen wurde er in U-Haft genommen, obwohl mehrere Personen bezeugen können, dass er an diesem Abend trainieren war. (Red.)

Karlsruhe: Am 17. Dezember 2009 soll vor dem BGH über die Revision des Urteils im Fall Oury Jalloh verhandelt werden. Der Flüchtling Oury Jalloh aus Sierra Leone war am 7. Januar 2005 in einer Dessauer Polizeizelle lebendig verbrannt. Das Feuer soll er selbst verursacht haben, obwohl er an Händen und Füßen gefesselt war. Trotz offensichtlicher Falschaussagen der zwei angeklagten Polizisten und dem Verschwinden lassen entscheidender Beweise hatte das Landgericht Dessau die Polizisten frei gesprochen. (Red.)

Berlin: Der Antifaschist Tobias P. sitzt seit dem 18. November 2009 in der JVA-Moabit in U-Haft. Ihm wird vorgeworfen, in der Nacht zum 16. November in Berlin-Friedrichshain zwei Fahrzeuge in Brand gesetzt zu haben, Zivilpolizisten nahmen ihn einige Straßen entfernt fest. Kurz nach Tobias Festnahme wurden die Hausprojekte Liebigstr. 14 und Liebigstr. 34, in denen sein Wohnort vermutet wird, von einem Großaufgebot der Berliner Polizei durchsucht. Die Aktion verlief ergebnislos. (Red.)


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Inland

Briefe der §129b Gefangenen belegen das Kalkül

Die BRD verteidigt den Staatsterror des türkischen NATO-Partners und -Folterregimes mittels des Antiterrorparagraphen 129b.

Zu den Haftbedingungen der §129b Gefangenen Ahmet Düzgün Yüksel und Devrim Güler in Stuttgart-Stammheim, Faruk Ereren in Düsseldorf, Cengiz Oban in Bochum, Nurhan Erdem in Köln und Ahmet Istanbullu in Wuppertal haben wir mittlerweile kontinuierlich berichtet. Um die Entwicklungen bezüglich des staatlich verordneten Isolationsprogramms fortzusetzen, möchten wir aus Faruk Ererens Briefen zitieren:

"Deinen Äußerungen bezüglich der Isolation stimme ich zu. (red. Anmerkung: Es wurde von der Funktion gesprochen, dass die politische Identität des Isolierten gebrochen werden solle und dieses schon im Faschismus erprobt wurde) Es ist wie im Faschismus, nur die Wortwahl der gesetzlichen Begründungen wechselte. Im Faschismus hieß es 'Schutzhaft', heute heißt es 'Verdunkelungsgefahr'."

"Ich habe die Post von Deniz Akkaya, Behic Asci und Sandra Bakutz nicht erhalten. Die von mir abgeschickten Briefe an Ismail Kuru und Gonül Ereren sind beschlagnahmt worden."

"Ich habe den Mauerfall Nr. 21 für Juli/August 2009 erhalten. Aber mit Zensur! Auf der Seite 11 des Mauerfalls ist bei dem Bericht 'Blind in Beugehaft' ein Satz geschwärzt worden. Wer das gemacht bzw. angeordnet hat - ich weiß es nicht. Bis heute bekam ich keinerlei Beschluss oder gerichtlichen Bescheid über diese Maßnahme im Falle der Zensur des Mauerfalls. Aber es erreichte mich ein Zensurbescheid für einen ähnlichen Artikel im 'Gefangenen-Info'."

Das Gefangenen Info Nr. 350 für Cengiz Oban wurde angehalten. Er selber schreibt dazu:

"Das Gefangenen Info 350 ist ebenfalls angehalten worden. Als Grund wird der Brief von Nurhan angegeben. Sie würde Ahmet und mich zum Kampf gegen das Gericht auffordern. Ich kenne den Brief, denn das BGH hatte vor 2 Monaten keine Probleme damit, ihn an mich weiterzuleiten. Zur Kontrollinstanz beim OLG Düsseldorf gibt es natürlich viel zu sagen.

Dieses Vorgehen wird bestimmt nicht das letzte sein. Es ist die Fortsetzung der Kriminalisierungswelle gegen die Anti-Repressionsgruppen. Ob Richter Klein oder Richter Breidling, es macht keinen Unterschied."

Bezüglich der Besuchsverbote möchten wir aus einer Presseerklärung der Roten Hilfe Düsseldorf/Neuss zitieren. Das dort dokumentierte Verbot reiht sich ein in eine lange Liste von zuvor ausgesprochenen Verboten, die u.a. auch Familienmitglieder und Ehepartner der Gefangenen betrafen:

"Seit Monaten werden die Verhandlungen regelmäßig von Katrin W. beobachtet. Im August beantragte Katrin eine Erlaubnis Faruk E. im Gefängnis zu besuchen. Der Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, sie wäre durch ungebührliches Verhalten im Gerichtssaal aufgefallen. Am 27.5.09 riefen etliche Zuschauer u.a. Katrin beim Verlassen des Gerichtssaales nach der Verhandlung 'Freiheit für Faruk'. Neun von ihnen wurden daraufhin mehrere Stunden im Gerichtskeller festgehalten, wo es zu gewalttätigen Übergriffen durch Justiz- und Polizeibeamte kam. Anschließend wurde gegen die Besucher/innen ein Ordnungsgeld von 100 Euro verhängt. In dem Ablehnungsbeschluss für die Besuchserlaubnis unterstellt das Gericht, dass Katrin W., trotz Trennscheibe und optische und akustische Überwachung des Angeklagten, einen Besuch zur verdeckten Nachrichtenübermittlung nutzen könnte. Staatsanwalt Heise geht sogar so weit zu behaupten, dass sie 'uneingeschränkt mit dem Angeklagten und der ihm zur Last gelegten Tätigkeit für die DHKP-C sympathisiert'."

Faruk Ereren schreibt zu einem Angebot des Gerichts, ein Geständnis abzulegen:

"Ja, ich müsste frei sein, in Freiheit kommen... alles andere, jede andere Entscheidung wäre in der Konsequenz Unrecht, weil ich in die Rechtlosigkeit gelangen würde. Aber nicht nur das Urteil droht mir, es droht die Auslieferung. Am letzten Verhandlungstag machte der Senat ein Angebot: Wenn ich eingestehen würde, dass ich gelegentlich Schriften für die DHKP-C verfasst habe, würde das Urteil lauten: 3 Jahre neun Monate bis 4 Jahre sechs Monate. Ich habe abgelehnt. Jetzt plötzlich besteht Auslieferungsgefahr."

Es ist deutlich: Das Kalkül der BRD liegt hierbei darin, die Oppositionellen des türkischen Regimes auf Grundlage des §129b und der Isolationsfolter, der politischen Prozesse und der generellen politischen Verfolgung, die dieser Paragraph ermöglicht, auf eigenem Boden zu kriminalisieren und zu zerschlagen. (Red.)


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Zur Kriminalisierung des Gefangenen Infos

Wir hatten jetzt endlich Akteneinsicht. Die betreffende Passage in dem abgedruckten Artikel "Blind in Beugehaft" aus der Ausgabe 348, die dem "Gefangenen Info" die Anzeige einbrachte, lautet:

[...]

Anmerkung der Schattenblick-Redaktion: In der Originalausgabe des Gefangenen Info 351 wurde an dieser Stelle der beanstandete Satz aus dem Gefangenen Info 348 zitiert.
Weitere Informationen hierzu siehe unter:
www.schattenblick.de -> Infopool -> Bürger und Gesellschaft -> Fakten
MUMIA/345: Free Mumia - Rundbrief April 2010
(Berliner Bündnis Freiheit für Mumia Abu-Jamal!)

Nuri verbüßte insgesamt 17 Jahre in Deutschland und der Türkei in Haft wegen angeblicher Mitgliedschaft in der DHKP-C. Während seiner Knastzeit in der Türkei wurde Nuri regelmäßig gefoltert, infolge dessen er erblindete. Da Nuri die Aussage im Düsseldorfer Prozess gegen Faruk Ereren verweigerte, war er im Sommer 33 Tage in Beugehaft.

Die betreffenden Mitglieder des Staatsschutzsenats bestreiten jetzt schriftlich, dass der Richter Berthold Klein diese Aussage gemacht hat.

Auch die Herausgeberin der Onlinezeitung »scharf-links«, Edith Bartelmus-Scholich, erhielt einen Strafbefehl über 12000 Euro wegen der Veröffentlichung desselben Artikels. Edith hat dagegen Widerspruch eingelegt.(*) Vergegenwärtigen wir uns kurz, wie diese Schauprozesse in Stuttgart und Düsseldorf ablaufen: Linke anatolische Menschen werden in der BRD auf Grund von Folteraussagen aus der Türkei verhaftet und verurteilt. Diese 6 Gefangenen hier sind durchweg 23 Stunden allein in ihrer Zelle, Briefe "verschwinden", es hagelt Besuchsverbote, ProzessbeobachterInnen werden verprügelt und zu Geldstrafen verurteilt.

Alle diese Maßnahmen haben das Ziel, die Eingebunkerten lebendig im Knast zu begraben und die Menschen draußen einzuschüchtern. Faruk bezeichnet dieses "umfassende(s) Isolationsprogramm als "Weiße Folter" mit dem Ziel, uns zu zermürben." Das alles haben wir thematisiert. Die beiden Verfahren haben die Funktion, Menschen draußen einzuschüchtern und linke Medienöffentlichkeit mit hohen Geldstrafen zu belegen, zu kriminalisieren und sie schlussendlich mundtot zu machen.

Wir lassen uns nicht einschüchtern und berichten weiterhin!!!
Wir bedanken uns für die solidarische Unterstützung!!!!

Redaktion des Gefangenen Info

(*) Hinweis der Schattenblick-Redaktion: Das Verfahren gegen Edith Bartelmus-Scholich endete am 16.2.2010 mit einem Freispruch. Siehe dazu unter:
www.schattenblick.de -> Infopool -> Recht -> Fakten
MELDUNG/011: Verhandlung vor dem Amtsgericht Krefeld gegen 'scharf-links' endet mit Freispruch (scharf-links)


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Es folgt nun der zweite Teil des Beitrags zur Verhaftung von Verena Becker

Bei der Verhaftung von Verena Becker und Günter Sonnenberg wurde letzterer lebensgefährlich am Kopf verletzt. Er wurde dadurch in den geistigen Stand eines Kleinkindes zurückgeschossen. Unter Knastbedingungen musste er elementare Dinge wie Schreiben und Lesen wieder erlernen. Bedingt durch die Hirnverletzung litt er unter epileptischen Anfällen. Trotz seiner Verhandlungsunfähigkeit wurde er am 26. April 1978 zu "lebenslänglich" verurteilt und trotz seiner Haftunfähigkeit weitere 15 Jahre eingesperrt.

Der damalige Ankläger, Bundesanwalt Lampe, hatte sich für "Isolation bis zur Vergasung" ausgesprochen. Über 30 Jahre später gab er zu, dass aufgrund des Gesundheitszustandes von Günter damals nur 2 - 3 Stunden am Stück verhandelt werden konnte.

Verena Becker war seit Anfang der achtziger Jahre nicht mehr Mitglied des Kollektivs der Gefangenen aus der RAF. 1989 wurde sie dann von dem damaligen Bundespräsidenten von Weizsäcker begnadigt. Am 28. August dieses Jahres wurde sie wegen angeblicher Beteiligung an der Aktion gegen Buback erneut verhaftet.

Die Verhaftung wurde von den Medien geradezu herbeigeschrieben, womit sie ihrer Rolle als Fahndungs- und Polizeiblätter mal wieder gerecht wurden. Die Bild spürte Verena Becker auf und fotografierte sie samt ihrem Wohnort. Focus schrieb noch in der Woche vor ihrer Verhaftung: "Wann packt sie aus...? Aus Angst vor einer erneuten Verurteilung [könnte sie] ihr Wissen über den Buback-Mord preisgeben [...] schon damals galt sie als haftempfindlich".

Damit wird zugegeben, dass sie wahrscheinlich aufgrund der harten Haftbedingungen Anfang der achtziger Jahre das Gefangenenkollektiv verließ. Gleichzeitig werden mit Hilfe des Kronzeugen Book weitere Festnahmen gefordert, wie in Bild vom 1. September 2009: "Wird jetzt auch Stefan Wiesniewski verhaftet?" Präsentiert wird ein aktuelles Foto samt Film, der Stefan Wiesniewski beim Einkaufen zeigt, der ins Netz gestellt wurde. Es werden aber noch weitere Namen für Festnahmen präsentiert von ehemaligen Militanten aus der Guerilla, die alle 15 Jahre und länger hinter Gittern waren.

Obwohl sich die RAF 1998 aufgelöst hat, ist es Konsens bei vielen ehemaligen Gefangenen aus der RAF, nichts zu sagen, d. h. dazu zu schweigen, wer an Aktionen beteiligt war und wie. So fremd ist dieses Verhalten auch für die heutige Linke nicht, denn auch "Anna und Arthur halten das Maul" gegenüber Polizei und Justiz. In Stasi-Akten soll stehen, dass Verena Becker schon Anfang der siebziger Jahre mit westdeutschen Geheimdiensten zusammengearbeitet haben soll. Viele Medien stürzten sich auf diese Meldung, um zu unterstellen, dass die RAF von diversen Diensten unterwandert war. Was bedeuten würde, dass sie keine authentische Bewegung gewesen ist, sondern nur ein Spielball staatlicher Mächte. In diesem Sinne äußern sich jedenfalls Regina Igel und Markus Klöckner in der Jungen Welt oder Christoph Villinger in der Jungle World. In der Jungen Welt gibt es, neben vielen guten justizkritischen, aber leider häufig auch verschwörungstheoretische Artikel, die alles, was links von ihrer Linie ist, diffamieren. So wurde ein Artikel, der z.B. G. Feldbauers Hypothese hinsichtlich der geheimdienstlichen Unterwanderung der Roten Brigaden widersprach, nicht abgedruckt. Dabei handelt es sich um ein Interview von Maurizio Ferrai, der in den siebziger Jahren in den Roten Brigaden organisiert war, welches im Gefangenen Info Nr. 340 abgedruckt wurde. Neben Desinformation zu linken und militanten Bewegungen können solche Journalistinnen und Journalisten auch ganz gut von solchen Verschwörungstheorien leben.

Einige Linke fragen, warum nach 32 Jahren immer noch ein staatlicher Verurteilungswille besteht. Die Gazetten äußern sich so dazu, z.B. das Hamburger Abendblatt: "Nach 32 Jahren soll sie büßen" oder die FAZ: "Nicht erledigt". Die Frage ist nicht einfach zu beantworten. Die Klassenjustiz hat noch nach über 50 Jahren z.B. Erich Mielke wegen einer "Polizistenerschießung" festgenommen. Sie können die politische Dimension aus solchen Fällen herausfiltern, mit der Begründung, "Mord" verjähre nie. Verfolgung findet natürlich nur bei Aktionen gegen die bestehende Ordnung statt.

Die Angriffe der RAF stellten das staatliche Gewaltmonopol der Bourgeosie in Frage. Viele Menschen aus linken Zusammenhängen identifizierten sich mit der RAF, wie eine unveröffentlichte Umfrage aus dem Jahre 1972 zeigte. Nach (offiziellen) Meinungsumfragen erklärten fast 20 Prozent der Erwachsenen, sie würden strafrechtliche Verfolgung in Kauf nehmen, um einen aus der RAF für eine Nacht bei sich zu verstecken. 1973 ergab eine Schülerumfrage, dass 15 Prozent der Schüler sich mit den Aktionen der RAF identifizieren.

Selbst noch bei der Erschießung von Buback freuten sich viele Linke nicht nur klammheimlich, wie die Jungle World am 3. September 2009 berichtete: "In einem Jugendheim in der schwäbischen Provinz floss Freibier."

Einige Linke reduzieren die RAF auf militante Aktionen, was aber einfach nicht stimmt. Denn die RAF stellte für viele damals so etwas wie einen Weg zur Befreiung dar, was nicht heißt, dass alle ihre Mittel gebilligt wurden, aber durch ihre Konsequenz und ihren Mut verkörperten sie Aufrichtigkeit und damit Anziehungskraft. Oder wie es Christoph Villinger in dem schon erwähnten widersprüchlichen Artikel in der Jungle World beschreibt: "Im kollektiven Gedächtnis der BRD haftet dieser rebellische Moment der RAF bis heute. Wer kennt die Politiker von 1977? Fast alle Jugendlichen kennen Ulrike Meinhof, Andreas Baader und Gudrun Ensslin." Dies ist auch heute spürbar, wenn bedauert wird, dass es die RAF nicht mehr gibt. (Red.)


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Kurzmeldungen:

Aachen: Der politische Gefangene Gabriel Pombo Da Silva schrieb in seinem Brief vom 16. Oktober 2009, dass er einen Vorschlag für einen Hungerstreik vom 20.12.-1.1. unterbreite. Er schrieb: "Ich fühle mich von der Idee getrieben einen HS zusammen mit anderen GefährtInnen im Dezember zu koordinieren/machen. Wenn die GefährtInnen es gut finden, würde ich vorschlagen einen HS vom 20.12 bis zum 1.1. zu machen, ... dass in unserer Situation, ..., wir nur diese Form von Kampf haben, aufgrund der Zerstreuung der GefährtInnen in verschiedene Gefängnisse/ Staaten), weil diese Initiative eine "Geste" von Liebe und Widerstand beabsichtigt und nicht von Opferverhalten ist...." An dem Hungerstreik beteiligen sich neben Gabriel bisher die anarchistischen Gefangenen Marco Camenisch aus der Schweiz, Juan Carlos Rico Roriguez, Francisco Maya Rodriguez, Honorio Gomez Alfaro und Alberto Jimenez Alba aus Spanien und Diego Petrissans aus Argentinien. (Red.)

Frankfurt: Die im Rahmen der bundesweiten Bildungsproteste besetzten Räume des Casinos auf dem Campusgelände wurden am 2. Dezember 2009 von der Frankfurter Polizei unter Einsatz von Schlägen geräumt, mehrere Personen erlitten Platzwunden. Grund sollen "Sachbeschädigungen" wie Schriftzüge an den Wänden sein. Die Studierenden hatten ein einwöchiges Programm mit über 70 Workshops vorbereitet, die von StudentInnen, DozentInnen und politischen Gruppen organisiert wurden. Am Abend kam es zu einer Spontandemo, an der sich über 1000 Menschen beteiligten. Sie forderten unter anderem die Rücknahme der Anzeige und die Entlassung des für den Einsatz verantwortlichen Uni-Rektors. Auch in den folgenden Tagen war die Polizeipräsenz auf dem Campus massiv. Auch in Stuttgart kam es bei der Bildungsdemo am 21. November 2009 zu brutalen Übergriffen auf die friedlich gebliebene Demonstration. (Red.)

Burg: Da der Rechtsweg 2 Jahre dauern würde, befindet sich der Gefangene Stefan Milde seit dem 10. Oktober 2009 im Hungerstreik. Er fordert medizinische Versorgung, mehr Personal u.a. Er hat sich jeglichen Eingriff verbeten, " was bedeutet das ich dann verhungere" erklärte er. Auch erwartet er solidarischen Druck von außen! Für Postkarten und Briefe lautet die Adresse: Stefan Milde, Madel 100, 39288 Burg. (Red.)


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International

Brief des baskischen politischen Gefangenen Markel Ormazabal

In der gesamten Geschichte unseres Volkes, genauer während der letzten 500 Jahre, gab es keine Generation, die nicht den Schatten des Knasts kennengelernt hätte; ein langer Schatten, der sich auf jede/n BürgerIn unseres Landes ausdehnt.

Meine Generation, bekannt als "die Kinder der Demokratie", hat sich der Dunkelheit dieses Schattens nicht entziehen können. Seit ich denken kann, hatte ich immer FreundInnen oder GenossInnen mit irgendeinem Angehörigen hinter Gittern.

Es war im Jahr 1999, als ich das erste Mal ein Gefängnis von innen kennenlernte. Ich besuchte den Vater meiner damaligen Freundin im Knast von Alicante (1000 Kilometer von Zuhause entfernt). Ich war 16 Jahre alt und ihr Vater wurde kurze Zeit darauf, nach 18 langen Jahren Gefangenschaft, freigelassen. Ungefähr zwei Jahre später, in einer Oktobernacht 2000, fiel der Schatten auf mein Elternhaus. In den späten Nachtstunden kam die Polizei, um meinen Vater festzunehmen. Er wurde für 8 Monate eingesperrt und in dieser Zeit lernte ich die Madrider Gefängnisse Soto de Real und Navalcarnero kennen. Mein Vater kam im Mai 2001 aus dem Knast und es folgte ein 9 Jahre andauernder Gerichtsprozess, während dem zuerst eine Haftstrafe von 9 und später dann von 7 Jahren für ihn gefordert wurde. Dieses Jahr ist er plötzlich freigesprochen worden. Nicht mal einen Monat nach der Freilassung meines Vaters, drang die Polizei, nun die Ertzaintza, das zweite Mal in unser Haus ein. Der Haftbefehl war diesmal gegen mich gerichtet, genau einen Tag, nachdem ich 19 Jahre alt geworden war. Ich verbrachte einen Nachmittag in den Verließen der Audiencia Nacional und wurde gegen Kaution freigelassen, mit dem Verbot, den spanischen Staat zu verlassen und dem Zwang, mich einmal pro Woche auf dem Polizeirevier zu melden.

Es dauerte nicht lange, bis sie mich wieder festnahmen. Am 5. Februar 2002 drang die nationale Polizei zum dritten Mal in einem Jahr in unser Haus ein. Ich wurde mit 5 anderen Jugendlichen aus Donostia festgenommen und der Gründung einer "Gruppe X" von Kale Barroka ("Kale Barroka" bedeutet Straßenkampf. Die X-Gruppen sind eine Erfindung der spanischen Justiz und sie sollen angeblich den Straßenkampf unterstützen, Anm.) und der Mitgliedschaft bei Segi beschuldigt. Zufällig wurde in der gleichen Nacht die Jugendorganisation (Segi) für illegal erklärt. Der Polizeieinsatz war nichts anderes als eine Inszenierung mit dem Ziel, diese Nachricht aufzublasen. Während der drei Tage, die wir im Rahmen des "Anti-Terrorismus-Gesetzes" in Incomunicado-Haft in den Räumlichkeiten der Polizei verbrachten, zeigten wir Folter und Misshandlungen an. Ich wurde dem Richter sogar mit einem blauen linken Auge vorgeführt. Wir wiesen alle Beschuldigungen, die gegen uns erhoben worden waren, von uns, aber da wir vorbestraft waren, kamen ich und ein anderer Freund in Haft: 5 Tage im Gefängnistrakt für Neuzugänge von Soto de Real und dann direkt in den Jugendtrakt von Alcala Meco, denn wir beide waren noch 19 Jahre alt. Nach drei Wochen wurden wir - wieder gegen Kaution- entlassen und nach etwas mehr als einem Monat wurde der Fall aufgrund von Mangel an Beweisen zu den Akten gelegt.

Wie gesagt, ich kam Ende Februar aus dem Knast. Segi war illegalisiert worden, aber es hatte noch keine Polizeioperation gegeben. Das führte dazu, dass die Polizei am 5. März, zwei Wochen nachdem ich freigelassen worden war, zum vierten Mal anrückte, um mich festzunehmen. Doch diesmal war ich nicht zu Hause. In ganz Euskal Herria (Baskenland, Anm.) wurden 11 Jugendliche festgenommen und einige Wohnungen und Lokale durchsucht und ich wurde wieder der Audencia Nacional vorgeführt. Da ich gerade erst aus dem Gefängnis entlassen worden war, kam ich - zum ditten Mal! - auf Kaution frei und wurde diesmal noch strengeren Restriktionen unterworfen als zuvor.

Auf dieser Grundlage verurteilten sie mich und 33 andere GenossInnen im Jahr 2005. In dem Gerichtsprozess wurden zwei Verfahren zusammengefasst, das gegen Haika und das gegen Segi, zwei Jugendorganisationen, die vor den genannten Polizeiaktionen legal gewesen waren. Der Prozess in der Audiencia Nacional von Madrid dauerte drei Monate und die Anklage der Staatsanwaltschaft gegen uns lautete "Mitgliedschaft in einer bewaffneten Vereinigung in führender Position" (14 Jahre). Von der Asociaci ón de Victimas del Terrorismo (Verband der Opfer des Terrorismus, Anm.) wurden wir in einer separaten Anklage des "Genozids" beschuldigt (8 Jahre). Diese letzte Anschuldigung wurde aufgrund ihrer Haltlosigkeit vor Prozessende fallengelassen.

Unser Makroverfahren fand im Rahmen der Regierungsstrategie "alles ist ETA" statt. Nach vielen Jahren des Kampfes von Polizei und Militär gegen die bewaffnete Organisation, befand die erste Regierung unter Aznar diese Mittel als nicht ausreichend, um die Unabhängigkeitsbewegung zu zerschlagen. So wurde die Repression auf die MLNV (Movimiento de Liberación Nacional Vasco) ausgedehnt. In Euskal Herria existierte und exisiert ein starkes Netz sozialer Bewegungen, viele von ihnen mit demselben politischen Projekt der Unabhängigkeit und des Sozialismus. Der Staat hofft darauf, dieses Netz auszudehnen. Dafür bedient er sich der trügerischen Logik, dass du, wenn du dasselbe politische Konzept wie die bewaffnete Organisation verfolgst, automatisch dieser angehörst, auch wenn du nichts davon weißt.

Angefangen haben sie 1998 mit der Schließung der Zeitung und des Radios Egin und seitdem sind mehr als 10 Vereinigungen und Körperschaften verboten und ihre Mitglieder festgenommen und eingesperrt worden. Momentan zählen wir 200 Personen, die im Rahmen dieses Makroprozesses inhaftiert sind oder auf eine Verhandlung warten. Und so wurde Segi zur ersten "terroristischen" Organisation Europas, der weder Waffenbesitz noch konkrete Gewalttaten vorgeworfen wurden. In dem Prozess vor der Audienia Nacional wurden wir aufgrund von Mangel an Beweisen und der offensichlich absurden Inszenierung zu zwischen 2 und 3,5 Jahren Haft verurteilt und der "Kollaboration und Mitgliedschaft in einer verbotenen (nicht "terroristischen") Organisation" für schuldig befunden.

Die Staatsanwaltschaft wartete nicht lange darauf, Widerspruch einzulegen, und sie war es auch, die am Ende das Strafmaß auf 6 Jahre erhöhte und den Delikt als "terroristisch" einstufte. Damit war das politische Motiv des Prozesses klar: Unsere Verhandlung war die erste des Makroprozesses und unsere Verurteilung sollte die Rechtsprechung für die folgenden Prozesse festlegen.

Damit Ihr eine Vorstellung habt: Der Hauptbeweispunkt der Anklage basierte auf der Annahme, dass die Jugendorganisation der Leitlinie einer anderen Organisation, Ekin, folgen würde, der wiederum Leitung durch ETA unterstellt wurde. Und das alles, ohne dass Ekin zu diesem Zeitpunkt schon verurteilt worden wäre! Das Urteil des Gerichts wurde am 19. Januar 2007 gesprochen, während des Verhandlungsprozesses zwischen der bewaffneten Organisation und der Regierung. Einige wurden noch genau an diesem Tag festgenommen, aber 18 der Beschuldigten traten zwei Wochen später bei einer öffentlichen politischen Veranstaltung in Bilbo auf, mit der wir zum x-ten Mal zeigten, dass wir uns nicht verstecken und dass ihre Anschuldigungen völlig absurd sind und sie uns nur wegen unserer politischen und öffentlichen Aktivitäten inhaftieren.

Wir 18 wurden während der Aktion verhaftet und zum Quartier "Erandio" der Ertzaintza gefahren. In der Nacht brachten sie uns zum Gericht von Bilbo und von dort aus, je nach unserem Heimatort, zu den unterschiedlichen Gefängnissen der Comunidad Autó noma Vasca (Autonome Region Baskenland, Anm.). Ich wurde mit drei anderen Genossen ins Gefängnis von Martutene nach Donosti verlegt. Wir blieben nur kurze Zeit dort; nach weniger als einer Woche wurden alle 18 Gefangene auf unterschiedliche Gefängnisse des Staates verstreut. Meine 5-tägige Reise, während der ich ungefähr 10 unterschiedliche Knäste passieren musste, endete in Ocaa, mehr als 500 Kilometer von zu Hause entfernt. Übrigens, im Jahr 2009 ist die Zerstreuungspolitik 20 Jahre alt geworden. Eine Politik, die alle 15 Monate eine/n Angehörigen oder eine/n FreundIn der mehr als 750 politischen Gefangenen, die wir ein Kollektiv bilden, auf den Straßen zu den Knästen tötet (alle 15 Monate kommt ein/e Angehörige/r durch einen Verkehrsunfall auf dem oft langem Weg zum Gefängnis ums Leben, Anm.).

Bald habe ich drei Jahre im Gefängnis Ocaña hinter mir. Es gibt permanent Knastverlegungen der Gefangenen, und seitdem ich hier bin, habe ich schon einige Genossen kennengelernt. Momentan sind wir 10 baskische politische Gefangene, die ich euch mit Hilfe eines Fotos vorstellen werde.

Wir 10 sind als Gefangene ersten Grades ("gefährlich") eingestuft und gemeinsam mit einem arabischen Gefangenen, dem Terrorismus vorgeworfen wird, teilen wir den Isolationstrakt. 4 Stunden am Tag werden wir aus den Zellen gelassen, zwei morgens und zwei nachmittags; zwei weitere Stunden können wir in einen Sportraum gehen, was jedoch nur an Werktagen zugelassen wird. Den Rest des Tages verbringen wir eingeschlossen in den Zellen. Da wir isoliert sind, haben wir keinen Kontakt zu den anderen Gefangenen. Die Zelle ist ungefähr 11 Schritte lang und 4 breit; es gibt Bett, Klo, Tisch, Stuhl und ein paar Regalbretter. Da wir als Gefangene ersten Grades kategorisiert sind, haben wir kein Recht auf Knastaktivitäten, deshalb hatte ich auch keine Ausrede, nicht zu studieren, auch wenn ich es in einer Sprache tun muss, die nicht meine ist und auch wenn alles auf meine Rechnung geht. Es ist eine gute Möglichkeit, die Zeit zu nutzen. Obwohl wir von der Zeit im Singular sprechen, gibt es in Wirklichkeit viele Zeiten - jeder hat die seine. Genau drin besteht der Alltag des Gefangenen - die Zeit, die uns der Knast auferlegt, dominiert nicht die Zeit im Inneren eines jeden Einzelnen. Das Studieren ermöglicht es mir, dieses Gleichgewicht aufrecht zu erhalten. Schreiben, Lesen, Zeichnen... das Wenige, was wir tun können.

Wir sind alle F.I.E.S.-Gefangene (F.I.E.S. steht für "Fichero de Internos de Especial Seguimiento" und bedeutet "Kartei über Insassen mit Sonderbehandlung", Anm.), das heißt, jegliche Kommunikation nach draußen wird kontrolliert, egal ob sie schriftlich, telefonisch oder über die Besuche läuft. Alles wird aufgehoben, übersetzt und archiviert. Die Briefe auf Spanisch werden uns nach ungefähr einer Woche ausgehändigt, die Briefe auf Euskera (Baskisch, Anm.) hingegen meist erst nach einem Monat. Wir teilen den Trakt 10 "Kide"-s (Genossen).

Der Erste in der hinteren Reihe von links ist Iñaki Pujana, der nach 8 Jahren in französischen Gefängnissen dem spanischen Staat ausgeliefert wurde und nun insgesamt schon 22 Jahre inhaftiert ist. Er ist aus Otxandio (Araba), und vor Kurzem wurde ihm mitgeteilt, dass er nach der berühmten "Doktrin Parot" noch 8 Jahre eingesperrt bleibt, bis er also 30 Jahre abgesessen hat.

Koldo Hermosa aus Santurtzi (Biskaia), rechts von Iñaki Pujana, befindet sich seit 23 Jahren in Gefangenschaft und er ist derjenige, der sich von uns am längsten in Ocaña I befindet. Eigentlich müsste er schon längst entlassen worden sein, da er seine Strafe vor drei Jahren abgesessen hat. Neben ihm ist Iñaki Gaztañaga aus Arrasate (Gipuzkoa) abgebildet, er sitzt seit 21 Jahren und hätte nach 18 freigelassen werden müssen. Die nächsten beiden kommen aus Nafarroa. Der 63-jährige Patxi Urrutia ist immer noch in Untersuchungshaft und ihm wird vorgeworfen, Mitglied von Batasuna zu sein. Er kam wieder in den Knast, nachdem er an einer Pressekonferenz teilgenommen hatte, auf der die Ergebnisse des letzten Verhandlungprozesses (2005-2007, Anm.) bekannt gegeben wurden. Eine Pressekonferenz!

Der letzte in der hinteren Reihe, Xabier Goldaraz, sitzt schon mehr als 15 Jahre.

Der erste in der vorderen Reihe von links bin ich. Ich habe bald die Hälfte der Haftzeit rum und die ganzen Verlegungen und Wechsel berücksichtigend, bin ich von allen nach Iñaki Pujana am längsten in Ocaña I inhaftiert. Neben mir sitzt Balsero, den sie im Juli aufgrund eines Prozesses, im Verlauf dessen er zu 19 Jahren Haft verurteilt wurde, in das Madrider Gefängnis Valdemoro verlegt haben. Seitdem wissen wir wenig von ihm. Rechts von Balsero hockt Peru Aranburu aus Lekeitio (Bizkaia). In 7 Monaten hat er seine Strafe von 5 Jahren abgesessen. Der letzte ist Aratz Gomez, der im November 10 Jahre Knast hinter sich hat. Er kommt aus Azkaine (Zuberoa) - einer der drei Regionen des Baskenlandes unter französischer Regierung. Sie haben ihn dort festgenommen, als er 19 Jahre alt war - dieselbe Zeit, die er in Haft verbringen muss. Es gibt noch zwei andere Personen, die nicht auf dem Foto abgebildet sind. Alberto Lopez aus Barañain (Nafarroa) sitzt in Untersuchungshaft und Aritz Totorika aus Bilbao wird am 22. Oktober nach 5 Jahren Knast freigelassen. Er ist der erste Genosse, den ich die Mauern verlassen sehen werde!

Wir erleben einen politischen, sozialen und kulturellen Konflikt, dessen größter Ausdruck der bewaffnete Kampf ist. Die Regierungen versuchen, diesen Konflikt zu entschärfen; sie versuchen, ihn zu negieren. Aber es sind sie, die, durch das von den westlichen Staaten angewendete Konzept des Terrorismus zur Bezeichnung jeglichen bewaffneten Widerstands, den Krieg verschärft haben. Totaler Krieg! Dem Autor José María Pérez Bustero zufolge, tauchte diese Form der Kriegsführung das erste Mal im Jahr 1864 unter dem General Graut während des Amerikanischen Bürgerkriegs (1861-65) auf. Es genügte nicht mehr, siegreich aus Gefechten hervorzugehen, sondern die Zerstörung wurde auf Häuser, Landgüter und Straßen ausgeweitet. Seitdem ist der totale Krieg in jedem Kampf normal geworden. Dieser Krieg wird heute, wenn auch in geringeren Dimensionen, gegen die baskische Unabhägigkeitsbewegung geführt. Der Sieg ist nicht bloß in der Zerstörung von ETA zu finden, sondern man muss auch alle politischen, sozialen und kulturellen Strukturen derer vernichten, die sich auf feindlichem Territorium befinden.

Zunehmende und globale Illegalisierung, Festnahmen, Angriffe auf die Infrastruktur, auf solidarische Äußerungen - sogar auf die Erinnerungen!

Angehörige, die ihre Nichte nach der Entlassung aus der Haft in Empfang nehmen wollen, werden festgenommen und des "Terrorismus" beschuldigt. Auf Umarmungen reagieren sie mit Knüppeln und Gummigeschossen. NO TIME FOR LOVE hat eine Band aus den 80er Jahren gesungen. Sie verbieten Akte des Erinnerns, Fußballspiele und sogar Kartenspielturniere. Und das alles mit einem auf Propaganda spezialisierten Innenminister.

Worte werden zu blutigen Attentaten und zu reden, sich zu treffen oder eine andere Idee zu haben reicht aus, um in den Knast zu wandern. Viele von uns haben den Faustschlag des Terrorismus in den Badewannen der Polizeireviere zu spüren bekommen oder - mit Harold Pinters Worten - sie haben uns mit den Kilowattstunden an den Genitalien zu Terroristen gemacht. Aber was kann man von einem Staat erwarten, der seine positive Jahresbilanz auf Grundlage der Zahl der Verhaftungen in diesem Jahr aufstellt?

Sie sagen, dass sie "die Normalität" durchsetzten wollen, aber in den Dörfern und Städten Euskal Herrias merkt man davon nichts. Im Gegenteil, ein großer Teil der Menschen lebt in einem nicht deklarierten Ausnahmezustand und es ist kaum möglich, noch mehr politische Missstände unter dem Deckmantel der "Demokratie" zu verbergen.

Wie lässt sich unsere Situation erklären, wenn nicht mit Beispielen wie dem Verschwinden Jon Anzas oder der Entführung und stundenlangen Folter von 6 ehemaligen Gefangenen, die zur Kollaboration mit der Polizei gezwungen werden sollten? Oder mit der Tatsache, dass paramilitärische Gruppen und Falangisten Miglieder der Izquierda Abertzale (Patriotische Linke, Anm.) bedrohen und angreifen und außerdem Grabsteine der von ihnen selbst während des Bürgerkriegs Ermordeten zerstören? Und das alles hat sich innerhalb eines halben Jahres abgespielt!

Ach, ich könnte noch 100 Seiten mehr schreiben....

Auch wenn es nur ein kurzer Abriss war, hoffe ich, dass Ihr euch ein Bild (wenn auch in schwarz-weiß) von der Situation machen konntet, in der ich mich befinde!

Revolutionäre Grüße und eine Umarmung an alle politischen Gefangenen in Deutschland!

Oft versperren die vier Wände die Sicht auf das, was sich innerhalb von ihnen abspielt, aber wie Bolívar sagen würde:

"Wir sind wie die Sonne, unsere Strahlen dringen an jeden Ort der Erde!"

FREIHEIT FÜR EUSKAL HERRIA!

Ocaña, wo die Nacht vier Ecken hat,
20. September 2009
(Übersetzung und Anmerkungen: E.H.)


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Repressionsschlag gegen Jugendliche der linken baskischen Unabhängigkeitsbewegung

In den frühen Morgenstunden des 24. Novembers kam es in den zu Spanien gehörenden baskischen Provinzen Gipuzkoa, Bizkaia, Araba und Nafarroa zu 34 Festnahmen und 92 Hausdurchsuchungen durch 650 Einsatzkräfte der Polizei und der Guardia Civil. Die Polizeioperation war vom Ermittlungsrichter der Audiencia Nacional (Sondergericht für Terror- und Drogendelikte), Fernando Grande Marlaska, angeordnet worden.

Einer Erklärung des Innenministeriums zufolge, handelt es sich bei den Festgenommen um Führungspersonen der im Jahr 2001 illegalisierten Jugendorganisation SEGI, die von der spanischen Justiz der bewaffneten Organisation ETA zugerechnet wird. Innenminister Alfredo Pérez Rubalcaba erklärte sich mit diesem Schlag gegen die finanzielle und logistische Struktur von SEGI "sehr zufrieden" und äußerte, dass die Operation drei grundsätzliche Ziele verfolge: 1. Verhinderung des Wiederaufbaus der verbotenen Organisationen der ETA, 2. Zerschlagung des potenziellen Nachwuchses der ETA, 3. Kampf gegen die Straßengewalt, die innerhalb der Organisation ETA SEGI zukomme.

Alle 34 Verhafteten wurden nach Madrid überstellt und in Incomunicado-Haft genommen. Menschen, die dieser Art der Haft ausgeliefert sind, werden 5 Tage vollständig isoliert; AnwältInnen und ÄrztInnen eigenen Vertrauens haben keinen Zugang zu den Gefangenen, die Familien und FreundInnen werden nicht benachrichtigt. In dieser Situation absoluter Isolation kommt es häufig zu Folter und sexuellen Übergriffen. Trotz internationaler Kritik an der Incomunicado-Haft durch den UN-Ausschuss gegen Folter oder verschiedene Menschenrechtsorganisationen, ordnete Marlaska im Fall der 34 verhafteten Jugendlichen erneut Incomunicado-Haft an und lehnte Maßnahmen zur Prävention von Folter ab.

Scheinbar nicht ohne Grund: Die Festgenommenen, von denen mittlerweile 32 ins Gefängnis überführt und zwei auf Kaution frei gelassen wurden, haben nach der Incomunicado-Haft in Gesprächen mit ihren VertrauensanwältInnen Misshandlungen, Schläge, sexuelle Übergriffe und psychische Gewalt angezeigt.

Gegen diesen jüngsten Schlag der spanische Repressionspolitik gingen am Samstag nach den Verhaftungen 20.000 Menschen in Bilbo (Bilbao) auf die Straße. Das Motto der Demonstration "Ihr werdet uns nicht stoppen!" drückt dabei die viel geteilte Einschätzung aus, dass die Festnahmen der Jugendlichen als Antwort des spanischen Staates auf die neue Konfliktlösungsinitiative der linken baskischen Unabhängigkeitsbewegung zu verstehen ist. Die Initiative, die sich für eine friedliche und demokratische Lösung des politischen Konflikts einsetzt, wurde Ende November der baskischen und internationalen Öffentlichkeit präsentiert und grundsätzlich begrüßt, wodurch der Druck auf den spanischen und den französischen Staat wächst. (Red.)

http://www.info-baskenland.de/
http://baskinfo.blogspot.com/


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"Terrorist ist der, der verhungern lässt, bombardiert, verhaftet"

Repressionsschlag in Italien wegen "Rekonstruierung der Brigate Rosse". Zu den Festnahmen vom 10. Juni, 4 Gefangene weiterhin in U-Haft, Soli-Komitee gegründet

Im Vorfeld des diesjährigen G8-Gipfels bei Aquila wurden acht Kommunisten in Genua, Rom, Mailand, auf Sardinien und in anderen italienischen Städten festgenommen und gegen mehr als 40 Personen Ermittlungen eingeleitet. Neben dem Repressionsschlag gegen eine Gruppe Anarchisten, denen die Sabotage von Zugstrecken vorgeworfen wurde, ist dies die zweite spektakuläre "antiterroristische Aktion" des italienischen Staates im Sommer 2009. Vier der Festgenommenen vom 10. Juni sind inzwischen seit 6 Monaten in Untersuchungshaft in Siano (Catanzano) im Süden Italiens eingeknastet. In diesem Knast werden sie wie die Gefangenen der PC p-m (Kommunistische Partei politisch-militärisch) von den sozialen Gefangenen getrennt gefangen gehalten.

Die Gefangenen Gianfranco und Massimo aus Genua sind seit den 70er Jahren in der linksradikalen Szene in Italien aktiv. Gianfranco wurde als Mitglied der genuesischen Kolonne der Brigate Rosse 1981 zu 10 Jahren Knast verurteilt, weil bei einer Hausdurchsuchung bei ihm ein Waffendepot gefunden wurde, das der Brigate Rosse zugerechnet wurde. Massimo war in den 70er Jahren Sekretär in einem Bezirksbüro der PCI (Kommunistische Partei Italiens), aus der er später austrat. Ansonsten hatte er nur kleinere Vorstrafen wegen politischen Aktivitäten.

In den letzten Jahren organisierten Gianfranco und Massimo Proteste gegen die Kriegseinsätze Italiens, gegen faschistische Gruppierungen und den täglich mehr institutionalisierten Rassismus. Außerdem machten sie auf die zahlreichen tödlichen Arbeits"unfälle" auf Baustellen, Häfen und Fabriken aufmerksam und organisierten gemeinsam mit den Arbeiterinnen und Arbeitern Proteste (in Italien sterben täglich 3 ArbeiterInnen aufgrund miserabler Arbeitsbedingungen und fehlenden Schutzmaßnahmen).

Da die Festgenommenen vom 10. Juni in Untersuchungshaft sind, weit entfernt von ihren Familien und GenossInnen und sie sich bisher noch nicht zu den Vorwürfen geäußert haben, sind die vorliegenden Informationen noch vage. Fest steht, dass sie wegen dem Vorwurf, die Brigate Rosse rekonstruieren zu wollen, festgenommen wurden. Bei Massimo wurden in einer Gartenlaube auf seinem Grundstück zwei Maschinenpistolen, eine Handgranate und Texte/Diskussionspapiere zu bewaffneten Kämpfen gefunden. Außerdem soll er im Besitz einer Handykarte gewesen sein, die nicht registriert gewesen sein soll. Eine Handykarte gleichen Typs wurde bei Gianfranco gefunden. Sergio und Alessandro aus Rom und Sardinien wurden auch intensiv überwacht und abgehört, sie sollen auch an Diskussionen zu bewaffneten Kämpfen teilgenommen haben und mit "metaphorischer Sprache" codiert am Telefon kommunziert haben. Bei einem von ihnen wurde auch eine Handykarte des gleichen Typs gefunden. Die Beweise zur Rechtfertigung ihrer Untersuchungshaft sind mehr als fragwürdig. In lokalen Pressemeldungen wird versucht, ihre Ideen und Kämpfe zu delegitimieren und sie politisch und moralisch vorzuverurteilen.

Erste Soli-Aktivitäten wie Soli-Essen zur finanziellen Unterstützung der Gefangenen und für Reisekosten für Besuche wurden organisiert, ein Wandplakat in Genua, in einigen Städten der ligurischen Küste entlang bis nach Carrara in der Toskana verklebt. Ein Solidartiätskomitee kommunistischer und anarchistischer GenossInnen hat sich gegründet. Das Komitee will den Prozess begleiten, Gegeninformationen zum herrschenden Diskurs veröffentlichen, Briefe schreiben und Proteste organisieren. Sie wollen keinen Appell an die Jusitz richten, da sie sich von ihr als repressives und konterrevolutionäres Instrument keinen "fairen" Prozess erhoffen, in diesem Prozess vielmehr ein justizförmiges Mittel zur Durchsetzung politischer Interessen sehen und das Verfahren als politischen Prozess offensiv thematisieren wollen. (Red.)


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Prozessauftakt gegen österreichische Tierrechtler

Im Januar 2010 soll nun der Prozess gegen die 10 angeklagten TierrechtsaktivistInnen vor dem Landgericht in der Wiener Neustadt beginnen. Die Anklage nach § 278a (Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation) wird weiterhin aufrecht erhalten. Auch die Ladung 115 ZeugInnen der Anklage machen deutlich, dass dieses Verfahren groß aufgerollt werden soll und sich mehrere Monate hinziehen dürfte.

Im Mai 2008 wurden in Österreich 23 Wohnungen von AktivistInnen der Tierrechtszene und 6 Büros von Tierschutzorganisationen durchsucht. Vom Repressionsschlag wurde nahezu die gesamte Palette der in Österreich sehr aktiven Tierrechtsszene getroffen: sowohl bei reformistisch orientierten Personen und Vereinen als auch bei der militanten Szene zugerechneten AktivistInnen wurden Durchsuchungen durchgeführt. 10 AktivistInnen, die jetzt angeklagt sind, waren damals für 3½ Monate in U-Haft inhaftiert. Der Repression vorrausgegangen waren zahlreiche erfolgreiche Kampagnen der Tierrechtsszene: so konnten z.B. Pelzfarmen, Legebatterien und Tierversuchen an Menschenaffen öffentlich diskreditiert und ihr Verbot in Österreich durchgesetzt werden. Durch militante Aktionen von Direct Action Groups wie z.B. der ALF (Animal Liberation Front) wurden Mastbetriebe, Jagdeinrichtungen, Handelsketten (die Pelzmäntel vertrieben) sowie Pharmakonzerne angegriffen und damit auch wirtschaftlicher Schaden verursacht. Die 10 Angeklagten, die aus unterschiedlichen Sparten der Tierrechtsszene stammen und sich vor Festnahme teilweise nicht einmal untereinander kannten(!), werden in diesem Verfahren weniger konkrete Taten vorgeworfen, als ihre Zugehörigkeit zu einer sozialen Bewegung und die Ähnlichkeit ihrer angestrebten politischen Ziele festgestellt. Für eine Anklage nach § 278a "Bildung einer kriminellen Vereinigung" reicht der Vorwurf, dass die Angeklagten "Vermögen bedroht" und "erheblicher Einfluss auf Politik oder Wirtschaft" angestrebt haben sollen. Sie sollen Mitglieder der ALF sein, die in den USA auf den Terrorlisten geführt wird. (Red.)

Weitere Infos:
www.antirep2008.lnxnt.org


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Zum Tod der Gefangenen Diana Blefari Melazzi

In der Nacht auf den ersten November diesen Jahres hat sich Diana Blefari Melazzi in ihrer Zelle im Sicherheitstrakt des römischen Knastes Rebibbia erhängt.

Bei ihrer Verhaftung im Jahr 2003 erklärte sie sich den Roten Brigaden PCC zugehörig und wurde für die Ermordung des Regierungsberaters Marco Biagi am 19. März 2002 zu lebenslänglicher Haftstrafe verurteilt.

Sie und die anderen in diesem Verfahren verurteilten GenossInnen wurden in Hochsicherheitsgefängnissen inhaftiert und einer spezifischen Form der Isolationshaft ausgeliefert, die der sogenannte "Artikel 41-bis" regelt.

Diese Art des Strafvollzugs beinhaltet u.a. den Einschluss der Gefangenen in einen toten, also gänzlich abgeschotteten Trakt sowie eine totale Kontaktsperre. Telefonate mit den Angehörigen sind nur alle paar Monate möglich und unterliegen strengster Kontrolle und Überwachung.

Dies gilt auch für die Prozesse, die nur noch per Videoüberwachung stattfinden. Diana Blefari Melazzi haben diese Haftbedingungen seit Jahren psychisch schwer zugesetzt. Ihre Genossin Nadja Lioce zeigte sich hinsichtlich des Zustands von Diana schon vor Jahren besorgt und ihre Anwälte und Angehörigen führten einen erfolglosen Kampf um Hafterleichterungen.

Trotz des Wissens um die schwierige Lage der Gefangenen, haben die Staatsschutz- und Justizorgane den Druck auf Diana erhöht. Die kürzliche Verhaftung ihres Genossen und ehemaligen Lebenspartners, Massimo Papini, wurden von den bürgerlichen Medien aufgegriffen und als Beweis für die Kollaboration Dianas mit den Staatsschutzorganen verkauft.

Ihr Anwalt Francesco Romeo erklärte dazu in einem Pressegespräch am 3. November: "Diese Anschuldigungen sind eine weitere, obszöne Instrumentalisierung von Diana und ihres Gesundheitszustandes ... sie hat mit dieser Verhaftung nichts zu tun."

In Anlehnung an eine Parole aus der kommunistischen Bewegung Lateinamerikas:
Diana presente - Der Kampf geht weiter!
(Red.)


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Kurzmeldungen:

Baskenland: Spanische Polizeieinheit soll Jon Anza auf französischem Territorium verscharrt haben. Unter Berufung auf zuverlässige Quellen meldet die baskische Tageszeitung GARA am 2. Oktober 2009, dass der seit 6 Monaten verschwundene Militante der ETA von auf französischem Territorium operierenden spanischen Polizisten festgenommen wurde. Der Verschwundene starb während der illegalen Verhöre und wurde an einem unbekannten Ort verscharrt. Es ist davon auszugehen, dass eine neue Etappe von schmutzigem Krieg eingeläutet wurde. (Red.)

Marokko/Sahara: Die sahaurische Unabhängigkeitsaktivistin Aminatou Haidar, die am 13. November 2009 von Marokko auf die Kanarischen Inseln abgeschoben worden war und sich seit dem 16. November im Hungerstreik befindet, wird die Rückreise nach Marokko weiterhin verwehrt. Sie befand sich auf ihrer Rückreise aus den USA und wurde auf den Kanarischen Inseln festgehalten, weil sie auf ihrem Einreiseticket "sahaurisch" als Staatsangehörigkeit angegeben hatte. Sie könne erst wieder einreisen, wenn sie sich beim König Marokkos entschuldigt habe. (Red.)

USA: Die Menschen- und Bürgerrechtsanwältin Lynne Stewart wurde am 17. November 2009, nach der 2006 verhängten Strafe von 28 Monaten, inhaftiert. Sie habe eine Presseerklärung eines Mandanten aus einem Terrorismusprozess weitergegeben und damit die nationale Sicherheit in Gefahr gebracht. Die Jura-Professorin Marjorie Cohn dazu: "Die eindeutige Botschaft der 125-seitigen Begründung des Berufungsgerichts ist, dass sich AnwältInnen, die sich in der Post-9/11-Ära für ihre MandantInnen einsetzen, in Acht nehmen sollten." (Red.)

Argentinien: Zahlreiche Familien des Mapuche-Volkes wurden am 28. November 2009 gewaltsam aus ihren angestammten Gebieten in der Gemeinde Paicil Antriao (Südargentinien) vertrieben und ihre Häuser zerstört. Auf den Gebieten, in denen die große Gemeinschaft der Mapuche lebt, will der vermögende US-amerikanische Unternehmer William Henry Fischer ein riesiges Tourismuszentrum errichten. Die Verteibungen geschahen unter den Augen der Staatsanwaltschaft und den Zuständigen für die Sicherheit der Provinz. (Red.)


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International

Aus dem Gespräch mit der kolumbianischen Delegation
im Rahmen der internationalen Kampagne "Freedom for political prisoners in Colombia"

Der folgende Text ist aus einem Gespräch entstanden, dass die Redaktion mit den drei kolumbianischen Genossen Luis Alberto Vanegas (Menschenrechtsbeauftragter der Gewerkschaft CUT-Kolumbien), Ramiro Orjuda (Rechtsanwalt für politische Gefangene) und Martin Sandoval (ehemaliger politischer Gefangener) geführt hat, die im Rahmen der internationalen zweijährigen Kampagne "Freedom for political prisoners in Colombia" u.a. durch die BRD gereist sind:

Die internationale Kampagne wurde von einem Bündnis kolumbianischer Basisorganisationen und den aufständischen, kämpfenden Organisationen initiiert, die sich unter einem "humanitären Konsens" geeint für die Befreiung der Gefangenen und die internationale Anerkennung des Bürgerkrieges als sozialen Konflikt einsetzen. Sie wird von der Kommunistischen Partei Kolumbiens und der ARLAC (Organisation für Flüchtlinge aus Lateinamerika) getragen und soll hier in Europa die Propaganda der kolumbianischen und der US-Regierung hinsichtlich des Konflikts in dem lateinamerikanischen Land demaskieren. Die kolumbianische Regierung führt einen Krieg gegen ihre Bevölkerung. Mit zwei Millionen Binnenflüchtlingen ist Kolumbien weltweit der Staat mit der zweitgrößten Anzahl an Menschen, die im eigenen Land vertrieben wurden. Dennoch wird international nicht von einem Bürgerkrieg, sondern von einem Krieg gegen die sogenannte "Drogen-Guerilla", die FARC, gesprochen.

Wer hinter den Mantel der Propaganda schaut, findet schnell heraus, dass die FARC eine 42 Jahre alte, große Volksarmee mit politischen Forderungen ist, die eine starke Verankerung in der Bevölkerung genießt.

Die drei Genossen waren gekommen, um uns zu berichten, wie ein großer Teil der Gesellschaft unter dem Bürgerkrieg leidet, den die kolumbianische Regierung - nach wie vor auch mit paramilitärischen Einheiten - gegen die FARC führt. Sie betonten dabei, dass es sich beim kolumbianischen Konflikt um einen sozialen handelt: Es ist insbesondere die Bevölkerung, die von den "Ordnungskräften" terrorisiert wird, um der Guerrilla ihre Basis zu nehmen.

Jährlich werden von den Regierungstruppen und ihren paramilitärischen Einheiten 15 000 politische Morde gegen die kolumbianische Bevölkerung verübt, die oft mit Verschleppung und Folter einhergehen.

Letztere hat in Kolumbien unbeschreibliche Formen angenommen. Es kommt vor, dass die Opfer mit Motorsägen verstümmelt, ihnen die Finger abgehackt und die Augen ausgerissen werden. Fast immer handelt es sich bei den Gefolterten um einfache LandarbeiterInnen, denn für die Soldaten ist jede/-r arme Campesino/-a entweder ein/-e Guerillero/-a oder ein/-e potentielle/-r UnterstützerIn der Guerrilla.

Eine weitere Waffe des Staats-Terrors gegen die Bevölkerung ist das Gefängnis. Von derzeit 7500 politischen Gefangenen in kolumbianischen Gefängnissen sind nur ca. 1500 Guerilla-KämpferInnen. Die restlichen 6000 setzten sich aus ZivilistInnen zusammen, die häufig dennoch zu Guerilleros/-as erklärt wurden. Davon sind ca. 80 % einfache Bauern und Bäuerinnen aus dem Landesinnern; der Rest ArbeiterInnen, GewerkschaftsaktivistInnen, VertreterInnen der indigenen Stämme, Intellektuelle, RechtsanwältInnen und StudentInnen.

Die ZivilistInnen werden mit konstruierten Vorwürfen der Mitgliedschaft in der Guerrilla angeklagt und für den "Delito de Rebelión" (Vergehen des Aufstandes) verurteilt, was im schlimmsten Fall 40 Jahre Haft bedeutet. Bevor es zu diesen Prozessen kommt, vergehen jedoch zwei bis sechs, zum Teil sogar bis zu elf Jahre; das heißt, viele politische Gefangene befinden sich eigentlich in Untersuchungshaft. Für die Anklage-Konstrukte bedient sich der kolumbianische Staat zum Einen seiner 1. 200.000 bezahlten InformantInnen, zum Anderen werden Verurteilungen z.T. auf Basis falscher Geständnisse getroffen, die Gefangenen durch Folter oder das Angebot der Strafminderung abgerungen werden.

Die Bedingungen in den kolumbianischen Gefängnissen sind im Allgemeinen schlecht. Häufig überleben die Gefangenen die Haft wegen schlechter Ernährung und mangelnder medizinischer Versorgung nicht.

Zudem wird auch in den Knästen Folter angewandt, um von den Insassen Geständnisse zu erzwingen.

In dieser Situation sehen viele Gefangene den letzten Ausweg im Selbstmord. Aufgrund dieser Zustände wirft die Interamerikanische Menschenrechtskommission dem kolumbianischen Staat menschenverachtende und grausame Verhältnisse in den Gefängnissen vor.

Viele der ZivilistInnen unter den politischen Gefangenen wurden bei Massenfestnahmen verhaftet. So auch Martin Sandoval, der uns von dieser Taktik der Repression berichtete: Er wurde am 4. November 2008 in Araucita verhaftet. Das gesamte Dorf wurde vom Militär umstellt. Dann wurden er und 14 andere verhaftet und von bezahlten Informanten als Guerilleros denunziert. Dieser Fall ist beispielhaft für die 6000 Zivilisten, die als politische Gefangene im Gefängnis sitzen. Martin Sandoval ist am 13. Mai 2009 durch internationalen Druck frei gekommen; er unterstreicht deshalb die essentielle Bedeutung der Rundreise, um den kolumbianischen Staat und dessen terroristisches Handeln gegen die Bevölkerung anzuklagen und dadurch den internationalen Druck auf diesen Staat zu erhöhen.

Die Anwälte der politischen Gefangenen werden stark überwacht: die Telefone, die Post, die Wohnungen und Büros, selbst ihre Familien und Kinder. Wenn ihnen keine Konstrukte aufgezwungen werden können, kann es passieren, dass sie nach inoffiziellen Verhaftungen verschwinden und zu Tode gefoltert werden.

Wer in Kolumbien den Mut hat, politische Gefangene zu verteidigen, steht früher oder später vor der Entscheidung zwischen Tod, Gefängnis oder Exil. (Red.)


Simón Trinidad: Kolumbianischer Gefangener in den USA

Im Rahmen der internationalen Kampagne "Freedom for political prisoners in Colombia" berichtetete uns der kolumbianische Anwalt Ramiro Orjuda vom Fall Simón Trinidads:

Simón Trinidad (Simón Trinidad ist ein Nom de Guerre, sein ziviler Name lautet Ricardo Palmera) wurde, wie andere Guerillakämpfer auch, am 31. Dezember 2004 von der kolumbianischen an die US-Regierung ausgeliefert. Diese verurteilte ihn im Winter 2008 für die Beteiligung an der Entführung von drei US-Bürgern zu 60 Jahren Haft in amerikanischen Hochsicherheitsgefängnissen.

Diese Auslieferung verstößt gegen die kolumbianische Verfassung, der zufolge er in Kolumbien verurteilt und inhaftiert werden müsste. Simón ist jetzt 57 Jahre alt, das heißt, er wird bis zu seinem Tod im Gefängnis bleiben. Dieser Umstand stellt einen weiteren Verstoß gegen internationales Recht dar, weil er zu lebenslanger Haft in einem fremden Land verurteilt wurde.

In seinem Gerichtsprozess sagten 35 Zeugen gegen Simón aus; er selbst war der einzige Zeuge, der zu seiner Verteidigung zugelassen wurde. Seinen kolumbianischen Anwälten wurde die Einreise verweigert, ebenso wie seinen Angehörigen. Bisher durfte ihn nur seine 90-jährige Mutter besuchen.

Simón Trinidad befindet sich in Isolationshaft, er erhält keine Post, Zeitungen oder Bücher und hat weder Fernseher noch Radio.

In dieser Situation befinden sich noch zwei weitere Guerillakämpfer: Sonia (Anayibe Rogan) und Ivan Vargas (Luis Mendieto). (Red.)


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Ahmad Sa'adat weiterhin in Isolationshaft

Die Kampagne für die Freiheit von Ahmad Sa'adat informierte am 22. Oktober 2009, dass die Isolationshaft gegen Ahmad Sa'adat, Generalsekretär der PFLP (Volksfront zur Befreiung Palästinas), durch den israelischen Militärgerichtshof in Bir Saba um 6 Monate verlängert worden sei.

Ahmad Sa'adat, der sich bereits seit 6 Monaten in der Isolationshaft einer Spezialabteilung des Ramon Gefängnisses befindet, habe keinerlei Kontakt zu anderen Gefangenen. Laut Angaben seien seine persönlichen Bücher konfisziert worden und ihm würden der Zugang zu Fernseher, Zeitungen und anderen Informationsquellen verwehrt.

Zudem würden Sa'adat Familienbesuche - wie z.B. der Besuch seiner Ehefrau Abla, die ihn seit 3 Monaten nicht besuchen konnte - und zugelassene Besuche untersagt. In diesen Verbotsmaßnahmen seien auch Einkäufe in der Gefängniskantine und der Kauf von Zigaretten inbegriffen. Seinen einstündigen Hofgang könne Sa' adat nur mit Hand- und Fußschellen durchführen.

Die Kampagne für die Freiheit von Ahmad Sa'adat, die in ihren Erklärungen auch an die rund 10.000 palästinensischen politischen Gefangenen erinnert, ruft in ihrer Erklärung vom 22. Oktober dazu auf, mit Protestschreiben das Internationale Rote Kreuz an ihre Verantwortlichkeiten zu erinnern und Protestschreiben an die lokalen Vertretungen israelischer Botschaften und Konsulate zu schicken.


Solidarität in Istanbul

Bei der internationalen AnwältInnenkonferenz, die vom Rechtsbüro des Volkes HHB in Istanbul am 26./27. September 2009 veranstaltet worden war und an der sich JuristInnen aus der Türkei, Venezuela, Kolumbien, Argentinien, Italien, Griechenland, Deutschland, Baskenland, Libanon, Palästina, Irak und Ägypten beteiligten, wurde in der Schlussdeklaration neben dem Protest gegen imperialistische Aggression in Form von Ausbeutung, Okkupation, Schwarzen Listen und Terrorismusgesetzen, die Freiheit der politischen Gefangenen, u.a. die Freiheit Ahmad Sa'adats und der palästinensischen Gefangenen gefordert. (Red.)


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Güler Zere freigekämpft

Nach einem langandauernden Kampf für die Freilassung der krebskranken Gefangenen Güler Zere hat der türkische Premierminister eingelenkt. Güler Zere wurde somit nach einer 109-tägigen Freiheitskampagne am 06. November 2009 aus dem E-Typ Gefängnis von Elbistan freigelassen. Zusammen mit Güler Zere wurden drei weitere soziale Gefangene aufgrund ihrer gesundheitlichen Verfassung freigelassen.

Die von der Gefangenenhilfsorganisation TAYAD angestoßene Freiheitskampagne entfaltete im Laufe der Proteste mit entschlossener Haltung der Angehörigen Güler Zeres und revolutionär-demokratischer Vereine, Verbände, Gewerkschaften, Parteien, KünstlerInnen und Intellektuelle eine Dynamik, die die Inhaftierung von schwerkranken sozialen und politischen Gefangenen im Generellen thematisierte und in Frage stellte.

Die türkische Regierung, die sich der Konfrontation mit diesem Thema entzog und eine Freilassung und die damit verbundene medizinische Behandlung Güler Zeres systematisch verschleppte, sah sich aufgrund des öffentlichen Drucks genötigt, einzulenken und sich den Forderungen zu beugen. Die Freiheitskampagne, die Güler Zere freikämpfte, brachte darüber hinaus mit dieser Initiative einen weiteren Stein zum Rollen; die schwerkranken Gefangenen und die Forderung nach ihrer Freilassung. Offiziellen Angaben zufolge starben im Zeitraum zwischen 2000 und 2009 insgesamt 306 Menschen in geschlossenen Anstalten der Türkei. Landesweit läuft die Kampagne für die kranken Gefangenen weiter. Die wöchentlich in Taksim-Istanbul stattfindenden Freiheitsdemos befinden sich nun in der 18. Woche (Red.)


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Kurzmeldungen:

Palästina: Ein kranker Häftling ist seit vier Monaten in Isolationshaft im israelischen Gefängnis. Israelische Gefängniswärter halten einen palästinensischen Gefangenen trotz seines bedenklichen Gesundheitszustandes in Isolationshaft. Seit fast neun Jahren befindet sich der 32-jährige Mehraj Ibrahim aus dem Flüchtlingslager im Gefängnis in der Nähe von Ashkelon. Seine Mutter konnte ihn letzte Woche besuchen und erklärte, dass sich ihr Sohn in einem sehr kritischen Zustand befinde. (Red.)

Türkei: In der Nacht vom 19. November 2009 wurde Alaattin Karadag, Mitglied der in der Türkei aktiven TKIP (Kommunistische Arbeiterpartei der Türkei), laut Zeugenangaben während der Verfolgung durch Polizisten von einer zivilen Person aus einem Ford Transit heraus ermordet. Alaattin Karadag hatte sich im Jahr 2000 im Gefängnis am Todesfasten gegen die F-Typen beteiligt und wurde aus gesundheitlichen Gründen freigelassen. Er hatte noch eine Reststrafe von 12 Jahren und 6 Monaten offen. (Red.)

Türkei/Kurdistan: Während der landesweit, dezentral durchgeführten Demonstrationen aus Protest gegen die Isolationshaft gegen Abdullah Öcalan am 06. Dezember 2009 kam es zu massiven Polizeieinsätzen. Beim Polizeieinsatz in der kurdischen Stadt Diyarbakir wurden scharfe Waffen eingesetzt, wodurch der 23 jährige Student Aydin Derdem durch Schüsse in den Rücken ermordet wurde. Während der Proteste kam es laut offiziellen Angaben zu mindestens 130 Festnahmen. (Red.)

Russland: In Moskau wurde wieder ein Antifaschist ermordet. Am 16. November 2009, wurde der 26-jährige Antifaschist Iwan Chutorskoi hinterhältig erschossen. Iwan organisierte in letzter Zeit den Saalschutz bei antifaschistischen Konzerten und führte Kampfsporttraining für Genossen durch. Vor diesem Mord waren bereits drei Mordversuche gegen Iwan verübt worden. Den Rechtsextremen war er wohlbekannt, sein Name tauchte neben denen von Stanislaw Markelow und Nikolai Girenko beständig in den Todeslisten der Nazis auf. In Moskau ist dies bereits der sechste Mord an Antifaschisten seit 2006 durch militante Rechtsextreme. (Red.)


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IRH/RHI Dossier Teil 3

Kampagnen und Kooperationen der Internationalen Roten Hilfe (IRH) 3. Teil

Im dritten Teil dieser Beitragsserie wollen wir einige weitere weltweit getragene Solidaritätskampagnen der IRH zu verschiedenen Repressionsfällen und staatsterroristischen Regimen darstellen und damit direkt an den zweiten Beitrag dieser Serie (siehe GI, Nr. 350) anschließen. Des weiteren wollen wir, wie angekündigt, einen Blick auf die interorganisatorische Zusammenarbeit der IRH und das Verhältnis zwischen ihr und anderen bedeutenden Hilfs- und Solidaritätsorganisationen werfen. Dabei ist vor allem auf die Politik der Internationalen Arbeiter-Hilfe (IAH) einzugehen. Ein Ergebnis der internationalen proletarischen Solidarität ist die Begehung von jährlichen Gedenk- und Kampftagen, an denen für die Opfer staatlicher Repression und/oder kolonialer Unterdrückung mobilisiert wird. Auch diese wollen wir zumindest kurz streifen.


Die Fälle von Georgi Dimitroff und Ernst Thälmann in Deutschland

Nach der Machtübertragung an den Nazi-Faschismus war eines der Hauptarbeitsfelder der IRH die Versorgung und Organisierung der Zehntausenden von EmigrantInnen aus dem Nazi-Reich. Die beiden wichtigsten Kampagnen für kommunistische Persönlichkeiten waren die für Georgi Dimitroff (1882-1949), dem vom September bis Dezember 1933 beim sog. Reichstagsbrandprozess eine weltweite Aufmerksamkeit widerfuhr, und für Ernst Thälmann (1886-1944) nach seiner Verhaftung im März 1933 und späteren KZ-Haft.

Auf Dimitroffs frühen politisch-biografischen Lebensweg werden wir noch im nächsten Abschnitt zu sprechen kommen. Hier interessiert uns vor allem der Reichstatgsbrandprozess, der laut Drehbuch der Nazi-Elite zu einem entlarvenden antikommunistischen Schauprozess vor dem Leipziger Reichsgericht werden sollte. Die Schlüsselrolle war Dimitroff zugedacht worden, der sich gerade illegal in Deutschland aufhielt und einige Tage nach dem Brand, der Ende Februar 1933 war, in Berlin festgenommen werden konnte. Neben Dimitroff standen weitere bulgarische Kommunisten, der Vorsitzende der KPD-Reichstagsfraktion Ernst Torgler und der Niederländer Marinus van der Luppe unter Anklage. Zunächst wurde der Prozess über Lautsprecher in die Straßenzüge Leipzigs übertragen. Als Dimitroff aufgrund seiner rhetorischen Fähigkeiten u.a. die Nazi-Größe Hermann Göring als Zeugen in die Rolle des Angeklagten drängen konnten, wurden die Lautsprecheranlagen abgebaut. Zudem gelang es Dimitroff die absurde NS-Propaganda eines bevorstehenden kommunistischen Aufstands gegen das nazistische Regime auszuhebeln. Der Gerichtsvorsitzende bestätigte die souveräne Prozessführung Dimitroffs mit der Bemerkung: "Im Ausland ist man schon der Meinung, dass nicht ich, sondern Sie die Verhandlung leiten!" Da es der Anklage auch nicht gelang, eine Verbindung zwischen dem geständigen van der Lübbe (wir lassen hier die diversen Theorien zur eigentlichen Täterschaft des Reichstagsbrandes außer acht!) und der KPD bzw. Dimitroff selbst herzustellen, sprach das Gericht ihn folgerichtig frei.

In dem Beitrag "Vom Nosketerror zum Hitlerfaschismus", der 1935 in dem IRH-Sammelband "15 Jahre weisser Terror" erschienen ist, resümiert Wilhelm Pieck den Dimitroff-Prozess: "Als dann die schamlose Komödie des Reichstagsbrandprozesses abrollte, verwandelte Dimitroff diesen faschistischen Prozeß, der die Diskreditierung der Kommunistischen Partei bringen sollte, in eine vernichtende politische Abrechnung mit den wirklichen Brandstiftern und mit der gesamten faschistischen Terrorherrschaft. Dimitroff zerschlug das Märchen von den kommunistischen Putschplänen, für die der Reichstagsbrand das 'Fanal' hätte sein sollen. Dimitroff riß Göring und Goebbels die Maske vom Gesicht. So erlitt der Faschismus vor dem Leipziger Reichsgericht eine erste schwere politische und moralische Niederlage, die einen Umschwung in der Stimmung der Massen, eine Überwindung der bei einem Teil der Werktätigen durch den Sieg des Faschismus hervorgerufenen Depressiosnstimmungen und eine Stärkung der antifaschistischen Kräfte zur Folge hatte."

Der frühere Transportarbeiter und Kutscher Ernst Thälmann trat im Herbst 1920 mit der linken Mehrheit der USPD zur KPD über und zählte auch dort als Verfechter der sog. Offensivtheorie zum linken Parteiflügel. Als einer der Organisatoren des gescheiterten Hamburger Aufstands im Rahmen des sog. Deutschen Oktober 1923, als KPD-Kandidat für die Reichspräsidentenwahl 1925 und Leiter des Rotfront Kämpferbundes (RFB) wuchs sein Einfluss in der KPD. Nach der innerparteilichen Absetzung der "ultralinken" Parteiführung um Ruth Fischer und Arkadi Maslow wurde Thälmann 1925 als "kominterntreuer Linker" KPD-Vorsitzender. Auch spätere Affären zum Nachteil der KPD (z.B. der Korruptionsfall um seinen Parteifreund John Wittorf 1928) konnten ihn u.a. aufgrund der Deckung durch die Stalinsche Bürokratie nicht zu Fall bringen.

Dennoch bestand die politische Tragödie darin, dass die KPD nach der Machtübergabe an die Nazis organisatorisch nicht in der Lage war, den offenen Faschismus zurückzudrängen, geschweige denn ihren Vorsitzenden vor dem Zugriff zu schützen. Dieser erfolgte am 3. März 1933. 12 Jahre verbrachte Thälmann in Einzelhaft, zuerst in Moabit, dann in Hannover und Bautzen, bevor er ins KZ Buchenwald verschleppt wurde und dort am 18. August 1944 den SS-Schergen zum Opfer fiel. 1936 gab es einen Plan, Thälmann aus der Moabiter-Haft zu befreien; dieser wurde jedoch in letzter Minute vom Exil-ZK der KPD abgeblasen. Auch die Hoffnung nach dem sog. Hitler-Stalin-Pakt 1939 nach Moskau abgeschoben zu werden, erfüllten sich nicht.

Um den "Fall Thälmann" herum entwickelte sich eine breite internationale Kampagne, die auf die Freilassung Thälmanns agitatorisch hinwirken sollte. Ein ursprünglich angesetzter Prozess gegen Thälmann kam nie zustande, offenbar aus Furcht, nach dem Dimitroff-Prozess ein weiteres Fiasko erleben zu müssen. In der Erwartung eines bevorstehenden Thälmann-Prozesses heißt es in der IRH-Broschüre "Für die Rettung aller Opfer der Reaktion und des Faschismus" von 1935 noch: "Also, Genossen, selbst in den faschistischen Ländern kann man die Unterdrücker in Schach halten. Unmittelbar vor dem Thälmann-Prozess (...) müssen wir uns des Prozesses gegen Dimitroff erinnern, und augenblicklich alle Kräfte mobilisieren und eine noch mächtigere Kampagne als für Dimitroff führen (...)."


Reaktionäre Regime in Bulgarien

Ein Schwerpunkt von IRH-Kampagnen in den Balkanländern bezog sich auf die Verhältnisse in Bulgarien. Hintergrund war der reaktionäre Staatsstreich von A. Zankow im Juni 1923 gegen die damals amtierende Regierung unter A. Stambolijski, dem Vorsitzenden des Bauernvolksbundes, der die stärkste Fraktion im bulgarischen Parlament bildete. Die Instabilität des neuen Regimes sollte durch einen proletarischen Aufstandsversuch, der von der Komintern und der Bulgarischen Kommunistischen Partei (BKP) initiiert wurde, potenziert werden. Die blutige Niederschlagung dieses Aufruhrs markierte allerdings eine weitere Episode der letzten Phase des Versuchs die soziale Revolution über die Grenzen der UdSSR hinauszutreiben. Die BKP und insbesondere Georgi Dimitroff galten als der Inbegriff des innerstaatlichen Feindes. Infolge der Niederlage im September 1923 mussten Dimitroff und viele kommunistische AktivistInnen exilieren.

Der Mitbegründer und seinerzeitige Generalsekretär der BKP, W. Kolaroff, verfasste 1926 eine IRH-Broschüre unter dem Titel "Im Lande der Galgen", in der er über die Repressionswelle und den organisierten Staatsterror in seinem Land einen Überblick lieferte. Insbesondere setzte die zügellose Verfolgung von KommunstInnen nach dem Sprengstoffanschlag vom 16. April 1925 auf die Sofioter Kathedrale ein. In dieser fand sich zu einer Trauerzeremonie die Nomenklatura der Regierung Zankow zusammen. 1932 gruppierte Zankow eine bulgarische Kopie der NSDAP um sich, um 1944 zum Ministerpräsidenten einer im deutschen Exil befindlichen Operetten-Regierung zu fungieren.

Der Mitbegründer und seinerzeitige Generalsekretär der BKP, W. Kolaroff, verfasste 1926 eine IRH-Broschüre unter dem Titel "Im Lande der Galgen", in der er über die Repressionswelle und den organisierten Staatsterror in seinem Land einen Überblick lieferte. Insbesondere setzte die zügellose Verfolgung von KommunstInnen nach dem Sprengstoffanschlag vom 16. April 1925 auf die Sofioter Kathedrale ein. In dieser fand sich zu einer Trauerzeremonie die Nomenklatura der Regierung Zankow zusammen. 1932 gruppierte Zankow eine bulgarische Kopie der NSDAP um sich, um 1944 zum Ministerpräsidenten einer im deutschen Exil befindlichen Operetten-Regierung zu fungieren.

In einem Überblickartikel unter dem Titel "Der weiße Terror in den Balkanländern" in dem bereits erwähnten IRH-Sammelband "15 Jahre weisser Terror" schreibt Kolaroff bezüglich liberalerer Regierungskonstellationen in Bulgarien: "Der weiße Terror hat in Bulgarien seit dem Umsturz vom 9. Juni 1923 niemals ausgesetzt. Die Ablösung Zankoffs durch Ljaptscheff 1926 brachte nicht die geringste Abschwächung der Terrorherrschaft gegenüber der revolutionären Bewegung." Auch in den Folgejahren ist die bulgarische Geschichte durchgängig durch militär-diktatorische Regime geprägt: "Die militär-faschistische Diktatur Kimon Georgijeffs (im Mai 1934 an die Macht geputscht) liquidierte alle Reste der bürgerlichen Demokratie, verbot sämtliche Parteien und stützte sich auf den Massenterror und auf die Sozialdemagogie als Mittel der Einschüchterung und Betörung der Werktätigen."

Ganz im Sinne der auf dem VII. Komintern-Kongress ausgegebenen Volksfrontstrategie zieht Kolaroff den Schluss, die sich u.a. in den 30er Jahren über die IRH realisieren lassen sollte, dass sich die werktätigen Massen Bulgariens "weder durch den Terror noch durch Einschüchterungen davon abhalten (lassen), die antifaschistische Volksfront unter der Führung der bulgarischen Kommunistischen Partei aufzurichten."


Gedenk- und Kampftage der IRH und organisationsübergreifende Kooperation

Die IRH hat zwei wesentliche Daten etabliert, die für die Solidarisierung mit den revolutionären Gefangenen weltweit von zentraler Bedeutung wurden; zum einen der 18. März und zum anderen der 12. Dezember. Der 18. März, der als Tag der Pariser Kommune Eingang in die Kalender fand, wurde im Januar 1923 vom ZK der IRH zum Internationalen Kampftag für alle revolutionären politischen Gefangenen und Verfolgten ausgerufen. Der 12. Dezember, der Jahrestag der proletarischen Rätemacht der Kantoner Kommune im revolutionären China von 1927, ist anders akzentuiert. Dieser Tag ist als "Internationaler Tag der Roten Hilfe gegen koloniale Unterdrückung" definiert und besitzt demnach einen stärker auf die imperialistische Politik in den abhängigen Weltregionen bezogenen Charakter.

In dem Aufruf "An alle Sektionen und Bruderorganisationen", der auf dem Beschluss des 3. Plenums des Exekutiv-Komitees der IRH vom Dezember 1931 basiert, heißt es zur Begehung des 12. Dezember: "Seit den Dezember-Tagen von 1927 hat in China der Sowjetgedanke gewaltige Arbeiter- und Bauernmassen erfaßt, und in Gebieten mit 60 Millionen Werktätigen Chinas ist die Sowjetmacht aufgerichtet, scheitert eine Offensive der Soldknechte der Imperialisten nach der anderen, gelingt es in zähem Kampf die Sowjetgebiete zu erweitern. Der Tag der Kantoner Kommune muß ein Tag der internationalen Massenmobilisierung nicht nur der unterdrückten Massen in den großen kapitalistischen Mutterländern sein." Des weiteren wurden folgende Losungen ausgeben, die internationalistische Verbundenheit im anti-kolonialen Kampf ausdrücken sollen: "1. Gedenkt der Kantoner Kommune, des ersten Versuches der Rätemacht in China! 2. Nieder mit dem weißen Terror der Kuomintang und der imperialistischen Räuber in China! (...) 8. Es lebe die Einheitsfront der Solidarität zwischen den ausgebeuteten Massen der imperialistischen Länder und den unterdrückten Völkern der Kolonien und Halbkolonien! (...)."

Die IRH kooperierte mit verschiedenen anderen Welt-Organisationen der Werktätigen; mit der Internationalen Arbeiter-Hilfe (IAH) bestand ein "brüderliches Kampfbündnis", ebenfalls gab es mit der Liga gegen Imperialismus eine enge Kooperation. So forderte die Liga, wie die IAH auf ihrem Tätigkeitsgebiet, die revolutionären Organisationen in den kolonisierten Ländern auf, in die Reihen der IRH einzutreten und ihr die größte materielle und moralische Unterstützung zu geben. Der Eintritt in die IRH sei eine wirksame Unterstützung der revolutionären Kampfprozesse in den Kolonien. Im August 1921 erließ das Auslandskomitee zur Organisierung der Arbeiterhilfe für die UdSSR den ersten Aufruf. Damit war die Existenzgründung der Internationalen Arbeiterhilfe vollzogen. Im März 1923 konstituierte sich aus den dahin losen örtlichen Komitees die deutsche Sektion der IAH unter dem Namen "Bund der Freunde der Internationalen Arbeiterhilfe". Der erste Reichskongress fand im November 1925 statt.

In der Broschüre "10 Jahre Internationale Arbeiter-Hilfe Deutschland" des IAH-Generalsekretärs Georg Karl Dünninghaus wird in einem Ausblick auf die Aufgabenstellung der IAH verwiesen: "(...) die doppelseitige Aufgabe der IAH besteht ja darin, neben der materiellen Hilfeleistung zur Durchhaltung in Kampfaktionen den Kämpfenden und den mit ihnen verbundenen mannigfachen werktätigen Schichten die ideologische Erkenntnis ihrer Klassenlage und der Notwendigkeit des aktiven Klassenkampfes in breitester Einheitsfront zu vermitteln."

Mit diesem Beitrag schließen wir unsere Übersichtsartikel zur historischen Internationalen Roten Hilfe (IRH) im GI ab. Unser Ziel ist es, dass wir von dieser inhaltlichen Grundlage aus, im kommenden Jahr den Schritt zu einer organisierten Diskussion über das Projekt der "roten hilfe international" (rhi), die sich als Kommission 2000 bildete, einleiten können. Wir erhoffen uns, dass sich das GI auch als ein Forum etabliert, in dem sich Debatten über die Wege und Etappen einer internationalistischen Antirepressions- und antiimperialistischen Solidaritätsorganisation widerspiegeln.

Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen


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Gefangene

Briefe aus den Knästen

Thomas Meyer-Falk: Arbeitszwang und Arbeitsverweigerung

Kürzlich war im GI ein Interview mit Werner Braeuner zu lesen, in welchem er sich auch zum Thema Arbeitszwang im Strafvollzug äußerte. Hierzu möchte ich ein paar Anmerkungen machen.

Es ist richtig, daß viele Gefangene Arbeit im Knast zugeteilt bekommen wollen - wobei das "wollen" zu hinterfragen wäre. Oftmals sind es ökonomische Zwänge, die das "Wollen" befördern, denn bspw. darf man sich Lebensmittel im Gefängnis nur von dem durch die Arbeit erzielten Einkommen erwerben. Wer sich der Arbeitspflicht verweigert (ob offen oder auch "versteckt", z.B. durch "Schlechtleistung") hat in aller Regel mit Konsequenzen zu rechnen, ob nun Entzug des TV-Geräts, weniger Zellenaufschluss, Haftkosten (ca. 360 Euro pro Monat) und vor allem keinen Einkauf.

Außerdem brauchen und wünschen viele Gefangene den täglichen menschlichen Kontakt. Da arbeitslose Gefangene vielfach 23h / Tag in den verschlossenen Zellen sitzen müssen, dürfen arbeitende Gefangene während der Arbeitszeit aus ihren Zellen. Die Justiz nutzt also (mehr oder weniger geschickt) die drängensten menschlichen Bedürfnisse, nämlich die nach menschlichen Kontakt zu Anderen und Sicherung von Tabak, Kaffee, etc., um die Arbeitsbereitschaft derart zu steigern, daß Gefangene - scheinbar - arbeiten wollen.

Ich denke mit guter Aussicht auf Erfolg könnten Gefangene aus Gewissensgründen die Zwangsarbeit (Artikel 12 Abs. 3 Grundgesetz spricht ausdrücklich von Zwangsarbeit) verweigern, nämlich dann wenn sie nachvollziehbar darlegen, daß es sich bei der Ablehnung der Arbeit um eine ernste, d.h. an den Kriterien von "Gut" und "Böse" orientierte Entscheidung, handelt, die der Einzelne in einer bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt verpflichtend erfährt. Dies würde einen Kompromiss zur offenen Arbeitsverweigerung mit ausschließlich politischer Argumentation darstellen; letztlich basiert die politische Vorgehensweise auf einer Gewissensentscheidung, wird nur nicht als solche explizit bezeichnet. Die Folgen einer anerkannten Gewissensentscheidung wären insofern von Vorteil, als dann z.B. Haftkosten kaum erhoben werden dürften.

Letztlich ist es eine Abwägungsfrage, ob jemand sich auf eine solche Vorgehensweise einlassen möchte.

Lustigerweise schafft Baden-Württemberg mit seinem zum 01.01.2010 inkrafttretenden Landesstrafvollzugsgesetz faktisch die Haftkostenerhebung für Arbeitsverweigerer ab, da man feststellte, dass der Verwaltungsaufwand für Erhebung und die realisierten Einnahmen zu sehr auseinander laufen. Nur knapp 4 % der festgesetzten Haftkosten konnten eingetrieben werden.

Schreibt Thomas Meyer-Falk

JVA Bruchsal - 3113
Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal
www.freedomforthomas.wordpress.com


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Cengiz Oban: Brief vom 26. Oktober 2009 zur Anklageerhebung

Lieber ...,

inzwischen hab ich die Anklageschrift erhalten. Doch bevor ich sie erhielt, hatte ich es in Zeitungen gelesen, dass sie fertig ist. Die Post vom OLG Düsseldorf zu mir hat in diesem Fall mehr als acht Tage gedauert. "Normalerweise" müsste ich es gleich am nächsten Tag erhalten. Es ist unverständlich, hat aber sein System.

Den Artikel in der "Jungen Welt" zu der Anklage kennst Du bestimmt. In der türkischsprachigen Sabah gab es auch einen kurzen Artikel über die Erhebung der Anklage. Ich habe die Anklageschrift nicht vollständig gelesen. Es gibt nichts Neues. Vieles ähnelt sehr dem Stammheimer Prozess. Ein Polizist der Istanbuler Anti-Terror-Abteilung ist ebenfalls als Gutachter vorgeladen. Es ist der gleiche Folterer, der zuvor schon in Stammheim über die Organisation aussagen wollte, aber wegen seinen eigenen Folterverfahren nicht konnte. Dieses Vorgehen der Generalbundesanwaltschaft macht schon alles ziemlich deutlich. Es zeigt zudem den Charakter des Verfahrens. Was noch hinzukommt, ist die Rolle des Bundesnachrichtendienstes (BND), der auch eine wichtige Rolle spielt. Einige Vorwürfe beruhen auf Berichten des BND. Ob Verfassungsschutz oder BND, beide haben ihren besonderen Platz in diesem System, wenn es um die Kriminalisierung der Linken geht. Sie handeln gemäß den Forderungen der herrschenden Klasse und ihrer Partner: In diesem Fall ist es die Türkei. Obwohl sich Deutschland und die Türkei in einigen Bereichen zanken, so hat dieses keine Auswirkung auf die enge wirtschaftliche Zusammenarbeit und auch keine Auswirkung auf die intensive Zusammenarbeit im Rahmen der "Anti-Terrorbekämpfung" oder den Waffenlieferungen.

Nach den USA und Russland ist Deutschland der drittgrößte Waffenexporteur der Welt. Sie steigerte ihre Rüstungsexporte in den vergangenen fünf Jahren um 70 Prozent. Als Hauptabnehmer für deutsche Kriegsgeräte steht die Türkei, nach Griechenland, an zweiter Stelle. Auch den Nahen und Mittleren Osten hat die BRD kräftig aufgerüstet. Es ist ein Anstieg um 38 Prozent. Rüstungskonzerne haben einen sehr großen Einfluss in der Weltpolitik. Sie können Kriege anfangen, Parlamente lenken, die Beziehungen zwischen den Ländern regeln und auch Geschichte beeinflussen.

Laut der Nachrichtenagentur AP haben 4 amerikanische und 1 britischer Rüstungskonzern sowie der Energiekonzern Chevron im US-Kongress mit Milliarden Dollar gegen die Anerkennung des Völkermordes gegen die Armenier in der Türkei Lobby-Tätigkeiten ausgeübt. Obwohl Obama und die meisten Senatoren den Völkermord als Realität betrachten, haben sie dieses im US-Kongress nicht durchgehen lassen. Der Rüstungskonzern United Technology hat den Berichten nicht widersprochen und hat angegeben, dass sie entsprechend der nationalen und wirtschaftlichen Interessen gehandelt haben. Es ist ein schönes Beispiel dafür, wie und von wem Geschichte geschrieben wird. Es ist auch ein Gefallen an die Türkei, wobei Tatsachen verdeckt und die Geschichte "neu" verfasst wird.

Dass es in der BRD auch nicht anders läuft, verdanken wir dem Waffenhändler Schreiber. Mit seinen Spenden an die bürgerlichen Parteien vor 10 Jahren hat er uns gezeigt, dass hier die Geschäfte auch nicht anders verlaufen als in den Vereinigten Staaten. Es ist offenkundig, dass es Gegenleistungen für seine großzügigen Spenden gegeben hat. Es ist auch klar davon auszugehen, dass es nicht die erste war und bestimmt nicht der letzte gewesen ist.

Für die Türkei ist keine große Überraschung, wenn die Bundesrepublik gegen die Feinde des treuen Partners vorgeht, denn es gehört zum Geschäft. Für die BRD eine Selbstverständlichkeit, denn die Kriminalisierung und die Verurteilung der linken und revolutionären Kräfte hat Tradition in diesem Land. Genauso verfährt die Türkische Republik. Sie haben vieles voneinander gelernt und auch vieles übernommen. So auch die F-Typ Gefängnisse, die ihren Ursprung in Stammheim haben. Die Türkei öffnet sich Europa, nimmt ihre Werte an, und somit wird alles enger zwischen diesen Ländern. Es ist die Eroberung und Sicherung der Märkte für die Konzerne.

Was wir aus der deutschen Geschichte lernen, nicht nur Rüstungskonzerne profitieren durch die Verbrecherregime, sondern auch "harmlose" Puddingfabrikanten. Ihre gemeinsamen Werte sind der Profit, die Ausbeutung und die Kontrolle, somit die Macht. Deutschland setzt alles daran, damit das System in der Türkei fortbesteht.

Unsere Inhaftierung und Verurteilung soll ja die Türkei "vor einem revolutionären Umsturz retten". Dieses sind die ersten Sätze aus der Anklageschrift, die auch die Grundlage unserer Verurteilung sein wird.

In Düsseldorf wird in einigen Monaten der Prozess gegen uns beginnen. Obwohl es ein "Anti-Terror-Verfahren" ist, geht es hierbei nicht um die Gefährdung der inneren Sicherheit Deutschlands. Es geht um die Verteidigung Ankaras in Düsseldorf, einem Folter- und Mörderregime und dessen Freiheiten. Die gleiche Freiheit oder die "westlichen Werte" werden auch genauso am Hindukusch verteidigt. So benennen sie ihren Krieg. In keinem Fall geht es um die Freiheit der Völker. Im Gegenteil, ihnen geht es einzig und allein um die unverhüllte Vorherrschaft und Freiheit der Großkonzerne. Es geht ihnen um die offizielle Unterwerfung der Gesellschaft unter ihre Herrschaft. Die Türkei hat sich stets darum bemüht, das türkische Oppositionelle in Europa hinter Gitter kommen oder ausgeliefert werden. Sie haben Personenlisten erstellt und an die jeweiligen Länder weitergeleitet, so auch an Deutschland. Wenn ihrem Verlangen nicht entsprochen wurde, hat dieses zu Krisen zwischen der Türkei und den jeweiligen Ländern geführt. Der laufende DHKPC Prozess in Belgien ist ein Beispiel hierfür. Mit der BRD gibt es solche Krisen nicht. Der §129b lässt sich sehr gut zur Durchsetzung außenpolitischer Interessen instrumentalisieren und dem Verlangen eines treuen NATO-Partners kann entsprochen werden. Der §129b stellt nicht nur ein Problem für die "ausländischen" Linken dar, es sollte auch ein Problem der deutschen Linken sein. Sie ist ein Teil der Großmachtpolitik der BRD. Auch die Prozesse und deren Ausgang gehen jeden etwas an.

Der VS und weitere Geheimdienste haben ein erhebliches Gewicht bei diesen Verfahren. So war es in den Stammheim-Prozessen, so war es im "MG-Verfahren", so ist es im laufenden Verfahren gegen die "Sauerlandgruppe". So wird es auch in unserem Prozess sein. Die Geheimdienste haben immer die "entscheidenden Hinweise".

Auf diesen Grundlagen basieren die Verurteilungen. Wir müssen alle unseren Teil beitragen, um die Ungerechtigkeiten überwinden zu können. Vielleicht reichen unsere Kräfte nicht aus, vielleicht können wir die Verhältnisse nicht ändern, das ist nicht so schlimm. Viel schlimmer ist es, keinen Mut zu haben, um gegen die Ungerechtigkeiten vorzugehen.

Lieber ..., ich habe es versäumt, Dir zu schreiben. Verzeih mir, ich wollte aber mit diesem Brief gleich am Ersten anknüpfen. (red. Anmerkung: Dieser erste Brief ist bis heute nicht angekommen.)

(...) Lieber ..., ich beende hier mal den Brief und wünsche Dir viel Kraft und Liebe.

Mit revolutionären Grüßen

Cengiz Oban

(red. Anmerkung: der mit 26.10.2009 datierte Brief erreichte erst am 1.12.2009 den Adressaten.)

Schreibt Cengiz Oban

Cengiz Oban
JVA Bochum, Krümmede 3
44791 Bochum


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Devrim Güler: Brief vom 23. November 2009

Lieber ...,

Deine Ausführungen zu der gespaltenen Beziehung zwischen der deutschen Linken und der Linken aus der Türkei stimmen mit meinen Überlegungen überein, jedoch dürfen die Ursachen hierfür nicht länger relativiert werden, sondern müssen, so glaube ich, härter angegangen werden.

In Zeiten brutalster Angriffe und Verleumdungen gegen revolutionäre und kommunistische Kräfte seitens der weltweit geeinten Reaktion dürfen ideologische und organisatorische Unterschiede zwischen linken Kräften und Organisationen nicht als Grund für "überall und immer getrennte Wege" herhalten. Es ist gewiß keine überschwängliche Phrase zu behaupten, daß der Kommunismus nie so legitim und notwendig war, wie in der gegenwärtigen Zeit, welche aus der Froschperspektive der ausgebeuteten Massen alles andere als würdig und lebenswert ist. Vorbehalte zwischen stalinistischen, trotzkistischen, anarchistischen Freunden und FreundInnen gegeneinander, die ausschließlich der innerlinken Spaltung dienen und den Gegner stärken, dürfen nicht länger als harmlose Kinderkrankheit und Verspieltheit abgetan werden, sondern müßen als kaschierter Abstand zum anti-imperialistischen und -faschistischen Kampf gewertet und bloßgestellt werden. Diese vermeintlich großen Unterschiede innerhalb der linken Kräfte können kein Hindernis vor gemeinsam organisierten, demokratischen Aktionen und Veranstaltungen darstellen...

Das Gefangenen Info in seiner aktuellen Form ist sowohl inhaltlich als auch optisch attraktiver als vorher - dafür bin ich gerne bereit, ein paar Wochen länger drauf warten zu müssen. Die optische Anziehungskraft der Lay-Outs ist nicht zu unterschätzen, zumal ich annehme, daß die Klientel des Infos nicht nur aus den Gefangenen sondern auch aus Interessierten außerhalb der Mauern besteht. Andererseits muß nicht alles was wir tun spartanisch sein - einen gewissen Luxus sollten wir uns schon gönnen dürfen. Die Gefahr, dadurch von radikaleren GenossInnen womöglich als kleinbürgerlich abgestempelt zu werden, sollte man wohlwollend ins Auge fassen...

Unser Puppenspiel, man kann es auch Dallas-Serie nennen, geht bekanntlich (oder auch nicht) weiter. Heute war die 128. Folge und es wird immer geschmackloser! ...

Das Gefangenen Info 350 habe ich erhalten, Übrigens danke für die Übersendung an Abdi (ehemals in der BRD inhaftiert, nun in der Türkei im Gefängnis), er wird sich freuen. Abschließend sende ich dir und den FreundInnen nochmal herzlichste Grüße und wünsche alles Gute...

Devrim

Schreibt Devrim Güler

Devrim Güler
JVA Stuttgart-Stammheim
Asperger Str. 60, 70439 Stuttgart


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Günter Finneisen: Zu seinen Haftbedingungen in Celle

Wer ist Günter bzw. Finni?
Er schreibt:

"...Merke, dass auch - endlich - wieder mehr passiert, und was die Staatsmacht mal wieder so mit den Gesetzen und vor allem dem Gummi-129er so verbricht. Denn ich kenne den schon aus meiner aktiveren Zeit (Ende 70/Anfang 80er... Ja, ich werde alt! Baujahr 58) hier um Gorleben und drum rum, wo der §129 ja auch schon vielseitig zum Einsatz kam.

Aber um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen und solche nicht in Schwierigkeiten zu bringen, die die Schubladen Einteilung brauchen, also ich bin kein politischer Gefangener, auch kein sozialer, sondern rein ein krimineller, wenn schon, nee nee, ich will die Diskussion um diese Dinge nicht wirklich, denn ich hab da meine klare Meinung zu, lehne Schubladen ab, aber ich kann andere Meinungen gut ertragen, und wer das braucht, na bitte schön. Jedenfalls, ich wurde wegen Raub verurteilt und hab die 15 Jahre Höchststrafe damit erzielt, dass ich mit einem anderen hier einen Beamten als Geisel nahm, am 21.5.95. Wir sind mit Geld und Porsche aus dem Knast raus, leider nicht lange. Nun, seitdem bewege ich mich eben nur noch in Solohaltung."

(red. Anmerkung: Er ist seitdem allein im "Sicherheitsstationstrakt" der JVA Celle bzw. war so Finni "wegen Renovierung in Celle zwischengelagert in der JVA Wolfenbüttel zweieinhalb Jahre")

"Ach ja, und Nachschlag gab es auch noch einmal von 10 Monaten wegen Widerstand gegen Schikanen und anschließenden Auseinandersetzungen darum.

Streitpunkt war, dass die Fenster des Terrortrakts fast keine Luft hereinließen. Ich stellte ein Ultimatum: Wenn nicht zu einem gewissen Zeitpunkt das abgeändert werde, drohte ich die Scheibe zu zerstören. Das geschah aus reiner Selbsthilfe. Ein spezieller Trupp rüstet sich vorher schon und kam vom Anstaltsleiter persönlich geführt und es ging zu Sache. Das übliche Programm....

Kontaktverbot gibt es offiziell nicht, aber immer wieder Behinderungen, indem es schon mal nicht so einfach ist, mir Gedrucktes zuzuschicken... also abschicken kannst Du es schon, aber nicht wundern wenn es zurückkommt, dann bin daran sicher nicht ich Schuld, auch wenn da draufsteht 'Annahme verweigert'. ...

Meine aktivste Stelle ist ja schon seit einigen Jahren eben solche Karikaturen und eine gewisse Art von Humor im Text. So beinhartes Ernstes zeichne ich eher seltener, weil das Leben schon ernst genug ist ....

Finni"


Finnis Antrag nach 2/3 aus dem Knast zu entlassen zu werden wurde 2006 von der Strafvollvollstreckungskammer des Landgerichts Lüneburg abgelehnt.

Finni zu seinen Bedingungen:
"Man sollte (sich) immer wieder daran erinnern, dass dieser 'Sicherheitstrakt' nur dadurch entstand, dass einige Politiker, Staatsschützer bis zum Anstaltsleiter und Co selbst einen "Bombenanschlag" auf die Außenmauer der JVA Celle 1 veranstalteten. Mit der Zielsetzung einen solchen Trakt politisch und mit der Medienhetze durchzusetzen, wobei sie auch nicht davor zurückschreckten einen Gefangenen wie Sigurd Debus als "RAF-Terroristen" darzustellen, ihn in absolute lange Isolationshaft zu nehmen. (red. Anmerkung: Intention dieses fingierten Anschlags war es auch, vor allem die RAF zu infiltrieren und zu zerschlagen. Siehe auch Gefangenen Info 339, Seite 4) Sigurd Debus starb dann auch noch später unter unerklärbaren Umständen eines 'natürlichen' Todes (während des Hungerstreik 1981, als er für die Zusammenlegung mit den Gefangenen aus der RAF kämpfte).

Dies alles geschah 1978, und als diese Machenschaften durch Zufall 1986 auch öffentlich bekannt wurden, da war dieser Isotrakt längst fertig gestellt und in Betrieb. Tja und wenn man schon so was hat, dann sollte man das doch auch so weiterbenutzen, heute wird es netter 'Sicherheitsstation' genannt und ist auch als eine Art Vorbild in anderen Knästen Niedersachsens zur Serienreife gelangt und findet so auch seine Insassen dafür.

Hier in der JVA Celle 1 saßen dann auch im Zahn der Zeit zunächst einige 'böse Terroristen' (Gefangene aus der RAF) eben in diesem Trakt und kämpften ihren Kampf gegen die unmenschlichen Züge und Nebenwirkungen dieser Haftbedingungen, sie waren sogar bereit ihr Leben durch Hungerstreiks einzusetzen. Aber eben auch, weil sie Anwälte und UnterstützerInnen hatten. Das hat ihren Kampf auch nach außen hin getragen und bekannt gemacht... Dieser Zusammenhalt eben machte es möglich, dass so manche Schikane der Justiz und ihrer Handlanger abgewendet werden konnte, zu etwas Verbesserungen einer menschenunwürdigen Situation.

Nun sitzt hier ja schon lange kein 'böser Terrorist' mehr. Aber der Trakt ist geblieben, nur von Zeit zu Zeit mal renoviert und technisch 'verbessert'. Er ist eben noch sicherer geworden. Eben angepasst an den Zahn der Zeit und an das heutige Mediendenken der Leute und an die Gelüste der JustizlerInnen. Und wohl wissend, dass eben heutige Gefangene nicht mehr so den Zusammenhalt, die Öffentlichkeit und Anwälte haben, sind die erkämpften Verbesserungen auch längst wieder nur Geschichte.

Auch heute noch ist diese 'Sicherheitsstation' ebenso ein geschlossenes System in sich, und folgt dem Konzept, dass hier ein Gefangener diese Station so gut wie nie verlassen muss.

So werden BesucherInnen über das Knastgelände geführt in den eben speziell gesicherten Besuchsraum (klar mit Trennscheibe). Hier hat der Anstaltsarzt einen Extra-Behandlungsraum. Auch ein extra und spezieller 'Freistunden'hof wurde gleich gebaut, zu dem nur Fenster von 'Funktionsräumen' gerichtet sind, die Hafträume der Gefangenen sind mit ihren Fenstern (welche sich auch nur wegen einem Lochblech einen Handbreit öffnen lassen, dann das Gitter was jeder so kennt und noch mal feinmaschiges Drahtgeflecht, um dann auf ein hohe Bretterwand gucken zu können). So kann es gut sein, dass man andere Gefangene selbst über Wochen, Monate, Jahre nie oder nur selten zu Gesicht kriegt, selbst wenn sie direkt in der Nachbarzelle leben.

So hat der Flur noch eine eigene Küche (kann montags bis freitags abends kurz von jedem einzeln genutzt werden), einen Fitnessraum (Zelle mit einem Ergometer und Rudergerät), Umkleideraum (hier muss sich jeder komplett umziehen vor und nach dem Hofgang) und Schleuse zum extra Hinterhof. Alle Räume haben eine Gegensprechanlage, also Lautsprecher und Mikrophon, und sind Kamera überwacht - außer den Hafträumen.

So ist (fast) alles klinisch sauber, und ich wette, dass hier so die durchgeführten Besucher/ Gutachter die kleinen Fallen nicht sehen werden und in der gesellschaftsfähigen Meinung 'dass dies ja auch kein Ort zum Wohlfühlen sein soll', verbleiben. So die netten Blümchen, da die zwei Sitzbänke und steinerne Tischtennisplatte für einen Hof für Einzelfreistunden, das hat doch schon Sinn. Zu extra wichtigen Führungen liegt dann auch noch mal Spielzeug (Ball und auch schon eine Frisbeescheibe war zu sehen) plötzlich da. Der saubere Fitnessraum mit verschlossenen Fenstern macht das Trainieren dort ohne Belüftung richtig gesundheitsfördernd. Und vor allem hat doch jeder Haftraum gar Satellitenanschluss, so kann man es sich mit dem gar von der Anstalt gestellten Fernseher so richtig gut gehen lassen und nur so daliegen. Und man weiß auch schon längst, dass die meisten das auch so nur tun, das macht es doch für alle so angenehm. Dazu gibt es dann noch einen Radiowecker, damit der Gefangene sieht, was die Stunde geschlagen hat und wann es die nächste Mahlzeit gibt. Gut, der Empfang ist da mies, aber es erspart auch dem Gefangenen eigene Geräte auszuhändigen, zumal man solche mit Kassetten oder CD ihm nicht geben will. Aus Sicherheitsgründen, nicht um ihn daran zu hindern, dass er die Zeit sinnvoller mit Sprachkursen etc. nutzen kann oder gar Musik nach eigener Wahl hören kann. Nein, für Fortbildung und eigene Gestaltung ist hier nicht der richtige Ort, Sicherheit geht vor. So darf der Gefangene zwar Blei- und Buntstift haben, aber ein Anspitzer ist wegen der Klinge darin schon wieder viel zu gefährlich, und eben vieles andere mehr ist auch gefährlich. Dem Sicherheitswahn sind keine Grenzen gesetzt. Das ist bisher das Offene nur konzeptionell, hierzu gesellt sich dann noch automatisch das Persönliche. So ist es total normal, dass jeder neue Sicherheitsdienstleiter, Abteilungsleiter etc. seine Ansichten über Zucht, Ordnung und andere Sicherheitswahnvorstellungen nicht nur kundtut, sondern auch umsetzen will. Sei es, um so weiter nach oben (auf die Karriereleiter) zu fallen oder aus anderen Gelüsten.

Schon die unteren Chargen, da werden Verbote zu prächtigern Spielwiesen, wie zum Beispiel: eigene Kleidung tragen zu dürfen. Was man dann so an Anstaltskleidung kriegt, und egal ob das dann aus Faulheit, mal vergessen oder aus gezielter Schikane passiert, all zu oft passen die Sachen dann nicht und selbst der Gang zur täglichen 'Freistunde' wird zum Spießrutenlauf. Da sind dann die Auseinandersetzungen vorprogrammiert und auch vielfältig genutzt, sei es, um zu testen, ob das nicht zu Arbeitserleichterungen führt, weil der Gefangene fortan auf sein Recht auf die Stunde Hofgang verzichtet. Oder die Beamten sich an den Aufregungen des Gefangenen belustigen. Oder ob sie sich mit Vermerken wie 'verbalen Drohungen des Gefangenen' nach oben hin hervor tun können (sie sind immer mindestens zu zweit, und du bist alleine, da würde denen auch jedes Gericht Recht geben). Dann musst du dich in der Nacktheit ausziehen, da geht auch noch was bis vieles zur allgemeinen Belustigung der Schließer und so weiter... Der Alltag hat viele Möglichkeiten immer zu. Oh, es sind nicht alle so. Waren es nie. Aber immer war es auch so. Dass die, die nicht selbst, spätestens dann wenn ihr Kamerad Hilfe brauchte, die er auch bekam, und damit war immer auch alles möglich. Zumal sie sich hier in Celle sicher sein können, dass sie gedeckt werden und zwar von Oben. Auch keine Strafvollstreckungskammer oder Staatsanwaltschaft wird dagegen Einwände erheben. Das alles ist tief traditionell verwurzelt in dieser Stadt.

Somit befüllen selbst Gefangene zur Not (bei zuviel Leerstand) diese speziellen Plätze, die nur 'kleinen' vollzugsinternen Vergehen und 'böse' Buben eben um so länger, so eben Jahr um Jahr. So wurde auch das Recht verdreht, das sie nicht mehr begründen, um diese dann gerichtlich - bei Widerspruch, was ja sehr lange dauert - prüfen zu lassen, sondern sie wollen nun Gutachtern auch wohlverdientes Geld zu kommen lassen, wenn diese beurteilen sollen, ob ein Gefangener nun aus diesem Trakt raus kann oder nicht.

Günter Finneisen"

Schreibt Günther Finneisen

Günther Finneisen
Trift 14
29221 Celle


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Feuilleton

Tod in der Scheune

Heinz Jürgen Schneider
Boyens Verlag, Heide 2009
Historischer Krimi, 221 Seiten, 9,90 Euro
ISBN: 3804212913

Der bekannte linke Anwalt hat jetzt sein erstes literarisches Buch geschrieben: "Tod in der Scheune" "Im September 1931 wird an der Westküste Schleswig-Holsteins eine Bauerntochter erhängt in einer Scheune aufgefunden. Walerjan Smucek, ein junger polnischer Erntehelfer vom benachbarten Gut, kauert völlig verstört bei der Leiche und legt ein Geständnis ab. Viele warten auf einen schnellen, kurzen Prozess und die Todesstrafe - die Sache scheint ja klar. Da die Familie der Toten aus der schwarzbraunen "Landvolkbewegung" stammt, erreicht der Fall zudem eine politische Brisanz: der Bruder, ein SA-Mann, fordert am Grab "Deutsche Sühne". Doch dann wird der Rechtsanwalt Johannes Blum zum Pflichtverteidiger des Polen bestellt, ein Gegner der im damaligen Deutschland zulässigen Todesstrafe." Aus Ankündigung des Verlags.


RAGE AGAINST THE DEATH MACHINE

JUMP UP Schallplattenversand
Doppel CD - VÖ: 20.12.2009, Deutschland
13.00 Euro incl. MwSt. zzgl. Versandkosten
Art-Nr.: JUP-00020
E-Mail: info@jumpup.de // www.jump-up.de

Am 20. Dezember 2009 erscheint ein neuer Solidaritätssampler für Mumia Abu-Jamal beim JUMP UP Schallplattenversand.
Herausgeber ist die Rote Hilfe e.V..
Mumia Abu-Jamal sitzt bereits 28 Jahre seines Lebens als politischer Gefangener im Todestrakt von Pennsylvania (USA). Die lebensfeindlichen Haftbedingungen im Todestrakt haben Mumia weder gebrochen noch zum Schweigen gebracht. Auch aus der Todeszelle gibt er nicht auf und schreibt gegen die Ungerechtigkeiten der kapitalistischen Gesellschaft.
Jetzt haben sich viele Künstlerinnen und Künstler zusammengeschlossen, um auf dieser CD ihre Solidarität mit Mumia Abu-Jamal zu zeigen. Es sind z. B. folgende Künstlerinnen und Künstler auf der Doppel CD vertreten: Abuela Coca, Panteón Rococó, Rogue Steady Orchestra, Kiemsa, High tone, Zion Train, Radikal Dub Kollektiv, Ganjaman, Irie Revolte, Chaoze one, Spiritchild, Rebell der Welt, Plan 88, Pyro One, ewo2, Holger Burner, Ssopot, Scorn, Die Kleingeldprinzessin & die Stadtpiraten, Yok und viele mehr.
Alle Überschüsse aus dem Verkauf bekommt die Rote Hilfe e.V. um sie für die weitere Solidaritätsarbeit für Mumia Abu-Jamal zu verwenden.


Krisenreaktion

Hubert Brieden
Verlag Arbeitskreis Regionalgesch.
Kriminalroman, 250 Seiten, 14,90 Euro
ISBN: 978-3-930726-14-1

"Siegfried Altmann, Mitarbeiter eines Jobcenters in der Region Hannover, fällt einem Anschlag zum Opfer. Der arbeitslose Täter ist bald gefasst. Ebenso schnell stellt sich heraus, dass er ein Klient des Ermordeten war und in einer Arbeitslosengruppe mitarbeitete. Diese bittet Helmuth Krassek, den freien Mitarbeiter eines freien Radios, mit ihnen eine Sendung zu machen. Dann stellt er fest, dass der Biedermann vom Arbeitsamt und ehemalige Soldat noch andere Einkünfte hatte. Die Spuren führen ins hannoversche Rotlichtmilieu."(Klappentext)
Was mir an diesem Buch gefällt, es beschreibt ironisch, aber nie denunzierend, auch das Leben der (radikalen) Linken im kapitalistischen Alltag. Wie ist Leben möglich, ohne sich zu verbiegen? Wie ist Widerstand möglich? Kämpfen um korrekte Beziehungen. Auch die neoliberale Abwicklung von dem Freien Radio Flora aus Hannover wird behandelt.


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radio flora - hannovers web-radio

"Wieviel sind hinter Gittern, die wir draußen brauchen!"
Politische Gefangene - Sendung zu Repression und Widerstand
Freundeskreis Lokal-Radio e.V.
Zur Bettfederfabrik 3, 30451 Hannover

Jeden ersten Dienstag im Monat von 18 bis 19 Uhr.
Zu empfangen per Livestream über:
www.radioflora.de


KNAST & JUSTIZ
das info gegen repression

jeden Freitag von 19 bis 20 Uhr auf Radio - FSK -
FM 93,0 MHz / 101,4 MHz (im Kabel)
livestream: www.fsk-hh.org/livestream

E-Mail: knastundjustiz@fsk-hh.org
Telefon: 040 - 432 500 46
Postbox: Redaktion K&J c/o Schwarzmarkt
Kleiner Schäferkamp 46
20357 Hamburg


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Freiheit für Mumia!

und alle revolutionären Gefangenen weltweit!

Seit 27 Jahren ist Mumia Abu Jamal in den USA im Knast. Er wurde zum Tode verurteilt. Aktuell ist Mumias Leben bedroht. Die Staatsanwaltschaft von Philadelphia fordert seine Hinrichtung, da er sein Leben lang gegen das kapitalistische, rassistische und imperialistische System der USA gekämpft hat und dies auch weiterhin tut.

Sein Kampf ist unser Kampf!

FREIHEIT FÜR MUMIA UND ALLE REVOLUTIONÄREN GEFANGENEN WELTWEIT!
GEGEN AUSBEUTUNG, KRIEG UND REPRESSION!
FÜR DEN KOMMUNISMUS!

www.rhi-sri.org
November 2009

Arbeitskonferent für den Aufbau der
Roten Hilfe International
(Belgien, Deutschland, Italien, spanien, Schweiz, Türkei)


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IMPRESSUM

Gefangenen Info
November/Dezember 2009, Nr. 351

Das Gefangenen Info ist aus dem Angehörigen Info hervorgegangen, welches im Hungerstreik der politischen Gefangenen 1989 entstand.

HerausgeberInnen:
Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen und FreundInnen

V.i.S.d.P.:
Wolfgang Lettow c/o Stadtteilladen Lunte e.V.
Weisestraße 53, 12049 Berlin

Nichtredaktionelle Texte spiegeln nicht unbedingt die
Meinung der Redaktion wider. Beiträge der Redaktion
sind entsprechend gekennzeichnet.

Redaktionsanschrift:
Gefangenen Info, c/o Stadtteilladen Lunte e.V.
Weisestraße 53, 12049 Berlin
E-Mail Redaktion: redaktion@gefangenen.info
E-Mail Vertrieb: vertrieb@gefangenen.info
Internet: www.gefangenen.info

Bestellungen: Einzelpreis: 2 Euro. Ein Jahresabonnement kostet 29,90 Euro (Förderabo 33,20 Euro), Buchläden, Infoläden und sonstige Weiterverkäufer erhalten bei Bestellungen ab 3 Stück 30% Rabatt. Bei Bestellungen erhalten Sie eine Rechnung, die anschließend auf das Konto des Gefangenen Info zu überweisen ist.

Bankverbindung:
Johannes Santen, Ra
Treuhandkonto
Gefangenen Info
Konto-Nr.10382200
Bankleitzahl: 20010020
Postbank Hamburg

Eigentumsvorbehalt: Nach diesem Eigentumsvorbehalt ist die Zeitung solange Eigentum der/des AbsenderIn, bis es den Gefangenen ausgehändigt worden ist. "Zur-Habe-Nahme" ist keine Aushändigung im Sinne des Vorbehalts. Wird das Info den Gefangenen nicht persönlich ausgehändigt, ist es der/dem AbsenderIn mit dem Grund der Nichtaushändigung zurückzuschicken.


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Quelle:
Gefangenen Info Nr. 351, November/Dezember 2009
Redaktionsanschrift: Gefangenen Info, c/o Stadtteilladen Lunte e.V.
Weisestraße 53, 12049 Berlin
E-Mail: redaktion@gefangenen.info
Internet: www.gefangenen.info


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. April 2010