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DAS BLÄTTCHEN/1872: Die Gebetsmühle der Investoren(lobby)


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
22. Jahrgang | Nummer 4 | 18. Februar 2019

Die Gebetsmühle der Investoren(lobby)

von Ulrike Steglich


Ein Gespenst geht um in Berlin, und es heißt nicht Kommunismus. Es heißt vielmehr "Deutsche Wohnen" - ein Schreckensname für zahllose Mieter, deren Haus bereits an den Immobilienriesen verkauft wurde oder denen der Verkauf droht. Denn die "Deutsche Wohnen" ist längst dafür bekannt, eine Schneise der Verwüstung zu hinterlassen - wie das Heuschrecken eben so machen. Zahlreiche Mieter könnten ganze Bücher füllen mit Erfahrungsberichten über kaputte Heizungen, mangelnde Instandsetzungsmaßnahmen, überhöhte und unkorrekte Betriebskostenabrechnungen, Mieterhöhungen bis zum Anschlag. Noch schlimmer ist die Schneise nach Modernisierungsmaßnahmen, die mit exorbitanten Summen auf die Mieten umgelegt werden: Zurück bleiben sanierte Häuser und Wohnungen zu überteuerten Preisen - bloß die Mieter, die bis dato in diesen Wohnungen lebten, sind dann weg, weil sie sie einfach nicht mehr bezahlen können.

Die "Deutsche Wohnen" ist nicht die einzige Heuschrecke, die sich durch Berlin gefräst hat, aber eine große. Sie besitzt hier circa 110.000 Wohnungen, fast 7 Prozent des gesamten Wohnungsbestandes in der Hauptstadt - und sie hat noch lange nicht genug. Prominente Lagen werden dabei gern genommen. Erst jüngst konnte - nach massiven Mieterprotesten gegen die "Deutsche Wohnen" - das Land mittels eines komplizierten Vorkaufsrechtes zahlreiche Wohnungen in zwei Blocks an der Karl-Marx-Allee sichern.

In den letzten Jahren blühte munter die Immobilienspekulation, hinzu kam der "Run" auf beliebte Großstädte. Die Einwohnerzahlen stiegen binnen kurzem rasant, und bald überstieg die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum das Angebot. Aus dem Berliner Mietermarkt (rund 85 Prozent des Bestandes sind Mietwohnungen) war binnen weniger Jahre ein VERmietermarkt geworden. Auch international agierende Investmentfonds hatten Berlin als wahres Eldorado für Spekulationen entdeckt. In der Folge gingen die Boden- und Immobilienpreise durch die Decke. Um unter diesen Bedingungen überhaupt die dringend benötigten bezahlbaren Kommunalwohnungen neu bauen zu können, muss das Land Berlin auf die ohnehin knappen städtischen Grundstücksflächen zurückgreifen. Der kleine, aber verflixte Haken ist nämlich, dass sich die Ressource Boden schlicht nicht reproduzieren lässt.

Doch das Desaster ist zu einem guten Teil auch hausgemacht. Im großen Stil hatte das Land Berlin vor allem in den 1990ern einen erheblichen Teil des kommunalen Wohnungsbestandes privatisiert - teils getrieben durch das Altschuldenhilfegesetz, teils, um schnelles Geld in die chronisch leere Landeskasse zu spülen, und angefeuert durch das neoliberale Geseier, dass der Markt doch allemal den klügeren und effizienteren Staat mache. Anders als die Stadt Wien, die wohlweislich seit vielen Jahren streng darauf achtet, den kommunalen Wohnungsbestand bei rund 50 Prozent zu halten, gab Berlin (wie auch andere Kommunen) allzu leichtfertig ein wichtiges Steuerungsinstrument aus der Hand. Schon in den 1990er Jahren wurde diese Politik heftig kritisiert. Doch noch gab es genügend leerstehende, preiswerte Wohnungen. Der bittere Höhepunkt war erreicht, als noch 2004 die gesamte städtische Gesellschaft GSW mit 58.000 kommunalen Wohnungen an die Heuschrecken Cerberus und Whitehall verkauft wurde, zu läppischen 405 Millionen Euro. Damals stand Berlin unter hohem finanziellen Druck, nachdem der schwarz-rote Senat die obskure Bankgesellschaft Berlin munter in den Sand setzen ließ und der Kommune eine milliardenschwere Hypothek hinterließ - ein beispielloses Desaster.

2013 kaufte wiederum die Deutsche Wohnen die GSW-Bestände. Auf einen Schlag gehörte sie damit in Berlin zu den größten "Playern" und ist seither für ihre rabiate Expansions- und Profitpolitik berüchtigt.

Doch wie wird die Kommune nun wieder wenigstens halbwegs Herr der Lage, wie kriegt man den Geist wieder in die Flasche zurück? Denn im Kessel wächst der Druck, wenn immer mehr Niedrig- und auch Normalverdiener aus ihren innerstädtischen Quartieren verdrängt werden und auch andernorts kaum noch etwas Bezahlbares finden. Was, wenn Postboten, Pflegerinnen, Erzieher, Verkäuferinnen, Polizisten, Busfahrer sich die Stadt, die existentiell auf ihre tagtägliche Arbeit angewiesen ist, als Wohnort nicht mehr leisten können und das Wutpotential weiter steigt?

Nachdem die schwarz-rote Koalition jahrelang kaum auf die sich zuspitzende Lage reagierte, sah sich der 2016 angetretene rot-rot-grüne Senat nun einer Mammutaufgabe gegenüber. Die zuständige Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen unter der Linken-Politikerin Katrin Lompscher setzt auf eine Doppelstrategie: Neubau preisgünstiger Wohnungen in Größenordnungen durch die städtischen Wohnungsgesellschaften einerseits, Nachverdichtungen und Sicherung bezahlbarer Wohnungsbestände andererseits. Dem Neubau sind allerdings bei allem Ehrgeiz auch Grenzen gesetzt: schon - siehe oben - wegen des Mangels an Grundstücken, aber auch an Baukapazitäten.

Gleichzeitig aber - und das ist weit- und umsichtig - geht es nun auch um die Wohnraumsicherung in der Bestandsstadt. Allerdings gibt das Gesetz den Kommunen nicht viele Instrumente an die Hand, um Immobilienspekulation wirksam zu verhindern. Eines davon ist - bei allen Mängeln - die (freilich zeitlich und räumlich beschränkte) Milieuschutzverordnung, die in den letzten Jahren auch für deutlich mehr Berliner Quartiere eingesetzt wurde, um der Umwandlung in Eigentumswohnungen und spekulativen Hausverkäufen vorzubeugen. Erst punktuell, dann etwas mutiger macht nun das Land Berlin von seinem Vorkaufsrecht und dem der Mieter beziehungsweise der Möglichkeit des An- oder Rückkaufs von Wohnungsbeständen Gebrauch. Jüngst wurden so mehrere hundert Wohnungen in der Karl-Marx-Allee oder 1800 Wohnungen im Kosmosviertel gesichert. Billig ist das freilich nicht, und Augenmaß und genaue Fallprüfungen sind gefragt, will sich die Stadt nicht zum Handlanger der Spekulation machen. Der bündnisgrüne Bezirksbürgermeister von Berlin-Mitte sagt etwa, man dürfe nicht über jedes Investorenstöckchen springen, sprich: überzogene Preisforderungen.

Doch prompt machte das böse Wort "Enteignung" die Runde (und tatsächlich gibt es auch eine breite Bewegung "von unten", die die Enteignung großer Spekulationskonzerne fordert). Davon ist der Senat mit seiner Ankaufpolitik noch weit entfernt. Doch umgehend und erwartbar hagelte es massive Kritik von Immobilienwirtschaft, Eigentümerverbänden und ihrer politischen Lobby (vor allem in CDU und FDP) an der rot-rot-grünen Wohnungspolitik. Das Geld für die Ankäufe solle man besser in Neubau investieren, hört man da oft - gipfelnd im gebetsmühlenartig repetierten Satz, mit Ankäufen entstünde keine einzige der so dringend benötigten neuen Wohnungen.

Das ist nun, mit Verlaub, ein so kreuzdämliches, billiges und fadenscheiniges Argument, dass man sich fragt, für wie doof und naiv die Adressaten dieser Gebetsmühle eigentlich gehalten werden. Der Witz an der Sache ist ja, dass für jede Wohnung, in der die bisherigen Bewohner bleiben dürfen und nicht verdrängt werden, eben keine neue Wohnung gebaut werden muss, die ja nötig wäre, wenn die Leute zum Umzug gezwungen würden. Und wohin, bitte schön, sollen denn all die Busfahrer, Erzieherinnen, Verkäufer, Polizisten, Krankenschwestern, Pfleger, die jungen Familien und die Rentner ziehen? Jede Neubauwohnung würde auch ein Mehr an Miete verschlingen. Das wiederum ist auch - zweitens - von stadtökonomischer Bedeutung: Schützt man Mieter vor exorbitanten Mieten, wandert ein Teil der Einkommen eben nicht mehr in die dicken Taschen der Spekulanten, sondern kann in die lokale Ökonomie oder auch die Alterssicherung fließen.

Drittens stößt, wie gesagt, Neubau an räumliche und preisliche Grenzen. Schon weil die Ressource Boden eben nicht reproduzierbar ist, ist es dringend notwendig, den Bestand zu sichern und zu stärken. Und auch aus ökologischen Gründen ist es geboten, innerstädtische Bestände zu nutzen, aufzustocken und in die Höhe zu bauen, als immer mehr flächenfressende monotone Eigenheimsiedlungen hinzupflanzen.

Viertens aber, und das ist wesentlich, geht es hier um nichts weniger als Gesellschaftspolitik. Wer zulässt, dass sich die Stadtgesellschaft immer mehr spaltet in betuchte Eigentümer von großzügigen Innenstadtlofts einerseits und "Banlieues" mit hoher Belegungsdichte am Rand, setzt den sozialen Frieden der Gesellschaft gefährlich aufs Spiel. Eine Stadt gehört eben nicht nur denen, die sie sich kaufen und "leisten" können, sondern vor allem jenen, die das urbane Leben in der Stadt erst möglich machen. Und wie pervers ist ein Wohnungsmarkt, wenn junge Familien sich kaum noch trauen, Kinder zu bekommen, weil Kinder eben auch Wohnraum brauchen, oder der alte Menschen dazu zwingt, in zu groß gewordenen Wohnungen zu bleiben, weil jede kleinere das Doppelte kosten würde?

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 4/2019 vom 18. Februar 2019, Online-Ausgabe
E-Mail: redaktion@das-blaettchen.de
Internet: https://das-blaettchen.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Februar 2019

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