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DAS BLÄTTCHEN/1688: Schuldenbremse und Staatsschuld


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
20. Jahrgang | Nummer 9 | 24. April 2017

Schuldenbremse und Staatsschuld

von Ulrich Busch


2009 hatten sparwütige Finanzdogmatiker mit der "Schuldenbremse" eine verfassungsrechtliche Regelung zur Begrenzung der Staatsschulden in Deutschland durchgesetzt. Im Grundgesetz wurde festgeschrieben, dass die Haushalte von Bund und Ländern künftig "grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen" seien - Art. 109 (3) GG. Danach darf die jährliche strukturelle Nettokreditaufnahme des Bundes seit 2011 nicht mehr als 0,35 Prozent des nominalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) betragen und muss der Bundeshaushalt ab 2016 "ausgeglichen" sein. Für die Bundesländer gilt, dass sie ab 2020 keine neuen Kredite mehr aufnehmen dürfen, die regulären Einnahmen also ausreichen müssen, um die Ausgaben zu finanzieren. Das Ziel für den Bund wurde 2016 erreicht, über die Zielrealisierung der Länder wird man erst 2021 Bescheid wissen. Trotz der zuletzt finanzpolitisch positiven Bilanz ist die "Schuldenbremse" nach wie vor umstritten. So bezweifeln die einen die ökonomische Rationalität der rigiden Schuldenbegrenzung und verweisen auf die vielen unerledigten Aufgaben des Staates, zum Beispiel bei der Erhaltung der Verkehrsinfrastruktur, im Bildungswesen und so weiter, wofür nun das Geld fehlt. Anderen dagegen gehen die beschlossenen Regelungen nicht weit genug. Sie plädieren deshalb nicht nur für eine Begrenzung der Staatsschulden, sondern fordern darüber hinaus deren Rückführung und vollständigen Abbau. Unterstützer dafür gibt es inzwischen in allen Parteien, am lautesten aber tönen hier die Vertreter von FDP und AfD. Sie verunsichern die Menschen und schüren Zukunftsängste, indem sie ein Finanzchaos und den drohenden Staatsbankrott prophezeien, sofern die exponentielle Verschuldung nicht sofort gestoppt werde. Sie reden statt von "Krediten" von einer zu tilgenden "Schuld" und verlangen die Rückzahlung der seit 1948 aufgelaufenen Verbindlichkeiten des Staates. Dies aber ist unbegründet und ökonomisch irrational und zeugt weder von finanzökonomischer Kompetenz noch von politischer Verantwortung.

Schauen wir uns dazu einige Fakten an: Die Staatsverschuldung in Deutschland betrug im Jahr 2000 1.198 Milliarden Euro, 2005 waren es 1.490 Milliarden und 2010, nachdem die "Schuldenbremse" beschlossen worden ist, 2.089 Milliarden. Sie kletterte dann bis 2012 auf 2.205 Milliarden Euro. Seitdem ist sie leicht rückläufig: 2016 waren es noch 2.140 Milliarden Euro. Das entspricht einem Anstieg von 83,5 Prozent seit dem Jahr 2000, aber nur von 1,0 Prozent seit 2010! Von einem anhaltenden exponentiellen Wachstum kann also überhaupt keine Rede sein. Aber die absoluten Größen sagen wenig aus. Wichtiger sind die Relationen, zum Beispiel zum BIP. Aber auch hier zeigt sich kein wirklich dramatischer Verlauf: Setzt man den Schuldenstand ins Verhältnis zum BIP, so erhält man die Schuldenquote. Diese lag im Jahr 2000 bei 56,6 Prozent, 2008 bei 66,3, 2010 bei 81,0, 2012 bei 79,9, 2015 bei 71,2 und 2016 bei 68,3 Prozent. Sie bewegt sich damit auf die Zielgröße von 60,0 Prozent zu, obwohl die absolute Verschuldung auf hohem Niveau verharrt. Noch günstiger verlief die Entwicklung der Zinsausgaben. Diese lagen für die Gebietskörperschaften 2012 bei knapp 70 Milliarden Euro. 2015 waren es schon weniger als 50 Milliarden. Für den Bund beliefen sich die Zinsausgaben 2016 nur noch auf 18,4 Milliarden Euro und waren damit nicht viel höher als 1990. Das BIP hat sich seither aber nominal verdoppelt. Folglich verringerten sich die entsprechenden Quoten, die Zins-Ausgaben-Quote, die 2000 noch bei 16,0 Prozent lag, betrug 2016 nur noch 5,6 Prozent, die Zins-Steuer-Quote lag bei 6,1 Prozent. Das ist wahrlich nicht viel und zeigt, wie der Staat derzeit von dem niedrigen Zinsniveau profitiert. Die Zahlen zeigen aber auch, dass die Debatte hierüber eher von Hysterie als von Sachlichkeit geprägt ist.

Ein anderer Aspekt, der die Behauptung, Deutschland sei zu hoch verschuldet, stark relativiert, betrifft die Gegenposition zu den Krediten, die Geldvermögen der privaten Haushalte. Diese beliefen sich 2016 brutto auf mehr als 5.500 Milliarden und netto auf mehr als 3.800 Milliarden Euro. Dem stehen bilanziell Staatsschulden von 2.140 Milliarden und Unternehmensschulden von rund 1.800 Milliarden Euro gegenüber. Das ist ein absolut gesundes Verhältnis! Interessant ist, dass die deutschen Staatsschulden fast zur Hälfte von Ausländern gehalten werden, zu gut einem Drittel von der Bundesbank und von inländischen Banken, aber nur zu 7,5 Prozent von sonstigen inländischen Gläubigern, wozu die deutsche Bevölkerung zählt. Dies wirft Fragen nach den Folgen einer Reduktion dieser Kredite auf.

Es ist nicht ganz klar, welche Vorstellungen die Protagonisten einer Rückführung der Staatsschulden via Rückzahlung mit ihrer Forderung verbinden, aber man sollte bedenken, dass Schulden immer Gelder verkörpern, die bereits ausgegeben worden sind. Schließt man die Aufnahme neuer Kredite zum Zwecke der Tilgung alter Schulden, wie es die "Schuldenbremse" verlangt, aus, so erfordert deren Rückzahlung die Generierung neuer Einnahmen. Dafür aber kommen, sofern man von außerordentlichen Einnahmen wie zum Beispiel den Gewinnabführungen der Deutschen Bundesbank einmal absieht, grundsätzlich nur zwei Wege infrage: Entweder der Staat erhebt höhere beziehungsweise zusätzliche Steuern, wie zum Beispiel 1991 den sogenannten Solidaritätszuschlag, oder aber er veräußert Teile des Staatsvermögens. Beide Wege aber sind unpopulär. Ersterer belastet die Bevölkerung und verringert die Konsum- und Investitionsnachfrage, was zu Wohlstandseinbußen führt. Letzterer lässt den Staat verarmen, was in der Folge unvermeidlich zu einer höheren Verschuldung oder höheren Steuern führt. Wer hat davon einen Nutzen? Auf Grund der Gläubigerstruktur der Staatsverschuldung würde eine Rückzahlung der Kredite doch nur bedeuten, dass mehr Geld, das zuvor über inländische Steuern aufgebracht wurde, ins Ausland abfließt und dass der Staat künftig geringere Zinsausgaben hat. Dafür aber würden die Investitionen und die Sozialleistungen geringer ausfallen. - Wäre es da nicht vernünftiger, angesichts des niedrigen Zinsniveaus über neue und höhere Kredite, vor allem zum Zwecke der Finanzierung notwendiger Zukunftsinvestitionen, nachzudenken und die "Schuldenbremse" wieder abzuschaffen?

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 9/2017 vom 24. April 2017, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 20. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath (†)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Mai 2017

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