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DAS BLÄTTCHEN/1560: Der Reichtum ist westlich


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
19. Jahrgang | Nummer 2 | 18. Januar 2016

Der Reichtum ist westlich

von Ulrich Busch


Ist von Armut die Rede, so muss auch vom Reichtum gesprochen werden. Nimmt die Armut zu, so wächst auch der Reichtum. Dies ergibt sich allein schon aus der Tatsache, dass Armut und Reichtum zwei Seiten ein und derselben Medaille sind, nämlich der Einkommens- und Vermögensverteilung. Dies darf aber nicht so gedeutet werden, als würde hier eine permanente Umverteilung stattfinden und würden Einkommen und Vermögenswerte fortgesetzt von der einen Seite auf die andere Seite verschoben. Letzteres gibt es natürlich auch; in der Realität ist der Zusammenhang aber weitaus komplexer.

So ist in einer dynamischen Wirtschaft die zunehmende Ungleichheit vor allem darauf zurückzuführen, dass sich die Vermögenden, Mächtigen und Bessergestellten den gesellschaftlich erwirtschafteten Zuwachs am Sozialprodukt zum größten Teil oder zur Gänze aneignen, während alle anderen weniger davon bekommen oder sogar leer ausgehen. Auf diese Weise verschiebt sich die Relation mehr und mehr zugunsten ersterer, ohne jedoch, dass letztere absolut ärmer würden. Ihr Wohlstand kann sogar wachsen, nur eben langsamer, als das Sozialprodukt wächst und weniger dynamisch als der Anteil der Reichen. Dies ändert sich, wenn die Dynamik nachlässt oder gar zum Erliegen kommt und es keinen Zuwachs mehr zum Verteilen gibt. Dann beginnen die Verteilungskämpfe, wo die eine Seite nur noch gewinnen kann, was die andere verliert und umgekehrt.

Schaut man sich die Charts des ökonomischen Wachstums der letzten Jahrzehnte an und konfrontiert diese mit den Prognosen für die kommenden Jahre, so wird sehr schnell klar, dass wir uns gegenwärtig in einer eklatanten Umbruchsituation befinden. Die Wachstumsraten gehen unaufhaltsam zurück und die Verteilungskonflikte nehmen infolgedessen zu: global, aber auch innerhalb einzelner Volkswirtschaften, Staaten und Regionen. An den gegenwärtig eskalierenden Streitigkeiten in der Autobranche lässt sich ablesen, wie dieser Konflikt global ausgetragen wird. In den Auseinandersetzungen um den Einfluss von Gewerkschaften, die Einführung von Mindestlöhnen, die Regulierung oder Deregulierung der Arbeitsmärkte, Gütermärkte und Finanzmärkte, die Sozialversicherungsgesetzgebung oder das Erbrecht zeigt sich, wie die Verteilungskämpfe im Innern einer Gesellschaft ausgetragen werden. Dass diese momentan zunehmen, ist unübersehbar. Aber auch ihr Ergebnis tritt mit jedem Jahr klarer hervor und kann anhand von Statistiken besichtigt werden: Der Anteil einer kleinen Gruppe Reicher und extremer Spitzenverdiener am Gesamtvermögen beziehungsweise Gesamteinkommen wächst in Deutschland ebenso wie in anderen Volkswirtschaften.

Heute schon gehören rund zehn Prozent aller Haushalte in Deutschland mehr als zwei Drittel aller Vermögenswerte, und einem Prozent mehr als ein Drittel. Wer sind diese Leute? Ganz oben in der Pyramide stehen rund 100 Vermögens-Milliardäre. Ihre Namen werden regelmäßig in einschlägigen Magazinen publiziert, der genaue Umfang ihres Vermögens dagegen kann nur geschätzt werden. Bemerkenswert ist jedoch, dass sie alle in den alten Bundesländern leben, vorzugsweise im Süden der Republik, sofern nicht in der Schweiz, in Monaco oder den USA. Das gleiche gilt für die darauf folgende Kategorie, die Multimillionäre, wovon es in Westdeutschland rund eine Viertelmillion gibt, in Ostdeutschland dagegen keinen einzigen. Es folgt rund eine Million Millionärshaushalte. Auch hierbei handelt es sich fast durchweg um Westdeutsche, selbst dann, wenn sie ihren Wohnsitz im Osten haben. Dann folgt der gutsituierte Mittelstand, dessen soziale Stellung immer fragiler wird, wo das Vermögen aber immer noch ausreicht, um sich klar vom Durchschnitt der Bevölkerung abzusetzen. Auch hier überwiegt der Anteil Westdeutscher. Im Osten ist dagegen mit einer steigenden und überproportionalen Armutsquote zu rechnen.

Auf Grund der Tatsache, dass die Eigentümer großer und supergroßer Immobilien-, Produktiv- und Geldvermögen überwiegend bis ausschließlich in den alten Bundesländern beheimatet sind, besitzt die Vermögensungleichheit in Deutschland nicht nur eine ökonomische und soziale, sondern zusätzlich eine regionale Dimension, die es in anderen Staaten so nicht gibt. Beachtenswert ist dabei die Feststellung, dass dies nicht nur zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung galt, sondern gleichermaßen auch heute gilt. Fünfundzwanzig Jahre nach dem Zusammenschluss der beiden deutschen Staaten unterscheiden sich beide Landesteile nirgends stärker als in ihren Vermögensverhältnissen. Im Unterschied zu anderen Indikatoren ist hier im Zeitverlauf kaum ein Konvergenzprozess auszumachen. Vielmehr gehört die Diskrepanz bei den privaten Vermögen zu den stabilsten regionalen Unterschieden in Deutschland. Sie spaltet die Nation, indem sie in Ost und West unterschiedliche Lebensweisen erlaubt, die verfassungsmäßig verbürgte Chancengleichheit faktisch untergräbt und die Integration der neuen Länder nachhaltig behindert.

Während sich die Ost-West-Relation in der wirtschaftlichen Leistungskraft (Bruttoinlandsprodukt je Einwohner) im Zeitverlauf von 0,56 (1989) und 0,33 (1991) auf 0,67 (2014) verbessert hat, liegt die Vermögensrelation (ohne Berlin) derzeit immer noch bei nicht viel mehr als einem Drittel. Das heißt, die Westdeutschen besitzen im Durchschnitt fast dreimal so viel privates Vermögen wie die Ostdeutschen. Bei der Interpretation dieser Relation ist die oben dargestellte Konzentration des Reichtums im Süden und Westen der Republik natürlich zu berücksichtigen. Würde man nur die mittleren und unteren Schichten miteinander vergleichen, so fiele die Differenz spürbar geringer aus.

Die Erklärung für die anhaltende Ost-West-Diskrepanz ist einerseits in der für eine Vermögensangleichung entschieden zu geringen Konvergenz der Einkommen zu sehen. Andererseits aber spiegelt sich hierin auch die Eigendynamik der Vermögensentwicklung, ihrer Akkumulation und Reproduktion, wider. Dies ist ein Hinweis darauf, dass auch in Zukunft kaum mit einer Einebnung des West-Ost-Gefälles zu rechnen sein wird, sondern eher mit einer weiter divergierenden Entwicklung. Konkret zeigt sich dies auch darin, dass in den alten Bundesländern der Anteil der Reichen, die ihr Vermögen nicht selbst erwirtschaftet, sondern es größtenteils oder vollständig geerbt haben, besonders groß ist. In den neuen Bundesländern dagegen hält sich der Umfang der Erbmasse in überschaubaren Grenzen. Durch eigene Arbeit aber kommt man kaum zu großem Vermögen.

Und was bedeutet dies nun für den sich anbahnenden Verteilungskampf? Nicht viel, denn offensichtlich hat dieser zu einem entscheidenden Teil bereits stattgefunden. Die Jahr für Jahr von Ost nach West fließenden Milliarden Euro Unternehmensgewinne, Mieten, Pachten, Zinsen, Dividenden sowie die fortbestehende Einkommensdifferenz zeugen jedenfalls davon, in welche Richtung sich die Polarisierung von Reichtum und Armut bewegt. Und sie zeigen uns, wo die Gewinner und wo die Verlierer in diesem Prozess zu suchen sind.

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 2/2016 vom 18. Januar 2016, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 19. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath (†)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Februar 2016

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