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DAS BLÄTTCHEN/1116: Politikverdrossenheit


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
14. Jahrgang | Nummer 15 | 25. Juli 2011

Politikverdrossenheit

Von Franz Schandl, Wien


Politik? Gar Tagespolitik? Tja. Selbstverständlich ist es nie ganz egal, wer da wo, wann und warum gewählt wird, wer die Ämter besetzt und die Gelder vergibt. Sich aber deswegen einzureden, hier gehe es um essenzielle Unterschiede, ist ein Trugschluss. Freilich einer, der konstitutiv und unausweichlich erscheint. Politik ist die Illusion des Stimmbürgers, der den freien Willen mit seiner Freiwilligkeit verwechselt. Die haltlose Einbildung, sowohl in Handlungen als auch in Entscheidungen souverän zu sein. Eben deswegen ist nicht der freie Wille anzurufen, sondern der Unwille als Nucleus eines wirklich freien Willens. Nicht der freie Wille ist Voraussetzung, sondern der Unwille zur Entsprechung. Dieses vitale Ringen um den Raum der Möglichkeiten darf nicht der ideologiekritischen Säuberung zum Opfer fallen - im Gegenteil, jenes ist ein Keim der Transformation! Es spürt, was zu reflektieren wäre.

Eine spezifische Forderung ist daher die nach Ausweitung und Vertiefung der Politikverdrossenheit. Politikverdrossenheit ist nun ein Empfinden, das sich zwar nicht auszudrücken versteht, aber sich auch kaum mehr beeindrucken lässt. Sie ist ziemlich unabhängig davon, wo die Menschen politisch stehen oder besser: gestanden sind. Sie kann alle ergreifen. Sie ist also eine klassenlose Regung, nicht Ausdruck eines subjektiven Interesses, sondern eines um sich greifenden antisubjektiven Desinteresses. Hervorzuheben ist, dass sie sich nicht der Täuschung ausliefert, sondern sich als Enttäuschung zulässt, auch wenn sie diese noch nicht als solche zu begreifen vermag.

Die soziale Stellung der Wähler mag man miteinbeziehen, aber sie ist heute nicht mehr die prägende Kraft, um Richtungen oder gar Lager zu verorten. Das war einmal. Strukturelle Zuordnungen sagen wenig aus, vor allem in Zeiten der Flexibilisierung und Prekarisierung. Wenn gegenwärtig auch Arbeiter zum Populismus drängen, dann ist das nicht irgendeinem (verqueren) Klassenbewusstsein geschuldet, sondern eher der Angst vor der Deklassierung, die jenem Stoff und Nahrung liefert. Aber selbst diesen Aspekt sollte eins nicht überbewerten. Ausschlaggebend ist vielmehr die weitgehend formatierte Ausrichtung, ja die mentale Zurichtung aller Wähler, deren erste Stimmungen sich mit denen der Populisten treffen, weil sie nichts anderes sind als unmittelbare Regungen in vorgegebenen Schemen. Solche Motive sind nicht klassenspezifisch zu erklären.

Gerade in der Politikverdrossenheit liegt ein antipopulistischer und antipolitischer Reflex. Im Gegensatz zur Politikunverdrossenheit, die weiterhin gebetsmühlenhaft ihre Appelle und Postulate loslässt, ist die Politikverdrossenheit nicht willens, sich aktiv zu artikulieren. Sie entzieht sich, verweigert sich, will einfach nicht. Sie findet nicht nur keine gemeinsame Sprache mit der Welt der Politik, sie hat überhaupt keine. Dieser Welt ist sie entflohen ohne anderswo an Land gegangen zu sein. Sie ist ein flüchtiges Dazwischen, ein Nicht-Mehr, aber auch ein Noch-Nicht. Sie ist nicht mehr politisch, aber auch noch nicht antipolitisch, sie verharrt in einem fragilen Zustand des Unpolitischen.

Diese Verdrossenheit ist von der Nichtpolitik zu einer Antipolitik zu heben, jene ist aus der Indifferenz rauszuholen. Eins hat sich eben nicht einer fatalistischen Ergebenheit auszuliefern. Eine Aufgabe des Populismus besteht hingegen darin, die Politikverdrossenen wieder zurückzuholen, was ja teilweise gelingt. Liberalismus und Populismus sind in unserer Auffassung Verbündete, ein synkretistischer Block gegen den sich einschleichenden elementaren Gedanken, dass es da vielleicht etwas anderes geben könnte als das Universum der Politik.

Alle haben sich so sehr an die Assoziationen von Politik und Politisierung gewöhnt, dass diese gar nicht wegzudenken sind. Auch in der sprachlichen Kommunikation erscheinen sie als Allgemeingut. Zwar glaubt man nicht mehr so richtig daran, aber man hat auch nichts anderes, an dem man sich festhalten könnte. Immer wieder gedeihen Hoffnungen, wird der Wunsch, sich doch noch täuschen zu lassen, zur Motivation der Betätigung.

Indes gilt es, über den verordneten Horizont hinaus zu gelangen. Schon der junge Marx schrieb über die Grenzen der Politik Folgendes: "Der politische Verstand ist eben politischer Verstand, weil er innerhalb der Schranken der Politik denkt. (...) Das Prinzip der Politik ist der Wille. Je einseitiger, das heißt also, je vollendeter der politische Verstand ist, um so mehr glaubt er an die Allmacht des Willens, um so blinder ist er gegen die natürlichen und geistigen Schranken des Willens, um so unfähiger ist er also, die Quelle sozialer Gebrechen zu entdecken."


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Quelle:
Das Blättchen Nr. 15/2011 vom 25. Juli, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 14. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath, Heinz Jakubowski
... und der Freundeskreis des Blättchens
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juli 2011