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DAS BLÄTTCHEN/1027: Weiter Krise


Das Blättchen - Nr. 10 vom 24. Mai 2010
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft

Weiter Krise

Von Erhard Crome


In den bürgerlichen Köpfen herrscht Wirrnis. Die Lohnschreiber des Spekulantentums schreien auf, daß die Bundesregierung sich dazu verstanden hat, gegen die Leerverkäufe an den Börsen vorzugehen. Diese stellen einen Teil des vielköpfigen Ungeheuers dar, das zum Ausbruch der Finanzkrise beigetragen hat. Nun sollen ein paar dieser Köpfe weg. Ob die Regierenden sich trauen, diese abzuschlagen, oder denen nur zeitweilig einen Maulkorb anlegen wollen, bleibt abzuwarten. Die Schreiberlinge jedenfalls stilisieren diese Leerverkäufe plötzlich zu einem höchst wertvollen Indikator für das erfolgreiche Wirtschaftswesen hoch. Es soll noch abgesahnt werden. Man weiß ja nicht, wie lange die Roulette-Kugel sich noch dreht und bis wann das Casino geöffnet bleibt.

Das Gekeife wird noch schriller werden, wenn die Politik sich tatsächlich in Richtung einer Finanztransktionssteuer bewegen sollte. Bisher waren das Forderungen von Attac und den Linken, jetzt werden sie auch regierungsseitig erhoben unter Hinweis darauf, daß eine stärkere Regulierung, mehr Transparenz und eine Beteiligung der Bankenbranche an den ausufernden Kosten der Krise dringend notwendig sind. Die EU-Finanzminister haben sich schon darauf geeinigt, dann soll diese Steuer im Rahmen der G 20 umgesetzt werden; und wenn das nicht gelingt, soll die EU sie im eigenen Bereich einführen.

Das Geschrei dagegen hat bereits begonnen, und es wird lauter werden. Daß die Bourgeoisie undankbar ist, laut lamentierend nach dem Staat als Rückversicherung ruft, wenn die Spekulationsblasen platzen, und ihn ungeniert und frech auszuplündern antritt, sobald sie sich wieder stark fühlt, ist seit über zweihundert Jahren bekannt. Das derzeitige Maß der Frechheit aber ist neu. Die Staaten der westlichen Industrieländer haben tief in die Taschen gegriffen, um die sogenannte Bankenrettung vorzunehmen, und dafür Schuldtitel und Bürgschaften übernommen. Die geretteten Großbanken mußten - und das ist ja der Kern der bisherigen Politik, der Weltwirtschaftskrise entgegenzuwirken - die faulen Kredite nicht ausbuchen. Die durch den Staat gerettete Hypo Real Estate Bank (HRE) ermöglichte es anderen, so auch der Deutschen Bank, ihre dortigen Ansprüche nicht reduzieren oder gar abschreiben zu müssen. Das gilt übrigens auch für die deutschen Banken und die Griechenland-Schulden. Der Kern der bisherigen Krisenbekämpfung besteht darin, die öffentlichen Haushalte beziehungsweise die Steuerzahler angesichts der Krise zugunsten der Banken in Haftung zu nehmen.

Zugleich wird - und das ist die Fortsetzung der Wirrnis auf neuer Stufe - jetzt der Staat beschimpft, daß er Schulden hat. "Ehrbarer Staat?" war die marktschreierische Betitelung einer Pressemitteilung (März 2010) der "Stiftung Marktwirtschaft", die sich als eine "wirtschaftsliberal orientierte Denkfabrik" versteht. Weiter hieß es, mit der Rekord-Neuverschuldung des Bundes von 86 Milliarden Euro im Jahre 2010 werde eine Gesamtverschuldung der öffentlichen Haushalte in Höhe von 77 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung (BIP) Deutschlands erreicht. Das seien 1,9 Billionen Euro. Tatsächlich sei dies jedoch nur der sichtbare Teil des Eisbergs mit Namen Schuldenlast. Die "tatsächliche Staatverschuldung (Nachhaltigkeitslücke)" belaufe sich nach Berechnungen der Stiftung auf 6,2 Billionen Euro, unter Berücksichtigung der "heute noch unsichtbaren oder verdeckten Staatsschulden". Diese ergäben "sich aus den bereits gemachten, künftig aber noch zu leistenden Leistungsversprechen zum Beispiel der Sozialversicherungssysteme".

Mit anderen Worten: das "griechische Kürzungsprogramm": Anhebung der Steuern, Gehalts- und Rentenkürzungen, Absenkung staatlicher Stützungen usw., das zuerst in Estland und in Ungarn ausprobiert wurde, jetzt Griechenland oktroyiert ist und nun auf Portugal, Spanien und andere Länder im Süden Europas erstreckt wird, soll gefälligst auch in Deutschland durchgeführt werden. Es ist ein Kampf um die Krise entbrannt, der nicht nur darum geht, wie ein Zusammenbruch der Realwirtschaft infolge der Machenschaften in der Finanzsphäre verhindert werden kann und wie sich die weltwirtschaftliche Gewichte zwischen den USA, der EU und den asiatischen Großwirtschaften künftig verteilen, sondern auch zwischen den Großeignern des Finanzkapitals und der großen Masse der Bevölkerung, den Arbeitenden, den Rentnern und Sozialhilfeempfängern und den künftigen Generationen. Die Krise soll genutzt werden, um die Kapitalseite weiter zu stärken, in der und durch die Krise. Früher nannte man das Klassenkampf.

In diesem Sinne geht zunächst die politische Auseinandersetzung darum, ob die Regierenden dafür sorgen, daß auch im Krisenprozeß ein bestimmtes Maß an Sozialstaatlichkeit erhalten und fortgesetzt wird, oder ob weiterer Sozialabbau stattfindet. Am Ende geht es darum, ob die Banken unter Indienstnahme des Staates weiter die Gesellschaft enteignen, oder ob die Gesellschaft vermittels des Staates die Banken enteignet. Wahrscheinlich kommt erst dann die Demokratie wieder ins Spiel. Dann aber richtig.


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Quelle:
Das Blättchen Nr. 10 vom 24. Mai 2010, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 13. Jahrgang
Herausgegeben vom Freundeskreis der Weltbühne
Verantwortlich: Wolfgang Sabath
Telefon/Fax: 030 - 47 46 98 70
E-Mail: wsabath@aol.com
Internet: www.Das-Blaettchen.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juli 2010