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DA/651: Sabota - ein Freiraum für freie Menschen


DA - Direkte Aktion
anarchosyndikalistische Zeitung der Freien ArbeiterInnen Union (FAU-IAA)

SABOTA - a free space for free people

von Hélène Distel, 12. Juni 2019


Pristina ist keine große Stadt, und es dauert nicht lange, um Genoss*innen zu finden. Am Abend einer Konferenz gab mir eine der kosovarischen Universitätsprofessorinnen einen Zettel mit einer Telefonnummer. Ich solle mich bei denen melden, das seien Genoss*innen.

Sabota ist ein soziales Zentrum im Ulpiana Distrikt in Pristina. Im Erdgeschoss eines Wohnblocks ist der kleine Raum mit Tischen und Stühlen, Flyerständern und Postern ausstaffiert, eine Theke und ein großzügiger Kühlschrank mit Biervorrat machen den Treffpunkt komplett.

"Wir finanzieren uns mit dem Verkauf von dem Bier und gelegentlichen Solipartys. Das können wir aber nicht überstrapazieren, wegen der Nachbarschaft",

sagt ein Genosse und deutet auf die oberen Etagen des Blocks. Wir stehen vor dem Eingang, wo Platz ist zum Rauchen. Seit Herbst 2017 besteht das kleine "Quendër Sociale Sabota". Es ist nichts weniger als die Erfindung des kosovarischen Anarchismus. Denn, so wird es mir erzählt, es gibt keine libertäre Tradition in Kosova. Das ist auch der Grund, warum R. zur Zeit an der ersten albanischen Übersetzung anarchistischer Theorien arbeitet. Es wird ein Buch mit Essays und Artikeln von Emma Goldman, Pyotr Kropotkin, Errico Malatesta und Voltairine De Cleyre werden. R. ist Teil des Kollektivs, das Sabota gründete und Teil der anarchosyndikalistischen Gruppe Pristinas (GASP), die von einigen Marxist*innen verstärkt wird. Denn sehr groß ist das Kollektiv noch nicht. Alle Menschen sind aber unabhängig von ihrer Identität und ihren Lebenssituationen in Sabota willkommen, außer Polizisten, Militärangehörige, Faschist*innen und andere Rechte sowie Menschen, die ihren Gewinn auf dem Rücken anderer erwirtschaften.

Seit einigen Jahren ist Sabota jetzt schon Treff- und Sammelpunkt linker Ideen.

"Wir diskriminieren niemanden, aber bekämpfen alle, die das tun. Wir bauen Fenster, wo nur Mauern stehen, wir entwickeln Kritik, wo diese verboten ist, wir befördern Solidarität an Orten, wo es nur Gleichgültigkeit gibt, wir schaffen Inhalte an Orten, wo Marketing, Organisierung, wo Vereinzelung und Widerstand, wo Unterdrückung vorherrschen."

Hier finden Diskussionen, Partys, Filmvorführungen und Plena statt, zeitweise war das Zentrum auch Zuhause für die zwei Straßenhunde Jara und Bella. Richtig einfach zu vermitteln ist die Idee des sozialen Zentrums nicht immer.

"Ich denke, es gibt immer noch eine Denkweise, die Linken nicht versteht. Wenn Sie Kommunist sind, verbinden sie Sie mit dem Serbien von Milosevics oder dem albanischen kommunistischen Diktator Enver Hoxha. Wenn Sie ein Anarchist sind, verbinden sie Sie mit Gewalt und Terrorismus."

sagt ein Genosse im Interview mit dem unabhängigen Magazin Kosovo 2.0 .

Und doch scheinen sich langsam aber sicher Netzwerke aufzubauen. Zu einem neu eröffneten, soziokulturellen Zentrum in der Nähe (TERMOKISS) bestehen schon Kontakte:

"Dort teilen zwar nicht alle unsere Ideen, aber es gibt eine große Offenheit und ein paar politische Leute. Außerdem können wir unsere Überzeugungen dort mit in die Diskussionen tragen".

So auch bei den Planungen zum 1. Mai. Letztes Jahr kamen rund 50 Menschen zur Kundgebung, dieses Jahr waren es bereits 200, dank einer breiten Kooperation mit NGOs und anderen Organisationen:

"In diesem Jahr kam es zum ersten Mal zu einem dezentralen Protest, bei dem verschiedene Gruppen zum Protest aufriefen und zur gleichen Zeit, am gleichen Ort und auf den gleichen Marschrouten koordinierten. ... Ich denke, es war ein sehr wichtiger Schritt, um eine neue Strategie der Protestorganisation hier im Kosovo voranzutreiben, bei der normalerweise nur eine Gruppe den Protest organisiert und andere Gruppen ihren Dachverband betreten sollten."

Obwohl es große politische und strukturelle Unterschiede zwischen Sabota und den NGOs gibt, ist eine Zusammenarbeit der einzig sinnvolle Weg für eine größere Öffentlichkeit. Die seit der Unabhängigkeit von Kosova florierende Landschaft westlicher NGOs und Stiftungen ist ein Milieu, von dem sich die Aktivist*innen sonst klar abgrenzen. Kosova ist nach Jahrzehnten der Unterdrückung durch den serbischen Staat und nach einem grausamen Krieg im Jahr 2008 erst unabhängig geworden. Nach der Intervention der NATO in diesem Krieg kam das Gebiet unter die Verwaltung der Vereinten Nationen. Heute sind 70% der Bevölkerung unter 30 Jahre alt. Hier wird nicht nur der Anarchismus neu erfunden.

"Sabota wird die Basis für eine andere Art von Aktivismus bilden - einen horizontaleren Aktivismus".

Eine Gruppe, die sich auch regelmäßig in Sabota trifft sind LGBT- Aktivist*innen. Auch wenn sie mit linken Ideen liebäugeln, sind hier keine erklärten Anarchist*innen zu finden. Aber auch sie fühlen sich in den bürgerlichen NGOs nicht zu Hause, unterstützen aber in den vergangenen zwei Jahren trotzdem deren Vorhaben, zum ersten Mal in der Geschichte des Landes eine Pride zu organisieren. Das ist ein mutiges Vorhaben im homophobsten Land des Balkans, aus dem viele Menschen allein aus diesem Grund emigrieren.

Einen schwierigen Moment durchlebte Sabota im Februar 2018, als schwerbewaffnete Polizei das Social Centre stürmte.

"Die Sonderpolizei umzingelte die Nachbarschaft und die örtliche Polizei kam unter dem Vorwand, sie käme aus Sicherheitsgründen ins Zentrum. In der gleichen Zeit haben Unterstützer von Erdogan begonnen, unsere Facebook-Seite mit Kommentaren zu spammen."

Im Rahmen einer Aktionswoche zur Solidarität mit den Kurdischen Genoss*innen und den Kämpfen in Afrin war Kurdische Musik gespielt worden. Nach einer Razzia wurden eine Person ohne gültige Ausweisdokumente und eine Person, die ein Messer in der Tasche hatte, zur Wache gebracht. Sabota schrieb danach auf facebook:

"Wir als Kollektiv des Sozialzentrums sehen diese Polizeieingriffe als eine politisch motivierte Intervention des im Kosovo installierten Establishments, der Elemente des türkischen Staates innerhalb dieser Institutionen und der türkischen Botschaft. Wir rufen die Polizei auf, die beiden jungen Leute zu befreien, die angeblich einen Angriff auf das Sozialzentrum geplant hatten."

Sie spielten an diesem Abend bis spät in die Nacht kurdische Musik, noch lange, nachdem die beiden Genoss*innen schon wieder frei waren.

Auch dieses Jahr muss Sabota mit größeren Einschnitten rechnen. Im Juni müssen sie den aktuellen Raum verlassen und schauen sich momentan nach einem neuen Raum um.

"Wir haben eigentlich keinen Zukunftsplan. Wir wollen mit dem Raum als Freiraum fortfahren, in dem sich Menschen treffen und organisieren können. Es ist das einzige autonome linke politische Zentrum hier und seine Existenz ist sehr wichtig, auch für uns Anarchisten."

Sabota würde sich über Unterstützung freuen, fügt ein Genosse hinzu. Etwa über Bücher, Broschüren, anderes Material und finanzielle Unterstützung. Ich jedenfalls will Pristina nicht mehr ohne Sabota denken. Hier dauert es nie lange, um auf den Punkt zu kommen, oder mindestens auf eine spannende Debatte. Auf die Frage hin, was ich noch in diesem Artikel für die Genoss*innen hier übermitteln kann, antwortet R. kurz und treffend:

"Unsere Botschaft wäre, den Kampf gegen jede Art von Unterdrückung und für eine freie Gesellschaft fortzusetzen."


Hier sehen Sie einige Fotos:
https://www.facebook.com/patrik.domi.7/media_set?set=a.10161804107995215&type=3


URL des Artikels bei "DA - Direkte Aktion":
https://direkteaktion.org/sabota/

URL der Artikels mit deutschen Übersetzungen bei "A - Infos · Informationsdienst von, für und über Anarchisten":
http://www.ainfos.ca/de/ainfos07883.html

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Quelle:
DA - Direkte Aktion
Redaktion: da-kontakt(ätt)fau.org
Herausgeber: Geschäftskommission der FAU
Ludwigstraße 37, 06110 Halle (Saale)
Telefon: +49 (0) 151 555 595 63
E-Mail: geko(ätt)fau.org
Internet: https://direkteaktion.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juli 2019

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