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CORREOS/140: Zwischen Mafia und Militär - Guatemala wählt das Militär


Correos des las Américas - Nr. 168, 23. November 2011

GUATEMALA
Zwischen Mafia und Militär - Guatemala wählt das Militär

von Barbara Müller


Otto Pérez Molina, der Ex-Militär, gewann am 5. November mit 2,3 Millionen Stimmen (53,78%) die Präsidentschaft von Guatemala gegen den smarten Jungunternehmer mit Mafiakontakten, Manuel Baldizón (46,22%). Dem Land stehen vier Jahre unter einer Regierung bevor, die mit «harter Hand» Ordnung und Sicherheit im Land herstellen will. Man muss das Schlimmste befürchten, wenn man weiss, wo Pérez Molina sein Handwerk gelernt hat. Und selbst die Tatsache, das Guatemala zum ersten Mal eine Vizepräsidentin wählte, hat einen bitteren Beigeschmack, wenn man die Biografie von Roxana Baldetti liest.


Otto Pérez Molina (Pérez Molina) gehörte dem Jahrgang 1973 der guatemaltekischen Militärakademie an. Aus diesem Jahrgang, dem diverse brillante und ebenso korrupte Persönlichkeiten angehörten, ging 1969 «El Sindicato» hervor, eine der fünf Gruppierungen, die heute in Guatemala das organisierte Verbrechen kontrollieren.

Im einem Dokument des US-amerikanischen Nationalen Sicherheitsarchivs (NSA) heisste es: «Zu den Mitgliedern von 'El Sindicato' gehören Edgar Godoy, Jorge Perussina, Luis Ortega Menaldo, Julio Balconi, Marco González Taracen». Diese Struktur kontrolliert den Drogen- und Waffenhandel und das organisierte Verbrechen und agiert von einem Büro des Finanzministeriums aus ... Im selben Dokument werden weitere Militärs genannt, die für «El Sindicato» angeworben wurden. Pérez Molina wird darin wegen seiner Fähigkeiten speziell erwähnt. Ein weiteres Dokument des NSA bezieht sich auf die Mitglieder von «El Sindicato» als «Leute, an deren Händen Blut klebt».

Pérez Molina leitete zu Beginn der 80er Jahre die Kaserne in El Quiché. Der Quiché hat während des Krieges am stärksten unter der «Strategie der verbrannten Erde» und der Installierung von Modelldörfern gelitten. In dieser Region fanden die brutalsten Massaker an der Zivilbevölkerung statt. Opfer waren in der Mehrheit Indígenas, wie die Wahrheitskommission der Vereinten Nationen feststellen konnte. Pérez Molina befehligte im Quiché die Gumarcaj-Truppe, welche Kinder, Männer, Frauen, alte Menschen, und religiöse Führer etc. massakrierte. In diesem Zusammenhang bekam er den Übernamen Comandante Tito, eine Abkürzung seines ersten Vornamens Otto. Pérez Molina war Vertrauensmann und Mitglied des Präsidialen Generalstabs von Lucas García, der die als «blutigste Phase der Diktatur Guatemalas» bezeichneten Jahre präsidierte. Zwischen 1978 und 1982 wurden 538 Massaker ausgeführt. Zusammen mit Hauptmann Mario López Serrano (seinem heutigen Wahlkampfleiter) und Roberto Enrique Letona Hora und Mario López Serrano führte Pérez Molina die «Jungen Offiziere» an, die sich 1982 dem von General Efraín Ríos Montt initiierten Staatsstreich widersetzten. Als dieser trotzdem gelang, planten sie Ríos Montts Sturz. Um die jungen Offiziere einzuschüchtern, ordnete dieser die Verlängerung ihrer Haftzeit an und drohte damit, Korruptionsaffären publik zu machen, in welche die Offiziere verwickelt waren. Der Widerstand war gebrochen.

Pérez Molina war ausserdem einer der Gründer der Militärschule für die Kaibiles (Spezialtruppen, die man auch als «Tötungsmaschinen» bezeichnet). Heute weiss man, dass viele Ex-Kaibile sich dem Drogenkartell der Zetas angeschlossen haben.


Der Geheimdienstchef

Von 1991 bis 1993 war Pérez Molina Chef des militärischen Geheimdienstes (G-2). Diese Institution war während der Diktatur eine eigentliche Terrormaschinerie. Seit den 60er Jahren wurde die G-2 von US-Geheimagenten beraten, trainiert und bewaffnet. Im Jahr 1993 wurde der Politiker Jorge Carpio Nicolle umgebracht. Obwohl nie jemand als intellektueller Täter festgenommen wurde, vermutet man die Beteiligung von ranghohen Geheimdienstlern, inklusive Pérez Molina, am Mord. Unter seiner Leitung verfolgte und ermordete die G-2 GewerkschafterInnen, StudentInnen und religiöse Führer.

Von Präsident Ramiro de León Carpio wurde Pérez Molina 1993 zum Chef des Präsidialen Generalstabs (EMP) ernannt, ein Amt, das er bis 1996 ausübte. Der EMP ist eine Militäreinheit, die dem Präsidenten und seiner Familie Sicherheit gewährleistet und die Feinde des Regimes ausspioniert. Nebst der G-2 trägt der EMP die Hauptverantwortung für die Entführungen, Folterungen und Morde an Tausenden von GuatemaltekInnen, die als sogenannte «innere Feinde des Staates» deklariert wurden.


Vermittler und Politiker

Auf Befehl des damaligen Verteidigungsministers vertrat Pérez Molina im Jahr 1996 das Militär bei den Friedensverhandlungen mit der Regierung und der Guerilla, was ihm den Titel «Friedensgeneral» einbrachte.

Im Jahr 2000 verliess Pérez Molina das Militär und begann mit dem Aufbau der Patriotischen Partei (PP), einer Gruppierung der extremen Rechten, der vorwiegend Militärs und rechtskonservative PolitikerInnen angehören. 2001 schloss sich die PP der Grossen Nationalen Allianz (GANA) an, die, unterstützt durch Unternehmenskreise, im Jahr 2003 Oscar Berger an die Präsidentschaft brachte.

Beim Aushandeln der Ämter und Posten innerhalb der GANA empfahl Pérez Molina als Abgeordneten für Izabal Giovanni Mendoza, Mitglied einer Familie, die dafür bekannt ist, den Drogenhandel in dieser Region zu kontrollieren. Berger lehnte die Kandidatur aus offensichtlichen Gründen ab.

Pérez Molina erreichte immerhin, dass während der Regierung von Oscar Berger sein Kumpel aus Militärzeiten, José Alfredo Cabrera Alarcón, zum Finanzchef der Armee ernannt wurde. Aktuell läuft ein Verfahren gegen Cabrera Alarcón, weil er für 19 Mio. Quetzales Munition eingekauft hatte, die weder bezahlt wurde noch in die Armeebestände eingegangen sind.

2004 wurde Pérez Molina zum Kongressabgeordneten gewählt, besetzte diesen Posten jedoch vorläufig nicht, da Oscar Berger ihm das Amt als Kommissär für Verteidigung und Sicherheit anbot. Seine Aufgabe bestand darin, einen Nationalen Sicherheitsplan zu entwerfen, der die Polizei, die Armee und die Marine einbezog. Es gelang ihm jedoch nicht, diesen Plan auszuarbeiten, und bereits nach vier Monaten kündigte er seinen Posten.

In seiner Funktion als Kommissär für Verteidigung und Sicherheit demobilisierte er das Militär um 66% seiner Soldaten (derweil die Friedensverträge nur eine Reduktion von 33% vorgaben). Er schloss die Militärkasernen in Alta und Baja Verapaz, in Izabal, Petén, Jutiapa und Huehuetenango, alles Regionen, die zum sogenannten «Drogenkorridor» gehören. Aufgrund von Differenzen mit Präsident Berger gab er seinen Kommissär-Posten auf und nahm Einsitz in den Kongress.


Die Anschuldigungen

Am 17. April 1995 veröffentlichte der Journalist Allan Narin in der bekannten New Yorker Zeitung «The Nation» einen Artikel, in dem er eine Verbindung zwischen der CIA und der guatemaltekischen Armee aufzeigte. Auf der Liste der guatemaltekischen Militärs, die laut Nairn Informanten der CIA waren, tauchte der Namen von Pérez Molina auf.

Francisco Goldman, Autor des Buches «Die Kunst des politischen Mordes. Wer tötete den Bischof?», beschuldigt Pérez Molina als Hauptverantwortlichen für die Planung des Mordes an Bischof Juan Gerardi. Pérez Molina sei einer der Offiziere gewesen, die in der Tatnacht zusammen mit Hauptmann Lima Estrada in der Ladenkneipe von Don Mike waren, schreibt Goldman.

Bischof Gerardi wurde am 26. April 1998 ermordet, zwei Tage nachdem er die Ergebnisse des Wahrheitsberichts «Wiedererlangung des historischen Gedächtnisses REMHI» öffentlich gemacht hatte. Der Bericht kommt zum Schluss, dass rund 90% der Verbrechen gegen die guatemaltekische Bevölkerung vom Militär verübt wurden und nicht von der Guerilla, wie die Regierung bis anhin behauptete. Im Bericht von Gerardi hiess es weiter, dass aus der Kaserne von Nebaj, die von Pérez Molina befehligt wurde, 20 Massaker verübt wurden, bei denen Tausende von Personen der Gemeinden Nebaj, Cotzal und Cunen umgebracht wurden.

In einem Bericht, der Mitte 2004 von WOLA (Washington Office on Latin America) veröffentlicht wurde und den Titel «Versteckte Mächte im Nachkriegs-Guatemala» trug, figuriert Pérez Molina auf einer Liste von ehemaligen Militärs und Unternehmern, die beschuldigt werden, klandestine Sicherheitsgruppierungen aufzubauen und anzuführen.


Die Vizepräsidentin

1992, nach dem selbst iniziierten Staatsstreich von Jorge Serrano Elías und nachdem man die Leute entlassen hatte, die mit ihm zusammengearbeitet hatten, lernte Pérez Molina Roxana Baldetti kennen, die ihrerseits die Nichte von Serrano Elías ist und als seine stellvertretende Kommunikationssekretärin gearbeitet hatte.

Ihre soziale Karriere begann sie mit Schönheitswettbewerben, immerhin schaffte sie es 1980 ins Finale der Miss-Guatemala-Wahlen. Ihre berufliche Karriere startete sie als Mitgründerin eines Unternehmens, das Schönheitsprodukte verkaufte. Politisch trat sie ab 2004 auf den Plan, als sie für die PP in den Kongress gewählt wurde und sich zur Sprecherin der Bewegung der ehemaligen Zivilpatroullisten (PAC) machte, die mit spektakulären Aktionen eine Entschädigung für ihren «Dienst am Vaterland» einforderten.

Baldetti besitzt ein Haus in Puerto San José, ein weiteres in Tecpán und kaufte kürzlich ein Chalet in der Zone 14 der Hauptstadt. Der Preis dieser drei Liegenschaften beläuft sich auf rund 13 Mio. Quetzales. Es besteht der Verdacht, dass die ersten beiden Häuser aus einem Teil der 83 Mio. Quetzales gekauft wurden, die 2008 aus den Kassen des Kongresses verschwanden.


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Quelle:
Correos de Centroamérica Nr. 168, 23. November 2011, S. 10-11
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Dezember 2011