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CORREOS/081: Kuba, ein Jahr nach dem Sturm - Trotz allem etwas Hoffnung!


Correos des las Américas - Nr. 159, 28. Oktober 2009

"Kader stehen meist zuhinterst auf der Liste"
Kuba, ein Jahr nach dem Sturm: Trotz allem - etwas Hoffnung!

Von Franco Weis


Vor genau einem Jahr - am 30. August - blieb es im Osten Kubas die ganze Nacht dunkel. Hurrikan Gustav war über die Isla de Juventud und die Provinz Pinar del Rio gezogen. Bei 340 km/h Windgeschwindigkeit stieg an einem Ort das Messgerät aus, es war die schnellste Windböe in der meteorologischen Geschichte. Das Bild der Verwüstung war erschütternd, obwohl dank des guten Zivilschutzsystems keine Menschenleben zu beklagen waren. Tausende von Häusern zerstört oder beschädigt, vor allem die Dächer auch von Fabriken, Schulen, Gesundheitseinrichtungen, Büros, landwirtschaftlichen Anlagen, etc. Auf der Isla de Juventud stand so gut wie kein Strom und Telefonmast mehr, kein Baum trug mehr ein Blatt, kahl standen oder lagen sie da, die bodennahen Pflanzen von der Windgeschwindigkeit versengt.

"Wir hatten solche Sehnsucht nach Grün", sagt Marianita von der Vereinigung der LandwirtschaftstechnikerInnen. Ihre Organisation half mit den Stadtgärten und Kleinbauern/bäuerinnen wieder auf die Beine zu helfen, Macheten, Spritzkannen, Hacken und eben grüne Shirts als Arbeitskleidung, oft vom Wind zerzaust - als Zeichen der Hoffnung.

"Wir haben diese 4 Hektaren vor 3 Jahren übernommen. Niemand wollte sie, alle behaupteten es sei schlechter Boden, aber wir haben daraus einen Garten gemacht. Gustav liess uns nichts, weder Haus noch Pflanzen. Mein Mann setze sich hin und weinte als er das sah. Ich sagte ihm, dann fangen wir eben wieder von vorne an, und so begannen wir, die Bäume aufzurichten und zu stützen, heute tragen sie wieder Kokosnüsse, Guayabas und anderes mehr. Hier helfen alle mit, auch die Kleine, wenn sie nicht in der Schule ist und bald wird auch unser neues Haus fertig sein", so ein Bäuerin, die wir in der Mittagshitze in ihrer Arbeit unterbrechen.

Auf der Isla de Juventud waren alle betroffen und alle krempelten die Ärmel hoch. Hilfstruppen der Armee, Telefon- und Elektrizitätsgesellschaft und auch eine spontane Kulturbrigade, die tagsüber hämmerte und nachts die wunden Seelen pflegte, war bald zur Stelle. Gekocht wurde in Grossküchen, die Löhne in den Betrieben wurden derweil weiterbezahlt und in jedem Quartier wurde eine Prioritätenliste nach Dringlichkeit der Fälle erstellt und in einer Vollversammlung verabschiedet. Alte Leute, Familien mit Kinder, Personen mit Behinderung, etc. haben Priorität, alle wissen, welche Nummer in der Liste sie sind, Konflikte gibt es verhältnismässig wenige. Kader stehen meist zuhinterst auf der Liste. Alle Güter werden nach diesem Schlüssel verteilt, was Diskriminierung nach Religion, Rasse oder politischer Orientierung verhindert und es internationalen Organisationen ermöglicht, rasch und auf lokale Strukturen abgestützt zu handeln.

Nach einem Jahr sind die Wunden noch zu sehen, überall. Denn auf Gustav folgte Ike, der zuerst fast den gesamten Rest des Landes beschädigte, ehe er Isla de Juventud und Pinar del Rio heimsuchte, der zweite Hurrikan in 40 Tagen und nun waren 20% des Bruttosozialproduktes zerstört, 70.000 Häuser lagen am Boden und rund eine halbe Million waren beschädigt. Dazu kam der weltweite Hurrikan der Weltwirtschaftskrise. Die Preise für Nickel - Hauptexportprodukt des Landes - fielen in die Nähe der Produktionskosten und obwohl gar 3% mehr TouristInnen als im vergangenen Jahr kommen, gucken diese viel mehr aufs Portemonnaie und so kommt weniger Geld in die Kassen, um die Behebung der auf 10 Milliarden Dollar geschätzten Schäden zu finanzieren.

Dennoch sind die Fortschritte beachtlich. Kaum mehr leben Leute in Notunterkünften, aber das Dach über dem Kopf bleibt das dringendste Problem. Noch nicht einmal die Hälfte der Häuser sind repariert, bei den Neubauten liegt der Prozentsatz erheblich tiefer. Es wird Jahre dauern, eh diese Schäden ganz behoben sind und bereits ist die nächste - bislang gütige - Sturmsaison, die von Juni bis November dauert, angebrochen. Aus Trümmern und Überbleibseln haben sich Zehntausende ein provisorisches Zuhause erstellt, leben zusammengepfercht auf kleinstem Raum. Soziale Konflikte und Gewalt in der Familie nehmen zu. Dass es zu keinen Seuchen kam, ist dem gut organisierten Gesundheitswesen zu verdanken. Im beginnenden Schuljahr gehören die Schulzimmern in von Familien und LehrerInnen geliehenen Wohnzimmern weitgehend der Vergangenheit an. Verkehrs-, Strom- und Telefonnetz sind wiederhergestellt.

Vor allem auf dem Land legten die Leute die Hände nicht in den Schoss, sondern begannen sogleich damit, die Felder zu räumen und erneut zu bepflanzen. Yanisleidis Rodriguez erzählt stolz dass im Quartier Abel Santamaría der Stadtgarten in den ersten 100 Tagen nach dem Wirbelsturm 11.45 Tonnen Gemüse geerntet und zu erschwinglichen Preisen an die Bevölkerung verkauft hat. Bereits zu Jahresende gab es auf den Märkten genügend Gemüse für alle, wenn auch wenig Auswahl. An vielen Orten wurden die umgestürzten Palmen - der Nationalbaum - und andere Bäume verwendet um daraus Bretter und Balken zu gewinnen. Tausende von Häusern konnten so mit lokalen Ressourcen wiederaufgebaut werden, teilweise mit einer gemauerten Küche, die im Falle neuer Stürme als Schutzraum dient. Und um der Landschaft den Nationalbaum zu erhalten, wurden Baumschulen angelegt, die ein Mehrfaches der umgestürzten Palmen enthalten.

Und nicht nur in den Baumschulen grünt es. Rund 10 Prozent der kubanischen Landwirtschaftsfläche, die brach lag, wurde in den vergangenen 10 Monaten an 80.000 Familien verteilt. Felicito wird er genannt und auf seinen 13 Hektaren will er Fruchtbäume anpflanzen. Für seine Baumschule hat er die Abfallhalde nach Plastikmilchtüten durchsucht und die 4000 gefundenen sauber gewaschen, damit sie die in der Umgebung zusammengetragenen Samen aufnehmen können.

Die städtische Landwirtschaft war Teil der Antwort Kubas in der schwersten Krisenzeit Anfangs der Neunzigerjahre als der Zusammenbruch des Ostblocks die Wirtschaftsleistung um einen Drittel sinken liess. Tausende von Parzellen in den Städten werden von rund 300.000 Arbeitskräften bewirtschaftet und erzeugen zehntausende Tonnen Gemüse, Früchte und anderes mehr. Mit biologischen Methoden wird der Boden intensiv, aber nachhaltig genutzt. Ike liess von Treibhäusern und bepflanzten Beeten nur grad die nackte Erde zurück. Aber schon wenige Tage nach dem "Unfall" begannen die neuen von Hand begossenen Aussaaten zu spriessen, kam das ersehnte Grün zurück und nach nur einem Monat konnten die ersten Produkte geerntet werden. So unglaublich es klingt, auf der Isla de Juventud wurden in den ersten sechs Monaten dieses Kalenderjahrs und wenige Monate nach dem Hurrikan 23% mehr Gemüse und Früchte geerntet als im selben Zeitraum des Vorjahres. Genug damit alle BewohnerInnen jeden Tag 400 Gramm dieser Produkte zu sich nehmen können, und es bleibt sogar etwas, um die TouristInnen auf der Insel Cayo Largo mit lokalen Produkten zu versorgen.

Ganz sicher kein leichtes Jahr also für Kuba und seine Menschen, aber auch ein Jahr geprägt von Solidarität, von harter Arbeit und von viel neuem Grün, dass eine gewisse Hoffnung gibt für die Zukunft in aufgewühlten Wirtschaftsgewässern und - auf Grund des im Norden verursachten Klimawechsel - immer häufigen Wirbelstürmen.


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Quelle:
Correos de Centroamérica Nr. 159, 28. Oktober 2009, S. 33-34
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
Redaktion: Postfach, 8031 Zürich, Schweiz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. November 2009