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CORREOS/073: El Salvador - Widersprüchliche Politik der neuen salvadorenischen Regierung


Correos des las Américas - Nr. 158, 10. August 2009

Aufsteller und Ablöscher

Widersprüchliche Politik der neuen salvadorenischen Regierung,
Erpressungsversuche des IWF und die Multis.

Von Dieter Drüssel


Die nach dem FMLN-Wahlsieg vom 15. März übergangslos einsetzende Flut von ökonomischen Horrornachrichten widerspiegelte selbstverständlich nicht einfach den Stand der Dinge, sondern sollte auch das eben entfesselte Leerplündern der Staatskassen zudecken. Tatsächlich traf das neue Kabinett nach dem 1. Juni auf eine noch schlimmere Lage als befürchtet. So hoben sich die staatlichen Wasserwerke mit einem Bestand von $500 in der Kasse für laufende Geschäfte nachgerade generös von anderen Staatseinrichtungen ab, die lediglich noch zweistellige Zahlen auswiesen. Dafür hinterliess die abtretende Regierung mindestens $500 Millionen Schulden, welche die neue Regierung nun bei leeren Kassen zu begleichen hat. Zudem überstürzten sich gleich nach Regierungsantritt die Meldungen von aufgeflogenen Korruptionsfällen: gut bezahlte Phantomarbeitsplätze für ARENA-Kader, bekannte Politkommentatoren auf der Gehaltsliste staatlicher Institutionen, eine Weihnachtsparty im "Familiensekretariat" für eine halbe Million Dollar, exorbitante Luxusgadgets für den Direktor der Sozialversicherung, in deren Spitäler die Medikamente fehlten, ein Jacuzzi Swimming Pool im Jugendsekretariat, dem Hang out für fils et filles à papa oder - und das hat doch noch einmal eine andere Qualität - verdeckte ARENA-Strukturen insbesondere im Nationalen Registeramt. Kürzlich wurde auch bekannt, dass unter der alten Regierung ein Teil der von der WHO geschenkten Tamiflu-Medis auf dem Schwarzmarkt verscherbelt worden sind...


Defizitäres

Im Stand By Abkommen mit dem IWF vom letzten Jahr war für 2009 ein Budgetdefizit von $668 Mio. vorgesehen, das der Fonds im Mai auf $1.3 Milliarden hochschraubte. Dies, ohne die $800 Millionen für die einjährigen Regierungsschuldscheine Letes einzubeziehen. Gerechnet wird also mit einem realen Defizit von $2.1 Milliarden auf ein Gesamtbudget von $3.6 Milliarden. Kurz vor dem Antritt der neuen Regierung am 1. Juni segnete das Parlament in seltener Einmütigkeit eine teure Neuverschuldung von $1.85 Milliarden ab und dazu eine Umorientierung von Krediten der Weltbank und der Interamerikanischen Entwicklungsbank (IDB) in der Höhe von $950 Millionen. Diese $2.75 Milliarden, so der Konsens, sollten der Regierung Funes zur nötigen Handungsfähigkeit verhelfen.

Je nach Quelle macht das laufende Budgetdefizit zwischen 5% und 6% des Bruttoinlandproduktes (BIP) aus. So oder so wird die Situation nächstes Jahr aufgrund der dann voll durchschlagenden Krise noch schwieriger werden. Funes sprach im Mai von 30.000 seit Ausbruch der Krise verlorenen Arbeitsplätzen. Der UNO-Bevölkerungsfonds UNFPA rechnet in El Salvador im laufenden Jahr mit 55.000 geschlossenen Arbeitsplätzen, insbesondere im Bereich der Frauenarbeit. Die für einen beträchtlichen Teil der Armutsbevölkerung überlebenswichtigen Rimessen - die Heimüberweisungen der Emigrierten - sanken in der ersten Jahreshälfte im Vergleich zur Vorjahresperiode um 10.3% oder $200 Millionen. Mittlerweilen gehen IWF, CEPAL und die Rating Agenturen "optimistisch" von einem Wirtschaftsrückgang von 1% bis 2% aus. Die Nahrungsmittelpreise, die nach einem Höhepunkt im letzten Jahr zwar etwas sanken, aber weit weniger als im internationalen Schnitt, steigen bereits wieder.


Was also tun? Das auf 18 Monate und eine Wirtschaftsankurbelung angelegte Antikrisenprogramm der Regierung Funes umfasst zweifellos wichtige soziale Komponenten. Über Ausgaben für Infrastruktur, Katastrophenschutzmassnahmen, lokale Strassennetze, Wasser- und Stromversorgung und den sozialen Wohnungsbau sollen rund 100.000 Arbeitsplätze direkt geschaffen werden, davon 70.000 fest und 30.000 temporär. Die Temporären sollen während sechs Monaten vom Staat ein kleines Salär erhalten und dafür vier Tage in Gemeindearbeiten und einen fünften Tag in die berufliche Weiterbildung stecken. Natürlich haben 100.000 neue Einkommen eine kontrazyklische Wirkung. Weiter gehen fast $60 Millionen in die so genannten Schulpakete - 1.4 Millionen Kinder in öffentlichen Schulen erhalten Uniformen, Schuhe und Schulmaterialien. Zudem wird die Ausgabe von Gratisessen an den Schulen massiv ausgeweitet. Begonnen hat Funes auch ein Programm für 42.000 Betagte über 70 Jahre in den 100 grössten ländlichen Armutsgemeinden, die eine Pension von $50 im Monat erhalten. Das ist zwar auch auf dem Land wenig, die Pensionen stellen aber eine reale Verbesserung der Lebenssituation dar (Kostenpunkt insgesamt $25 Millionen). Der Aufbau eines Sozialversicherungssystems für alle, also auch für die Beschäftigten im informellen Bereich und der Landwirtschaft, wird angegangen.

25.000 Sozialwohnungen und 5000 kommerzielle Wohnungen sollen gebaut und auf dem Land sollen 20.000 Haushalte in das Programm Piso y Techo (wetterfestes Fundament und Dach) einbezogen werden. Hervorzuheben ist auch der Verkauf von günstigem, aus Venezuela importiertem Dünger und anderer Agrarutensilien an 450.000 BäuerInnen noch dieses Jahr sowie an 600.000 im Jahr 2010. Parallel sollen medizinische und Hungerprobleme in den 131 Gemeinden mit "ausgeprägter Unterernährung" angegangen werden. Ein Notprogramm für die Belieferung der öffentlichen Gesundheitseinrichtungen mit wichtigen Medikamenten, Laborutensilien und Impfstoffen soll anlaufen und ein staatliches Kreditwesen für kleine und mittlere ProduzentInnen auf- bzw. massiv ausgebaut werden.


... und Schatten

Laut Mauricio Funes legt das Antikrisenprogramm die Basis für einen neuen nationalen Entwicklungsplan. Dafür ist auch ein Konzertierungsforum von Regierung, Patrons und Gewerkschaften, der Consejo Económico Social unter der Leitung von Funes' Wirtschaftskoordinator Alex Segovia, vorgesehen. Bei diesem Punkt wird es definitiv brenzlig. Bisher gehören dem Gremium neben den Unternehmerverbänden und einschlägigen Thinktanks vor allem gelbe Gewerkschaften (christdemokratische und an die AFL/CIO angelehnte) sowie einige Gruppen aus dem "linksradikalen" Spektrum der so genannten Tendencia Revolucionaria an. Doch Segovia scheint zu merken, dass dem Rat das gewisse Etwas an Durchsetzungsvermögen fehlt, wenn die FMLN-nahen Gewerkschaften nicht vertreten sind. Er bemüht sich jetzt um deren Einbezug. Allerdings tut sich da ein neues Problem auf. Der "gemässigt" neoliberale Ökonom Segovia wird nicht müde, den Dialog mit den Unternehmerverbänden zu betonen. Geht es um die grossen konzeptionellen Würfe für die Zukunft, findet hin und wieder sogar das Regierungsprogramm des FMLN Erwähnung, das immerhin auf der Basis eines breiten und "offenen sozialen Dialogs" mit einer Reihe unterschiedlicher gesellschaftlicher Kräfte entworfen worden war und auf das sich Funes an sich verpflichtet hat. Doch Segovia sympathisiert vor allem mit den Entwürfen von Fusades, dem Unternehmerthinktank, und der Funde, einer pseudoprogressiven Stiftung, die gerade wieder auch zum Thema Wasser(-privatisierung) eng mit der USAID kooperiert. Funde und die USAID haben vor kurzem eine Studienwoche über den nationalen Dialog lanciert und sind für Segovia und andere Regierungsgrössen offenbar d e r Bezugsrahmen, wenn es um Zukunftsplanungen geht - leider wohl auch für Funes. Doch für solche Spielchen sind die realen Gewerkschaften nicht zu haben, denn die USAID und die angeschlossene Funde - da ist man sich einig - betreiben eine kapitalorientierte Modernisierung des Landes inklusive Steuerpakt mit den Kapitalgruppen, "Wassermanagement" und Erhöhung der "Produktivität" (Co-Latino, 13.7.09).

Zum Antikrisenprogramm gehören auch von der Linken heftig bekämpfte, dafür aber von den USA intensiv gepushte Strassenbau-Megaprojekte wie die Autobahn quer durch den ganzen Norden. Auch wenn fast keine Auf- oder Abfahrten geplant sind, verkauft Funes diese mit US-Regierungsmitteln gebaute Autobahn wie die ARENA und Washington als Hilfe für die lokalen Gemeinden. Sie ist Teil eines Erschliessungsplans der Region von Mexiko bis Panama - ein Projekt, das nach dem Einbezug von Kolumbien kurzerhand von Plan Puebla Panamá in Proyecto Mesoamérica umgetauft wurde - und dient fast ausschliesslich dem transnationalen Handel. Nicht vergessen werden darf in diesem Zusammenhang der weitere Ausbau des strategischen Pazifikhafens Cutuco in La Unión am Golf von Fonseca, dem die Rolle eines regionalen Umschlaghafens in Zentralamerika zukommen wird. Für Cutuco ist die Hafenbehörde Cepa zuständig ist, an deren Spitze Funes klar gegen alle FMLN-Intentionen ausgerechnet einen ehemaligen Finanzminister von Saca berufen hat. Unter anderem geht es da jetzt um die heiss diskutierte Frage, ob Cutuco von einem transnationalen Unternehmen oder vom Staat betrieben werden soll.


IWF - same old story

Es wird eine Frage der gesellschaftlichen Kämpfe sein, welche Tendenz oben aufschwingen wird. Diese Kämpfe haben schon angefangen. Etwa von Seiten des IWF. Denn ein Problem des Antikrisenprogramms ist die Frage nach seiner Finanzierung. Es geht um insgesamt $587 Millionen. Laut Funes stehen 60% der Finanzierung und die restlichen 40%, so Segovia, würden Weltbank, IDB und USAID gerne übernehmen. Mitte Juni suchte eine IWF-Delegation das Land heim. Ihre Forderung an die Regierung: Reduziert das Budget oder vergesst das IWF-Abkommen! Das würde aber auch bedeuten: kein Geld von den anderen internationalen Finanzorganisationen, also keine laufende Budgetdefizitdeckung. Doch wie genau soll die Regierung das Budgetdefizit von heute auf morgen relevant kürzen, über die schon vorgesehenen Sparmassnahmen bei Diäten etc. hinaus? Nun, in Nicaragua hat der IWF gerade neulich von der Regierung verlangt, die Renten zu kürzen. Erfolglos, wie es scheint.


Subventionen und Steuerreform

Einsparmöglichkeiten würde es mittelfristig, abgesehen vom Schuldendienst, durchaus geben. Für Subventionen von Wasser, Strom, Kochgas und Bustransport etwa haben die Regierungen bisher jedes Jahr hunderte von Millionen ausgegeben - und dies meist nicht zugunsten der Unterklassen. Da etwa der Kubikmeter Wasser subventioniert war, haben jene, welche viel Wasser verbrauchten, fleissig profitiert. Der neue Chef der Wasserwerke ANDA, Francisco Gómez, will Subventionen für die Haushalte, die im Monat bis 20 m3 Wasser verbrauchen, reale Kosten für jene, die zwischen 21 und 40 m3 konsumieren und einen saftigen Zuschlag für die VielverbraucherInnen. Ähnliche Überlegungen gibt es auch für den Strombereich und den öffentlichen Transport. Die Frage der Stromsubventionierung etwa muss aber auch andere Variabeln berücksichtigen, etwa die Tatsache, dass der Strompreis bisher extrem intransparent bestimmt worden ist, faktisch von den Ölmultis und dem Stromverteilungsmonopolisten AES (USA). Ähnliches gilt für den Transportsektor. Kurz, auf die Schnelle können hier kaum ein paar hundert Millionen für den IWF eingespart werden.

Auch nicht bei der Steuerreform. Nur schon, weil sie von dem von der Rechten dominierten Parlament verabschiedet werden muss. Dabei hat sich selbst in Unternehmerkreisen herumgesprochen, dass das Laissez-faire so wie bisher nicht mehr geht. 2005 hatte der damalige US-Botschafter Barclay den Steuerbetrug in El Salvador auf satte $1.6 Milliarden oder 9.4% des BIP geschätzt. FMLN-ÖkonomInnen berechneten den Steuerbetrug für 2008 allein für die von den Unternehmern eingezogenen, aber nicht an den Fiskus abgelieferten Mehrwertsteuern auf $950 Millionen und denjenigen bei der Steuer auf Tabak und Alkohol auf $150 Millionen. Das Verhältnis indirekte zu direkten Steuern beträgt im Schnitt fast 2:1. Die Importzölle machten 1994 20.3% der staatlichen Gesamteinnahmen aus, dank Liberalisierung und Freihandelsverträgen im Jahr 2008 noch 6.2%. Der jährlich und zur Zeit besonders sinkende Steueranteil am BIP (letztes Jahr 13.8%) liegt deutlich unter dem eh schon niedrigen lateinamerikanischen Schnitt von etwa 19%. Die Dollarisierung von 2001 macht extrem abhängig von Exporten zwecks Dollarerwirtschaftung, verhindert aber gleichzeitig, den ohnehin serbelnden, jetzt aber erst richtig abstürzenden Exportsektor über das Mittel der Wechselkurspolitik zu stärken. Die so genannten Sozialinvestitionen belaufen sich laut CEPAL in Lateinamerika auf 15.1 des BIP, in El Salvador auf 7.1%. Die vom FMLN vorgeschlagene Steuerreform würde einen jährlichen Zuwachs von 5-6% bringen: Stopfung von Steuerschlupflöchern (wie Steuerbefreiung von Börsengewinnen), Erhöhung der Gewinnsteuer von 1% auf 10%, progressive Einkommenssteuer bei massiver Anhebung der steuerfreien Limite zugunsten von 80% der Bevölkerung, Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Luxusgüter und deren Annullierung bei Medikamenten und Grundbedarfsartikeln u.v.a. Parallel soll eine Reihe von Massnahmen den Steuerbetrug und die organisierte Kriminalität bekämpfen.


Zwischen dem Volk und der Gewalt der Multis

Im Juli sah sich die Regierung Funes mit einer ersten Demo konfrontiert. BewohnerInnen von Gemeinden im Osten, bei denen der Stausee El Chaparral gebaut werden soll, protestierten vor der Casa Presidencial dagegen. Zusammen mit weiteren Staudammprojekten gehört diese Talsperre in den o.e. transnationalen Erschliessungsplan Proyecto Mesoamérica unter Federführung der IDB. Ihr Strom soll in ein faktisch kontinentales Durchleitungsnetz eingespeist werden. Funes hat sich bisher mit Verweis auf nationale Strombedürfnisse für den Weiterbau von El Chaparral ausgesprochen, mit dessen Bauunternehmerschaft, der italienischen Astaldi, die Regierung Saca definitive schlüsselfertige Bauverträge abgeschlossen hat. Zudem hat Funes mit Nicolás Salume den Mann an der Spitze der staatlichen Stromgesellschaft CEL gelassen, der die Stauseeprojekte schon unter Saca gefördert hat (Vater Salume gehörte zu den Geldgebern der Funes-Gruppe). Mauricio Funes hat nun eine hochkarätige Kommission zwecks Kompromissfindung (kleinere Staufläche) ernannt. Laut der Umweltschutzgruppe UNES würde die Ersetzung traditioneller Glühbirnen durch Sparbirnen jährlich 200 MW einsparen, mehr als die projektierte Chaparral-Erzeugung von 66 MW. Zudem haben die BewohnerInnen der betroffenen Gegend, die im letzten Jahr massiven Armeeeinschüchterungen ausgesetzt gewesen waren, nun Schützenhilfe von Tomás Campos, dem neuen Chef des staatlichen Strommarktregulators Siget, erhalten. Er empfiehlt die sofortige Suspendierung des Projekts, u.a. wegen skandalös intransparenter Lizenzerteilung. Die anderen Stauseeprojekte sind, geht es nach dem FMLN, vom Tisch und sollen durch dezentrale, umweltverträglichere und nicht sozialaggressive Kleinwerke an Flussläufen ersetzt werden.

Wo also ist das Problem? Zum einen gibt es, und das nicht nur in der Funes-Gruppe, sondern teilweise auch im FMLN, durchaus eine produktivistische Grundhaltung: Der technische Fortschritt bringt den sozialen. Zum anderen aber müssen der Frente und Funes berücksichtigen, dass die Astaldi bei einem Bauverbot subito beim Internationalen Investorenschiedsgericht der Weltbank (englisch ICSID, spanisch CIADI) auf einen riesigen Schadenersatz klagen wird. Der US-Freihandelsvertrag mit Zentralamerika CAFTA hat die CIADI-Tendenz, dass Investoren auf postulierte entgangene Profite etwa aufgrund von Regelungen des Umweltschutzes oder der Arbeitsplatzgesundheit klagen können, massiv verstärkt.

Mitte Juni hat die Weltbank dem Antrag der kanadischen Minengesellschaft Pacific Rim auf ein Verfahren stattgegeben. Pacific Rim hatte von der ARENA-Regierung eine Explorationslizenz für Goldförderung im Departement Cabañas erhalten, letztlich jedoch keine Produktionslizenz bekommen. Der breite Widerstand war zu stark. Pacific Rim hätte mit ihren kriminellen Produktions- und "Entsorgungs"-Methoden nicht nur die lokale Bevölkerung, sondern auch die grösste Trinkwasserquelle des Landes, den Río Lempa, vergiftet. Pacific fordert jetzt über $70 Millionen Entschädigung für die Nichterteilung einer Betriebslizenz, für deren Erhalt sie noch nicht einmal eine rechtlich ausreichende Umweltevaluation vorgelegt hat. Sie hat gute Chancen, beim CIADI durchzukommen.

Anfangs Juli wurde die Leiche des seit drei Wochen verschwundenen und von der organisierten Bevölkerung, nicht der Polizei, gesuchten FMLN-Kaders Marcelo Rivera mit schlimmen Folterspuren gefunden. Er war ein führender Aktivist gegen das Minenprojekt in Cabañas sowie gegen den ARENA-Wahlbetrug in seiner Gemeinde San Isidro gewesen. Kurz danach erhielten vier Mitarbeiter des linken Basisradios Victoria und der Priester von Victoria im gleichen Departement Morddrohungen, da sie sich zu sehr in die Causa Marcelo eingemischt hätten. Der Priester Luis Quintanilla ist am 28. Juli von bewaffneten Maskierten auf einer Überlandstrasse gestoppt worden und konnte sich nur mit einem waghalsigen Satz in eine Schlucht retten.

Ein weiteres Beispiel ist die LaGeo, die Gesellschaft für geothermische Kraftwerke, mehrheitlich in den Händen der staatlichen Stromgesellschaft CEL und zu 36% im Besitz des italienischen Stromkonzerns Enel. Im Vertrag von 2002 hatte die Regierung Enel das Recht zugestanden, mehr als die Hälfte der Aktien von LaGeo zu erwerben, womit die salvadorianische Geothermie faktisch privatisiert worden wäre. Doch eine solche Ermächtigung liegt nicht in der Kompetenz der Exekutive, nur in der des Parlaments. Saca wollte diesen Deal rückgängig machen, allerdings bloss, um ihn einem eigenen Kumpel zuzuschieben. Enel klagt jetzt $120 Millionen ein, was etwa 40% des Wertes von LaGeo entspricht, und zwar vor dem Investorengericht der Internationalen Handelskammer in Paris. Diese Handelskammergerichte sind wie CIADI diktatoriale Instrumente der Multis.

Insgesamt drohen dem Land mehrere solcher Klagen. Es geht dabei um Riesensummen, die mitten in der eklatanten Finanznot nicht aufzutreiben sind. Man versteht, dass das nicht auf die leichte Schulter genommen wird. Im Fall der LaGeo, wo eine Verurteilung höchstwahrscheinlich ist, scheint es einen Konsens zwischen dem FMLN und der Funesgruppe zu geben, dass die strategische Geothermie nicht aus der Hand gegeben wird. Im Fall der Minengesellschaft wären die Folgen einer Betriebsbewiligung derart katastrophal, dass der Fall ebenfalls klar ist: Lieber zahlen als die Menschen vergiften. Beim Chaparral aber scheint die Erpressung zu wirken. Die diktatoriale Multijustiz ist faktisch geheim, kennt kaum eine Rekursmöglichkeit und orientiert sich ausschliesslich am Profitinteresse. Sie kann zum Beispiel in den Finanzzentren angelegte Währungsreserven eines zahlungsunwillligen Landes beschlagnahmen oder auch den Botschaftswagen. Dass die salvadorianische Regierung sich offen in die Widerstandsfront der ALBA-Länder gegen diese Sorte "Gerichte" einreiht, werden wir wohl aber erst nach gut verlaufenen nächsten Wahlen erleben.


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Quelle:
Correos de Centroamérica Nr. 158, 10. August 2009, S. 21-23
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. September 2009