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CORREOS/069: Der Putsch in Honduras bewirkt Veränderungen in ganz Lateinamerika


Correos des las Américas - Nr. 158, 10. August 2009

Das Zeichen an der Wand
Der Putsch in Honduras bewirkt Veränderungen in ganz Lateinamerika.

Von Dieter Drüssel


(3.8.09) Der Putsch in Honduras signalisiert eine dramatische Verschärfung des Angriffs auf die ganze Emanzipationsbewegung in Lateinamerika. Allein die Tatsache, dass sich das Regime heute, über einen Monat nach dem unheilvollen Tag des 28. Juni, in diesem völlig vom Ausland abhängigen Land noch immer an der Macht hält, macht deutlich, dass hier mehr als nur nationale Gorillas am Werk sind. Das heisst nicht, dass Washington auf eine Verewigung des aktuellen Regimes zielt. Es reicht, wenn dessen Ziele erfüllt werden: Desartikulierung der Volksbewegung für Selbstbestimmung und Schwächung des alternativen Staatenbundes ALBA. Ein bloss noch figurativer Präsident Zelaya soll zurückkehren, um nächsten Januar die Präsidentenschärpe an einen reaktionären Nachfolger zu überreichen - democracy as usual. Dafür steht der so genannte Vermittlungsvorschlag des von Hillary Clinton vorgeschickten Präsidenten von Costa Rica, Oscar Arias. Vermutlich werden die Gorilettis (ein Wortspiel von Hugo Chávez mit dem Namen des Putschpräsidenten Micheletti und dem Begriff Gorilla) in diesem Szenarium letztlich mitspielen, wenn auch widerstrebend. Sie befürchten, dass ein unter was für Kompromissbedingungen auch immer zurück kehrender Zelaya wie Sauerstoff für die nicht nur für seine Rückkehr, sondern eben auch für soziale Transformationsprojekte in der angestrebten Verfassung kämpfende soziale Widerstandsbewegung wirken wird.

Die Geschehnisse sind auch über Honduras hinaus von enormer Tragweite. Wenige Tage nach dem Putsch in Honduras machte die kolumbianische Wochenzeitung Cambio öffentlich, was der kurz zuvor in Washington zu Besuch weilende kolumbianische Präsident Álvaro Uribe mit seinem US-Pendant ausgedealt hat: eine enorme Erhöhung der US-Militärpräsenz im Land (über fünf neue Basen, mittlerweile ist offiziell schon von sieben die Rede). Hugo Chávez dazu: "Sie umzingeln Venezuela mit Militärbasen" (AP, 21.7.09). Zur Verwedelung dieser Aggressionshandlungen belabert uns die Medieninternationale mit absurden Stories wie jener von den in den 80er Jahren an die venezolanische Armee und jetzt laut kolumbianischer Armee bei der FARC-Guerilla aufgetauchten Luftabwehrraketen. Auch "gemässigte" PräsidentInnen wie Lula (Brasilien) oder Bachelet (Chile) insistieren auf "Erklärungen" für die massiv ausgeweitete US-Militärpräsenz - den Routineverweis auf den "Drogenkrieg" nimmt niemand ernst. Die Basen werden Thema am nächsten Gipfeltreffen der südamerikanischen Staatengemeinschaft UNASUR sein. Der ecuadorianische Präsident Rafael Correa sagt: "Wir haben einige Geheimdienststudien, wonach der Nächste nach Zelaya, den sie wegen bestimmter Bedingungen im Land destabilisieren wollen, ich sein werde" (Radio La Primerísima, 2.8.09). Der nicaraguanische Präsident Daniel Ortega warnt angesichts der Antinicahetze der Putschisten vor einer Provokation, um einen Krieg mit Nicaraguas vom Zaun zu reissen. Der bekannte Leiter des honduranischen Menschenrechtsbüros CODEH, Andrés Pavón, äussert die Befürchtung, die USA könnten die Ereignisse für eine direkte Intervention wie in Haiti missbrauchen.

Diese Hinweise mögen genügen um darzutun, dass der Putsch in Honduras nicht einfach eine "lokale" Angelegenheit ist. Sie geben ein in den letzten Wochen rasant gesteigertes Bild der Spannung wieder. Obamas globales Kriegsbudget für das Finanzjahr 2010 übertrifft mit $553 Mrd. den letztjährigen Rekord von Bush ($515 Mrd.), zusätzliche $60 Mrd. für den Krieg in Afghanistan und Irak nicht einberechnet. Tonangebend im Pentagon sind derzeit die Strategen des "irregulären Krieges". Auch das gegen Lateinamerika gerichtete Southcom der US-Streitkräfte darf nächstes Jahr $200 Mio. mehr als heuer einsetzen. Für die Umtriebe des State Department und der USAID in Lateinamerika und der Karibik sind für 2010 $2.2 Mrd. veranschlagt (Steigerung von 12 Prozent). Rick Rozoff hat in einem Überblick über Plan Colombia, NATO und die Kriege im arabisch-zentralasiatischen Raum den Southcom-Operationsleiter, Col. Jim Russell, zitiert, der sich dafür stark machte, aus Irak abgezogene Truppen in Lateinamerika zum Einsatz zu bringen. Denn, so der Militär: "Wir denken, dass wir mit der Zeit eine vermehrte Aufmerksamkeit auf die Region haben werden. Wir sehen Probleme right at the mouth of Central America. Das ist das Einfallstor an unserer südlichen Grenze" (Colombia: US Escalates War Plans in Latin America, http://groups.yahoo.com/group/stopnato/message/40838).

Die USA wussten nachgewiesenermassen vom kommenden Putsch. Laut der Einschätzung, von Venezuela, Kuba und manchen US-Linken haben Seilschaften aus den US-Streitkräften und den Geheimdiensten um prominente Bush-Falken wie John Negroponte, Roger Noriega oder Otto Reich den Putsch ohne Wissen der Administration Obama oder zumindest der Person des US-Präsidenten inspiriert und so dessen persönliche Ansätze für eine etwas weniger bellizistische Politik sabotiert. Eine andere These geht von einer zentralen Putschbeteiligung der Administration aus, gestützt etwa auf die Fortführung "diskreter" US-Zahlungen an die putschistischen Kräfte der "Zivilgesellschaft". Vielleicht sind die Unterschiede mehr semantischer Natur: Was wäre gewonnen, wenn die US-Putschpolitik nicht ein Obama macht, sondern die "faktische Macht", wie sie in Honduras genannt wird? Jedenfalls: Unbestreitbar ist der Versuch von Washington (plus Anhang), mittels der Arias-"Vermittlung" aus dem Putsch soviel Kapital wie möglich zu schlagen - gegen den grossen Feind, die soziale Volksbewegung und ALBA. Hinter dem Putsch steckt die Absicht, die gesellschaftliche Transformationsdynamik zu brechen - es ist ein Klassenkrieg. Die soziale Bewegung ist über sich hinausgewachsen und wird jetzt, parallel zum US-Vermittlungsplan, brutal angegriffen.


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Quelle:
Correos de Centroamérica Nr. 158, 10. August 2009, S. 3
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
Redaktion: Postfach, 8031 Zürich, Schweiz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. August 2009