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AUFBAU/583: Frauenstreik erste Überlegungen zum 14. Juni


aufbau Nr. 98, September/Oktober 2019
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Frauenstreik erste Überlegungen zum 14. Juni


Ohne Zweifel ist der 14. Juni 2019 ein Ereignis von historischer Bedeutung gewesen. Es hat sich eine breite Massenbewegung mit Eigendynamik entwickelt, die sowohl im Frauenkampf radikale antikapitalistische Akzente setzte und auch im Arbeitskampf Teile der proletarischen Frauen mobilisieren konnte. Als KommunistInnen fragen wir uns: Was war das? Warum? Wie geht es weiter?


(fk) Wenn wir uns fragen, warum es aktuell weltweit zu grossen Frauenbewegungen kommt, liegt sicherlich ein Teil der Antwort bei der Analyse der kapitalistischen Krise von 2008 und deren Auswirkungen. Hochverschuldete Banken mussten vom Staat gerettet, die Schulden vergesellschaftet, neue profitable Investitionsmöglichkeiten für brachliegendes Kapital gefunden werden. Direkte Konsequenz davon ist u.a. der fortlaufende Abbau des Sozialstaates und eine Privatisierung ehemals staatlicher Bereiche (die Fallkostenpauschalen, die 2012 im Schweizer Gesundheitswesen eingeführt wurden, ist nur ein Beispiel). Diese Sparmassnahmen treffen die arbeitenden Frauen doppelt: Einerseits sind es vor allem Frauen, die im Bereich der bezahlten Sorgearbeit tätig und daher betroffen sind von Privatisierungen, Schliessungen, Personalabbau und Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Auf der anderen Seite produziert der Abbau des Sozialstaates eine Verlagerung der notwendigen Reproduktionsarbeiten zurück in den unbezahlten Haus- und Familienbereich, wo die Arbeit wiederum meist von Frauen geleistet wird.

Hinzu kommt die politische Krise, die der ökonomischen postwendend folgte, in der die leeren Versprechungen auf Gleichbehandlung und Gleichberechtigung bei anhaltender Diskriminierung und Erniedrigung nicht mehr geschluckt werden. Viele wollen das Schicksal in die eigenen Hände nehmen, selber dafür sorgen, dass es sich ändert.

Zudem treffen reaktionäre Hetze und Angriffe auf Errungenschaften die Frauen besonders hart: In der Schweiz traten beispielsweise die AntifeministInnen sowie der sogenannte "Marsch fürs Läbe" 2010 in die Öffentlichkeit. Während die AntifeministInnen wieder in der Bedeutungslosigkeit verschwanden, mobilisieren die fundamentalistischen ChristInnen dieses Jahr erneut nach Zürich. All dies führt zu einer Verschärfung der Lebensbedingungen, insbesondere für proletarische Frauen. Sie verlieren langsam die Geduld, bis zum Nimmerleinstag auf Lohngleichheit und auf das Ende der Mehrfachbelastung zu warten. Mit diesen Entwicklungen steht die Schweiz nicht allein. Die aufstrebenden weltweiten Frauenbewegungen sind durchaus eine Antwort auf diese Situation.


Proletarischer Frauenkampf versus bürgerlicher Feminismus

Der Frauenstreik war eine Massenbewegung, die eine Qualität erreichte, die für den schweizerischen Klassenkampf eine Seltenheit darstellt. Die vielfältige Kampagnenarbeit von linken Aktivistinnen hat spätestens ab Mai eine Eigendynamik in Teilen des weiblichen Proletariats ausgelöst, insbesondere in den Bereichen Bildung, Betreuung und Pflege. In seiner Breite war der Frauenstreik aber auch eine heterogene Bewegung. Ja, am Schluss sahen sich selbst FDP und CVP genötigt, sich zum Streik zu äussern. So auch viele Betriebe, die sich meist positiv zum Streik äusserten, danach jedoch ein grosses "ABER..." anhängten. Die Migros beispielsweise empfahl ihren Mitarbeiterinnen, sich frühzeitig mit den Vorgesetzten abzusprechen. Es sei klar, dass der Normalbetrieb aufrechterhalten werden müsse. VPOD-Gewerkschafterinnen stellten daraufhin die Bedeutung eines Streikes klar: Das explizite Ziel eines Streikes ist die Störung des Betriebes. Dass eine solche Klarstellung nötig ist, ist Ausdruck der erfolgreichen Politik des Arbeitsfriedens, welcher seit Jahrzehnten von Bossen und Gewerkschaftsführungen in der Schweiz durchgesetzt wird, sodass sich die Bevölkerung unter Streik alles und nichts vorstellen kann, weil konkrete Streikerfahrungen fehlen. Die Heterogenität der Bewegung zeigt einen widersprüchlichen Charakter: Der Frauenstreik hat nicht nur proletarische Frauen mobilisiert, sondern auch Teile der bürgerlichen Frauen. Ihnen geht es vor allem um Karrierechancengleichheit für wenige, gut ausgebildete Frauen, das Teilhaben am kapitalistischen Profit. Seit jeher birgt der Kampf um Rechte für die Frauen die Gefahr der Integration in ein Ausbeutersystem, denn die Besonderheit der Frauen liegt unter anderem darin, dass sie zwar alle von patriarchalen Strukturen betroffen sind, jedoch durch die unterschiedliche Klassenzugehörigkeit gänzlich unterschiedliche Interessen und Positionen einnehmen. Die Antwort der Herrschenden auf diese Tatsache ist denn auch Integration und neoliberale Vereinnahmung. Immer mehr Konzerne, wie etwa Credit Suisse und Siemens, brüsten sich mit diversity programms für ihr Topmanagement. Die Lebensrealität der Mehrheit der Frauen bleibt damit unangetastet.


Kampf auf der Strasse - eine wichtige Erfahrung

Errungenschaften, sei dies nun bezüglich Frauen- oder Arbeitsrechten, sind Resultate von Kämpfen. Auch Tagesforderungen können nur durchgesetzt werden, wenn mit Demonstrationen, Streiks oder anderen Protestformen die Herrschenden in Bedrängnis gebracht werden. Der 14. Juni stellte leider keine allzu grosse Gefahr für die Herrschenden dar: Es war relativ schnell klar, dass der Streik auf eher symbolischen Ebene stattfinden würde und somit wenig "materiellen Schaden" in den Betrieben verursachen würde. Es war auch klar, dass es sich um eine breite und friedliche Bewegung handelte, worin eine revolutionäre militante Position nur marginal vorhanden war. Nichtsdestotrotz war es eine grosse Massenbewegung, die die Kraft hatte, die Herrschenden punktuell unter Druck zu setzen. An diesem Tag waren die Kräfteverhältnisse auf den Strassen anders als sonst. In Zürich beispielsweise, zeigte sich dies durch die Blockade am Central und mehrere unbewilligte Demonstrationen - dies alles hätten die Bullen an anderen Tagen nicht geduldet. Am Frauenstreiktag wurden sie durch die Massen dazu gezwungen und auf politischer Ebene wäre die Legitimation für Repression schwierig gewesen.

Ob die Kraft des Frauenstreikes auch Auswirkungen auf Reformen haben wird, muss sich noch zeigen. Ein paar Debatten scheinen aber durch den Streik bereits befeuert: Vaterschaftsurlaub oder die Lohngleichheit an Arbeitsstellen. Vor allem bleibt zu hoffen, dass sich ein paar der mobilisierten Frauen weiter bewegen werden. Z.B. gegen die Erhöhung des Rentenalters der Frauen, welches nur knapp drei Wochen nach dem Frauenstreik vom Sozialdemokraten Berset verkündet wurde, nachdem sich derselbe Berset am 14. Juni als grosser Frauenkämpfer inszeniert hatte.


Frauenkampf im Klassenkampf

Obwohl die Bewegung des 14. Juni heterogen war, wurde deutlich, dass proletarische Fraueninteressen dominiert haben: tiefe Löhne, die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und die unbezahlte Reproduktionsarbeit. Themen des bürgerlichen Feminismus, wie Karrierechancen, gläserne Decke durchstossen, etc. waren eher in bürgerlichen Medien Thema. Auch wenn es nicht gelungen ist, die untersten Schichten des weiblichen Proletariats einzubeziehen (Verkauf, Reinigung, Fabrikarbeit) zeigte es sich, dass Teile der Frauenkämpfe mit Klassenkämpfen verbunden wurden. Die beiden Bereiche wurden eng verflochten thematisiert. Es wurde deutlich, dass Frauenkämpfe das Potential haben, verschiedene gesellschaftliche Bereiche miteinander zu verbinden, das System insgesamt in Frage zu stellen und so den patriarchalen Kapitalismus als Ganzes anzugreifen.

Einer der folgenreichsten Streiks in der Weltgeschichte begann mit den Textilarbeiterinnen in Petrograd am Internationalen Frauenkampftag 1917, und dies sicher nicht zufällig. Jene kämpferischen Frauen haben die revolutionären Prozesse weiter angestossen bis zum Umsturz der alten Ordnung in der Russischen Oktoberrevolution. Aktuell steht zwar die proletarische Revolution nicht vor der Türe, doch können wir trotzdem daraus Lehren für unsere - wenn auch ganz andere - Situation ziehen. Beispielsweise, dass die Frauen ein wichtiger Motor für revolutionäre Umstürze sind, da sie ein doppeltes Interesse daran haben.

Historisch gesehen fanden grosse Frauenkämpfe meist im Kontext von grossen Klassenbewegungen statt. Aktuell ist dies anders: die grossen Frauenkämpfe am 14. Juni, die Streiks in vielen Ländern am 8. März, erhoben sich ohne den sichtbaren Zusammenhang mit anderen Klassenbewegungen. Die Dynamik der Selbstorganisierung ist bemerkenswert. Wohin diese Kämpfe führen werden, welche organisatorische Qualität sie entfalten, wie langandauernd sie sein werden, zu welcher Stufe der Militanz die Formen sich entwickeln werden, all diese Fragen können nur die kommenden Auseinandersetzungen beantworten. Erfahrungsgemäss werden die Bewegungen wieder abflauen. Uns muss beschäftigen, wie wir als organisierte revolutionäre Kräfte mit jenen neuen bewegten Frauen anhaltende Verbindungen aufbauen können. Denn klar ist, dass nur die kontinuierliche und massenhafte Organisierung Voraussetzungen sowohl für Reformen innerhalb des Kapitalismus, als auch für revolutionäre Prozesse schafft.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 98, September/Oktober 2019, Seite 8
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
aufbau, Postfach 8663, 8036 Zürich
E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Dezember 2019

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