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AUFBAU/550: Übers Meer und durch die Wälder - Kinderbücher


aufbau Nr. 94, September/Oktober 2018
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Übers Meer und durch die Wälder


KINDERBÜCHER Zwei aktuelle Kinderbücher erzählen die abenteuerlichen Geschichten der Schiffsmaschinistin Sally und der Wildwolferin Feo auf den Weltmeeren und in den russischen Wäldern am Vorabend der Oktoberrevolution. Mit Solidarität, Mut und Humor bieten die beiden sympathischen Heldinnen Willkür und Repression die Stirn.


(az) Ungeheuer packend zu lesen sind die Bücher "Mord ohne Leiche" des schwedischen Autors Jakob Wegelius und "Feo und die Wölfe" der englischen Autorin Katherine Rundell. Erzählt werden die Geschichten zweier Protagonistinnen, denen die Liebsten durch Willkür und Repression entrissen werden. Die Situationen scheinen ausweglos, doch die beiden machen sich auf, Verbündete zu suchen, wilde Abenteuer zu erleben und das Blatt zu wenden.


Mord ohne Leiche

Sally Jones, Affin und Maschinistin, fährt seit Jahren mit ihrem besten Freund, dem Chief, auf einem kleinen Frachtschiff zur See. Als bei einer Kollision mit einem Wal das Steuerruder bricht, gehen sie in Lissabon vor Anker. Die Reparatur des Schiffs verschlingt alle Ersparnisse des Duos. Nach verzweifelten Wochen nehmen sie in einer düsteren Hafenkneipe den Auftrag für eine mysteriöse Fracht an. Die Ereignisse überstürzen sich, im Fluss Azulejo läuft das Schiff auf Grund. Fracht und Mittelsmann verschwinden in den dunklen Fluten. Der Chief wird verhaftet und als Mörder und anarchistischer Aufrührer zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt. Sally entkommt über die Dächer der Altstadt. Nach bangen Tagen der Flucht findet sie Unterschlupf und Unterstützung bei Ana, einer Fabrikarbeiterin und Fado-Sängerin, und beim Instrumentenmacher Luigi. Mit dem Bau eines Akkordeons für ihren gefangenen Freund überwindet Sally ihre Verzweiflung und bringt dem Chief und seinen Mitgefangenen Musik und Hoffnung in die Gefängniszellen. Und dann macht Sally eine wichtige Entdeckung: Der Mann, den der Chief ermordet haben soll, lebt und hält sich in Indien versteckt. Sein Tod war nur vorgetäuscht. Im Verborgenen sendet er Geld für die Blumen auf dem Grab seiner toten Geliebten. Um diesem Geheimnis auf den Grund zu gehen, geht Sally erneut an Bord. Übers Mittelmeer, den Suezkanal und den indischen Ozean gelangt sie nach Bombay. Unterwegs entkommt sie einem düsteren Kommissar, einer fiesen Falle und einem feigen Verräter. Sie findet neue Verbündete, dient einem exzentrischen Maharadscha als Spionin und Flugzeugmechanikerin, gewinnt eine schicksalshafte Partie Schach und kehrt zurück nach Lissabon: mit Antworten und einem Plan.


Feo und die Wölfe

Feo und ihre Mutter leben in den russischen Wäldern nahe St. Petersburg. Als Wildwolferinnen wildern sie Wölfe aus, welche als Jungtiere adeligen Familien als Haustiere und Glücksbringer dienten, erwachsen aber zu wild und gefährlich geworden sind. Am Vorabend der russischen Revolution verbietet die zaristische Armee das Auswildern der Tiere, die halbwilden Wölfe sollen nun getötet werden. Als sich Feos Mutter dieser Weisung widersetzt, brennen zaristische Schergen ihre Blockhütte nieder und bringen die Mutter als Gefangene nach St. Petersburg. Feo gelingt mit drei Wölfen die Flucht in die Wälder. Unterwegs tut sie sich mit dem desertierten Kindersoldaten Ilya zusammen, der von seinem Vater in die Armee gezwungen wurde. Der Schnee liegt hoch, die zaristischen Schergen sind ihnen dicht auf den Fersen. Doch Feo und die Wölfe kennen sich in den Wäldern aus und Ilya durchschaut die Logik der Offiziere. Nach einem Sturm lernen sie in einem niedergebrannten Dorf den jugendlichen Revolutionär Alexej kennen. Bei gebratenen Äpfeln und süssem Tee erzählt er ihnen von Zaren, Leibeigenen und Revolutionen. Feo und Ilya möchten von all dem eigentlich gar nichts wissen. Feo wünscht sich bloss ihre Mutter, ihr altes Leben in der Blockhütte und ihre Arbeit als Wildwolferin zurück. Ilya träumt von einer Ausbildung als Tänzer. Und dennoch machen sich Feo, Ilya und Alexej zusammen mit den Wölfen und den Kindern und Erwachsenen des Dorfes nach St. Petersburg auf, die Gefangenen zu befreien und die Welt zu verändern.


Realistisch fantastisch

Wie die Geschichten ausgehen, sei hier natürlich nicht verraten. Aber wir ahnen es, die Guten werden diesmal gewinnen. In beiden Büchern, geschrieben für Kinder von ungefähr 10 Jahren, geht es darum, was es braucht, um für kleine und grosse Träume zu kämpfen und dabei die Hoffnung und den Mut nicht zu verlieren. Freundschaft und Solidarität, Tanz und Musik, Wut und Geduld, einen langen Atem und einen guten Plan.

Auch wenn die Bücher Repression, Gewalt und Gefängnis als Machtmittel der herrschenden Klasse thematisieren, sind es Geschichten für Kinder. Realistische und bedrückende Szenen wechseln sich ab mit witzigen und fantastischen Begebenheiten. Sally ist eine mechanisch hochversierte Äffin, die Instrumente baut, Schiffe repariert, Schach spielt und Flugzeuge lenkt. Feo und Ilya locken ihre Verfolger*innen in Hinterhalte aus Brennnesseln, Schneebällen und Eiszapfen, um ihnen anschliessend auf den Rücken der Wölfe davon zu reiten. Sie enteignen ein altes Schloss und gelangen verkleidet als aristokratische Kinder hoch zu Schlitten hinter die Stadtmauern von St. Petersburg. Wildwolfer*innen hat es nie gegeben, aber die Erfindung ist gut.

Für erwachsene Leser*innen sind Bezüge auf reale historische Ereignisse erkennbar. Die anarchistische Bewegung in Portugal zu Beginn des 20. Jahrhunderts und der Militärputsch von 1926, die russische Oktoberrevolution von 1917 oder der englische Kolonialismus in Indien.


Kinderfragen garantiert

Die Figuren in den Geschichten sind frisch und queer. Zuschreibungen und Stereotype werden unaufgeregt über Bord geworfen. Thematisiert ist das ambivalente Verhältnis von Mensch und Tier. Die Äffin, als wertloses Anhängsel eines Staatsfeindes gejagt und als originelle Trophäe eines launischen Maharadschas vergöttert und versklavt. Die Wölfe, als putzige Haustiere exzentrischer Adliger verhätschelt und als unberechenbare Raubtiere zum Abschuss freigegeben.

Die Erzählungen führen an wundersame und eindrückliche Orte. In verschneite Wälder, über vereiste Seen und wilde Ozeane, von Lissabon nach Alexandria, Bombay und Karatschi, in den Palast des Maharadschas von Bhapur und in die Gassen des jüdischen Viertels von Mattanchery.

Grossartig sind die Geschichten durch die Autor*innen selber illustriert. Leider wurden die Bilder von Katherine Rundell nicht in die deutsche Ausgabe übernommen.

Die Sprache ist altersgerecht, aber anspruchsvoll. Wer die Bücher mit Kindern zusammen liest, kommt nicht darum herum, sich mit einigen Begriffen der Seefahrt vertraut zu machen, die Grundregeln des Schachspiels zu kennen und Worte wie Fado, Anarchist*in, Sabotage oder Malaria zu erklären.

Und wer ist eigentlich dieser Marx?

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 94, September/Oktober 2018, Seite 16
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
aufbau, Postfach 8663, 8036 Zürich
E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org
 
Der aufbau erscheint dreimonatlich.
Einzelpreis: 2 Euro/3 SFr
Abo Inland: 30 Franken, Abo Ausland: 30 Euro,
Solidaritätsabo: ab 50 Franken


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Oktober 2018

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