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AUFBAU/533: Landbesetzung in Andalusien - Brot, Arbeit, Dach


aufbau Nr. 92, März/April 2018
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Pan, trabajo, techo


LANDWIRTSCHAFT Brot, Arbeit, Dach: Land wird besetzt, um es zu bewirtschaften.

(agj) In Andalusien im Süden Spaniens scheint meistens die Sonne. Tagsüber ist die Temperatur im Winter mild und angenehm. Eigentlich ist die Region also durchaus geeignet für die landwirtschaftliche Produktion. Die Trockenheit ist aber eine grosse Herausforderung. Die Region um Almeria, im Südosten Andalusiens, ist - mit dem sogenannten Plastikmeer - bekannt für die intensive Landwirtschaft. Auf zehntausenden von Hektaren stehen Gewächshäuser aus Plastikfolien, in welchen für das nördlichere Europa Gemüse produziert werden. Für die Bewässerung der Gemüsekulturen werden Flüsse umgeleitet und immer tiefere Brunnen gebohrt, natürlich mit ökologischen Folgen. Ungeheuerlich ist auch die Ausbeutung der (Wander-)ArbeiterInnen mit teilweise sklavereiähnlichen Bedingungen. Regelmässig wird darüber berichtet, hier soll es aber nicht darum gehen.

Nicht nur die Region um Almeria ist landwirtschaftlich geprägt. In ganz Andalusien ist die Landwirtschaft ein traditionell wichtiger Wirtschaftssektor. Wo es nicht genügend Wasser gibt, das heisst praktisch: wo nicht bewässert werden kann, müssen trockenheitstolerante Kulturen angebaut werden. Im Landesinnern, fern von den sporadischen Niederschlägen der Küsten, werden deshalb vor allem Oliven für die Olivenölproduktion angebaut. Wir haben in der Nähe von Jaén, mitten im Olivenanbaugebiet, eine Landbesetzung von LandwirtschaftsarbeiterInnen besucht.

Cerro Libertad

Im April 2017 haben Mitglieder des Syndicato Andaluz de Trabajadores/as (SAT; Andalusische ArbeiterInnen-Gewerkschaft) ein seit 6 Jahren unbewirtschaftetes Grundstück besetzt. Auf den 73 Hektaren, welche der spanischen Bank BBVA gehören, gibt es 64 ha Olivenhaine und ein Landhaus. Solche verlassenen Landgüter sind in Andalusien keine Seltenheit. Geschätzt ein Drittel der Güter gehören Banken, die das Land nicht bewirtschaften aber die Landwirtschaftssubventionen einstreichen. Im Anbetracht der hohen Arbeitslosigkeit in Andalusien sind diese Spekulationsobjekte der SAT ein Dorn im Auge. Die BesetzerInnen haben nun ein Gut der Spekulation entwendet und es darum "Cerro Libertad" (dt. Hügel der Freiheit) getauft. An der Einfahrt des Hauses steht auf einem Banner "La tierra a quien la trabaja" (dt. Das Land denen, die es bewirtschaften).

Ihr Hauptanliegen haben die BesetzerInnen gross auf das Haus geschrieben: Brot, Arbeit und ein Dach. Um ihre Forderungen nicht einfach in den Raum zu stellen, damit sie ignoriert oder ins bestehende System integriert werden (Nahrungsmittelhilfen, Arbeitslosengeld), haben sie mit der Besetzung selber dafür gesorgt, die Forderungen zu erfüllen. Am Cerro Libertad können sie selbstverwaltet arbeiten und leben. Auf dem Grundstück stehen über 7.500 Olivenbäume. Mit dem Garten und den Nutztieren gibt es Arbeit für mehr als 20 Menschen, in der Ernteperiode für noch viel mehr.

Die SAT sieht die Besetzung am Cerro Libertad aber natürlich nicht als die Lösung aller gesellschaftlichen Probleme. Der Cerro Libertad soll nur ein Beispiel sein, wie man sich wehren könnte. Die Gewerkschaft will mehr als die traditionellen Aufgaben erfüllen, die den Gewerkschaften zugeschrieben werden: Lohnpolitik und die Verteidigung der Arbeitsrechte. Es wird versucht. eine soziale Bewegung zur Frage der verlassenen Landgüter zu schaffen. Diese soziale Bewegung soll zu einer Massenbewegung ausgeweitet werden, indem die Gewerkschaftsmitglieder ihre Familien, Nachbarn und Bekannte miteinbeziehen. Bei der Besetzung waren etwa 200 Personen dabei.

Es gibt weitere Landbesetzungen, die seit längerem bestehen. 2012 hat die SAT in Somonte 400 Hektaren Land besetzt. Noch älter ist das jetzt genossenschaftliche Dorf Marinaleda, das 1979 mit einer Landbesetzung begann. Die SAT organisiert auch grosse Mobilisierungen mit, wie am inoffiziellen andalusischen Nationalfeiertag am 4. Dezember, wo Unabhängigkeit von Spanien und Selbstverwaltung gefordert werden. Der Nationalismus wird dabei mit klassenkämpferischen Parolen kombiniert wie zum Beispiel: "Andaluz o extranjero / son la misma class' obrero" (dt. Andaluse oder Ausländer / es ist dieselbe Arbeiterklasse).

Schwierigkeiten einer Landbesetzung

Der Cerro Libertad hat mit diversen Schwierigkeiten zu kämpfen. Zuerst sind da die alltäglichen Probleme auf einem besetzten Grundstück. Der Stromanschluss steht mittlerweile. Aber die Wasserversorgung ist sehr unregelmässig und Trinkwasser muss an einer Quelle geholt werden, die 20 Minuten mit dem Auto entfernt ist. Dies wird allerdings mit einer andalusischen Gelassenheit und Spontanität hingenommen. Weiterhin fährt die Polizei fast täglich für einen Kontrollgang auf dem Gelände vor. Akut bedroht ist die Besetzung nicht, aber es sind Gerichtsverfahren hängig. Diese juristischen Angriffe belasten die BesetzerInnen und GewerkschafterInnen. In den letzten Jahren wurden in der SAT Bussen und Gerichtsgebühren von mehreren hunderttausend Euros angesammelt. Nur ein kleiner Teil geht auf den Cerro Libertad zurück, aber die BesetzerInnen müssen teilweise noch Bussen von anderen Besetzungen und Aktionen abzahlen.

Nicht genau zu fassen ist die Bedrohung durch FaschistInnen. Diese sind in der Stadt Jaén ziemlich tief verwurzelt und teilweise mit Politik und Kirche verbandelt. Das Büro und der soziale Treffpunkt der SAT in Jaén wurde vor einem Jahr von Faschisten angegriffen. Klarer sind die staatlich-ideologischen Angriffe.

Der Cerro Libertad ist im Moment zwar noch nicht davon betroffen. In Jodar wurde das besetzte Land in Parzellen aufgeteilt, den Familien und Einzelpersonen für einen tiefen Preis verkauft. Diese Parzellen können dann für ein vielfaches weiterverkauft werden. Diese Aussicht auf einen Gewinn bewegte viele zu einem Parzellenkauf. Dadurch wird der Ansatz von kollektivem Besitz durch die Wiederherstellung von Privateigentum untergraben. Wenn solche Projekte wie der Cerro Libertad ihre starke Propagandawirkung behalten wollen, müssen sie ihr politisches Bewusstsein erhalten und verteidigen.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 92, März/April 2018, Seite 13
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
aufbau, Postfach 8663, 8036 Zürich
E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org
 
Der aufbau erscheint dreimonatlich.
Einzelpreis: 2 Euro/3 SFr
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. März 2018

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