aufbau Nr. 91, Januar/Februar 2018
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus
Disziplinierung statt Sicherheit
KAMERAS. Die Stadt im 21. Jahrhundert ist der zentrale Ballungsraum von Macht. Ein Mittel zur Kontrolle und Herrschaftssicherung dieses Raumes ist die zunehmende Videoüberwachung.
(agkkz) Im Jahr 2008 haben erstmals in der Geschichte der Menschheit mehr Menschen in Städten als auf dem Land gewohnt. Prognosen besagen, dass dieser Anteil weiter steigen wird - so geht die Uno davon aus, dass im Jahr 2050 zwei von drei Menschen weltweit in Städten leben werden.
In der Schweiz zeigt sich das Phänomen "Urbanisierung" in anderen Dimensionen als im internationalen Vergleich. In Zürich, mit Abstand der grössten Stadt der Schweiz, leben gerade mal 415'000 EinwohnerInnen, knapp mehr als 4% der Bevölkerung von Tokyo. Dennoch ist unbestritten, dass Zürich sowohl für die Schweiz, wie auch international von Bedeutung ist. Wichtiger als die Grösse sind dafür andere Standortfaktoren, mit denen sich Zürich gegen nationale und internationale Konkurrenz durchzusetzen probiert. Der Finanzplatz ist ein Beispiel eines solchen Standortfaktors, der Zürich für gewisse Anspruchsgruppen attraktiv macht. Weitere Beispiele von Standortfaktoren sind Infrastruktur, aber auch Bildungsinstitutionen oder Sicherheit und Ordnung im öffentlichen Raum. Auf diesen Faktor möchten wir hier genauer eingehen.
Selektive Sicherheit - aber für wen?
Städte sind keine konstanten Gebilde. Verschiedenste Faktoren tragen
dazu bei, dass sich Stadtteile oder auch die Stadt als Ganzes ständig
verändern. Einzelpersonen und Firmen können die Entwicklung eines
Quartiers beeinflussen, Immobilien werden aufgekauft und renoviert,
der Mietzins steigt. Dadurch zieht ein Quartier andere Personengruppen
an als zuvor. Indem Einzelpersonen ihren Profit steigern, verändern
sie also auch den Charakter eines Quartiers.
Auf einer strategischen Ebene nimmt auch die Politik wesentlichen Einfluss auf die Stadtentwicklung. Ein Faktor, den die Politik beeinflussen kann ist Sicherheit und Ordnung im öffentlichen Raum - dies durch verschiedene Methoden. Polizei oder andere Repressionsorgane können einzelne Strassenzüge vermehrt patrouillieren, unerwünschte Personengruppen können häufiger kontrolliert und weggewiesen werden. Dazu wurde 2006 extra ein Wegweisungsartikel im kantonalen Polizeigesetz von Zürich eingeführt.
Ein weiteres Mittel ist die Überwachung des öffentlichen Raums durch Kameras. Private LiegenschaftenbesitzerInnen oder der Staat können damit direkt in das Leben der Personen eingreifen, die sich in diesen Häusern oder in diesem Raum aufhalten. Die Gründe für Videoüberwachung sind sehr unterschiedlich, je nach Ort und Art der Kamera (siehe Kasten 1). Oftmals geschieht dissuasive Videoüberwachung mit dem Hinweis, so die Sicherheit der Personen zu gewährleisten, die sich dort aufhalten. Während dies in Einzelfällen wohl auch tatsächlich der Grund ist, warum ein Ort überwacht wird, geht es in der Regel doch viel mehr um die Disziplinierung der Gesellschaft und den Schutz bürgerlicher Werte als um den Schutz der Gesundheit von Einzelpersonen. Warum sonst würden Gebiete überdurchschnittlich stark überwacht, welche von besonderer Bedeutung für Staat und Kapital sind? Weil solche als Sicherheitsmassnahmen bezeichnete Überwachung eben auch ein Standortfaktor ist. So nimmt die Anzahl Kameras in der Zürcher Innenstadt viel schneller zu als in den Aussenquartieren. Auffällig ist auch die Uberwachung von Pausenplätzen. Offensichtlich geht es hier nicht um die Aufklärung von Znünibrot-Diebstählen. Kinder sollen auch in der Pause diszipliniert werden, die Kamera schaut zu, also besser "kei Seich" machen in der Pause. Dagegen hilft am besten schon früh zu üben, welche Gegenmassnahmen getroffen werden können. Eine Möglichkeit hierfür wird im Kasten 2 vorgestellt.
Weitere Infos:
Texte und Broschüren zur Stadtaufwertung gibt es unter
www.aufbau.org oder im Aufbau-Vertrieb.
Die dissuasive Videoüberwachung bezweckt die Verhinderung von
Gefährdungen und Störungen der herrschenden Ordnung durch
Abschreckung. Sie erfolgt in aller Regel permanent und nach aussen hin
erkennbar. Für die dissuasive Überwachung werden üblicherweise
Videotechnologien eingesetzt, welche die Bildsignale aufzeichnen und
eine Identifikation von aufgenommenen Einzelpersonen
ermöglichen.
Die observative Videoüberwachung bezweckt einerseits die
Gewährleistung von Abläufen und Zuständen gegen technische Störungen
(z.B. zur Steuerung von Verkehrs- und Personenströmen). Anderseits
dient sie der allgemeinen Fahndung nach Fahrzeugen (z.B. automatische
Erkennung von PKW Nummernschildern) und Menschen (in Berlin läuft der
Versuch zur automatischen Gesichtserkennung). Zur observativen
Überwachung gelangen in der Regel Videotechnologien zum Einsatz,
welche die Bilder abgleichen und bei Bedarf automatisch Alarm
auslösen.
Die invasive Videoüberwachung hat die gezielte Beschattung eines bestimmten inneren Feindes ("Störer") zum Ziel. Zur Erfüllung dieses Überwachungszwecks können bestimmte Orte (Hauseingänge etc.) überwacht werden. Die invasive Videoüberwachung erfolgt im Gegensatz zur dissuasiven Überwachung nicht permanent und offen, sondern vorübergehend und verdeckt.
Um der Überwachung Widerstand leisten zu können, müssen zuerst die Art
und die Orte der Überwachung bekannt sein. Zu diesem Zweck gibt es
verschiedene Möglichkeiten und Projekte. Exemplarisch wird hier das
Projekt Surveillance under Surveillance (SuS) vorgestellt.
Dieses ist unter folgendem Link zu finden:
https://kamba4.crux.uberspace.de/ Kurz erklärt: Auf Open Street Map
(OSM) basierend, ist SuS ein zusätzlicher Filter mit den Kameras und
deren Details. Kameratyp, Überwachungsradius etc. können also separat
eingezeichnet werden. Die Einträge entstehen aber nicht automatisch,
sondern können von jeder beliebigen Person auf OSM erstellt werden.
Dem Vorteil, dass sich alle kollektiv an diesem Projekt beteiligen
können, steht der Nachteil gegenüber, dass die Informationen für
konkrete Anlässe geprüft werden sollten.
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Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis AbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)
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Quelle:
aufbau Nr. 91, Januar/Februar 2018, Seite 11
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
aufbau, Postfach 8663, 8036 Zürich
E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org
Der aufbau erscheint dreimonatlich.
Einzelpreis: 2 Euro/3 SFr
Abo Inland: 30 Franken, Abo Ausland: 30 Euro,
Solidaritätsabo: ab 50 Franken
veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Februar 2018
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