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AUFBAU/471: Dann gibts eben keine Cola!


aufbau Nr. 86, September/Oktober 2016
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus


Dann gibts eben keine Cola!

ROJAVA Im Zuge unserer Reise nach Rojava hatten wir in Qamishlo die Möglichkeit, mit der verantwortlichen Genossin für die Kooperativen des Kantons Cizire zu sprechen. Wir geben hier einen kleinen Einblick in den Versuch eines Wirtschaftsmodells nach demokratischen und ökologischen Grundsätzen.


(raw) Nach der Verdrängung des Assad Regimes und erst recht als Reaktion auf das Embargo, wird in Rojava ein Wirtschaftssystem entwickelt, welches längerfristig auf Selbstversorgung und Unabhängigkeit zielt. Das System der "Kooperativen" wurde nach dem Paradigma A. Öcalans durch den TEV-DEM und KongreSTAR initiiert und seit etwa einem Jahr auf ganz Rojava ausgeweitet - vor allem auf Frauenkooperativen wird ein Schwerpunkt gelegt. "Am Anfang war das Volk dem Projekt gegenüber sehr misstrauisch", erkärt die Genossin. "Sie waren daran gewöhnt, dass immer alles von aussen kommt." Entsprechend ging der Aufbau der Kooperativen anfangs nur schleppend voran. Nach viel Organisation und Mobilisierung hat sich aber das Bewusstsein der Menschen entwickelt und die Erfahrungen und Erfolge der kollektiven Arbeit haben Selbstvertrauen und Eigeninitiative gestärkt.


Kollektivierung der Arbeit

Unter einer Kooperative dürfen wir uns nicht nur Bauernhöfe und Gemüsegärten vorstellen. Kooperativen können überall, wo gesellschaftlich relevante Arbeit anfällt, gegründet werden. Kooperative bedeutet in diesem Sinne nichts anderes als "Ort kollektiver Arbeit". So gibt es landwirtschaftliche Kooperativen, Kindergärten in den Quartieren, Einkaufsläden, Kooperativen für Stoffe und Näharbeiten und so weiter. Die Kollektivierung von Arbeiten, die früher Einzelne verrichteten und die damit verbundenen Lernprozesse, sind Kernpunkt der Kooperativen. Aufbau, Planung und Art einer Kooperative wird in einem streng basis-demokratischen Verfahren ermittelt und das Projekt dann den InitiantInnen zur Umsetzung "übergeben", wobei die Kommunen (Volksräte) aber beratend, unterstützend oder vermittelnd mitwirken.


Handel, Ideologie und Gesetze

Die Kooperativen produzieren in erster Linie für den Verkauf bzw. bieten regional ihre Dienstleistungen an. Vielfach handeln die Kooperativen untereinander, wobei ein Teil der erwirtschfteten Produkte und Einnahmen unter den beteiligten ArbeiterInnen aufgeteilt wird und ein weiterer Teil an die Kommunen geht.

Gegen verbliebene Grosshändler oder Importeure wird nicht radikal vorgegangen, vielmehr wird auf Bildung des Bewusstseins gesetzt und zur Kollektivierung ermahnt. Gerade aber durch den Aufbau von Kooperativen ist es möglich, auch Druck aufzusetzen und Geschäfte grosser Händler unbedeutender und besser kontrollierbar zu machen.

Zu unserem Erstaunen wird die Landwirtschaft bereits jetzt ökologisch und nachhaltig angegangen. Es soll grundsätzlich ausschliesslich biologisches Saatgut angewendet und dabei möglichst auf Importe verzichtet werden.


Die Rolle der Frauen

Der grösste Fortschritt des Kooperativen-Systems liegt in der grossen Beteiligung und Führungsrolle von Frauen. Die Frauenbefreiungsbewegung ist, wie auch im gesammten Prozess in Rojava, die treibende Kraft in der Ökonomie. "Vor der Revolution durfte eine Frau noch nicht einmal alleine vor die Tür gehen!" betont die Genossin. Vor der Revolution waren Frauen in traditionell patriarchalen Familienstrukturen gefangen. Heute haben sie die Möglichkeit zu arbeiten, ihr eigenes Geld zu verdienen, sind in allen politischen und gesellschaftlichen Bereichen vertreten und haben ihre eigenen Strukturen und Räte gebildet.


Theorie und Praxis

Das ökonomische System in Rojava ist keine Planwirtschaft im sozialistischen Sinne und hat, nach unserem Verständnis, natürlich widersprüchliche Elemente in sich. Dennoch sind aus unserer Sicht viele interessante Ansätze darin enthalten und es ist auch klar, dass sich viele Fragen und Probleme erst in der konkreten Umsetzung und im Prozess offenbaren. Der Handel und Verkauf der erzeugten Produkte läuft bisher marktwirtschaftlich weiter. Grosshandel im kapitalistischen Sinne und Kooperativen existieren nebeneinander, wobei ersteren zwar auf die Finger geschaut wird, sie vorerst aber nicht enteignet oder verboten werden.

Von der Entwicklung geplanter Wirtschaft kann insofern gesprochen werden, als dass die politischen Strukturen (Kommunen) durchaus einen Einfluss auf die Kooperativen haben. Über sie bringt das Volk seine Bedürfnisse ein bzw. die politisch Verantwortlichen bringen die Bedürfnisse der Menschen oder die Bedingungen eines Ortes in Erfahrung und bringen ihre Erkenntnisse in die Planung der Kooperative ein. Es findet im weiteren innerhalb der Kooperativen keine Ausbeutung statt und profitorientiertes Denken und Handeln soll durch politische Intervention und Bildung nach und nach verdrängt werden.

Einer der wichtigsten Punkte betrifft sicher die ideologische Ebene: Durch kollektive Arbeit wird auch das kollektive Verständnis und Verantwortungsgefühl als Gemeinschaft gelernt und gestärkt. Gerade für Frauen spielte und spielt dieser Prozess, von der Isolation zum kollektiven Bewusstsein, eine entscheidende Rolle.


Solidarität mit Rojava

Wenn wir uns den hohen ideologischen Anspruch, den ökologischen Grundsatz und die dringende Notwendigkeit, selbstversorgend und unabhängig zu wirtschaften, vor Augen führen und das ganze noch in den Kriegszustand versetzen, wird offensichtlich, dass Rojava vor einer Herausforderung steht, die sicher nicht kurzfristig gedacht werden kann. Entscheidend ist um so mehr unsere Auseinandersetzung mit dem konkreten Prozess vor Ort und den Entwicklungen in der gegebenen Situation. Denn genau in diesem Moment wird versucht, der kapitalistischen Ausbeutungsmaschienerie eine Alternative entgegen zu setzen. Entscheidend ist, dass wir uns nicht in Diskussionen um Widersprüche oder theoretische Ansätze verlieren, sondern von den Erfahrungen der GenossInnen in Rojava lernen und unsere Solidarität und Unterstützung kundtun.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis AbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 86, September/Oktober 2016, Seite 11
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
aufbau, Postfach 8663, 8036 Zürich
E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org
 
Der aufbau erscheint dreimonatlich.
Einzelpreis: 2 Euro/3 SFr
Abo Inland: 30 Franken, Abo Ausland: 30 Euro,
Solidaritätsabo: ab 50 Franken


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Oktober 2016

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