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AUFBAU/399: Bosnien - Wahlen, Nato und Klassenkampf


aufbau Nr. 78, september / oktober 2014
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Wahlen, Nato und Klassenkampf



BOSNIEN Nach der Sozialrevolte im vergangenen Februar steht im Herbst der Wahlkampf 2014 an. Welche Perspektive hat in Bosnien eine revolutionäre Bewegung angesichts schwacher Industrie und starker Präsenz der Nato?


(az) Leere Fabrikstätten soweit das Auge reicht: Die Vororte von Tuzla, einer Industriestadt im muslimischen Teil Bosniens, haben wirtschaftlich bessere Zeiten gesehen. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist laut offiziellen Angaben in dieser Region ohne Erwerbsarbeit. Denn nach dem Zusammenbruch der Bundesrepublik Jugoslawien 1992 wurde das riesengrosse Staatskapital stückweise an die internationale Bourgoisie veräussert, welche zwar oft die Weiterführung der Produktion versprach, das Versprechen aber in den wenigsten Fällen hielt. Viel öfters wurde dann das fixe Kapital (Maschinen und Einrichtungen) aus den Betrieben abgezogen und mit riesigen Gewinnen weiterverkauft. In jenen Fabriken, welche noch existieren, erscheint die Unternehmerschaft vielfach abstrakt und abwesend. Niemand weiss genau, wer der Boss ist. Der ist irgendwo im Ausland und führt eine bosnische Fabrik als Tochterfirma. Die Zerschlagung der revisionistischen Bundesrepublik Jugoslawien ist ein ausgesprochenes Musterbeispiel von Privatisierung und Imperialismus. Auch Schweizer Konzerne wie etwa der Betonkonzern Holcim sind kräftig beteiligt.

Kaum jemand in Bosnien ist erstaunt darüber, dass sich der Kampf auf der Strasse nun zuspitzt. Besonders auf dem Land sind sich die Menschen zwar gewohnt, dass sie laufend Verschlechterungen der Lebensbedingungen hinnehmen müssen, vom Kompradorenstaat nichts erwarten dürfen und sich stattdessen lokal und selber organisieren müssen. Tragisches aktuelles Beispiel dafür ist die Hochwasserkatastrophe im Mai dieses Jahres. Dieser Hintergrund führt dazu, dass für gewöhnlich viel passieren muss, bis sich die Menschen im muslimischen Teil Bosniens wehren. Im vergangenen Winter war aber die Ausgangslage aussergewöhnlich zugespitzt.


Bewegung auf der Strasse seit Februar 2014

Was im Februar 2014 in der Region Tuzla zum Ausbruch kam, kann als Folge davon bezeichnet werden. Über 50 Monate lang hatten die ArbeiterInnen der chemischen Industrie keine Löhne mehr gesehen und immer wieder dagegen protestiert. Sie wurden aber regelmässig vertröstet und die Regierung versprach, mit den betreffenden UnternehmerInnen zu verhandeln. Am 5. Feburar 2014 kam es dann zur Eskalation, da für viele Leute immer offensichtlicher wurde, dass der Staat die Privatisierungen begünstigt statt verhindert. Deshalb wurde das Regierungsgebäude in Flammen gesetzt. Ausserdem schickte die Regierung die Polizei und es kam zur Konfrontation: Viele Leute solidarisierten sich. Es ging also vorerst um einen lokalen Brennpunkt. Doch die Bewegung weitete sich rasch über andere Kleinstädte aus, welche ähnliche ökonomische Voraussetzungen aufweisen, wie dies in Tuzla der Fall ist.

Nun versuchen verschiedenste Kräfte den sozialen Protest für sich zu vereinnahmen: So auch Liberale und ReformistInnen, welche ganz andere Absichten haben und in erster Linie am Wahlkampf im Herbst 2014 interessiert sind. So dürfte die Bewegung auf der Strasse dann auch geschwächt werden, sollte die Sozialdemokratie die Wahlen gewinnen und mit (unrealistischen) Versprechungen die Leute zu besänftigen versuchen.


Notwendige internationale Solidarität

Angesichts der hohen Arbeitslosenzahlen und der schwachen Industrie kann nicht von einer hohen ArbeiterInnenmacht gesprochen werden. So konzentrierte sich die Bewegung bis dato vor allem auf die Strasse. Ausserdem hat in Bosnien nach wie vor die Nato eine starke Präsenz. Sie hält sich zwar hauptsächlich im Hintergrund, hat aber auch schon lokale Polizeieinheiten beim Wegräumen von Strassenblockaden unterstützt und damit die Bevölkerung dezent auf ihre Anwesenheit und Interessen aufmerksam gemacht. Das Kräfteverhältnis scheint also hoffnungslos zu sein.

Gerade darum zeigt sich aber, wie wichtig die internationale Solidarität ist, nur wenn sich die Kämpfe in Bosnien rasch ausweiten, etwa indem sie weitere Teile des Balkans erfassen, haben sie in Bosnien eine konkrete Perspektive. Nationalistische Kräfte haben aber gerade in Kroatien und Serbien die Oberhand und sind auch in gewissen Regionen Bosniens stark. Aber die aktuelle Bewegung bietet deutliche Orientierung in eine klassenkämpferische Richtung, welche alle Ethnien umfasst. Dies ist wichtig und exemplarisch. Auch für die klassenkämpferischen Tendenzen in der Schweiz stellt Bosnien eine positive Referenz dar.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 78, september / oktober 2014, Seite 11
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. November 2014