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AUFBAU/389: 1. Weltkrieg - Vom Aufteilen und Verraten


aufbau Nr. 77, mai / juni 2014
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

1. WELTKRIEG

Vom Aufteilen und Verraten



Im Juli 1914 zogen die Widersprüche zwischen den Grossmächten Deutschland, England und Russland, vorwärts getrieben vom aggressiven deutschen Imperialismus, die Welt in den Ersten Weltkrieg. Zeit also, um einen (Rück)Blick zu wagen.


(gpw) Zum hundertsten Jahrestag des Ersten Weltkrieges ist eine Flut an Publikationen, Ausstellungen, Veranstaltungen und anderes mehr zu erwarten oder hat bereits eingesetzt. In der bürgerlichen Geschichtsschreibung stehen sich zwei Positionen gegenüber. Eine, welche die Hauptschuld am Krieg bei Deutschland sieht - die einseitige Sicht der Siegermächte - und eine andere, die sich auf den Standpunkt stellt, die Welt sei aufgrund der Bündnisverpflichtungen mehr oder weniger in den Krieg hineingeschlittert. Auch diese zweite Position muss klar zurück gewiesen werden. Sie verharmlost und entschuldigt sowohl die Verantwortlichen am Krieg als auch die zerstörerische Kraft des Kapitalismus in seinem Endstadium.

Aus kommunistischer Sicht stehen zwei Punkte im Zentrum der Analyse. Erstens muss die Frage des historischen Verrats der Sozialdemokratie, der Burgfrieden, sprich die Abkehr vom Klassenkampf und die nach dem Krieg vollzogene Spaltung in SozialdemokratInnen und KommunistInnen diskutiert werden. Zweitens sollte auch die Frage nach dem Imperialismus und den Widersprüchen innerhalb seiner Mächte thematisiert werden. Fragen, ob der Erste Weltkrieg der erste "totale Krieg" war, mögen interessant sein, spielen aber für die politische Analyse eine zweitrangige Rolle.


Auf Nimmerwiedersehen

Noch auf dem Friedenskongress 1912 in Basel versicherten die SozialdemokratInnen aller Länder: "Droht Ausbruch eines Krieges, so sind die arbeitenden Klassen und deren parlamentarische Vertretungen in den beteiligten Ländern verpflichtet [...] alles aufzubieten, um durch die Anwendung der ihnen am wirksamsten erscheinenden Mittel den Ausbruch des Krieges zu verhindern. [...] Falls der Krieg dennoch ausbrechen sollte, ist es die Pflicht für dessen rasche Beendigung einzutreten und mit allen Kräften dahin zu streben, die durch den Krieg herbeigeführte wirtschaftliche Krise zur Aufrüttelung des Volkes auszunutzen und dadurch die Beseitigung des kapitalistischen Klassenherrschaft zu beschleunigen."(1) Die Stossrichtung schien klar: Der sogenannte revolutionäre Defätismus bedeutete die Verhinderung einer Situation, dass ProletarierInnen der verschiedenen Länder aufeinander schiessen müssen, und im Fall des Kriegsausbruches Umwandlung des imperialistischen Krieges in den revolutionären Krieg. Doch bereits zwei Jahre später sah die Situation vollkommen anders aus. Nach der Thronrede von Kaiser Wilhelm stimmten die deutschen SozialdemokratInnen - wie schliesslich alle anderen ausser den russischen - für die Kriegskredite (bei zwei Enthaltungen). Der rechte Flügel innerhalb der Partei hatte sich durchgesetzt, mit dem Vorwand, dass sich Deutschland in einem Verteidigungskrieg befinde. Dies war Grund genug, um Klassengegensätze zu vergessen und geeint Krieg zu führen.


Kasten

Des Kaisers Forderung

"Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche! Zum Zeichen dessen, dass Sie fest entschlossen sind, ohne Parteiunterschied, ohne Stammesunterschied, ohne Konfessionsunterschied durchzuhalten mit mir durch dick und dünn, durch Not und Tod zu gehen, fordere ich die Vorstände der Parteien auf, vorzutreten und mir das in die Hand zu geloben." (Kaiser Wilhelm)

Kastenende

Die Mehrheit der Sozialdemokratie hatte sich damals auf Nimmerwiedersehen vom revolutionären Klassenkampf verabschiedet. Der linke Flügel spaltete sich während und nach dem Kriege ab und schloss sich zum Teil den neu entstandenen kommunistischen Parteien an. Auch in der Schweiz stimmte die SP für Kriegskredite. Mit dem Parteiprogramm von 1920 kehrte sie auch hier dem Klassenkampf und der Revolution den Rücken.


Innerimperialistische Widersprüche oder die Aufteilung der Welt

Doch wie konnte es erst soweit kommen? Wie kam die Welt an den Punkt, dass sich Millionen von Arbeitern gegenseitig in den Schützengräben bekämpften statt dem Verursacher - dem Kapitalismus im imperialistischen Stadium - den Garaus zu machen? Der Krieg brach aus, weil die imperialistischen Staaten die Welt unter sich aufgeteilt hatten. Es gab kein unberührtes Land mehr, das für den kapitalistischen Markt erschlossen werden konnte. Somit konnte jede imperialistische Macht nur noch auf Kosten einer anderen wachsen. England hätte Mühe gehabt, seine Vormachtstellung aufrecht zu erhalten und sah in Deutschland seinen Hauptkonkurrenten in Bezug auf Kolonien, Technik und kommerzielle Energie. Deutschland, aufgrund historischer Gegebenheiten, konnte erst spät ins Kolonialgeschäft einsteigen, gebärdete sich daher umso aggressiver. Deutschland war wohl vor allem am Balkan und der Türkei interessiert. Da stand es aber im Konflikt mit dem russischen Zarenreich, das ebenfalls am Balkan und der Türkei interessiert war. Somit zeigte sich, dass aufgrund der systemimmanenten Logik von Profit und Wachstum Millionen Menschen ihr Leben lassen mussten. Diese Widersprüche brechen auch heute immer wieder auf. Eindrückliches und aktuellstes Beispiel ist die Ukraine, wo der Imperialismus der USA und der Expansionismus der EU mit Deutschland an der Spitze mit den Grossmachtbestrebungen Russlands aufeinanderprallt.


Klassenstandpunkt als Wegweiser

Es ist illusorisch zu glauben, dass die Sozialdemokratie eines Tages ihre Wurzeln wiederfinden wird. Allzu gross sind ihre Verstrickungen mit dem Kapital und dementsprechend repräsentiert sie dessen Interessen im Parlament. Interessanter sind jedoch die neuen Sozialdemokratischen Parteien (z.B. die Linke in Deutschland und Alternative Liste in der Schweiz) und ihre Positionen und daraus resultierende Praxis in Bezug auf Kriegsthematiken. Wie würden sie in einem Falle wie beim Überfall auf Jugoslawien handeln? Ein Vorgeschmack liefert "die Linke", die sich schon nicht mehr entschieden gegen den Einsatz von bewaffneten Bundeswehrsoldaten im Ausland stellt.(2) Spannend auch die Beobachtung der linken Parteien in Ländern im Trikont, welche nicht am gleichen historischen Punkt stehen, wie die Länder Europas. Um aktuelle Konflikte zu verstehen, bedarf es einer profunden Analyse über die Akteure und deren Interessen, der Krieg stellt nur ein anderes Ausdrucksmittel der Politik dar. Bei all diesen Fragen muss der Klassenstandpunkt als zentralerer Wegweiser dienen. Nur wer die Klasse und deren Emanzipation sowie die historischen Bedingungen der Region ins Zentrum stellt, kann sich richtig positionieren. Nur mit einer genauen Analyse, daraus resultierenden klaren Positionen und einer damit einhergehenden Praxis kann eine Perspektive jenseits von "Teile und Herrsche" aufgebaut werden.


Zum hundertsten Jahrestag des ersten imperialistischen Weltkrieges werden in den nächsten aufbau-Nummern weitere Artikel folgen.


Anmerkungen:

(1) vgl. Broschüre "Krieg dem Krieg! 100 Jahre Ausserordentlicher Sozialistenkongress" der Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel, November 2012.

(2) http://www.jungewelt.de/2014/04-05/O11.php

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 77, mai / juni 2014, Seite 14
HerausgeberInnen:
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Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Mai 2014