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AUFBAU/356: Eine neue Qualität der Überwachung


aufbau Nr. 73, mai / juni 2013
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Eine neue Qualität der Überwachung

RECHT - Durch gesetzliche Änderungen wurden dieses Frühjahr Rechtsgrundlagen für bereits gängige Praxis geschaffen.



(rabs) In einer Medienmitteilung vom 27.2.2013(1) teilte der Bundesrat mit, dass "mutmassliche Straftäter" sich nicht durch verschlüsselte Kommunikation einer Überwachung entziehen können sollten. Mit dieser Mitteilung wurde eine Totalrevision des "Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs" (BÜPF) angekündigt. Damit wird eine gängige Praxis auf rechtliche Grundlagen gestellt: In Zukunft dürfen im Rahmen des BÜPF und der ebenfalls angepassten Strafgesetzordnung Strafverfolgungsbehörden Gebrauch von Trojanern zur Überwachung von Computern machen. Eine Deliktliste, die Grundlage für den Einsatz des Trojaners ist, umfasst unter anderem Sachbeschädigung, einfacher Diebstahl und Drogendelikte.

Die angepasste Strafprozessordnung enthält einen neuen Artikel mit dem Titel "Einsatz von besonderen Informatikprogrammen zur Überwachung des Fernmeldeverkehrs". Darin wird beschrieben, dass die Staatsanwaltschaft, "wenn die bisherigen Massnahmen zur Überwachung [...] erfolglos geblieben sind oder die Überwachung mit diesen Massnahmen aussichtslos wäre", das Recht hat, den Einsatz von "besonderen Informatikprogrammen" (also Trojanern) anzuordnen. Ebenfalls wird die Staatsanwaltschaft berechtigt, "nicht öffentliche Räume, in die allenfalls eingedrungen werden muss, um besondere Informatikprogramme in das betreffende Datenverarbeitungssystem einzuschleusen" zu benennen.

Die Beschränkung auf den Inhalt von Kommunikation und die Forderung, dass anderweitige Daten sofort zu vernichten sind, können nicht ernst genommen werden. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass die Staatsgewalt sich auch auf widerrechtlich erlangte Hinweise und Beweise stützt, um gegen tatverdächtige Personen vorzugehen.

Welche Software genau eingesetzt wird, ist im Moment noch nicht öffentlich bekannt. In der Vergangenheit haben Schweizer Behörden allerdings Software der deutschen Firma DigiTask eingekauft und eingesetzt. Die Firma DigiTask hat auch den Bundestrojaner für deutsche Strafverfolgungsbehörden programmiert, der Zugriff auf in Deutschland gesetzlich klar ausgeschlossene Funktionen bot(2).


Und bisher gabs so was nicht?

Bereits vor der Revision des BÜPF kamen Trojaner zum Einsatz, etwa gegen linke AktivistInnen. Gesetzlich stützte sich die Staatsanwaltschaft auf einen Artikel in der Strafprozessordnung (280 StPO), der es erlaubt, "technische Überwachungsgeräte einzusetzen, um das nicht öffentlich gesprochene Wort abzuhören oder aufzuzeichnen; Vorgänge an nicht öffentlichen oder nicht allgemein zugänglichen Orten zu beobachten oder aufzuzeichnen; oder den Standort von Personen oder Sachen festzustellen".

Ebenfalls eingesetzt wurde Überwachungssoftware durch die schweizerischen Nachrichtendienste. Auch dort fehlte bis vor kurzem die entsprechende Rechtsgrundlage: Erst durch die aktuelle Revision des "Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit" (BWIS) erhalten die Geheimdienste das Recht, präventiv Telefone abzuhören, Wanzen zu platzieren, Peilsender anzubringen oder eben auch in Computer und Netzwerke einzudringen. Im Gegensatz zu den Strafverfolgungsbehörden erhält der Nachrichtendienst dabei auch das Recht, gespeicherte Informationen zu beschaffen.

Eine Gefahr beim Einsatz von Trojanern ist, dass durch diese Programme unbemerkt Beweise auf den Computern von betroffenen Personen platziert werden können. Der in Deutschland eingesetzte Trojaner der Firma DigiTask bot den Behörden unter Anderem diese Möglichkeit. Durch Fehler in der Programmierung - vor denen Schweizer Behörden genausowenig sicher sind wie deutsche Firmen - konnten zusätzlich dritte Fehlinformationen an die Behörden übermittelt werden, oder der Computer der betroffenen Person manipulieren.


Datenberge

Neben der qualitativen Steigerung der Überwachung - vor allem durch den Einsatz von Trojanern - kann auch festgestellt werden, dass die Behörden immer grössere Mengen von Daten speichern und zur Verfolgung von ihnen unliebsamen Personen verwenden. Mit der Revision des BÜPF wurde die Speicherdauer für so genannte Kommunikations-Randdaten von sechs auf zwölf Monate angehoben. Diese Daten müssen von allen Service-Anbietern (Provider) für jegliche Kommunikation ihrer KundInnen gespeichert und dem Dienst für besondere Aufgaben zur Verfügung gestellt werden. Was genau unter Randdaten zu verstehen ist, ist je nach erbrachter Dienstleistung unterschiedlich(3) (Siehe Kasten).


Was wird gespeichert?

Telefon/SMS: Daten wie Zeitpunkt, Dauer, anrufende und angerufene Nummer und im Falle von Handys auch die verwendete Mobilfunkzelle, und damit der ungefähre Aufenthaltsort sowie einige technische Daten.
E-Mail: So genannte "Umschlagsdaten"; das sind die Sender- und Empfängeradresse(n), Zeitpunkt und die IP-Adresse des sendenden bzw. empfangenden Internet-Anschlusses
Internet-Provider: Art der Verbindung, Login-Daten für die Internetverbindung, Adressierungselemente (z.B. IP-Adresse) und persönliche Daten des Anschlussinhabers.


Werden diese Daten miteinander in Verbindung gesetzt, ist damit eine engmaschige Überwachung möglich. Durch die Eigenschaft moderner Smartphones, regelmässig mit dem Internet in Kontakt zu treten, ist eine praktisch lückenlose Verfolgung des Handy-Standorts möglich. Es kann auch eruiert werden, welche Person hinter welcher IP-Adresse steckt(4).

Historisch hat sich gezeigt, dass grössere Datenbanken grundsätzlich zur Überwachung und Verfolgung von Menschen dienen, und dass die Staatsgewalt zur Verfolgung von politisch aktiven Menschen gerne auf sie zugreift.


Bildunterschrift einer im Schattenblick nicht veröffentlichten Grafik der Originalpublikation:

Statistik der offiziell vom Dienst für besondere Aufgaben umgesetzten Überwachungsmassnahmen

- Massnahmen zur Überwachung in Echtzeit (Abhören)
- Rückwirkende Überwachungs-Massnahmen (Zugriff auf Vorratsdaten)
- Technisch-administrative Auskünfte (detaillierte Angaben zu Fernmeldeanschlüssen, Teilnehmeridentifikation)


Anmerkungen:

(1) http://www.ejpd.admin.ch/content/ejpd/de/home/dokumentation/mi/2013/2013-02-271.html

(2) Siehe aufbau Nr. 67

(3) Verordnung über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (VÜPF). http://www.admin.ch/ch/d/sr/c780_11.html

(4) http://www.zeit.de/datenschutz/malte-spitz-vorratsdaten

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Kulturredaktion (kur), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 73, mai / juni 2013, Seite 4
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juni 2013