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AUFBAU/277: Deutschland auf Kriegskurs


aufbau Nr. 63, Dezember/Januar 2010/11
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Deutschland auf Kriegskurs

MILITARISIERUNG - Deutschlands herrschender Klasse liegt daran, die Bevölkerung ideologisch auf Krieg zu trimmen. Die Ablehnung ist aber gross, was umso intensivere Unterwanderung öffentlicher Bereiche durch die Militärs zur Folge hat.


(rabs) Der vormalige Bundespräsident Horst Köhler sprach die imperialistische Politik Deutschlands in einer Rede am 31. Mai 2010 offen aus: "Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen. Alles das soll diskutiert werden, und ich glaube, wir sind auf einem nicht so schlechten Weg." Dies ist die Rhetorik expansionistischer Propaganda; die in einer Bundespräsidentenrede aber besser hätte ummäntelt werden sollen. Statt Interessenspolitik sollte es für gewöhnlich ja darum gehen, Bedrohungsszenarien wie "Terrorismus", "Migrationswellen" und andere sicherheitspolitische "Gefahren" zu verhindern. Auf dass die Bevölkerung das Märchen von den Militärs, die in einer "komplexen Welt" voller "neuer Herausforderungen" nötig seien, glauben gemacht werde. Die Proteste auf Köhlers kriegsbefürwortende Aussagen zeigen jedoch, dass dies nicht so leicht zu bewerkstelligen ist.(1) Soldaten seien sogar einer derart feindlichen Grundstimmung ausgesetzt, dass sich jüngst der "Nato Shop Nord" dazu berufen fühlte, die Solidaritätsaktion "gelbe Schleife" ins Leben zu rufen.(2) Es ist die Solidarität mit der Truppe im Einsatz und den Reservisten gemeint. Weniger bunt und plakativ verläuft die Einflussnahme der Bundeswehr auf die Öffentlichkeit - euphemistisch "zivil-militärische Zusammenarbeit" genannt - im Bereich von Schulen und Wissenschaft. Aus den zahlreichen Beispielen werden im Folgenden einige wenige vorgestellt.(3)


Kriegspropaganda 1: Pädagogik und Rekrutierung an Schulen

Gerade bei jungen Menschen setzt die Bundeswehr an und versucht den Trend zu kehren, dass immer weniger Menschen bereit sind, für "deutsche Interessen" als Soldaten in den Krieg zu ziehen. Im April 2010 lag die Ablehnung gemäss dem Meinungsforschungsinstitut Forsa bei 62 Prozent. So setzen die Militärs bei den Jüngsten an und schicken Jugendoffiziere und Wehrdienstberater nicht nur an Universitäten, sondern sogar schon an Schulen. Dort bemühen sich diese, den "Beruf" des Soldaten wie jeden anderen erscheinen zu lassen und indoktrinieren auch mit eigens herausgegebenem Unterrichtsmaterial namens "Frieden und Sicherheit". Hierin erscheint die Bundeswehr unverblümt als Schutztruppe vor "Terroristen" oder sie wird, wie auf dem Arbeitsblatt "Hilfe für Menschen in Not", in einem Atemzug mit Hilfsorganisationen wie Amnesty International genannt. Letzteren ist dies, wie sie selber betonen, ein Bärendienst, geraten sie bei der betroffenen Bevölkerung dadurch doch als verlängerter Arm des Militärs in Misskredit. Das militärfreundliche Unterrichtsmaterial ist aber nur ein Teil der Indoktrinierung. Darüber hinaus werden ganze Schulklassen zum dreitägigen Strategiespiel Pol&IS (Politik und internationale Sicherheit) eingeladen; ein offenbar komplexes und daher attraktives Spiel, das an den Rahmenbedingungen kapitalistischer Herrschaftsausübung keinen Zweifel lässt. Die Spielregeln in Bezug auf internationale Beziehungen und Konfliktlösungsstrategien können nicht geändert werden, wobei leicht zu erraten. ist, wie letztere beschaffen sind. Die Krönung des militärischen Zugriffs auf die Schulen sind schliesslich sogenannte "Kooperationsabkommen", die die Bildungsministerien in NRW, im Saarland, in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Bayern mit der Bundeswehr geschlossen haben und die für weitere Bundesländer vorgesehen sind. Mit diesen Abkommen sollen die Jugendoffiziere noch besser in die Schule eingebunden werden, um ihre Kriegspropaganda als Politik oder Sozialkunde zu verkaufen. Zu den wahren Gründen für den Eintritt ins Militär forscht die Bundeswehr übrigens ebenfalls: Wenig erstaunlich stehen die schlechten Chancen auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt an oberster Stelle, womit sich den Wehrdienstberatern in den Arbeitsagenturen ein weiteres Betätigungsfeld eröffnet. Sozialabbau und Hartz IV stehen in einem direkten Zusammenhang mit der Militarisierung der Gesellschaft, nicht nur hinsichtlich des Verhältnisses steigender Sozial- und wachsender Militärausgaben.


Kriegspropaganda II: "Zivil-militärische" Zusammenarbeit mit Hochschulen

Wer in der Schule von der Notwendigkeit der militärischen Ressourcensicherung sowie dem Kampf gegen die Armen und deren kommende Aufstände überzeugt worden ist, kann dies an der Universität noch vertiefen. Entweder an einer der beiden Bundeswehrhochschulen in Hamburg und München oder an einer von 60 deutschen Universitäten, die gemäss der Tübinger Informationsstelle Militarisierung (IMI) "wehrtechnische" oder "wehrmedizinische" Forschung betreiben. Ein Beispiel für die Zusammenarbeit im technisch-naturwissenschaftlichen Bereich ist die Entwicklung von Kampfrobotern, die von der Münchner Uni entwickelt und vom US-Konzern iRobot vertrieben werden. Erstmals präsentiert wurde ein neuer Typ des Roboters auf einem schweizerischen Truppenübungsplatz, eingesetzt wird er in Afghanistan. In diesem Bereich geben sich die sogenannten Experten zwischen Forschung und Rüstungsindustrie die Klinke in die Hand. Untätig sind die Militärs aber auch in den Geistes- und Sozialwissenschaften nicht. So kann in Potsdam etwa ein Studiengang "Military Studies" belegt werden:, dessen Dozenten direkt oder mittelbar mit dem Militärgeschichtlichen Forschungsamt oder dem Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr verbunden sind. In diesen Studiengängen werden "Multiplikatoren" für das Verkünden der scheinbaren Alternativlosigkeit des Umbaus der Bundeswehr zu einer "Armee im Einsatz" ausgebildet. Unterstützt werden soll dieses Anliegen auch von Journalisten und Psychologen, auf deren Weiterbildung die Armee selbstredend ebenfalls ein Auge geworfen hat.


Anmerkungen:

(1) Weitere Informationen auf http://www.bundeswehr-wegtreten.org
(2) http://www.gelbe-schleife.de
(3) Umfassende Informationen auf http://www.imi-online.de


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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafb), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkb), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Rote Hilfe - AG Anti-Rep (rh-ar), Kulturredaktion (kur), Arbeitsgruppe Jugend (agj)


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Quelle:
aufbau Nr. 63, Dezember/Januar 2010/11, Seite 7
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Januar 2011