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AUFBAU/276: Startschuß zur Ausarbeitung des Lehrplans 21


aufbau Nr. 63, Dezember/Januar 2010/11
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Hinsetzen, Schnauze halten!

BILDUNGSPOLITIK - Im Oktober hat die Erziehungsdirektorenkonferenz den Startschuss zur Ausarbeitung des Lehrplans 21 gegeben, gleichzeitig hat die SVP einen Gegen-Lehrplan lanciert. Positiv lässt sich festhalten: Immerhin will sie die Prügelstrafe nicht wieder einführen.


(az) Wer Lust und Zeit für Realsatire hat, lese den Lehrplan der SVP. Es liessen sich seitenweise Argumente dagegen ins Feld führen, seitenweise könnte er widerlegt und nicht selten der böswilligen Lüge überführt werden. Doch wäre das zu viel der Ehre. An dieser Stelle wollen wir deshalb nur auf die Grundmotive eingehen, die die Autoren antreiben.



Diktator aus Berufung

Sowohl Umzug als auch Übertritt in eine weiterführende Stufe stellen heute in der kleinen Schweiz ein grosses Problem dar. Der geplante Lehrplan 21, gegen welchen sich der SVP-Lehrplan richtet, soll deshalb in allen Deutschweizer Kantonen die Schule und die schulischen Abschlüsse vereinheitlichen und dadurch das Problem mildern. Auftraggeberin ist die als "Bildungsbürokratie" verunglimpfte Erziehungsdirektorenkonferenz. Das führt dazu, dass die vorbereitenden Texte im heute üblichen "PädagogInnen-Slang" verfasst sind, die Ausarbeitung erfolgt aber unter Einbezug der Lehrkräfte. Dass sich die SVP über den Sprachgebrauch lustig macht, liegt an ihrer ausgeprägten Feindseligkeit gegenüber Intellektuellen, den Theoretikern, Wie sie sie nennt. Ganz im Gegensatz zu den Praktikern, die ihren Gegen-Lehrplan geschrieben haben. Sie will - und das ist aus jeder Zeile ihres Textes herauszulesen - anständige Bürger heranziehen, die arbeiten und das Maul halten. Zentrale Anliegen ihres Textes sind deshalb die Stichworte Disziplin, Leistung, Kopfrechnen und Handwerken. Ebenfalls sehr wichtig ist ihnen, dass der Lehrer - die weibliche Form wird konsequent nie benutzt - 100% arbeitet und sich zur Autoritätsperson berufen fühlt. Zurück in die 50er Jahre also, da war die Kirche noch im Dorf!


Beibringen, statt selber Lernen

Hauptfeind ist dieses moderne Zeugs, das gemäss SVP von den Theoretikern gepredigt und von den Praktikern abgelehnt wird: Der Konstruktivismus.

"Unter Konstruktivismus ist ein Bildungsmodell zu verstehen, das davon ausgeht, dass der Schüler das zu Erlernende in individuellem Lerntempo selber erarbeitet, dass er sich also Schritt für Schritt gleichsam seine eigene Welt konstruiert. Diese Reform basiert auf dem Glauben, dass beim Schüler das, was er selber erarbeitet hat, am ehesten haften bleibt", so die SVP-Definition. Und es stimmt gewissermassen: Darauf setzt jede Schule, die etwas auf sich hält. Es ist international anerkannt, dass die Methode des selbstgeleiteten Lernens zu höherem Lernerfolg führt, allerdings ist sie für die LehrerInnen zeitaufwendiger und anstrengender und ist nur machbar, wenn die Klassen klein sind - Sparen kommt da nicht in Frage. Keineswegs geht es dabei um "Glauben". Die ursprünglich linke Methode, den Kindern die Möglichkeit zu geben, ihr Lernen mitzubestimmen, ist längst enteignet und entpolitisiert worden. So unterrichten gerade die teuren Privatschulen seit Jahren möglichst selbstgeleitet und sind dabei äusserst zielstrebig und leistungsorientiert. Und in der Bourgeoisie sollen diese Unterrichtsformen auch bleiben dürfen, findet die SVP, sie will "freie Wahl der Methode". Absurd, denn diese ist ohnehin gegeben. Die SVP unterschlägt, dass es ihr Sparkurs ist, der die freie Wahl der Methode faktisch verunmöglicht: Dröger Frontalunterricht und Disziplin in den öffentlichen Schulen, wo die LehrerInnen aufgrund der völlig überfüllten Klassen keinen Handlungsspielraum haben. Selbstgeleitetes Lernen in den Eliteschulen, seien die privat oder in den wohlhabenden Gemeinden. Wieso sollen denn Arbeiterkinder Sachverhalte verstehen und nachvollziehen können? Eine Serviertochter soll drei Bier zusammenrechnen können und nicht über die Profitmarge ihres Chefs philosophieren.


Sparen statt Konstruktivismus

Wer neun Jahre lang nach alter Schule unterrichtet würde, kann sich kaum vorstellen, dass er/sie jemals rechnen gelernt hätte, hätte es die Lehrperson nicht wieder und wieder vorgebetet. Tatsache ist aber: Es ginge vorzüglich, wenn die Bedingungen dafür geschaffen würden. Aber natürlich ist das Geld der Knackpunkt: Es erfordert seitens der Gemeinden Geld und seitens der Lehrkräfte Planung und Zeit. Deshalb reagieren viele LehrerInnen ablehnend: Was von ihnen gewünscht wird, ist tatsächlich unter den gegebenen Bedingungen kaum umsetzbar.

Da alle Kinder in die Schule gehen, ist diese ein Hauptschauplatz öffentlich ausgetragener ideologischer Kämpfe. Die SVP macht dies deutlich: "Es ist absehbar, wie Lieblingsthemen linker Gesellschaftsveränderer oppositionslos in die Schulbücher eingeschleust werden: eine dem christlich-jüdischen Menschenbild widersprechende Sexualpädagogik, Gender-Mainstreaming, Geschichtsklitterung, Klimalüge, Agenda 21, Ökosozialismus, Marktfeindlichkeit." Wendet man diese "negative Dialektik" nun ins Gegenteil - dafür steht ja dann die SVP-Schulpolitik - dann Heil dir Helvetia (mit allem Drum und Dran).


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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafb), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkb), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Rote Hilfe - AG Anti-Rep (rh-ar), Kulturredaktion (kur), Arbeitsgruppe Jugend (agj)


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Quelle:
aufbau Nr. 63, Dezember/Januar 2010/11, Seite 6
HerausgeberInnen:
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Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Januar 2011