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AUFBAU/231: Baskenland - Gefoltert und weggesperrt


aufbau Nr. 58, September/Oktober 2009
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Gefoltert und weggesperrt

BASKENLAND - 34 Jahre nach dem Ende der Franco-Diktatur bleibt die Lage der baskischen AktivistInnen und vor allem der politischen Gefangenen im spanischen Staat ein Sonderfall in Westeuropa.


(rabs) Der Konflikt im Baskenland ist in den letzten Wochen und Monaten wieder vermehrt in die Schlagzeilen geraten. Die Bedingungen, unter welchen die dortige Linke schon seit Jahren arbeiten muss, werden im Folgenden anhand der wichtigsten Stichworte beschrieben. Die brutale Repression betrifft schon seit längerem nicht mehr ausschliesslich vermutete ETA-Militante, sondern auch Angehörige diverser anderer politischer und kultureller Organisationen und Kollektive.


Folter und "Incomunicación"

Um die "abertzale Linke", also die baskische Bewegung für Unabhängigkeit und Sozialismus zu schwächen, wird in den spanischen Gefängnissen weiterhin systematisch gefoltert. So haben seit 1978 7000 Menschen vor Gericht ausgesagt, durch vorgetäuschtes Ersticken mit Plastiktüten oder im Wasser, durch Schläge oder Elektroschocks gefoltert worden zu sein. Physische Folterungen fallen ausschliesslich in die fünf Tage, während denen sich die Festgenommen als sogenannte Incomunicada/os auf den Polizeikommissariaten befinden. In dieser Zeit ist jeglicher Kontakt zur Aussenwelt untersagt, seien das Familie, AnwältInnen oder VertrauensärztInnen. Unter dem Eindruck dieser fünf Tage und auch der expliziten Androhung weiterer Folter durch die Polizeikräfte, gestehen etliche der Festgenommenen vor dem Gericht Taten, die sie gar nicht begangen haben, beschuldigen GenossInnen und unterzeichnen vorverfasste Protokolle. Neben dem Herauspressen von Geständnissen dient die Folter auch der Bestrafung der Gefangenen und der Verbreitung von Angst im Umfeld der AktivistInnen.

Nach dem Aufenthalt auf dem Kommissariat werden die Festgenommenen entweder auf freien Fuss gesetzt oder der Audiencia Nacional vorgeführt. Dieses Gericht ist Nachfolger des franquistischen "Tribunal der öffentlichen Ordnung" und ist unter anderem verantwortlich für die Verbote baskischer Parteien. Dass politische Gefangene gefoltert werden, wird trotz wiederholter kritischer Berichte der EU, der UNO und Amnesty International nicht nur abgestritten, sondern hat in den Köpfen der RichterInnen zu einer gedanklichen Verrenkung besonderer Art geführt: Wer vor Gericht aussagt, gefoltert worden zu sein, muss mit einer Anklage wegen ETA-Mitgliedschaft rechnen, da ETA ihren Militanten dies vorschreibe, um den spanischen Staat zu diskreditieren. Zur Widerlegung dieser Theorie reicht nur schon die Tatsache, dass Angeklagte, die sich selbst zu ETA bekennen, nicht immer Folter anzeigen.


Haft und "Dispersión"

Seit der Generalamnestie 1977 gab es noch nie so viele baskische politische Gefangene wie zurzeit. Für die rund 760 Gefangenen gelten scharfe Haftbedingungen. Pro Woche dürfen sie einmal Besuch empfangen, Gespräche am Telefon oder während der Besuche werden aufgezeichnet und Briefe fotokopiert. Den Folteropfern wird durch das Abhören auch die Verarbeitung ihrer Erfahrungen quasi verunmöglicht, da Gespräche mit PsychologInnen abgehört und die gemachten Aussagen gegen die Betroffenen verwendet werden.

Die Höchststrafe wurde in den 90er Jahren von 30 auf 40 Jahre heraufgesetzt. Im Jahr 2006 hat nun ein Gericht entschieden, dass dieses Gesetz auch rückwirkend auf vorher Inhaftierte angewendet werden kann, also Gefangene, die sich seit Jahren auf ein festes Entlassungsdatum eingestellt haben, von einem Tag auf den anderen zehn Jahre länger im Knast verbringen müssen. Diverse Hafterleichterungen bei gutem Betragen wie auch die vorzeitige Entlassung bei schweren chronischen Krankheiten sind bei den baskischen Gefangenen ausser Kraft gesetzt.

Besonders erschwerend für die Situation der Gefangenen wie auch für die Solidaritätsarbeit ist die seit 20 Jahren bestehende Praxis der "Dispersión" (Zerstreuung). Ein im spanischen wie auch in vielen anderen Staaten existierendes Gesetz besagt zwar, dass Menschen im Strafvollzug zwecks besserer Reintegration möglichst nahe am Wohnort inhaftiert werden sollen. Dieses Gesetz wurde aber bei den baskischen politischen Gefangenen umgedreht: Je stärker einE GefangeneR aus dem Umfeld gerissen werde, desto grösser sei die Chance, dass er oder sie sich nach dem Gefängnisaufenthalt nicht mehr "terroristisch" betätigen würde. Die Gefangenen werden also auf die Gefängnisse in ganz Spanien inklusive der zugehörigen Inseln (Mallorca, Kanarien) verteilt. Diese Praxis führt dazu, dass etliche Verwandte und FreundInnen der Gefangenen Wochenende für Wochenende hunderte von Kilometern zurücklegen müssen. Diese Zusatzbestrafung der Familien und FreundInnen kann tödlich enden. Seit Einführung der "Dispersión" sind 16 Personen auf spanischen Strassen gestorben, die unterwegs in die verschiedenen Gefängnisse waren.


Wir danken der Anwältin von Askatasuna (Freiheit; Organisation zur Unterstützung der politischen Gefangenen) für ihre wertvollen Informationen, auf die wir uns in diesem Artikel stützen.


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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafb), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkb), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Arbeitsgruppe Winterthur (agw), Rote Hilfe - AG Anti-Rep (rh-ar), Kulturredaktion (kur)


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Quelle:
aufbau Nr. 58, September/Oktober 2009, Seite 11
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
Revolutionärer Aufbau Bern, Postfach 87, 3174 Thörishaus
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Oktober 2009