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ANALYSE & KRITIK/382: Selbstentlastung und Feindmarkierung


ak - analyse & kritik - Ausgabe 550, 21.05.2010

Selbstentlastung und Feindmarkierung

Islamfeindlichkeit im Internet am Beispiel kritiknetz.de


Die Wege und Mittel der Islamfeindlichkeit sind vielfältig. Im Internet tummelt sie sich in allen Spielarten. Das Spektrum reicht von offen faschistischer Hasspropaganda bis zu vermeintlich argumentativer - aber immer auch diskriminierend verallgemeinernder - "Islamkritik", der es angeblich nur um Menschenrechte und Emanzipation zu tun ist. Die "Debattenkultur", die in dem um "Seriosität" bemühten Segment der großen anti-islamischen Bewegung vorherrscht, soll in dem folgenden Artikel anschaulich gemacht werden.

Anlässlich der Internationalen Wochen gegen Rassismus gab es zwischen dem 15. und 28. März bundesweit "mehr als 900 Veranstaltungen in fast 300 Städten und Gemeinden". Dabei "setzte man sich mit Antisemitismus, Antiziganismus und insbesondere antimuslimischem Rassismus auseinander". So steht es in einer Presseerklärung des Interkulturellen Rates in Deutschland e.V. vom 26. März. Zum Thema antimuslimischer Rassismus hatte der Interkulturelle Rat gemeinsam mit Pro Asyl und dem DGB-Bundesvorstand einen Aufruf verbreitet mit der plakativen Überschrift "Rassisten sind eine Gefahr, nicht Muslime!"

Der Aufruf grenzt sich ab von "Rassisten und Rechtsextremisten" wie NPD, Pro Köln und Pro NRW, die sich weit verbreitete "ablehnende Einstellungen gegenüber Muslimen zunutze" machen würden. Appelliert wird an "zivilgesellschaftliche Organisationen", die "demokratischen Parteien" sowie Medien und Bildungseinrichtungen, sich den rassistischen Kampagnen entgegenzustellen. Zu den prominenten ErstunterzeichnerInnen gehören Wolfgang Benz, Micha Brumlik, Annelie Buntenbach, Günter Grass, Navid Kermani, Birgit Rommelspacher und Rita Süssmuth.

Im Lager der "Islamkritik" rief dieser unspektakuläre und im Ton moderate Text wütende Proteste hervor. Der Bielefelder Professor Heinz Gess, Betreiber von kritiknetz.de (laut Selbstbezeichnung eine "Internetzeitschrift für Kritische Theorie und Praxis"), verfasste flugs einen Gegenaufruf, der inzwischen von Hunderten Gleichgesinnter unterzeichnet wurde - Überschrift: "Wider die Hetzkampagne gegen Islamkritik". "Antisemitische und kulturrassistische Muslime und der politische Islam", heißt es da, seien "vermutlich sogar die zurzeit weltweit größte Gefahr für die freiheitliche Demokratie und menschliche Emanzipation".


Die "IslamkritikerInnen" fühlen sich diskriminiert

Beklagt wird die in Deutschland angeblich herrschende "einschüchternde Angstmache, die die öffentliche demokratische Diskussion verhindern soll und das auch tatsächlich erreicht hat". Ein Bündel von Maßnahmen soll hier Abhilfe schaffen; gefordert wird u.a. Islamkritik in "sämtlichen Bildungseinrichtungen" , eine "tabufreie Diskussion" in den Medien sowie Gesetzesverschärfungen: "Die pauschale Diskriminierung argumentativer Islamkritik ... ist unter Strafe zu stellen".

Aufschlussreicher als der Aufruftext sind die auf kritiknetz.de dokumentierten Kommentare seiner UnterzeichnerInnen: Die VerfasserInnen der 142 teils sehr kurzen, teils längeren Texte, die zwischen dem 25. März und dem 19. April eingingen, stimmen dem Gegenaufruf ausnahmslos zu, teils geradezu enthusiastisch, fast alle mit vollem Namen, einige mit akademischen Titeln und Verweis auf einschlägige Kenntnisse und Publikationen.

Zentral ist dabei die Abwehr des Rassismusvorwurfs und die Entrüstung über die (angebliche) These des Interkulturellen Rates, Muslime könnten keine Rassisten sein - was Heinz Gess aus dem Satz "Rassisten sind eine Gefahr, nicht Muslime!" zwingend ableiten will. Dagegen die banale Tatsache zu betonen, dass es natürlich auch rassistische Muslime gibt, reicht den Empörten nicht. "Korantreue Islamanhänger sind die Rassisten Nr. 1 des 21. Jahrhunderts", schreibt einer, ein anderer sieht das ähnlich (Rechtschreibung hier und in allen folgenden Zitaten wie im Original): "Wenn es heutzutage überhaut irgendwo einen start wachsenden Rassismus gibt, dann ist es jener, welcher von Moslems ausgeht." So wird in einem einzigen Satz das eigene (nicht-muslimische) Kollektiv freigesprochen und zugleich der (muslimische) Weltfeind Nummer 1 markiert.

Dieser Feind ist für die "IslamkritikerInnen" gerade nicht der politische Islamismus, sondern der Islam bzw. die Muslime: "Nicht 'Islamphobie' ist das Problem, sondern der Islam - und zwar in Lehre und Praxis"; "die gefahr für unsere freiheit, demokratie ... menschenrechte, geht einzig allein von in den westen immigrierten muslimen aus", schreibt ana. Dr. Edgar Baumeister äußert sich - scheinbar - differenzierter: "Klar gibt es friedliche Moslems aber es gibt keinen friedlichen Islam (nachzulesen im Koran) Da aber das Bestreben eines jeden gläubigen Muslims auch die Unterstützung des Islams und seiner Ausbreitung ist, ergibt sich zwingend, dass auch friedliche Moslems, bewußt unbewußt, gewollt oder ungewollt eine Gefahr für den Frieden sind." Solche Leute muss man wohl vor sich selber schützen - soll man sie einsperren oder abschieben? Und wohin?

Das Zusammenspiel von Selbstentlastung und Feindmarkierung funktioniert in Deutschland am besten mit Nazi-Vergleichen. So wird in mehreren Beiträgen nicht nur der Islam mit der Nazi-Ideologie gleichgesetzt, sondern auch die NS-Diktatur mit islamistischen Regimen auf eine Stufe gestellt. Aus "Nie wieder Faschismus" folgt in dieser Logik zwingend die Parole "Wider den Islam!"

Mindestens genauso voller Hass wie die Tiraden über den Islam und die Muslime sind die kritiknetz-Kommentare über den "dümmlichen linken mainstream", die grünen und linken "Islamversteher", den "Niedergang unserer linkslastigen Gesellschaft", die "neue Staatssicherheit des Gutmenschentums", die "Feuilletonjihadisten" oder die "Islamisierungsfanatiker", die "von blindem Deutschenhass dazu getrieben" würden, "sich mit dieser faschistischen Ideologie zu verbrüdern". Nicht fehlen darf dabei Häme über "illustre Personen der Welterklärungsfraktion" wie Wolfgang Benz ("Islamophobie-Experte"), Micha Brumlik ("Chamäleon") und Navid Kermani ("Kreuzigungsinterpretator"). Gern genutzt wird auch ein klassisches Mittel aus dem Arsenal des Antisemitismus, die diffamierende Verdrehung von Eigennamen, um GegnerInnen der Lächerlichkeit preiszugeben: "Gegen 'die Weisen' vom Rommelspach". Häme über "Islamversteher" und "links-grüne Phantasten"

Anderen "IslamkritikerInnen" ist schon nicht mehr nach Scherzen zumute. Es sei "keine Zeit zu verlieren, um diesen Ideologen in den Arm zu fallen", wieder einmal ist das Abendland bedroht: "Der Islam ist eine Gefahr für unsere westlichen Werte"; "Diese 'Sonne-Mond und Sterne' Mentalität von links-grünen Phantasten ohne Geschichtskenntnis nimmt unseren Kindern die Grundlage ihrer Zukunft".

Es muss also, finden die "IslamkritikerInnen", unverzüglich gehandelt werden. Während die einen eine Diskussion über die "so offensichtlich religiös-rassistischen und faschistischen Ziele" des sich als Religion nur "tarnenden" Islam fordern, sehen andere die Regierung in der Pflicht, angesichts der Gefahr schnellstmöglich "Konsequenzen zu ziehen". "Der streng gläubige Moslem (also Orthodoxe Moslem) ist der Rechtsextremist von heute ... Weg mit solchen Leuten, die die Demokratie und die Verfassung missachten!" Wohin Muslime weggeschafft werden sollen, bleibt offen.

Überhaupt sucht man konkrete Gewaltfantasien unter den Kommentaren vergeblich; vielleicht wurden sie auch von den kritiknetz-Betreibern gelöscht - wegen der "Seriosität" der Seite und im Interesse der Sache. Der fehlt - zum Glück - in Deutschland noch ein charismatischer Anführer. Die breite Zustimmung zu Pamphleten wie dem Aufruf "Wider die Hetzkampagne gegen Islamkritik" zeigt aber, dass auch hier eine bei Wahlen erfolgreiche islamfeindliche politische Bewegung durchaus möglich ist. In der "Mitte" der Gesellschaft liegt ihr größtes Potenzial.

Js.


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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juni 2010