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ANALYSE & KRITIK/374: Common Wealth - Glaube, Liebe, Hoffnung


ak - analyse & kritik - Ausgabe 549, 16.04.2010

Common Wealth - Glaube, Liebe, Hoffnung
Zum Ende der Trilogie von Michael Hardt und Toni Negri

Von Christian Frings


Auf der ganzen Welt wird heute über "commons", Gemeingüter oder gemeinschaftliche Produktion diskutiert, weil angesichts der tiefen Krise die Frage nach Alternativen auf der Tagesordnung steht. Aber "commons" ist ein schillernder Begriff, der auch von konservativen Projekten gebraucht werden kann. Zugespitzt fragt der diesjährige BUKO: "Commons: Strategische Perspektive oder Rettung des Kapitalismus?" Mit "Common Wealth" (2010), dem dritten Band ihrer Trilogie nach "Empire" (2000) und "Multitude" (2004), beanspruchen Michael Hardt und Toni Negri, neue theoretische Grundlagen für diese Debatte zu liefern. Ich befürchte aber, das 400 Seiten starke Werk wird die Debatte mehr behindern denn fördern - was gleichermaßen an seinem Inhalt und seiner Machart liegt.

Die Ideologie des Neoliberalismus lässt leicht vergessen, dass jede Gesellschaft gemeinschaftliche Formen als Kitt braucht und sich nicht in atomisierte Privatbesitzer und reine Geldbeziehungen auflösen lässt. Daher ist nicht jedes Gemeinschaftsprojekt schon deshalb antikapitalistisch, weil es sich in Gegnerschaft zum "Neoliberalismus" sieht. Grob lassen sich drei Positionen in der Debatte ausmachen: 1) Stärkung der öffentlichen Güter, also staatliche Regulation; 2) Exodus: selbstorganisierte Projekte, eine "solidarische Ökonomie" neben der kapitalistischen Ökonomie und unabhängig vom Staat; 3) Aufstand: eine gemeinschaftliche Produktion kann erst nach der Zerschlagung von Staat und Kapital entwickelt werden.

Inhaltlich wollen sich Hardt/Negri auf keine der drei Positionen festlegen lassen, was kein Vorwurf wäre. In der Geschichte proletarischer Kämpfe haben ganz ähnliche Formen von Selbstorganisation je nach historischer Situation systemstabilisierend oder systemsprengend gewirkt. Manchmal verstärkten sich Aufstandsbewegungen, alternative Produktionsformen und Konflikte im Staatsapparat, manchmal neutralisierten sie sich gegenseitig. Daraus könnten wir lernen und "Common Wealth" verspricht, "die Bewegungen und die Verhaltensweisen der Menge, der Multitude" daraufhin zu untersuchen (9). Von den wirklichen Kämpfen erfahren wir aber recht wenig und wenn, dann dienen sie nur als Anschauungsmaterial für philosophisch entwickelte Thesen. Es gibt ein paar bemerkenswerte Ausnahmen wie den Abschnitt über "Sklaverei in der modernen Republik" (83-89) mit wichtigen Hinweisen zur haitianischen Revolution und den Sklavenrebellionen oder den Abschnitt "Die Multitude in Cochabamba" (119-125). Hier empfiehlt es sich allerdings, gleich zu dem von ihnen angeführten Bolivien-Buch von Raúl Zibechi zu greifen. Leninismus in postmodernem Gewand

Es zeichnet die Bücher von Hardt/Negri aus, dass sie einen umfassenden Überblick über die globalen Debatten geben. Die Art, wie sie es tun, hinterlässt aber den Eindruck populistischer Anschlussfähigkeit: Alles wird irgendwie eingemeindet und herangezogen - selbst der Weltsystemtheorie von Wallerstein und insbesondere von Arrighi, der in Empire noch als tumber Zyklentheoretiker abgewatscht wurde, lassen sie Gerechtigkeit widerfahren: Sie greifen sich heraus, was als Beleg der eigenen These herhalten könnte, blenden jedoch aus, was dem entgegensteht. So kommt keine produktive Debatte zustande.

Wir lesen Passagen erfrischender Klarheit und Deutlichkeit, gegen das Setzen auf den Staat, gegen die sozialistische Illusion, gegen die Utopie einer Nischenökonomie - aber jede Positionierung wird an anderer Stelle relativiert und jede Klarheit geht in langen Passagen philosophischer Geschwätzigkeit wieder verloren. Nicht, ohne am Ende doch ein Konzept aus dem Hut zu zaubern, dass vertraut leninistisch wirkt, wenn wir das postmoderne Vokabular ein bisschen abkratzen. An vier zentralen Feldern ließe sich zeigen, wie wenig uns ihr philosophisches Räsonnieren über "das Gemeinsame" weiterhilft: Arbeit, Globus, Geld und Staat.

Dreh- und Angelpunkt ihrer gesamten Analyse ist die These des Übergangs von der Fabrikarbeit zur "immateriellen Arbeit" oder "biopolitischen Produktion". Aus ihr ergibt sich die Fähigkeit der "Multitude", auf völlig neue Art gemeinschaftlichen Reichtum ("Common Wealth") kollektiv herzustellen und zur Revolution zu kommen. "Zwar bindet das Kapital die biopolitische lebendige Arbeit, enteignet ihr das, was sie hervorbringt, und stellt ihr bisweilen auch notwendige Produktionsmittel zur Verfügung, doch organisiert es nicht die produktive Kooperation." (154) Negri recycelt hier, was er in den 1960er Jahren aus den frühoperaistischen Untersuchungen der fordistischen Fabrik (!) gelernt hat und gibt es als völlig neue Qualität aus. Auch die werttheoretische Konsequenz, in der "biopolitischen Produktion" gehe es um die "Expropriation der Kooperation" (155), ist nichts anderes als Marx' Theorie des relativen Mehrwerts. Ärgerlich ist dies, weil zumindest Negri es weiß und mögliche Einwände gleich mit dem Hinweis abfängt, dass es sich bei all dem - also den zentralen Bestimmungsmerkmalen der "biopolitischen Produktion"! - um "kein wirklich neues Phänomen" (163) handele, aber "im Zusammenhang der biopolitischen Produktion stellt sich der Widerspruch auf dramatische Art intensiviert dar, als stünde er unter Hochspannung" (163). Zirkuläre Bestimmung vom Feinsten, verdeckt durch Wortakrobatik.

Angekommen ist offensichtlich die Kritik an Empire, die Welt werde dort ähnlich "flach" dargestellt, wie bei einigen Apologeten der Globalisierung. Explizit wendet sich "Common Wealth" gegen diese Vorstellung (242) und verspricht, die tiefen "geografischen Unebenheiten und Spaltungen" (243) zu berücksichtigen. Faktisch geraten sie aber ständig aus dem Blick und weichen der Tendenz, eine global vereinheitlichte Multitude auszumachen. "Heute jedoch erfassen die Kreisläufe der Kommunikation und gesellschaftlicher Kooperation den gesamten Erdball" (265).


Machart und Inhalt behindern Debatte

Um der schon latent vorhandenen kommunistischen Produktion näherzukommen, betonen Hardt/Negri die Hegemonie der immateriellen Produktion, mit der die "Logik der Knappheit eingeschränkt" (294) werde. Damit wird heruntergespielt, dass für die Mehrheit der Menschen nach wie vor die Knappheit im Vordergrund steht - Knappheit an Nahrung, Wasser, Behausung, Kleidung, Medizin. Der Hinweis darauf ist kein moralischer Vorwurf, sondern die Frage danach, wie sich unter solchen Bedingungen eine globale Multitude konstituieren soll. (1)

Besonders enttäuschend fällt der Abschnitt "Gespenster des Kommunen" (167-173) aus, weil wir eine konkrete Bezeichnung von Orten erwartet hätten, an denen das Kommune aufscheint. Nur zwei werden genannt: die Metropolen, also die modernen Groß- und Megastädte, und - wer hätte es gedacht - der Finanzsektor. Dessen Sinn erschließt sich später, wenn sie fragen, ob nicht "die Fähigkeit des Geldes, das gesellschaftliche Feld der Produktion zu repräsentieren, in den Händen der Multitude ein Instrument der Freiheit sein (könnte), mit dessen Hilfe sich Elend und Armut überwinden lassen?" (305) Immerhin sagen sie hier klar, dass sie noch keine Antwort geben können, bilden damit aber nur den Stand der linken Kontroverse um Tauschringe oder Schwundgeld ab.

Dass Hardt/Negri ihren Text nicht als Erkenntnis, sondern als Teil eines Programms der Steuerung begreifen, zeigt sich vor allem im letzten Teil des Buches (Revolution), womit jedes Zugeständnis ans Publikum wieder Sinn ergibt. In der ersten Hälfte des Buchs wird deutlich der Staat kritisiert und die Republik als Bollwerk des Eigentums entziffert. Im Verlauf des Textes wird diese Kritik abgeschwächt und es ziehen sich vertraute leninistische Konzepte ein. Schon früh wird (u.a. 179) darauf hingewiesen, dass es der politischen Organisierung bedarf. Dabei geht es ständig hin und her: Dem Einwand, die Multitude könne nicht als einheitliches Subjekt politisch handeln, wird entgegengehalten, dass sie sich aufgrund der neuen biopolitischen Produktionsweise selber organisieren könne: "Es gibt nicht nur die Alternative zwischen Spontaneität und Hegemonie" (189). Knapp zweihundert Seiten später entdecken sie, dass es doch nicht "spontan" zum Übergangsprozess kommen kann, weil wir alle "komplizenhaft in die Identitäten, Hierarchien und Korrumpierungen verstrickt sind" (368): er muss "gesteuert" werden, es bedarf einer "politischen Diagonale, die den Übergang leitet" (370) - der Abschnitt heißt konsequenterweise "Die Revolution steuern" (368ff.). Nach einigem Räsonnieren, bei dem sie Lenin bescheinigen, die Frage gut gestellt, aber blöd gelöst zu haben (369), landen sie schließlich wieder bei den Fähigkeiten der Multitude, jetzt aber als nur "latent" in der "gemeinsamen Textur des biopolitischen Diagramms" "kokonhaft" schlummernd, die "mit Hilfe politischen Handelns und politischer Organisierung" erst wachgeküsst und in "einen institutionellen Prozess des Managements des Gemeinsamen" überführt werden müssen (371).

Hier wird klar, warum Philosophen einer links-grünen Regierungspolitik problemlos an "Common Wealth" ansetzen können, um Realpolitik ideologisch etwas aufzuhübschen (siehe ak 548). Schwerer begreiflich ist mir, warum ernsthafte Marxisten meinen, eine Debatte um die spinozistische Begründung linksradikaler Politik führen zu müssen. (2) Spinoza lädt dazu ein, alles mögliche in ihn hineinzugeheimsen, weil er an einem radikalen Epochenbruch des Kapitalismus stand und schrieb und sich als Person sozial zwischen Oberschicht und Unterklassen und kulturell zwischen arabisch-jüdischen und westlichen Denktraditionen befand. Aber er philosophierte für die Bourgeoisie am Übergang vom Handels- zum Industriekapitalismus in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts. In dieser Zeit fand das statt, was wir als die Enteignung der Aufklärung von unten bezeichnen könnten und sich bis heute in Büchern wie "Common Wealth" völlig unreflektiert ausdrückt. Zirkuläre Bestimmungen vom Feinsten

Den Ausgangspunkt nahm das freie Denken bei Sekten und Sonderlingen aus den Unterschichten, die ersten Anläufe moderner Wissenschaft wurden von "meist unansehnlichen Schulmeistern, Schiffskapitänen und Lotsen, Mechanikern und Mühlenbauern" unternommen. (3) Erst danach wurde das "freie Denken" von den aufstrebenden sozialen Oberschichten übernommen und damit seines chiliastischen und revolutionären Charakters beraubt. "Aufklärung", wie wir sie kennen und wie sie auch von Hardt/Negri diskutiert wird, war bereits das Projekt der Ruhigstellung und Integration dieser von unten formulierten Ideen. In "Common Wealth" wird seitenlang über den offiziellen und den subversiven, rebellischen Immanuel Kant (31ff.) geschrieben, ohne den sozialgeschichtlichen Hintergrund wahrzunehmen, dass Kant "Rebellisches" aufnehmen musste, um den ursprünglich aus den Unterklassen hervorgegangenen geistigen Befreiungsimpuls herrschaftskonform verarbeiten zu können. Lapidar werden wir darauf hingewiesen, dass es schwer sei, die Multitude selbst zu Wort kommen zu lassen, weil sie kaum etwas aufgeschrieben habe (56). Ein Buch wie "Die vielköpfige Hydra", um dessen Bedeutung in der internationalen Debatte Hardt/Negri wissen und das sie daher anführen, zeigt aber, dass es sehr wohl möglich ist, diesen Diskurs von unten her zu rekonstruieren und den Mythos um die bürgerlichen Ikonen der Aufklärung zu zerstören. (4) Darin liegt der größte Selbstwiderspruch eines Buchs wie "Common Wealth", dass es die intellektuelle Kreativität der Multitude seitenweise beschwört, seine eigenen Ideen aber durchgängig aus der Interpretation von und in Zwiesprache mit den bürgerlichen Helden der Philosophie bezieht. Politisch gesehen deckt sich dies allerdings mit seiner sozialpsychologischen Funktion: einer Linken Hoffnung und Trost spenden, die wichtige Fragen kontrovers zu diskutieren hätte.


Michael Hardt/Antonio Negri:
Common Wealth. Das Ende des Eigentums.
Campus, Frankfurt am Main 2010. 437 Seiten, 34,90 EUR



Anmerkungen:

1) Beverly J. Silver/Giovanni Arrighi: Die Nord-Süd-Spaltung des globalen Proletariats, in: Arrighi: Die verschlungenen Pfade des Kapitals. Hamburg 2009

2) Siehe Grundrisse, Nr. 33, Frühling 2010. Zum Verhältnis von Marx zu Spinoza bisher am gründlichsten: Fred E. Schrader: Substanz und Begriff. Zur Spinoza-Rezeption Marxens. Leiden 1985

3) Theun de Vries: Spinoza. Reinbek 1990, S. 60f.

4) Peter Linebaugh/Marcus Rediker: Die vielköpfige Hydra. Die verborgene Geschichte des revolutionären Atlantiks. Berlin 2008


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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Mai 2010