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ANALYSE & KRITIK/347: You see strike - Interview über die Uniproteste in Kalifornien


ak - analyse & kritik - Ausgabe 545, 18.12.2009

You see strike
Interview über die Uniproteste in Kalifornien

Interview und Übersetzung aus dem Englischen von Andrea Pabst


Nicht nur in Deutschland protestieren die Studierenden: Auch in Kalifornien wachsen die Studi-Proteste: Weil der Bundesstaat an der Bildung spart, wollen die Hochschulen ihre Gebühren massiv erhöhen - auf bis zu 10.000 US-Dollar. An der Elite-Uni Berkeley kam es deswegen Ende November zu heftigen Zusammenstößen zwischen Polizei und Studierenden. Wir sprachen mit Shane Boyle über die Hintergründe, den Umbau im US-Universitätssystem und eine Internationalisierung der Studierendenproteste.


ak: Könntest du kurz die Situation an den Universitäten in den USA beschreiben?

Shane Boyle: Hervorzuheben ist der Unterschied zwischen öffentlichen und privaten Universitäten. Die offensichtlichste Differenz bestand bisher in den wesentlich höheren Studienbeiträgen an privaten Universitäten. Zudem haben Privatunis meist wesentlich weniger Studierende und erhalten weniger staatliche finanzielle Unterstützung. Das heißt noch nicht unbedingt, dass die Bildung an Privatuniversitäten besser ist als an öffentlichen. Grundsätzlich ist die Bildung an Universitäten in den USA sehr gut, aber eben sehr teuer. An privaten Universitäten zahlt man durchschnittlich 26.300 US-Dollar pro Jahr. Der Zugang zu öffentlichen Unis ist meist einfacher und bezahlbarer. Aber auch hier steigen die Beiträge: jährlich zahlt man hier 4.000 bis 10.000 US-Dollar. Während des Studiums zigtausend Dollar Schulden zu machen, ist also durchaus üblich.

Die US-weit an erster Stelle stehende öffentliche Uni ist die University of California (UC). Sie ist ein trauriges Beispiel für die Anhebung der Studierendenbeiträge an öffentlichen Universitäten. In den vergangenen zehn Jahren wurden die Beiträge verdreifacht - einschließlich einer neunprozentigen Steigerung im letzten Jahr und angekündigten 32 Prozent für das kommende Jahr. Diese Beitragserhöhungen sind nur ein Indikator für das Bestreben des Staates Kalifornien und der UC-Verwaltung, die Uni zu privatisieren. Das bedeutet auch eine Veränderung vom Verständnis von Wissen als öffentlichem Gut hin zur Vorstellung, dass Wissen zu einem privaten Gut wird. Die Privatisierung öffentlicher Bildung hatte bislang also negative Auswirkungen auf die Bezahlbarkeit, den Zugang sowie die Qualität eines Universitätsstudiums in den USA. Dies muss grundlegend geändert werden.

ak: Du hast an der UC in Berkeley studiert und promovierst dort. Wie ist die Situation dort im Moment?

Shane Boyle: Zur UC gehören zehn Campus in ganz Kalifornien mit insgesamt 190.000 Studierenden und 240.000 Angestellten. Sowohl bei der Forschung als auch bei der Lehre konnte die UC bisher durchaus mit den berühmtesten Privatunis wie Harvard, Princeton, Stanford oder Yale mithalten. Momentan gibt es jedoch nicht nur starke Erhöhungen der Studierendenbeiträge, sondern gleichzeitig massive Kürzungen des Budgets, die auf die Finanzkrise des Staates Kalifornien zurückzuführen sind. Als Teil umfangreicher staatlicher Kürzungen wurden der UC für die nächsten zwei Jahre 1,15 Milliarden US-Dollar gestrichen. Das könnte das Ende öffentlicher und bezahlbarer universitärer Bildung in Kalifornien bedeuten.

Diese Kürzungen sind jedoch nicht nur einer vermeintlich unerwarteten finanziellen Krise geschuldet. Damit würde man ignorieren, dass bereits zwischen 1990 und 2005 staatliche Finanzierung von öffentlichen Diensten um 40 Prozent gekürzt wurde. In diesem Jahr allein waren es nochmals 20 Prozent. Die gegenwärtige Finanzkrise hat also lediglich die Geschwindigkeit erhöht, mit der öffentliche Dienste reduziert werden.

Die Krise, der die UC als öffentliches Universitätssystem gegenübersteht, ist aber nicht nur durch staatliche Budgetkürzungen zu verstehen. Gleichzeitig gibt es eine zunehmend undemokratische Struktur innerhalb der UC und einen starken Willen der universitätseigenen Verwaltung, die UC zu privatisieren. Am 17. Juli 2009 wurde dem Präsidenten des gesamten UC-Systems, Mark Yudof, vom UC Board of Regents (dem vom Gouverneur Kaliforniens, Arnold Schwarzenegger, ernannten leitenden Gremium der UC) ermöglicht, den finanziellen Notstand auszurufen. Damit hatte er freie Hand, eine Reihe von Sparmaßnahmen festzulegen und die bisher demokratischen Entscheidungswege an der UC zu ignorieren.

Zu den Kürzungen gehören die Schließung von Bibliotheken, acht Prozent Gehaltskürzungen sowie die Schließung unprofitabler akademischer Programme. Allein zu Beginn des Herbstsemesters wurden 2.000 Stellen gestrichen und Arbeitstage von Lehrenden gekürzt, während der Arbeitsaufwand gleich blieb. Seminare sind immer überfüllter, gleichzeitig sinkt das Angebot an Seminaren. Trotz des angeblichen finanziellen Notstands der UC wurden zeitgleich die Gehälter in der leitenden Verwaltung erhöht. Insgesamt stiegen die Ausgaben für die Verwaltung um 283 Prozent - Zahlen, zu denen man seitens des Präsidenten Mark Yudof keine Stellungnahme erhält. Überhaupt ist das tatsächliche Budget von UC niemals öffentlich gemacht worden.

ak: Wie reagieren Studierende und Angestellte auf die gegenwärtige Situation an der UC? Wie sehen die Proteste aus?

Shane Boyle: Es gibt eine große Vielfalt in den Protesten gegen die Privatisierung der UC. Es ist keinesfalls eine reine Studierendenbewegung. Einer der wichtigsten Aspekte ist, dass die Proteste auf der Solidarität zwischen Studierenden, DozentInnen, ProfessorInnen, Angestellten und GewerkschafterInnen gründen. Am 24. September fand die erste große gemeinsame Demonstration in Berkeley statt - zeitgleich mit einem Streik, der von UC-GewerkschafterInnen organisiert war. Studierende, DozentInnen und ProfessorInnen unterstützten Streikposten, GewerkschafterInnen beteiligten sich an den Demonstrationen. Bei der Besetzung eines Universitätsgebäudes durch 43 Studierende am 20. November wurde nicht nur die Erhöhung der Studienbeiträge kritisiert, sondern auch die Wiedereinstellung von 38 GewerkschafterInnen gefordert, die kurz zuvor entlassen worden waren. Auch wenn es durchaus Differenzen über jeweilige Protesttaktiken gab, blieb die Solidarität konstant.

Auffällig ist jedoch, dass sich vor allem sozial- und geisteswissenschaftliche Fakultäten an den Protesten beteiligen. Allerdings sind Ingenieurs-, Natur- und Wirtschaftswissenschaften von den Kürzungen auch in wesentlich geringerem Umfang betroffen.

ak: Gibt es Reaktionen aus der Öffentlichkeit?

Shane Boyle: Die öffentliche Unterstützung für die Proteste wächst, aber die Aufklärung und Überzeugung, warum Bildung ein öffentliches Gut sein und bleiben sollte, ist harte Arbeit. Es gibt zwar in den Medien eine große Aufmerksamkeit; allerdings wird das Problem nur in der staatlichen Finanzkrise gesehen und nicht in den administrativen Entscheidungen. Der brutale polizeiliche Übergriff auf Demonstrierende, die gegen die Ankündigung der 32-prozentigen Erhöhung von Studienbeiträgen protestierten, hat den öffentlichen Diskurs merklich verändert. Die Proteste haben daraufhin starke öffentliche Sympathiebekundungen erhalten.

ak: Wie reagiert die Regierung und die UC-Administration?

Shane Boyle: Es gibt weder staatlicherseits noch seitens der UC-Administration irgendwelche Gesprächs-, geschweige denn Verhandlungsangebote. Die Proteste vom 24. September wurden sowohl von Yudof als auch von Schwarzenegger verunglimpft. Gegenüber der New York Times kommentierte Yudof seine vermeintlichen Gesprächsangebote mit der Aussage, dass der Versuch, mit Angestellten über die Finanzsituation zu sprechen, so sei, als würde man mit Toten reden. Und Schwarzenegger bezeichnete die Protestierende als kreischende Interessengruppen.

Diese Äußerungen sind angesichts der jüngsten Entwicklungen geradezu harmlos. Vom 18. - 20. November, zeitgleich mit der offiziellen Verkündigung der 32-prozentigen Erhöhung von Studierendenbeiträgen in der UC, streikten in ganz Kalifornien Studierende, Lehrende und Angestellte. Es gab Demonstrationen, Kundgebungen, Blockaden, Teach-Ins und Besetzungen. Die Regierung reagierte mit massivem Polizeieinsatz, der zu einer Vielzahl von Verletzten und Festnahmen führte. Beispielsweise wurden die 43 BesetzerInnen in Berkeley u.a. wegen Einbruch und Diebstahl angeklagt - Anklagen, die bei Verurteilung typischerweise mit Gefängnisaufenthalt bestraft werden. Tausende Studierende, Lehrende und Angestellte kamen trotz strömenden Regens zur Unterstützung der BesetzerInnen. Die Polizei reagierte mit Schlagstöcken und Gummigeschossen. In anderen Campus kam es zu ähnlichen Situationen. Es wurde Tränengas eingesetzt und sogar Tasers, mit denen Elektroschocks ausgeteilt werden.

ak: Wie schätzt du die Wirkung und Ergebnisse der Proteste ein?

Shane Boyle: Bisher haben die Proteste keine Wirkung, aber sie gehen weiter. Es gibt eine Menge Pläne für den Winter und Frühling. Je länger die Administration jegliche Verhandlungen und Gespräche verweigert, desto wahrscheinlicher wird eine Eskalation der Proteste. Zudem gibt es im nächsten Herbst Wahlen; auch diesbezüglich gibt es bereits Pläne für entsprechende Kampagnen. Der wichtigste Effekt der bisherigen Proteste ist, dass sich eine starke, vielfältige Bewegung gebildet hat, die immer mehr zusammenwächst.

ak: Du lebst momentan in Berlin und hast dort eine Kooperation zwischen den Protesten in Kalifornien und dem gerade laufenden Bildungsstreik initiiert. Wie steht es um die internationale Solidarität?

Shane Boyle: Ich bin Anfang Oktober für Forschungen im Rahmen meiner Doktorarbeit nach Berlin gekommen. Berkeley zu diesem Zeitpunkt zu verlassen, war für mich nicht einfach. Den Bildungsstreik in Deutschland hatte ich schon eine Weile verfolgt und war verblüfft über das Timing des Streiks am 17. November: Er fand exakt einen Tag vor dem Beginn des dreitägigen Streiks an der UC statt. Diese ungeplante Gleichzeitigkeit erinnerte mich und andere an der UC, dass unsere Bewegung Teil größerer internationaler Proteste ist. Auch wenn die nationalen Kontexte unterschiedlich sind, so sind doch die Kämpfe gegen die Privatisierung von Bildung ähnlich. Die Krise, in der sich öffentliche Bildung befindet, ist das Ergebnis neoliberaler Regime, die über Grenzen hinweg funktionieren und operieren. Widerstand gegen die Instrumentalisierung der Finanzkrise zur massiven marktförmigen Umgestaltung öffentlicher Institutionen ist notwendig. Internationale Solidarität ist angesichts solch globaler neoliberaler Maßnahmen ein wichtiger Bestandteil unserer Proteste.

Die Reaktionen auf unseren Solidaritätsaufruf an die Bewegungen in Deutschland und Kalifornien waren bisher überwältigend. Innerhalb von Stunden, nachdem ich den Aufruf per E-mail verschickt hatte, bekam ich Solidaritätsbekundungen von verschiedenen Gruppen in Deutschland, die Unterstützungsschreiben anboten und Interesse an Solidaritätsaktionen zeigten. OrganisatorInnen des Internationalen Plenums für bessere Bildung in München ermöglichten beispielsweise, dass VertreterInnen aus Berkeley an den Diskussionen per Skype teilnehmen konnten. In Berlin habe ich gemeinsam mit anderen UC-Studierenden an Diskussionen und Treffen des Bildungsstreiks teilgenommen. Das Kennedy-Institut der FU Berlin hat sogar eine Reihe von Veranstaltungen zur Situation in Kalifornien organisiert inklusive einer Diskussion zwischen Studierenden der FU Berlin und der UC Berkeley - sowohl live als auch via Skype. Insbesondere nach den Repressionen im November hat diese Solidarität die Protestierenden in Kalifornien sehr ermutigt.

Was zukünftige Proteste betrifft: Vor Kurzem habe ich an Diskussionen mit anderen Studierenden aus Deutschland und anderen Ländern teilgenommen, bei denen es darum ging, am 4. März 2010 einen internationalen Aktionstag für öffentliche Bildung zu organisieren. An diesem Tag planen Studierende, Lehrende und Angestellte kalifornischer Universitäten, High Schools und sogar Elementary Schools eine große Demonstration in Sacramento, um gegen die Kürzungen im öffentlichen Bildungssystem zu protestieren. In den nächsten Monaten hoffe ich, hier in Europa mit Studierenden Solidaritätsaktionen für und an diesem Tag zu organisieren. Es wäre großartig, wenn auch hier in Deutschland möglichst viele diesen Aktionstag unterstützen würden.


Petition zum Erhalt öffentlicher Bildung an der UC:
http://www.saveuc.org/petition.php


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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Dezember 2009