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ITALIEN/351: Wie es der frühere EZB-Chef Draghi zum Premierminister Italiens schaffte (Gerhard Feldbauer)


Wie schaffte es der EZB-Banker Draghi zum Premier?

Das kommunistische Contropiano enthüllt, wie die Opportunisten in der Arbeiter- und linken Bewegung ihm in den Sattel halfen

von Gerhard Feldbauer, 1. März 2021


Mit wehenden Fahnen sind die Führungen und Parlamentsfraktionen der Parteien der sogenannten Linken Mitte der Regierung des bisherigen parteilosen Premiers Giuseppe Conte - des sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) und der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) - mehrheitlich auf die Seite der neuen Regierung des früheren EZB-Chefs Mario Draghi übergelaufen. Es störte sie nicht, dass von 23 Ministern in dessen Kabinett sechs Faschisten sind - je drei aus der Lega Matteo Salvinis und der Forza Italia von Ex-Premier Berlusconi.


Foto: Governo Italiano Presidenza del Consiglio dei Ministri, CC BY-SA 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0], via Wikimedia Commons

13. Februar 2021: Giuseppe Conte (l.) und Mario Draghi (r.) bei der traditionellen Übergabe des Ministerratsglöckchens im Palazzo Chigi
Foto: Governo Italiano Presidenza del Consiglio dei Ministri, CC BY-SA 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0], via Wikimedia Commons

Die Mainstream-Medien feiern, wie die staatliche Nachrichtenagentur ANSA wiedergab, das Kabinett des EZB-Bankers als "Regierung der nationalen Verantwortung", als einzig mögliche Lösung, mit der die Recovery-Mittel der EU für einen "Neuen Wiederaufbau" (Nuova Ricostruzione) gesichert, es "mehr soziale Gerechtigkeit" geben, "unseren Kindern und Enkeln ein besseres und gerechteres Land hinterlassen" werde. Den Volksmassen wird so "soziale Gerechtigkeit" vorgegaukelt, dagegen verschwiegen, dass die Agenda Draghis den Interessen des Verbandes der Großindustriellen Confindustria entspricht, deren Chef Carlo Bonomi sich mit der klaren "proeuropäischen Vision" des neuen Premiers "sehr zufrieden" gezeigt hat und gleichzeitig forderte, bescheidene, während der Corona-Pandemie gewährte soziale Leistungen zu stoppen, um den Beitrag für das "Wirtschaftswachstum Italiens" zu verstärken.

Das kommunistische Online-Portal Contropiano hat sich damit befasst, wie ein solch makabres Spektakel wieder einmal möglich wurde und daran erinnert, dass diese verhängnisvolle Entwicklung mit Beginn des Ersten Weltkrieges im August 1914 einsetzte, als die übergroße Mehrheit der Führungen der Parteien der Sozialistischen (Zweiten) Internationale auf die chauvinistischen Positionen der Vaterlandsverteidigung ihrer Imperialisten überlief. Diese sogenannten "Arbeiterführer" wurden, wie Lenin in seiner heute noch gültigen Einschätzung festhielt, zu "Agenten des internationalen Imperialismus, die innerhalb der Arbeiterbewegung tätig sind, die in ihr den bürgerlichen Einfluss, die bürgerlichen Ideen, die bürgerliche Lüge und die bürgerliche Demoralisation verbreiten" (Lenin-Werke, Bd. 29. Berlin/DDR, 1961, S. 485-504). Sie retteten den Imperialismus damals vor seinem am Ende dieses Krieges drohenden Sturz und verhinderten einen möglichen Sieg der proletarischen Revolution in den Hauptländern des Kapitals wie Italien. Und sie leisten ihm heute im neuen Gewand Schützenhilfe, wenn ihm schon von der Basis einer noch nicht einmal antikapitalistischen Linken auf sozialdemokratischen Positionen ein gewisser Einhalt geboten wird.

In den 1970er Jahren fassten die Opportunisten in Italien unter der sogenannten Ideologie des "Eurokommunismus" auch in der PCI, der kommunistischen Partei, Fuß und wandelten sie 1990 in eine sozialdemokratische Linkspartei (PdS) um. Als diese sich 2007 mit der katholischen Zentrumspartei Margherita zum heutigen PD vereinigten, verweigerte sich eine Minderheit von Sozialdemokraten dieser Zwitterpartei, in der der Mitbegründer und später zum Parteichef aufsteigende rechte Christdemokrat Matteo Renzi ankündigte, Ex-Kommunisten und Linke "zu verschrotten" (Renzi, Chef der vom PD abgespaltenen Partei Lebendiges Italien (IV), fädelte den Sturz der Regierung Conte ein). Um diese Unzufriedenen aufzufangen, trat nicht zufällig zwei Jahre später eine neue Opportunistenclique mit dem Komiker Giuseppe Grillo an der Spitze auf den Plan und gründete als Auffangbecken die sich mit scharfen anti-kapitalistischen und gegen den faschistischen Forza-Chef Berlusconi gerichteten Attacken tarnende Fünf-Sterne-Bewegung (M5S). Daran zeigte sich, wie Contropiano resümiert, dass "die Krise der herrschenden Klassen Monster von Populismus erzeugt". Auf ihre linke Demagogie fielen bei den Wahlen 2018 rund 32 Prozent der Wähler herein. Danach ließen die Opportunisten um Grillo und Parteichef Luigi di Maio die Maske fallen, lehnten eine Regierung mit dem PD ab und bildeten stattdessen eine mit der faschistischen Lega Matteo Salvinis.

Nach Protesten ihrer linken Basis gegen die Unterstützung der faschistischen, an Mussolini anknüpfenden und migrantenfeindlichen Politik des Lega-Chefs und Innenministers Salvini brach die M5S-Führung im August 2019 mit ihm und wechselte zur Regierung mit den ungeliebten Sozialdemokraten des PD, um jetzt einem Chamäleon gleich mit ihnen zu Draghi überzulaufen - also, wie das kommunistische Magazin klar stellt, an die Seite "all dieser Herren Banker", die mit "Supermario" "alle Finanzexperten" sind, "die einen Job machen, der keinen Wohlstand schafft". Zusammen mit der Lega hielten PD und M5S "durch ihre Unterstützung die Regierung von Mario Draghi zusammen". Die Opportunisten scheuten sich nicht, sich aus dem Reservoir der Verharmlosung von Mussolinis Machtergreifung 1922 zu bedienen, wenn sie sagen: "Es ist besser, sie (die Faschisten) drinnen als draußen zu haben." Der Bau der Europäischen Union sei nur ein "politisches Theater nach dem Vorbild des ungarischen Premierministers Orbàn und des polnischen Premierministers Morawiecki", die an die "großen Gruppen der deutschen Wirtschaft" gebunden sind. "Kurz gesagt, es ist das gleiche alte Spiel." Angesichts der Folgen der Pandemiekrise herrsche "bereits Aufruhr". Und "wenn die Zeit für die unwiderruflichen Entscheidungen, die von der Europäischen Union und Confindustria erwartet werden, kommt, wird es wieder ein soziales Massaker geben". Man könne bereits sehen, "wie der übliche Stock aus dem Ärmel von Mr. Draghis einwandfreiem Zweireiher ragt".


Foto: © Presidenza della Repubblica, via Wikimedia Commons - [https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Governo_Draghi.jpg#filelinks]

Regierungswechsel in Italien - die neue Regierung um Ministerpräsident Draghi mit Staatspräsident Matarella im Quirinalspalast
Foto: © Presidenza della Repubblica, via Wikimedia Commons
[https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Governo_Draghi.jpg#filelinks]

Um an dem historischen Faden von Contropiano anzuknüpfen, sei daran erinnert, dass dem Opportunismus jahrzehntelang als Gegenpol die 1920 geschaffene Kommunistische Internationale als Zusammenschluss ihrer Parteien bis zum Ausgang des Zweiten Weltkriegs Einhalt gebot. Ein solches Zusammenwirken der kommunistischen und revolutionären Linken fehlt heute, und als ein Ergebnis des opportunistischen Wirkens vor allem in Italien, aber nicht nur dort, fehlt eine echte Linke, die, wie der Philosophie-Professor Stefano Azzarà von der Universität von Urbino auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz von junge Welt in Berlin 2021 einschätzte, die Rechte der unteren Klassen verteidigt und bewusst und organisiert in Konflikte eingreift, wie sie sich gerade mit der Installation der Regierung Draghi zeigten.

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Quelle:
© 2021 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. März 2021

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