Schattenblick → INFOPOOL → EUROPOOL → POLITIK


ITALIEN/349: Mitte-Links-Regierung demonstriert Einheit - Salvini führt Aufstand an (Gerhard Feldbauer)


Mitte-Links-Regierung in Italien demonstriert Einheit

Premier Conte: Lega-Chef Matteo Salvini führt den Aufstand der Bürgermeister und Mitte-Rechts-Gouverneure an

von Gerhard Feldbauer, 6. November 2020


In der Auseinandersetzung mit der faschistischen Opposition (Lega, Forza Italia (FI) und Brüder Italiens (FdI), die ihren Sturz betreibt, haben die Parteien der Mitte-Links-Regierungskoalition (Sozialdemokraten/Demokratische Partei- PD), Fünf Sterne (M5S), Lebendiges Italien (IV), Freie und Gleiche (LeU), wie die staatliche Nachrichtenagentur ANSA am Freitag berichtet, bekräftigt, bis zum Ende der Legislaturperiode 2023 zu regieren. PD-Chef Zingaretti habe am Ende des Regierungsgipfels erklärt, "es gibt einen Qualitätssprung", M5S-Führer Crimi, es sei "ein profitabler Gipfel", IV-Chef Renzi, "wenn es Rosen sind, werden sie blühen". Premier Conte habe erklärt, dass Lega-Chef Matteo Salvini den Aufstand der Bürgermeister und Mitte-Rechts-Gouverneure anführt". Damit, so ANSA, bleibe die Koalition "vereint" und habe "jeden möglichen Grund für Kontroversen oder Opposition verjagt". IV-Chef Matteo Renzi habe jedoch Vorbehalte angemeldet: Bis Ende des Monats werde man verstehen, "ob es für diesen Pakt Bedingungen gibt".

Gegen die wieder steigenden Infizierungen mit dem Corona-Virus hatte die Regierung in der letzten Oktoberwoche strengere Maßnahmen festgelegt, so u.a, daß Restaurants und Bars um 18 Uhr schließen mußten, Fitness-Studios, Schwimmhallen, Kinos, Theater, Konzertsäle, Spielhallen ganz geschlossen wurden. Die Situation sei, so die Begründung, durch "anhaltende und weit verbreitete Übertragbarkeit gekennzeichnet". Es "könnte schnell zu einer hohen Anzahl von Fällen und deutlichen Anzeichen einer Überlastung der Hilfsdienste führen, ohne daß die Herkunft der neuen Fälle nachvollzogen werden kann", schrieb ANSA. Und wenn diese "Hochrisikosituation länger als drei Wochen anhält, sind höchstwahrscheinlich sehr aggressive Eindämmungsmaßnahmen erforderlich", hieß es.

Die Informationen der Gesundheitsbehörden belegen weiter die Notwendigkeit der von Conte erlassenen Beschränkungen. ANSA meldete am Donnerstag, den 5. November 2020, mit 34.500 Covid-Infizierungen und 445 Toten einen neuen Rekord. Am 12. November berichtet ANSA von 31.961 Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden und 623 Toten.(*)

In dieser Situation hatten Faschisten der Forza Nuova gewaltsame Proteste gegen die weitgehenden Einschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie inszeniert. Ausgehend von Palermo, Neapel und Rom griffen die Ausschreitungen auf Bari, Mailand, Turin, Genua, Verona, Florenz und weitere Städte über. Während der meist nicht genehmigten Demonstrationen kam es überall zu gewaltsamen Zusammenstößen mit der Polizei, die u.a. mit Eisenstangen, Steinen, Feuerwerkskörpern und Molotow-Cocktails attackiert wurde und dagegen massiv Tränengas einsetzte. Dutzende Personen wurden verhaftet, unter Polizisten und Demonstranten gab es zahlreiche Verletzte. Medien schrieben von "Strassenkämpfen in Neapel". In Genua demonstrierten Gastronomen und Geschäftsleute ohne Maske, in Cremona zerschlugen Gastwirte vor der Präfektur Geschirr. In Turin wurden Geschäfte geplündert. In zahlreichen Städten errichteten Köche, Restaurantbesitzer und ihre Mitarbeiter auf Plätzen aus Protest gedeckte Tische. Theaterleute, Tänzer und Tänzerinnen gingen auf die Straße, um gegen die Schließung ihrer Häuser im Zuge von verschärften Anti-Corona-Maßnahmen zu protestieren. In Rom zeigten schwarz gekleidete Kulturschaffende Plakate mit der Aufschrift: "Tötet nicht die Kultur." Laut Innenministerin Giuliana Lamorgese wurden in der Regierung dafür unter anderem "Extremisten von rechts und links" verantwortlich gemacht.

Zu den tiefer liegenden Ursachen schätzte Stefano Azzarà, an der Universität von Urbino Professor für Politische Philosophie, gegenüber dem Autor ein: "Die dramatische Situation, in der sich Italien befindet, ist nicht in erster Linie das Ergebnis falscher Entscheidungen und Versäumnisse der Regierung; diese handelt unter den gegebenen Bedingungen. Es ist der unangefochtene und dauerhafte Vorrang der Interessen des Kapitals, der diese Bedingungen erst geschaffen hat." Im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte habe sich das Kapital die Ressourcen des Wohlfahrtsstaats angeeignet und das Land in einen Zustand schwerwiegender struktureller Rückständigkeit versetzt. "Alternative Entscheidungen", so Professor Azzarà, hätten unter gleichen Bedingungen "nichts Wesentliches geändert, eine andere Regierung hätte es nicht besser, aber wahrscheinlich noch schlechter machen können, und das obwohl die amtierende Regierung angesichts der Herausforderungen ganz und gar unzulänglich agiert".

Der Lockdown sei unvermeidlich, denn ohne Schutz des "nackten Lebens" gebe es keine wie auch immer geartete "Lebensweise". Die Frage müsse allerdings lauten: "Warum mußte es überhaupt so weit kommen? Es mangelt an Ärzten, die Infrastruktur des Gesundheitswesens ist unzureichend, es fehlt an angemessenen Transportmitteln, an einem hinreichenden Auskommen."

Die Ausführungen Azzaràs belegen, daß diesen Zustand in erster Linie die von der Lega Salvinis heute angeführten Parteien der faschistischen Allianz - mit Forza Italia (FI) und Fratelli d'Italia (FdI) - herbeigeführt haben. Unter den Regierungen von FI-Führer Berlusconi (mit Unterbrechungen von 1994 bis 2011) fand der größte Sozialabbau statt, wurde mit Privatisierungen das Gesundheitswesen in den heutigen maroden Zustand versetzt. Und Kreise der kleinbürgerlichen Bourgeoisie, die heute über die Folgen während der Corona-Pandemie jammern, haben für die parlamentarischen Mehrheiten der faschistischen Regierungen gesorgt.

Und was die seit dem Fall Berlusconis 2011 von Mitte-Links-Parteien gebildeten Regierungen betrifft, so haben sie nichts an diesen Zuständen verändert. Mit Bezug auf die Ultra-Linken bei den Protesten meint Professor Azzarà, diese Leute wollen ihren Nutzen aus den von den Faschisten der Forza Nuova - bekanntermaßen ein vorgeschobener Sturmtrupp der Lega Salvinis - inszenierten bürgerkriegsähnlichen Ausschreitungen ziehen. Er erinnert daran, daß diese Leute mit ihrem als "links" getarnten Antikommunismus in entscheidendem Maße zur Zerschlagung der einst kampfstarken Linken mit der PCI an der Spitze beigetragen haben, einer kommunistischen Kraft, die heute fehlt.

Wie ANSA berichtete, hatte Lega-Chef Salvini mit der Erklärung, die faschistische Allianz mit FI und FdI sei "bereit zur Zusammenarbeit", die Katze aus dem Sack gelassen: Eintritt in die Regierung, um diese zu unterminieren und so zu Fall zu bringen. Alter Wein in neuen Schläuchen, denn das Ziel der äußerst rechten Kräfte ist es, die Corona-Krise zum Sturz der Regierung mit den Sozialdemokraten zu nutzen. Mit dem eingangs angeführten Gipfel hat die Regierung Conte Position gegen die faschistische Allianz bezogen.


(*) Anmerkung:
Die Zahlen vom 12. November 2020 wurden von der Redaktion Schattenblick ergänzt.

*

Quelle:
© 2020 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. November 2020

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang