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MELDUNG/080: Polizeiliche Langzeit-Videoüberwachung von zwei Tübinger Wohnprojekten unzulässig (HU)


Pressemitteilung der Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union
vereinigt mit der Gustav Heinemann-Initiative
Freiburg, 16. Juni 2020

Polizeiliche Langzeit-Videoüberwachung von zwei Tübinger Wohnprojekten unzulässig


Die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union e.V. macht den Beschluss des Landgerichts Tübingen vom 11.03.2020 bekannt. Der Beschluss verbietet der Polizei (und der Staatsanwaltschaft), in eigener Machtvollkommenheit zwei linke Wohnprojekte in Tübingen einer Langzeit-Videoüberwachung zu unterziehen. Das Landgericht hat die im Jahre 2016 für zwei Monate angeordnete allnächtliche Videoüberwachung der Wohnprojekte für rechtswidrig erklärt und die gegenteilige Auffassung von Polizei, Staatsanwaltschaft und Amtsgericht Tübingen zurückgewiesen.

Die Videoüberwachung war angeordnet worden, weil es sich bei diesen Wohnprojekten "um einschlägig bekannte linke Szeneobjekte (gehandelt habe), in welchen Angehörige der linksautonomen Szene wohnhaft sind." In "fußläufiger Nähe" seien vier PKWs Gegenstand von Brandstiftungen geworden. Nachträgliche Bekennerschreiben in der zwischenzeitlich verbotenen Plattform "linksunten.indymedia.org" und ein erst nach dem Löscheinsatz am nächsten Tage festgestelltes Graffiti "R94" ließen die Polizei von sog. Resonanzstraftaten auf die Räumung des besetzten Hauses Rigaer Str. 94 in Berlin ausgehen. Wegen Erfolglosigkeit hat die Polizei die Überwachung nach einem Monat beendet.

Entgegen der Verpflichtung in der Strafprozessordnung (§ 101 Abs. 4 Nr. 12 StPO) ist keine nachträgliche Information der beobachteten Bewohner erfolgt. Diese erfuhren zufällig durch einen in der Straße wohnenden Nachbarn, bei dem die Polizei die Videoanlage hatte installieren wollen, von der polizeilichen Absicht. Erst durch Einschaltung des Landesdatenschutzbeauftragten Dr. Brink war bekannt worden, dass die Polizei ihre Absicht tatsächlich auch realisiert hatte.

Das Landgericht Tübingen hat nun, vier Jahre später, die Videoüberwachung wegen fehlender richterlicher Anordnung gem. § 163f Abs. 1 Nr. 1 StPO für rechtswidrig erklärt und damit auch die Ansicht des Landesdatenschutzbeauftragten bestätigt.

Der Rechtsanwalt der Bewohner und Vorsitzende der Humanistischen Union Landesverband Baden-Württemberg, Dr. Udo Kauß, erklärt hierzu: "Die nach Bekanntwerden der Videoüberwachung beantragte richterliche Überprüfung zeigt, dass sich auch eine nachträgliche juristische Gegenwehr durchaus lohnen kann. Es gilt leider immer wieder aufs Neue, der Polizei klar zu machen, dass sie nicht in eigener Machtvollkommenheit über die Grundrechte von Bürgern befinden kann, auch wenn es sich um Angehörige der sog. linksautonomen Szene handelt."

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Quelle:
Humanistische Union e.V.
- Bundesgeschäftsstelle -
Greifswalder Straße 4, 10405 Berlin
Telefon: 030 - 204 502 56, Fax: 030 - 204 502 57
E-Mail: info@humanistische-union.de
Internet: www.humanistische-union.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juni 2020

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