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REZENSION/742: Günter Buhlke - Hat die Welt eine Zukunft? (SB)


Günter Buhlke


Hat die Welt eine Zukunft?

Skizzen für eine mögliche Gesellschaft



Die Unwetterkatastrophen im Frühsommer 2021 in verschiedenen Weltregionen fügen sich recht genau in das Bild ein, das die Wissenschaft für eine Erde entwirft, in der die Natursysteme in Folge der globalen Erwärmung außer Rand und Band geraten. Von den Folgen dieser Entwicklung werden schon heute immer mehr Menschen existentiell betroffen, sei es, dass in Kanada ganze Dörfer in Flammen aufgehen, sich im Irak eine extrem heiße, für Mensch und Tier unbewohnbare Zone etabliert oder in zahlreichen asiatischen Ländern Flüsse über die Ufer treten. Allgemeine Unsicherheit breitet sich aus.

"Hat die Welt eine Zukunft?", fragt Günter Buhlke und liefert auf 196 Seiten "Skizzen für eine mögliche Gesellschaft", so der Untertitel des 2020 im Verlag am Park erschienenen Buchs. Er schreibt über eine Gesellschaft, die nicht nur die Klimakrise zu bewältigen, sondern unter anderem auch die Ernährung der Menschheit, ein friedliches Miteinander und ein gutes Leben für alle zu sichern hat. Das gegenwärtig vorherrschende Wirtschaftsmodell des Neoliberalismus, das den Staat aus der Verantwortung entlässt und den Marktkräften das Ruder in die Hand gibt, taugt aus Sicht des Autors nicht zur Lösung der bevorstehenden, gewaltigen Aufgaben. "Das System der Marktwirtschaft befriedigt die Bedürfnisse schneller, aber mit periodischen Absatzkrisen. Das planwirtschaftliche braucht längere Zeit, um sich an den Bedarf anzupassen", (S. 28) stellt Buhlke von Anfang an klar, in welche Richtung seine Vorstellungen gehen.

Die "Entwicklungskraft" des Kapitalismus sei erschöpft. Das kapitalistische Grundmodell habe seine historische Mission erfüllt, "ohne den Aufgaben des Friedenserhaltes zwischen den Völkern, dem Erhalt der Natur und der sozialen Gleichheit zu jeder Zeit gerecht zu werden" (S. 44). Wohingegen die "sozialistische Gesellschaftslogik (...) unter denkbar ungünstigsten Bedingungen einer langen Auseinandersetzung in ihrer ersten Etappe ihren Wert für die Menschengemeinschaft nachgewiesen" habe. Aber die sozialistische Wirtschaft sei "nicht alles, was eine gut funktionierend [sic!] Gesellschaft benötigt", schreibt der ehemalige Handelsattaché der DDR in Mexiko, Mitarbeiter der Staatlichen Planungskommission und im Haushaltsausschuss der Volkskammer.

Der Autor entwirft in häufig knappen, mitunter beamtisch sachlich anmutenden Sätzen seine Überlegungen zu den Anforderungen an ein zukünftiges Gesellschaftsmodell, bei dem die Mängel des Kapitalismus und Sozialismus vermieden und das Beste aus den beiden miteinander konkurrierenden Systemen zu einem Zukunftsentwurf verschmolzen werden soll, dem dritten Weg. Eingedenk Buhlkes Werdegang als gelernter Bäcker und späterer Funktionär der Deutschen Demokratischen Republik muss es nicht wundern, dass er wider den Mainstream nicht in den Bezichtigungschor von Politik und Medien einstimmt, die es offenbar noch immer nötig haben, die DDR selbst 30 Jahre nach ihrem Untergang zu verteufeln, sondern dass er deren Errungenschaften als ersten Schritt in die richtige Richtung darstellt.

Ob er über das Modell des profitorientierten Kapitalismus oder das des planwirtschaftlichen Sozialismus spricht, Buhlke verlässt an keiner Stelle staatstragenden Grund. Das wird besonders an seinem positiven Verhältnis zur Lohnarbeit deutlich, zu der grundsätzlich andere Überlegungen angestellt werden könnten. Unter Verweis auf Marx' Analyse der Ausbeutung des Werte schaffenden Lohnabhängigen, heißt es:

"Arbeitskraft und -stunden werden im System der Profitlogik nicht äquivalent bzw. gleichwertig ausgeglichen. Anders im System der Staatsplanung, wo die Äquivalenzen beachtet werden und eine zweite Lohntüte für Subventionen in Sozialbereichen bereitstehen [sic!]. Eine überwiegend kostenfreie Bildung und Gesundheitsbetreuung, Subventionierte Mieten, Grundnahrungsmittel werden geboten."
(S. 125)

Unter den heutigen Staaten wird vor allem China als Vorbild genannt, da es Planwirtschaft betreibt, der Wissenschaft einen hohen Stellenwert zuweist und im staatlich vorgegebenen Rahmen Privatwirtschaft zulässt. So heißt es unter der Kapitelüberschrift "Was bietet die reale Welt an Zukunftsmodellen?":

"China hat mit einer Staatlichen Planwirtschaft im Rahmen seines makroökonomischen Modells und neuen Regulierungsmodellen eine eigene Variante zur Entwicklung der Gesellschaft etabliert (Sozialismus chinesischer Prägung). Praktische Ergebnisse: Nach drei Generationen ab 1949 gibt es keine Hungertoten mehr. 800 Millionen Menschen wurden aus extremer Armut geholt (...). Eine gut lebende junge Mittelschicht prägt gegenwärtig das Land, dass [sic!] zu einer führenden Wirtschaftsmacht der Welt in historisch kurzer Zeit entwickelt wurde."
(S. 49/50)

Auch in der DDR habe es mit dem Neuen Ökonomischen System (NÖS) Reformversuche gegeben, und zwar lange bevor in der Sowjetunion unter Gorbatschow die Richtung der Perestroika ausgewiesen worden war. (S. 42) Hier spricht der Autor den 1963 unter Walter Ulbricht beschlossenen Versuch der DDR an, mit dem NÖS mehr Entscheidungskompetenz von oben nach unten zu delegieren. Eine von wirtschaftlichem Erfolg beschiedene Erneuerung, die allerdings später unter Ulbrichts Nachfolger Erich Honecker wieder zurückgenommen worden war.

Die Bekämpfung der aktuellen Covid-19-Pandemie gelingt China um vieles besser als den meisten Staaten der westlichen Welt. Deshalb erstaunt Buhlkes Bewertung nicht, wenn er schreibt:

"Ob China mit dem Sozialismus eigener Prägung oder Lateinamerika am Ende ein drittes System ansteuern, ist wirtschaftswissenschaftlich und nach Kriterien der Politikwissenschaft noch nicht einzuschätzen. Es gibt aber Handlungsweisen, die jenseits marktradikaler, egoistischer Instrumente liegen und besser dem Original des Sozialismus entsprechen."
(S. 57)

Schwerpunkt der wirtschaftlichen Entwicklung, wie sie Buhlke vorschwebt, sollten qualitative und nicht quantitative, rein am Wachstum orientierte Beweggründe sein. Auch spricht er sich gegen die Anwendung des BIP als Indikator der gesellschaftlichen Entwicklung aus, da sich dieser nur nach dem Geldwert richtet. Vieles, aber nicht alles läuft in dem vorliegenden Buch auf eine Gegenüberstellung der politischen Systeme hinaus. Hervorzuheben ist zum Beispiel Kapitel 6.2 "Wachstum und Naturverbrauch abseits individueller Bedarfsdeckung" (S. 113). Darin erwähnt der Autor den enormen Verbrauch an natürlichen Ressourcen in der Zeit des Kalten Kriegs durch die Militärapparate beider Seiten - ein Thema, das in der heutigen Klimaschutzdebatte sehr wenig behandelt wird:

"Groß ausgebaute Militärapparate verbrauchen in Friedenszeiten und unter Kriegsbedingungen Treibstoffe, Rohstoffe und Energie, die für die Entwicklung des normalen Lebens verloren sind."
(S. 113/114)

Nur die Luft zum Atmen und das Tageslicht seien noch "frei vom Warencharakter" (S. 20) legt der 87-jährige Autor den Finger in die Wunde des kapitalistischen Systems, das nach der Marktlogik aufgebaut ist. Ergänzend zu Buhlke könnte man sagen, dass das System den Mangel geradezu produziert, denn wo Lebens- und Überlebensmittel der freien Verfügbarkeit entzogen und zur Ware gemacht werden, ist der Mangel nicht naturgegeben, sondern wird von Menschen für Menschen gemacht, damit diese für den Gebrauch oder Erwerb der Ware oder Dienstleistung bezahlen - im heutigen System zumeist durch den Verkauf der eigenen Arbeitskraft. Mit anderen Worten, Mangel und Not werden das kapitalistische System stets aufs engste begleiten, sie erweisen sich gar als notwendiger Bestandteil der gegenwärtig vorherrschenden Produktionsverhältnisse und werden auch in einer ökologisch ausgerichteten, nachhaltigen Welt nicht verschwinden.

Doch zurück zu dem vorliegenden Buch, das weniger von analytischer Tiefe, denn von essayistischen Erörterungen und Entwürfen zeugt und dabei eine Vielzahl von gesellschaftsrelevanten Themen streift. Diesen wird sich auch die FFF-Generation stellen müssen, die mit ihrem freitäglichen Schulstreik bis in die heutige Zeit hinein an die Regierungen appelliert, endlich wirksame Schritte gegen die globale Erwärmung einzuleiten, aber irgendwann selber an den Schalthebeln der Macht sitzen wird und Entscheidungen zu treffen hat, wie die Gesellschaft gestaltet werden soll.

Wer die Vermutung hegt, dass angesichts Buhlkes politischen Hintergrunds seine Bewertungen voreingenommen sind, wird es nicht schwer haben, dafür Hinweise zu finden. Man könnte sich allerdings fragen, ob umgekehrt die eigene Sichtweise nicht ebenfalls voreingenommen ist und, weitergefragt, ob sich Leserinnen und Leser nicht von Vorverurteilungen in jeglicher Hinsicht befreien sollten, um so entlastet eine menschheitsgeschichtlich relevante Fragen skizzierende, vorläufige Bilanzierung, um die sich der Autor gemäß seinen Erfahrungen und Erkenntnissen bemüht, unverstellten Blicks widmen zu können. In diesem Verständnis dürfte die Lektüre trotz mancher Redundanz Anregungen für weitergehende Diskussionen liefern, um die vielleicht nur geringe Chance von enkeltauglichen Vorschlägen zur Zukunft der Menschheit zu erarbeiten.

Eine unangenehme Note zum Abschluss: Das Titelbild zeigt den mächtigen Stamm einer Zypresse im Park des Himmelstempels in Beijing. Dazu heißt es im Impressum: "Die Bäume sind mehr als 600 Jahre alt und begeisterten selbst US-Aussenminister Henry Kissinger." Für wen, bitte schön, hat es irgendeine Bedeutung, woran sich das Auge eines von vielen als Kriegsverbrecher bezeichneten Politikers erfreut?

5. Juli 2021


Günter Buhlke
Hat die Welt eine Zukunft?
Skizzen für eine mögliche Gesellschaft
Verlag am Park, Berlin 2020
196 Seiten, 15,- Euro
ISBN 978-3-947094-79-0

veröffentlicht in der Schattenblick-Druckausgabe Nr. 164 vom 10. Juli 2021


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