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REZENSION/674: Webster Steinhardt - Vegan Kacken! (SB)


Webster Steinhardt


Vegan Kacken!

Warum es kein "Lifestyle" sein darf, endlich das Richtige zu tun



Was für ein Titel! Webster Steinhardt läßt keinen Zweifel daran, daß er nicht zu jenen feinsinnig-zerbrechlichen Diätaposteln gehört, die jedes Blatt Rucola vor dem Verzehr noch einmal umdrehen, um das Für und Wider dieser oder anderer Speisen zu erwägen. Im Alltag wie in den Medien konfrontiert mit einem Bild des Veganismus, das die pflanzliche Kost mit dem angeblich fragilen bis hypochondrischen Habitus der Anhänger dieser Ernährungsweise synonym setzt, hält er mit einer Schimpfkanonade gegen, die empfindsamere Gemüter durchaus verletzen kann. Allerdings wird hier nicht um der bloßen Provokation willen vom Leder gezogen, gehören Menschen, die sich in die Haut getöteter Tiere werfen, für den Autor doch eher zu denjenigen, die er davon überzeugen will, von ihrem Tun abzulassen. Daß sich der qualvolle Charakter jeder Form des Tierverbrauchs dem "Verbraucher" nicht erschließt, weil Produktion und Konsum kaum weiter auseinanderdividiert sein könnten, macht Steinhardt anhand vieler handelsüblicher Beispiele auf geradezu genießerische Weise deutlich.

Der Autor geht dem Problem der Tierausbeutung mit dem ganzen argumentativen Arsenal, das sich aus dem Dunkel des gesellschaftlichen Mensch-Tier-Verhältnisses schöpfen läßt, auf den Grund elementarer Stoffwechselprozesse, also auch der ernährungsbedingten Unterschiede bei der Ausscheidung mehr oder minder mühsam verdauter Nahrung. Er will sich in einem sozialen Umfeld Gehör verschaffen, in dem Veganerinnen und Veganer der Status einer Minderheit zukommt, auch und gerade weil das Thema Veganismus in den letzten Jahren auf eine Weise gehypt wurde, die diffamierende Reaktionen fast zwangsläufig auf den Plan ruft.

Dabei fühlt sich der Möbelpacker, der seit vielen Jahren keine Tierprodukte verzehrt, von zwei Seiten in die Zange genommen. Zum einen von den notorischen Verfechtern der Behauptung, ohne Fleisch, Milch und Eier lasse sich nicht angemessen leben, zum andern von den Anhängern eines Lifestyles der Selbstoptimierung, denen die pflanzliche Ernährungsweise der letzte Schrei in der langen Kette diätetisch-konsumistischer Luxusmoden ist. Mit beiden hat der Autor kein Hühnchen zu rupfen, wie sollte er auch, sondern tritt ihnen rhetorisch vors Schienenbein, um Bewegung in die verhärteten Fronten zu bringen.

Während ihm das vegane Distinktionsstreben, durch eine Änderung des Konsums zum besseren Menschen zu werden, ebenso ein Greuel ist wie die Erfolgsideologie prominenter Veganerinnen und Veganer, in allen Lebens- und Arbeitsbereichen mindestens so leistungsfähig wie die carnivorische Konkurrenz zu sein, arbeitet er sich ausführlich an den vielen Behauptungen und Verunglimpfungen ab, mit denen sich in ihrem Tierverbrauch gestört fühlende Menschen gegen die Infragestellung ihrer Lebensweise zur Wehr setzen. Wenn Steinhardt verbreitete Ansichten etwa über die Minderwertigkeit einer rein pflanzlichen Ernährung aus subjektiver Sicht wie mit objektiven Erkenntnissen ihrer Haltlosigkeit überführt, hat er zwar hieb- und stichfeste Argumente auf seiner Seite. Doch drängt sich bei der Lektüre die Frage auf, ob die kulturgeschichtlich tiefverwurzelte Tradition der Domestizierung und des Verbrauchs sogenannter Nutztiere wie die daraus erwachsene Bastion des tierindustriellen Komplexes mit moralischen Positionen überhaupt zu erschüttern ist?

"Die Umwelt wird durch die Massentierhaltung unhaltbar belastet. Tiere werden unter entsetzlichen Qualen gehalten. Menschen werden zur Arbeit unter entsetzlichen Bedingungen gezwungen. Antibiotika werden in wahnsinnigen Mengen an die Tiere verfüttert. Viel Fleisch in der Ernährung ist ungesund und führt zu zahlreichen Krankheiten oder begünstigt deren Entstehung. Der Fleischkonsum in der westlichen Welt verursacht Hunger in den ärmeren Regionen.
Wie lange soll das noch so weitergehen?
Worauf warten wir eigentlich?
Worauf warten Sie?"
(S. 251) 

Wo immer Webster Steinhardt in die Abgründe der Massentierhaltung blickt und die leckere Currywurst in ihre unappetitlichen Einzelteile zerlegt, wo immer er die Schwellen carnivorischen Ekels und omnivorischer Ignoranz überschreitet, arbeitet er mit Kategorien des Falschen und Richtigen, der Lüge und Wahrheit. Zweifellos weiß er, daß Menschen, die ihre Selbstbestätigung daraus ziehen, besonders grausam und abgefeimt zu sein, aus solchen Impulsen gerade den Nektar saugen, der das Selbstverständnis, an erster Stelle der Nahrungskette zu stehen und damit zu den erfolgreichsten Räubern zu gehören, zu einem besonderen Lusterlebnis macht. Sicherlich sind Menschen, die mit sich im Zweifel und für moralische Werte empfänglich sind, von seinem Plädoyer für eine vegane Lebensweise zu erreichen. Doch bedarf es auch nur des Anscheins von missionarischem Eifer, um zu wissen, daß der menschliche Bioorganismus in der Totalität des Stoffwechsels vom Schmerz des Wesens, mit dem er die denkbar innigste, aber auch höchst einseitige Verbindung seines Verzehrs eingeht, niemals getrennt ist?

Bei aller imperativen Zuspitzung des Themas ist der Erzählstil Steinhardts leichtfüßig und zugewandt. Der Text ist unterhaltsam zu lesen, was allemal ein Vorteil bei einem derart von Ressentiments und Projektionen besetzten Feld wie dem der Ernährungsfragen ist. Wer nicht zu den geschätzten 800.000 Veganerinnen und Veganern in der Bundesrepublik gehört, wird auf authentische Weise mit einem Kulturkampf vertraut gemacht, bei dem es um weit mehr als Gaumengenüsse geht. So witzig und ungewöhnlich der Titel des Buches ist, so handfest und burschikos Steinhardt daherkommt - dem Autor ist durchweg anzumerken, wie wichtig ihm sein Anliegen ist. Nicht zu den Milliarden Hungernden und Mangelernährten zu zählen, die froh sein müssen, überhaupt irgend etwas zwischen die Zähne zu bekommen, ist ein großes Privileg. Doch auch der scheinbar selbstverständlichen Sattheit in den hochproduktiven Metropolengesellschaften des globalen Nordens geht ein existentieller Kampf voraus, der dazu herausfordert, Position zu beziehen. Wie dies anzustellen ist, dafür bietet dieses Buch viele Anhaltspunkte.

28. Mai 2017


Webster Steinhardt - Mit Karsten Wollny
Vegan Kacken!
Warum es kein "Lifestyle" sein darf, endlich das Richtige zu tun
Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2017
264 Seiten, 9,99 Euro
ISBN 978-3-86265-660-8


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