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REZENSION/644: Daniel Tanuro - Klimakrise und Kapitalismus (SB)


Daniel Tanuro


Klimakrise und Kapitalismus



Welchen Wert hat die Natur? Diese vermeintlich einfache Frage wirft schon bei ihrem Gegenstand das Problem auf, daß "die Natur" nur in ihrem Verhältnis zum Menschen und als Objekt seines Nutzens in Erscheinung treten kann. Nichts anderes meint die Frage nach ihrem Wert, denn selbst ihr ideeller Nutzen wird stets durch den Menschen definiert. Stellt man dem die Möglichkeit gegenüber, der Natur ihrerseits Subjektqualität zuzubilligen, dann tritt der Mensch hinter den Milliarden pflanzlichen und tierischen Organismen, die unter diesem Begriff subsumiert werden, in seiner dominanten Position zurück und erweist sich als Bestandteil derselben. Diese Erkenntnis hätte für den Umgang mit Natur, die gemeinhin als biologische Ressource und materielle Grundlage menschlichen Lebens betrachtet wird, elementare Folgen, was erklärt, warum die Frage nach dem Mensch-Natur-Verhältnis aller drohenden ökologischen Entwicklungen zum Trotz die Sache radikaler Minderheiten zu sein scheint.

Daß sie überhaupt an die Oberfläche des gesellschaftlichen Diskurses dringt, ist der destruktiven Konsequenz der Auffassung geschuldet, die Natur sei bloßes Mittel zum Zweck des Stoffwechsels menschlicher Produktivität. Mit der nicht mehr auszuschließenden Katastrophe klimabedingter Erderwärmung und den diversen Peaks in der Nutzung fossiler und mineralischer Rohstoffe lebt die Menschheit heute im Horizont einer potentiellen Finalität, die im Unterschied zu den apokalyptischen Endzeiterwartungen religiöser Art in ihren möglichen Verlaufsformen naturwissenschaftlich begründet ist. Daß diese Entwicklung nicht pauschal "dem Menschen" geschuldet ist, sondern höchst unterschiedlichen Praktiken sozialer, ökonomischer, politischer und kultureller Art, wird angesichts der Tatsache, daß die Atmosphäre des Planeten ein alle Menschen gleichermaßen betreffender Wirkfaktor ist, leicht vergessen.

Dieser Ansicht ist auch Daniel Tanuro, der in dem Buch "Klimakrise und Kapitalismus" eine differenzierte Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse und Akteure vorlegt, die für den Klimawandel wesentlich verantwortlich zu machen sind. Der Titel "L'impossible capitalisme vert", unter dem das Buch des belgischen Agraringenieurs 2009 in französischsprachiger Erstausgabe erschien, markiert die Stoßrichtung seiner Argumentation. Im Vorwort zur deutschen Ausgabe fühlt sich der Autor in seiner damaligen Diagnose vollends bestätigt: "'Grüner Kapitalismus' ist ein Widerspruch in sich" (S. 8). Die Behauptung, der real existierende Kapitalismus könne sein Energiesystem in drei oder vier Generationen umstellen, um die erforderliche Reduktion klimaschädlicher Gase zu erreichen, widerlegt Tanuro in aller Ausführlichkeit. Dies tut er zum einen hinsichtlich des Versagens internationaler Abkommen vom Kyoto-Protokoll und dem Klimagipfel von Kopenhagen bis zur Rio + 20-Konferenz und den Beschlüssen des G7-Gipfels in Elmau. Während verbindliche Maßnahmen zu einer Reduktion der Emission klimaschädlicher Gase, die zumindest dem Erreichen des bereits ungenügenden Zieles, die Erderwärmung bis 2050 auf 2 Grad zu beschränken, gerecht würden, auf sich warten lassen, zerstört zum andern die Behauptung, man könne die erforderlichen Schritte mit Hilfe kapitalistischer Marktmechanismen erreichen, schon jetzt die Lebensmöglichkeiten indigener Gemeinschaften und kleinbäuerlicher Produktionsweisen, obwohl deren Nutzen für die Verhinderung des Klimawandels längst erwiesen ist. Hier tut sich ein dem krisengeschüttelten kapitalistischen Weltsystem höchst gelegen kommendes Feld neuer Anlagemöglichkeiten auf, dessen um Nutzungsrechte und Eigentumstitel kreisender Teil zudem der Erfordernis entspricht, fiktiv gewordenes Kapital in Wert zu halten.

Tanuro geht es nicht darum, bloßes Gewinnstreben zu geißeln oder die Rücksichtslosigkeit individuellen Konsums in den Mittelpunkt der Kritik naturzerstörerischer Praktiken zu stellen. Indem er die Widersprüchlichkeit mehrwertgenerierender Produktionsverhältnisse in den Blick nimmt und mit Karl Marx attestiert, "das Kapital produziere 'um der Produktion willen' und ihm wohne die Tendenz inne, 'beständig über seine eigene Schranke hinauszutreiben'" (S. 12), legt er die innere Logik einer geldgetriebenen Produktionsweise offen, der die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse stets Mittel zum Zweck ganz anderer Interessen ist. An dem privatwirtschaftlicher Aneignung gemäßen Wertwachstum interessiert nicht, auf welche Weise es zustandekommt und zu wessen Lasten es geht, sondern daß es sich rechnet.

Den Primat der Produktivkraftentwicklung in der kapitalistischen wie realsozialistischen Staatenwelt faßt der Autor unter dem Begriff des "Produktivismus" zusammen, was einen ideologischen Gehalt nahelegt, wie er in der politischen Maxime hervortritt, unter allen Umständen Wachstum zu schaffen. "Um den Weg für eine Alternative frei zu machen, genügt es nicht, Profit, Wettbewerb und Akkumulation zu verurteilen; man muss zu den Wurzeln des Problems vordringen, also Warenproduktion und Tauschwert abschaffen." (S. 13). Wie demgegenüber der Gebrauchswert der Natur zu bestimmen sei, obläge den gesellschaftlichen Vorstellungen des Autors gemäß dem demokratischen Beschluß der "Gesellschaft der 'assoziierten Produzenten', die einzige Gesellschaftsform, die mit der Herrschaft der Warenproduktion brechen kann" (S. 18).

Tanuro, Gründungsmitglied der NGO Klima und soziale Gerechtigkeit, läßt keinen Zweifel an den sozialistischen Wurzeln seiner Argumentation gegen einen grünen Kapitalismus, der die Natur in Wert setzt nicht nur durch die bloße Ausbeutung ihrer Rohstoffe, sondern die Kapitalisierung dabei anfallender Destruktionen im Rahmen des Emissionshandels und anderer Instrumente, die einen vermeintlichen Ausgleich für vollzogene Umweltschäden in Form des Kaufes sogenannter Verschmutzungsrechte herstellen. Was in der Logik des Kapitals die monetäre Vergleichbarkeit von allem und jedem unterstellt, erweist sich als Fortschreibung einer Zerstörungsgewalt, die die Armen und Schwachen der Welt stets zuerst in Mitleidenschaft zieht.

Insofern ist die ökosozialistische Konsequenz, die der Autor zieht, fest in der sozialrevolutionären Tradition kommunistischer und sozialistischer Bewegungen verankert. Zugleich geht sie mit der Abkehr von einem Produktivismus, der die Herrschaft des Menschen über die Natur implizit oder explizit voraussetzt, über eine Traditionslinke hinaus, die die soziale Frage verabsolutiert, ohne deren sozialökologische Konstitution zu berücksichtigen. Obschon er provokant fordert, nicht "die Ökologie in den Sozialismus, sondern den Sozialismus in die Ökologie zu integrieren" (S. 179), bedient er sich trittsicher jener Elemente des Marxismus, die seit jeher davon künden, "dass es die quantitativen Schranken von Boden, der Mineralstoffe, Wasserkraft und anderer Ressourcen sind, die ihre Aneignung durch die Grundbesitzer ermöglicht hat - mit allem, was daraus folgt: die Trennung der Produzenten von der Erde, die Herausbildung einer Klasse, die gezwungen ist, ihre Arbeitskraft an die Eigentümer von Produktionsmitteln zu verkaufen; die Möglichkeit für Grundeigentümer, sich einen Teil des globalen Mehrwerts in Form der Rente anzueignen. In anderen Worten: Ohne natürliche Schranken ist Kapitalismus nicht möglich." (S. 174)

Diese Aussage läßt aufhorchen - sie legt den Schluß nahe, daß der zweifellos gegebenen Reichtumswirkung kapitalistischer Produktivitätszuwächse die Akkumulation eines Verbrauchs zugrundeliegt, der über den ohnehin gegebenen Klassencharakter kapitalistischer Vergesellschaftung hinaus in nach unten offenen Skalen sozialer Verelendung und ökologischer Zerstörung manifest wird. Was marktwirtschaftlich im preistreibenden Charakter jeglicher Verknappung essentieller Güter auf Anhieb einleuchtet, negiert die positivistische Logik der technisch-wissenschaftlichen Produktivkraftentwicklung im Kern ihrer sozialökologischen Blindheit, vom menschenfeindlichen Charakter privatwirtschaftlicher Aneignung nichts wissen zu wollen. Ohne die Kritik der politischen Ökonomie, die die Schaffung sogenannten Naturkapitals ermöglicht und die Daniel Tanuro als neue "Enclosures" zu Recht in den Kontext der ursprünglichen Akkumulation, also der historischen Trennung der Arbeitenden von ihren Arbeitsmitteln, stellt, ist die Bloßstellung des grünen Kapitalismus als Greenwashing der durch diese Gesellschaftsform bestimmten Gewaltverhältnisse nicht zu leisten.

Mit "Klimakrise und Kapitalismus" legt der Autor eine Streitschrift vor, die im Vorfeld des Klimagipfels in Paris bestens terminiert ist, gerade weil von diesem, wie auch Daniel Tanuro prognostiziert, nicht viel zu erwarten ist. Seine Ausführungen zur sozialen Dimension des Klimawandels sind insbesondere für Linke von Interesse, weil sie die überfällige Debatte um die Bedeutung der ökologischen Krise und aller darin enthaltenen Probleme stofflicher Art für die gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse befeuern könnte. Solide begründet durch die Zukunftszenarios des Weltklimarates IPCC entwirft Daniel Tanuro die Agenda einer gesellschaftlichen Entwicklung, deren konkrete Zeit- und Verbrauchsparameter eine ökosozialistische Zukunft um so erstrebenswerter machen, als die Alternative einer diese Parameter in sozialdarwinistische Herrschaftsdispositive gießenden neoliberalen Rechten die Freiheit und das Leben eines jeden einzelnen bedrohen könnte. Demgegenüber "Die einzig mögliche Freiheit", so der Titel des abschließenden 10. Kapitels, zu entwerfen und zu realisieren, ist die Aufgabe einer Linken, die zu neuer Stärke gelangen könnte, wenn sie das Interesse der Schwachen ohne Einschränkung auf das Humanum zu ihrer Sache erklärte.

31. August 2015


Daniel Tanuro
Klimakrise und Kapitalismus
Neuer ISP Verlag, Köln/Karlsruhe 2015
181 Seiten, 19.80 Euro
ISBN: 978-3-89900-146-4


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