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REZENSION/631: Gerhard Feldbauer - Die Resistenza (Geschichte) (SB)


Gerhard Feldbauer


Die Resistenza

Italien im Zweiten Weltkrieg



Ende April 1945 herrschte in Italien eine revolutionäre Situation, die bis zum Spätherbst anhielt. Der italienische Imperialismus war geschlagen, sein ökonomisches und politisches Fundament grundlegend erschüttert. Er verfügte über keine ihm hörige Regierung mehr, da sich die bourgeoisen Vertreter in der antifaschistischen Einheitsregierung in der Minderheit befanden. Kommunisten und Sozialisten arbeiteten auf der Basis eines langjährig erprobten Aktionseinheitsabkommens zusammen und konnten sich auf eine Massenbasis stützen. Über eine halbe Million Kämpferinnen und Kämpfer standen unter Waffen, wobei die Garibaldi-Brigaden der Kommunistischen Partei (IKP) in der Partisanenarmee nicht nur die Mehrheit stellten, sondern auch aufgrund ihres Einsatzes und ihrer Opfer das größte Ansehen in der Bevölkerung genossen. Auch die Sozialisten (ISP) und die Aktionspartei (PdA) teilten zu diesem Zeitpunkt das Ziel einer antifaschistischen, antiimperialistischen und revolutionär-demokratischen Umgestaltung der Gesellschaft.

Schon 1944 waren in Norditalien zwei Partisanenrepubliken und in der Folge zeitweise 15 befreite Gebiete entstanden, in denen die Linken bereits die Umgestaltung in Angriff genommen und das Vertrauen der Bevölkerungsmehrheit gewonnen hatten. Im Nationalen Befreiungskomitee (CLN) setzte sich der Grundsatz durch, daß diese Verwaltungen eine Vorform der Regierung von morgen darstellten und man nicht mehr hinter diese Errungenschaften zurückfallen dürfe. In den meisten Städten und Gemeinden des Nordens übten im Frühjahr 1945 die mehrheitlich aus Kommunisten und Sozialisten bestehenden Gremien des Nationalen Befreiungskomitees für Norditalien (CLNAI) die Macht aus. Im Süden besetzten Landarbeiter, Tagelöhner und Halbpächter das Land der Großgrundbesitzer, wobei die IKP in der Einheitsregierung ein Dekret durchgesetzt hatte, das diese Inbesitznahme legalisierte.

Wie es zu dieser in Westeuropa beispiellosen Situation gekommen war und auf welche Weise sie bald darauf Zug um Zug wieder preisgegeben wurde, analysiert Gerhard Feldbauer auf fundierte und erkenntnisfördernde Weise in seiner Abhandlung "Die Resistenza - Italien im Zweiten Weltkrieg". Erschienen ist sie in der Reihe Basiswissen aus Politik, Geschichte und Ökonomie des PapyRossa Verlags, die dank ihrer ebenso sachkundigen wie kritischen Autoren kompakte und zugleich gehaltvolle Einführungen in die jeweils behandelten Themen bereitstellt. Der freiberufliche Publizist Dr. phil. Gerhard Feldbauer, der sich in italienischer Geschichte habilitiert hat und langjähriger Pressekorrespondent in Italien und Vietnam war, zählt zu den renommiertesten Experten auf diesem Gebiet. Während seiner journalistischen Tätigkeit von 1973 bis 1979 in Italien konnte er nicht nur wichtige Ereignisse vor Ort verfolgen, sondern auch viele ihrer Akteure kennenlernen, mit denen er teilweise bis heute freundschaftlich verbunden ist.

Wie schon in seinen vorangegangenen Publikationen legt der Autor die Notwendigkeit nahe, aus der Geschichte zu lernen, die er als Klassenauseinandersetzung begreift und entschlüsselt. Die historische Rückschau ergreift stets Partei, und wo sie sich wie im Fall der vorliegenden Schrift der Geschichte der Sieger verweigert, erteilt sie der Gleichsetzung einer innovativen Vervollkommnung der Herrschaftsverhältnisse mit menschheitsgeschichtlichem Fortschritt eine Absage. Die Errungenschaften der Resistenza belegen, daß in ihren Kämpfen Veränderungen erstritten wurden, wie man sie vordem für unmöglich erachtet hatte und die in einem Konter reaktionärer Interessen in Italien selbst wie seitens der Alliierten im Keim erstickt wurden, bevor sie zum Fanal auch für andere westliche Länder heranreifen konnten.

Zugleich legt Feldbauer der Linken ans Herz, begangene Irrtümer, Fehlentscheidungen und insbesondere den Rückfall hinter früher eingenommene Positionen selbstkritisch zu analysieren. Unter Verzicht auf Pathos und Appelle arbeitet er quellensicher damalige Kontroversen, Handlungen und Folgekonsequenzen heraus, so daß fatale Weichenstellungen deutlich zu Tage treten. Was er für die Kriegsjahre in Italien unter die Lupe nimmt, erlangt so Bedeutung weit über die dargestellte historische Epoche hinaus. Höhenflug und Niederlage der Linken sind um so mehr ein Thema von bleibender Relevanz, als nicht nur übermächtig anmutende Gegner, sondern nicht zuletzt wachsende Teile ihrer selbsternannten Erben jedes Streben nach einer grundlegenden Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse für anachronistisch und obsolet erklären. [1]

Nachdem am 25. Juli 1943 Mussolini gestürzt worden war und das Königreich Italien unter der neuen Regierung Badoglio mit den angloamerikanischen Alliierten einen Waffenstillstand geschlossen hatte, okkupierte die deutsche Wehrmacht am 8. September Nord- und Mittelitalien. Italien erklärte Deutschland am 13. Oktober den Krieg und trat offiziell auf die Seite der Anti-Hitler-Koalition über. Die danach am Gardasee geschaffene sogenannte Republik Salò war ein Marionettenregime, dem Mussolini formell vorstand. Die Resistenza, der bewaffnete Widerstand gegen die deutsche Besatzungsmacht, hatte einen antifaschistischen, nationalen Charakter, nicht aber jenen eines Bürgerkriegs.

Sie ging aus dem Widerstand gegen die faschistische Diktatur hervor, die sich nach der Machtübergabe der herrschenden Kreise und des Vatikans an Mussolini im Oktober 1922 formiert hatte. Über einen Zeitraum von zwei Jahrzehnten war dieser Widerstand unter dem Druck der Verfolgung und zahlreichen Opfern zu einer einheitlichen Front zusammengewachsen. Die Teilnehmer an der Resistenza kamen aus verschiedenen Klassen und Schichten, deren Interessen sie sich meist verbunden fühlten. Im Vordergrund stand der Befreiungskrieg, der die verschiedenen Fraktionen bis hinein ins bürgerliche Lager verband. Für die Kommunisten und Sozialisten handelte es sich um einen antifaschistischen Klassenkampf, doch fehlte es ihnen an einem klaren Entwurf für die Nachkriegszeit, was sich als verhängnisvoll erweisen sollte.

Die am 21. Januar 1921 gegründete Kommunistische Partei besaß in Antonio Gramsci einen herausragenden Theoretiker. Er formulierte die Bündnispolitik gegen den Faschismus, der zufolge zur Bildung einer breiten Front Kompromisse unabdingbar seien, die jedoch die eigenen Prinzipien nicht in Frage stellen dürften. Mit der "Wende von Salerno" am 22. April 1944, dem Eintritt der Kommunisten und Sozialisten gemeinsam mit den bürgerlichen Oppositionsparteien in die Regierung Pietro Badoglios, wurde eine nationale Kriegskoalition gegen die Mussolini-Faschisten und die deutsche Wehrmacht geschaffen. Damit verwirklichte die Partei unter ihrem Vorsitzenden Palmiro Togliatti Gramscis Konzept eines "Historischen Blocks". Unter Überbetonung der nationalen Einheit, die an den Sieg der italienischen Bourgeoisie über die Fremdherrschaft der Bourbonen, Habsburger und des Papstes im 19. Jahrhundert anknüpfte, rückte die ursprüngliche Kernforderung nach Schaffung einer sozialistischen Gesellschaft jedoch zunehmend an den Rand oder tauchte bei wegweisenden Abkommen mit bürgerlichen Kräften überhaupt nicht mehr auf.

Die deutsche Okkupation glich einem erbarmungslosen Vernichtungskrieg gegen die Bevölkerung mit Niederbrennen von Dörfern, Geiselerschießungen, Mord und Folter. Militärisch waren die Partisanenverbände dennoch so erfolgreich, daß die Wehrmacht schon Anfang 1944 15 Divisionen gegen sie einsetzte. Die IKP hatte seit ihrem Verbot 1926 als einzige Oppositionspartei illegal ihre Arbeit fortgesetzt, auf den bewaffneten Kampf hingearbeitet und die Einheitsfront maßgeblich herbeigeführt. Sie wurde zur führenden Kraft in der Resistenza und verfügte in Norditalien über starken Rückhalt in der Bevölkerung und den Industriebetrieben, so daß ihre Mitgliederzahl 1945 auf mehr als 1,7 Millionen wuchs.

Als Grundsatz der Gesellschaftsordnung in den befreiten Zonen verkündete die IKP:

"Eine Zone ist wahrhaft frei, wenn sich die Bevölkerung in enger Zusammenarbeit mit den Partisanen selbst regiert, wenn jeder zum bewussten Mitarbeiter wird, jeder seinen Teil der Verantwortung trägt und mit eigener Meinungsäußerung eingreift, um die nötigen Maßnahmen selbst mit zu überwachen und durchzuführen." Die IKP sah die freien Zonen als "eine Schule menschlicher Verbrüderung, sittlicher Würde und der Demokratie". "Partisanendörfer" und freie Zonen nannte sie "Modelle für den italienischen Staat".
(S. 70)

Konservative und reaktionäre Kräfte hatten angesichts der sich abzeichnenden Niederlage der Achsenmächte bereits mit der Palastrevolte gegen Mussolini dessen möglichem Sturz durch den Widerstand vorgegriffen, um den Kommunisten und Sozialisten nicht die Initiative zu überlassen. Nach den Erfolgen der Partisanen formierten sich um so mehr die Eliten aus Wirtschaft, Kurie und Politik, um eine Nachkriegsordnung nach dem Muster ihrer angestammten Herrschaft sicherzustellen. Auch den Westalliierten war daran gelegen, die Partisanen zu zügeln und letzten Endes auszuschalten, ehe deren gesellschaftsverändernde Bestrebungen um sich greifen konnten. Um die Sowjetunion zu schwächen, verzögerten sie die Eröffnung einer zweiten Front wie auch den Vormarsch in Italien. Im Herbst 1944 riefen sie die Partisanen sogar dazu auf, im Winter nicht mehr zu kämpfen und ihre Verbände aufzulösen, was diese jedoch nicht befolgten.

Am 7. Dezember 1944 wurde das Römische Protokoll unterzeichnet, das die offiziellen Beziehungen zwischen der Resistenza und den angloamerikanischen Alliierten regeln sollte. Zwar wurden die Befreiungskomitees als Regierungsorgane anerkannt, doch galt das nur für wenige Wochen oder Monate und endete mit dem Eintreffen der US-amerikanischen Truppen. Der aus dem Exil zurückgekehrte Palmiro Togliatti folgte einer Weisung Stalins, die Frage der sozialistischen Revolution nicht aufzuwerfen. Weder wurde die Forderung nach einer Volksregierung aufgegriffen, noch eine klare Strategie für die Zeit nach dem Sieg über den Faschismus entwickelt.

Dabei zeigte der im April 1945 weithin befolgte Aufruf zum Generalstreik und der bewaffnete Aufstand in zahlreichen Städten Norditaliens, über welchen Einfluß das Befreiungskomitee inzwischen verfügte. Ebenfalls gegen den Willen der noch nicht eingetroffenen US-Amerikaner eröffneten die Partisanen eine letzte Offensive und zwangen die verbliebenen deutschen Verbände zur Kapitulation. Sie nahmen Mailand ein, etablierten Kriegsgerichte, urteilten führende Faschisten ab und führten Hinrichtungen durch, darunter auch jene des auf der Flucht gefangengenommenen Mussolini.

Was die Nachkriegsordnung betraf, setzte sich eine von Togliatti angeführte Gruppe der IKP-Führung durch, die den parlamentarischen Weg im Bündnis mit großbürgerlichen Kräften einschlug. Eine zweite Gruppe um Luigi Longo, der von den Partisanen der IKP, aber auch der ISP und PdA unterstützt wurde, sowie den für Militärfragen zuständigen Pietro Secchia forderte über antifaschistisch-demokratische Veränderungen hinaus eine sozialistische Ausrichtung, der mit Massenaktionen Nachdruck verliehen werden sollte. Longo warnte vor Spaltungsversuchen reaktionärer Kräfte innerhalb und außerhalb Italiens. Hinsichtlich einer Fortsetzung der nationalen Einheit müsse präzisiert werden, mit wem und gegen wen man kämpfe. Inmitten aufbrechender Kontroversen verneinte er zwar entschieden, daß die IKP auf den Sozialismus verzichte, mußte aber Ende 1945 einräumen, daß die revolutionäre Situation nicht mehr gegeben sei und man der inzwischen veränderten Realität der italienischen Verhältnisse Rechnung tragen müsse.

Einwände, die angloamerikanische Besatzungsmacht könnte wie die Briten in Griechenland militärisch gegen den bewaffneten Widerstand vorgehen, dürften zumindest im Frühjahr noch nicht stichhaltig gewesen sein. Die im Winter begonnene Ardennenoffensive der Wehrmacht brachte den Vormarsch der Westalliierten ins Stocken, so daß Churchill eindringlich um eine Entlastungsoffensive im Osten bat, die Stalin wenige Tage später einleitete. Zudem leistete die UdSSR mit ihrer Fernostoffensive wertvolle Hilfe zum Sieg über Japan. Daher hätten die Briten und Amerikaner in dieser Phase des Krieges kaum eine offene militärische Konfrontation mit den italienischen Partisanen gewagt. Die Entscheidungen Togliattis waren offenbar von den strategischen Interessen Stalins geprägt, der keineswegs weltweite revolutionäre Ziele verfolgte, sondern den erreichten Einflußbereich sichern und die Zusammenarbeit mit den Westalliierten fortsetzen wollte.

Die Kompromißbereitschaft der IKP-Führung bestärkte das Alliierte Militärkommando darin, immer weitreichendere Zugeständnisse bis hin zur Entwaffnung der Partisanen zu erzwingen. Um den Fortbestand der Regierung zu sichern, vermied die IKP die Konfrontation mit der Konterrevolution, mobilisierte die Massen nicht und beendete de facto die Errungenschaften der freien Zonen. Zudem fügte sie sich in eine Amnestie der "nationalen Versöhnung", die erhebliche Teile des alten Regimes ungeschoren davonkommen ließ und schon ein Jahr später zur Neugründung einer faschistischen Partei führen sollte. Schließlich stimmte die IKP auch noch einer Sanktionierung der unter Mussolini abgeschlossenen Lateranverträge zu, was die katholische Kirche enorm stärkte und in der Folge zu einem beispiellosen antikommunistischen Kreuzzug führte.

Die revolutionäre Situation endete im Herbst 1945, ohne daß die Macht des Kapitals beschnitten und der Großgrundbesitz beseitigt worden wäre. Selbst die Möglichkeit, auf demokratische Veränderungen Einfluß zu nehmen, nahm deutlich ab. Ein letzter Sieg der Resistenza war ein Referendum, mit dem am 2. Juni 1946 die Monarchie abgeschafft und die Republik als Staatsform eingeführt wurde. Obgleich die Linken in der Verfassunggebenden Versammlung in der Minderheit waren, gelang es ihnen immerhin, manche Werte der Resistenza zu verankern, so daß die am 1. Januar 1948 in Kraft getretene Verfassung zu den fortschrittlichsten Westeuropas gehörte. Wie der Autor anmerkt, weckten die erreichten Erfolge aber auch Illusionen, auf diesem Weg voranschreiten zu können.

Mit der Waffe in der Hand und der Unterstützung weiter Teile der Bevölkerung im Rücken hatte sich die von Kommunisten und Sozialisten angeführte Resistenza bis an die Schwelle einer gesellschaftlichen Umwälzung vorangekämpft. Die Führung der IKP gab diese Errungenschaften preis, indem sie auf den Parlamentarismus setzte und einer Regierungsbeteiligung den Zuschlag gab. Sie entwaffnete den Widerstand, verzichtete auf die Massenbewegung und ließ damit die Konterrevolution erstarken. Die sozialen Errungenschaften der Nachkriegsordnung erwiesen sich in den Fesseln der wiedererstarkenden Herrschaftsverhältnisse als vorübergehende Konzessionen zur Einbindung der Linken in einen Reformismus, die ihr nicht nur die Zähne zog, sondern auf lange Sicht ihren Niedergang herbeiführen sollte.


Fußnote:

[1] REZENSION/583: Gerhard Feldbauer - Wie Italien unter die Räuber fiel (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar583.html

5. August 2014


Gerhard Feldbauer
Die Resistenza
Italien im Zweiten Weltkrieg
PapyRossa Verlag, Köln 2014
128 Seiten, 9,90 Euro
ISBN 978-3-89438-559-0