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REZENSION/621: Komitee für Grundrechte und Demokratie - Blockupy 2013. Der Frankfurter Polizei-Kessel am 1. Juni 2013 (SB)


Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.


Blockupy 2013 - Der Frankfurter Polizei-Kessel am 1. Juni 2013

Bericht zur Demonstrationsbeobachtung vom 30. Mai bis 1. Juni 2013



Der Begriff "Polizeikessel", der sich in der bundesdeutschen Repressionsgeschichte für ein bestimmtes Vorgehen der Polizei bei Demonstrationen eingebürgert hat, stellt eine eher euphemistische Umschreibung dessen dar, was den Demonstrierenden tatsächlich widerfährt. Eine solche Maßnahme wird nicht erst dann als Gewalt, Erniedrigung oder Einschüchterung erlebt, wenn Menschen in der Konfrontation mit den sogenannten Sicherheitskräften, die in Ausübung des staatlichen Gewaltmonopols von ihren Sonderrechten Gebrauch machen, mit Tränengas, Schlagstöcken oder Wasserwerfern in schmerzlichen und verletzenden Kontakt kommen. Wer je von der Polizei "eingekesselt" wurde, wird dies als einen massiven Angriff empfunden haben, da dieses polizei-taktische Manöver bedeutet, über viele Stunden hinweg unter extrem einschränkenden und in die unmittelbaren Lebensumstände eingreifenden Bedingungen festgehalten zu werden - sei es, daß den Betroffenen weder Getränke noch Nahrungsmittel zur Verfügung gestellt und ihnen Toilettengänge verwehrt werden; sei es, daß Anwältinnen und Anwälte nicht zu ihnen vorgelassen werden und ihnen der Kontakt zu Angehörigen verwehrt wird.

Erstmals wurde diese Methode am 8. Juni 1986 beim "Hamburger Kessel" angewandt, als rund 800 Menschen bei einer Anti-AKW-Demonstration bis zu 13 Stunden lang auf dem Heiligengeistfeld festgehalten wurden. Häufig werden solche Maßnahmen Jahre später von den zuständigen Verwaltungsgerichten für rechtswidrig erklärt. Eine grundsätzliche Zäsur oder auch nur Infragestellung des Polizeikessels folgt solchen Entscheidungen allerdings nicht. Sie führen bestenfalls zu einer gerichtlichen Verwarnung der Polizeiverantwortlichen und zu geringfügigen finanziellen Entschädigungen für die Betroffenen. Bis heute hat sich der Kessel als feste Option im Handlungskatalog der Polizei erhalten, von ihm wird sogar eher mehr als weniger Gebrauch gemacht.

Bei einer Demonstration in Dortmund gegen Neonazi-Aufmärsche wurden am 21. Oktober 2000 hunderte Menschen stundenlang in einem Polizeikessel eingeschlossen, wozu das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen später erklärte, daß die Demonstration durch die Versammlungsfreiheit geschützt gewesen sei und daß erst nach ihrer Auflösung das Polizei- und Ordnungsrecht gegen die Teilnehmenden hätte angewandt werden dürfen. Im November 2011 besetzten rund dreitausend Atomkraftgegner im Landkreis Lüchow-Dannenberg die Gleise, um gegen die Castor-Transporte zu protestieren. Über 1.300 von ihnen wurden nach der Räumung von der Polizei eingekesselt, was das Landgericht Lüneburg im August 2013 als unrechtmäßig bezeichnete.

Am 1. Juni 2013 wurde der Polizeikessel abermals, diesmal in Frankfurt, gegen eine große Zahl demonstrierender Menschen eingesetzt. Der Frankfurter Kessel sollte unter dem Stichwort "Blockupy 2013" in die bundesdeutsche Repressionsgeschichte eingehen und bildet einen vorläufigen Höhepunkt dieser Maßnahme, da fast eintausend Menschen über neun Stunden hinweg eingekesselt und festgehalten wurden. Bei diesem Kessel waren 23 Demobeobachterinnen und -beobachter des Komitees für Grundrechte und Demokratie zugegen. Dieser 1980 gegründete Verein hat es sich, beginnend mit der ersten großen Brokdorf-Demonstration am 28. Februar 1981, zur Aufgabe gemacht, Großdemonstrationen zu begleiten und die Öffentlichkeit über das Vorgehen von Staat und Polizei gegenüber den Demonstrierenden zu informieren.

Über den Frankfurter Kessel vom 1. Juni 2013 hat das Komitee einen dezidierten Bericht herausgegeben. Auf der Basis der bei den Anti-Banken-Protesten gemachten Beobachtungen haben die Komiteemitglieder Elke Steven und Wolf-Dieter Narr die nun vorliegenden Texte erstellt, in denen die Vorgeschichte des Kessels, die konkreten Ereignisse an den betreffenden Tagen sowie die anschließenden Rechtsverfahren, aber auch die Reaktionen in Politik und Medien beschrieben werden. Ergänzt werden die Berichte durch grundsätzlichere Anmerkungen zum "staatlichen Umgang mit dem demonstrativen Protest" und dem "dauernd gefährdeten Grundrecht auf Versammlungsfreiheit". Aus ihnen geht hervor, wie das Vorgehen von Polizei und Justiz ineinandergreift.

Die Blockupy-Demo vom 1. Juni 2013 war wegen einer angeblich bestehenden unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung von der Stadt Frankfurt mit Auflagen versehen worden. Neben Verhaltensmaßregeln für die Teilnehmenden wurde dem Versammlungsleiter auferlegt, für die Einhaltung der Bestimmungen des Versammlungsgesetzes, beispielsweise des Vermummungsverbots, zu sorgen, Verstöße zu unterbinden und, sollte dies nicht gelingen, die Versammlung für aufgelöst zu erklären. Dies hätte aus ihm, wie in der Broschüre zutreffend angemerkt wird, einen Befehlsempfänger und Erfüllungsgehilfen der Polizei gemacht, ohne daß die Behörden ihrerseits die von ihnen unterstellte, von der Demonstration angeblich ausgehende Gefährdung belegt hätten.

Der Bericht enthält Anhaltspunkte, die eine Eskalationsstrategie der Polizei vermuten lassen. So habe sich eine Polizeieinheit formiert, um in die Demonstration hineinzulaufen. Die Demonstrierenden hätten sich jedoch auch nach einem Pfeffersprayeinsatz nicht wegdrücken lassen. Wenig später habe einer der Beobachter gehört, wie ein Polizeibeamter zu einem anderen sagte: "Ansage von oben: eskalieren!" (S. 48) Die Eskalationsstrategie der Polizei, die den einen Teil der Demonstrierenden einkesselte, während ein anderer weiterdemonstrieren durfte, wurde von den Teilnehmenden jedoch schon während der Blockupy-Demo als Versuch der Spaltung aufgefaßt und "empört abgelehnt". (S. 45)

Ausführlich geht der Herausgeberkreis auf die Brokdorf-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Mai 1985 (1 BvR 233, 341/81) zur Verfassungsmäßigkeit von Demonstrationsverboten ein. Deren Grundsätze werden bis heute von vielen Experten und Interessierten als relevant angesehen, da das höchste deutsche Gericht in ihnen, kurz gesagt, dem Schutz (friedlicher) Versammlungen und Demonstrationen vor staatlichen Übergriffen den Vorrang eingeräumt und beispielsweise klargestellt hat, daß eine Gefahrenprognose "auf erkennbaren Umständen" beruhen müsse. Die aktuelle Praxis polizeilicher Prävention in Frankfurt und anderen Städten - in Hamburg wurde die vermeintliche Gefahrenabwehr inzwischen schon so weit getrieben, daß mehrere Stadtteile wochenlang zur Gefahrenzone erklärt wurden - hat sich weit von den Positionen entfernt, die in der Brokdorf-Entscheidung zumindest noch formuliert worden waren.

Dem Kreis der Demonstrationsbeobachtenden ist es zu verdanken, ein Quellenmaterial zusammengestellt zu haben, das Anregungen und Argumentationshilfen für eine kontroverse öffentliche Diskussion all dieser wichtigen Fragen liefert. Nach Angaben des herausgebenden Komitees soll das Buch dazu ermuntern, "den Kampf ums Demonstrationsrecht trotzdem und erst recht auf der Straße und vor Gerichten weiterzuführen". Für demonstrationserfahrene Aktivistinnen und Aktivisten sind die recht umfangreichen (verfassungs-)rechtlichen Argumentationen rund um das Versammlungsrecht nicht unbedingt etwas Neues, was den politischen Nutzen der Broschüre keineswegs schmälert, trägt doch die Frage nach Recht bzw. Grundrecht bei der Konfrontation zwischen Staatsgewalt und demonstrierenden Bürgerinnen und Bürgern das Potential grundsätzlicherer Überlegungen zur Entstehung des Rechts, seiner Funktion und seiner implizierten Grenzen in sich.

14. März 2014


Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.
Blockupy 2013
Der Frankfurter Polizei-Kessel am 1. Juni 2013
Bericht zur Demonstrationsbeobachtung vom 30. Mai bis 1. Juni 2013
Broschüre, herausgegeben vom Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.
1. Auflage Februar 2014, 123 Seiten
ISBN 978-3-88906-142-3