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REZENSION/613: Anja Förster, Peter Kreuz - Hört auf zu arbeiten! (Ratgeber) (SB)


Anja Förster, Peter Kreuz


Hört auf zu arbeiten!

Eine Anstiftung, das zu tun, was wirklich zählt



Ist das, was die ursprünglichen Bewohner beispielsweise des tropischen Regenwalds betreiben, wenn sie jagen, fischen, Feuer machen, eine Hütte bauen oder Früchte sammeln, Arbeit? Arbeiten sie oder betreiben sie nicht vielmehr etwas anderes, nämlich jagen, fischen, Feuer machen, eine Hütte bauen und Früchte sammeln? Man kann mit einiger Berechtigung annehmen, daß diese Menschen, sofern sie noch nicht näher mit den zivilisatorischen "Errungenschaften" in Berührung gekommen sind, keinen Begriff von Arbeit haben und ihnen zunächst erklärt werden müßte, was mit diesem Abstraktum gemeint ist.

Wenn dagegen ein Mensch in der modernen Gesellschaft jagt, fischt, Feuer macht, eine Hütte baut oder Früchte sammelt, dann arbeitet er in der Regel. Denn er verkauft seine Arbeitskraft, um Geld zu verdienen, das er zwingend zum Lebensunterhalt braucht.

Die ehemalige Managerin Anja Förster und der frühere Hochschuldozent Peter Kreuz, die laut ihrer Website (www.foerster-kreuz.com) als "Business-Querdenker" und "Keynote-Speaker" Vorträge halten und Bücher schreiben, plädieren mit dem vorliegenden Buch "Hört auf zu arbeiten! Eine Anstiftung, das zu tun, was wirklich zählt" offensichtlich nicht für eine Rückkehr zu Verhältnissen, als noch kein Mensch arbeiten und Geld verdienen mußte. Sie idealisieren weder die Obdachlosigkeit noch das Aussteigertum; sie wollen auch nicht die Arbeit an sich abschaffen, sondern umgekehrt diese optimieren:

"Wir sind davon überzeugt, dass wir lernen können, anders zu arbeiten, auf andere Weise einen viel größeren Beitrag zum Großen und Ganzen zu leisten - und dabei durchaus mehr zu geben und anzubieten als heute. Viel mehr!" (S. 145)

Daß mit diesem Buch kein sozialrevolutionäres Anliegen verfolgt wird, läßt sich schon nach wenigen Seiten ablesen. Da schreiben die beiden über eine ihrer Bekannten, eine Marketingleiterin, die schon den dritten Arbeitgeber in sechs Jahren hat, mindestens fünfzig Stunden die Woche arbeitet, samstags einen Weiterbildungskurs besucht und stets ihr Bestes gibt: "Nein, sie wird nicht ausgebeutet. Das ist auch überhaupt nicht unser Thema." (S. 27)

Es geht nicht um die Abschaffung der Ausbeutung oder den Sturm auf die Paläste und den Griff der Unterdrückten nach der Macht. Im Gegenteil. Das Buch erweckt eher den Eindruck, als solle die Arbeit so gestaltet werden, daß sie von den Menschen nicht als Arbeit, sondern als Bereicherung, Sinnerfüllung oder gar höchstes Ziel ihres freiheitlichen Strebens wahrgenommen wird.

Wenn "der Deal Arbeitskraft gegen Geld" laute, schreiben Förster und Kreuz, dann sei es "widersinnig, seine mangelnde Freiheit zu beklagen". "Wirklich frei sind wir eben nur dann, wenn wir uns zu einer Arbeit aus eigenem Antrieb und aus freien Stücken verpflichten - um der Arbeit willen. NICHT um eine Gegenleistung dafür zu bekommen. (...) Sobald ich mich auf ein Geschäft auf Gegenseitigkeit einlasse, habe ich meine Freiheit verneint." (S. 122/123)

Solche Formulierungen dürften beim mittleren und gehobenen Management, das vor der Frage steht, wie es aus seinen Mitarbeitern die optimale Leistung herausholen kann, auf offene Ohren stoßen. Denn sobald dieses Anliegen von den Lieferanten der Leistung als unerträglicher Zwang empfunden wird, könnte das deren Widerständigkeit anregen, was bedeutete, daß nicht alle kreativen Potentiale ausgeschöpft werden. Und um Ausschöpfung von Potentialen geht es schließlich bei der Unternehmensführung, querdenkerisch gesprochen.

In der von dem Autorengespann präsentierten "Hört auf zu arbeiten"-Matrix (S. 152), die aus einem in vier gleichgroße Flächen geteilten Quadrat besteht, werden "miese Arbeit", "gute Arbeit" und "Sein-Ding-Machen" als negative Quadranten dargestellt. Miese Arbeit ist, wie der Name schon sagt, mies und folglich nicht erstrebenswert. Sie sollte nach Möglichkeit reduziert werden. Gute Arbeit ist gut, aber eben auch nicht mehr als das. Das eigene Ding zu machen wird ebenfalls verworfen, weil das nicht für andere bedeutsam sei. "Bedeutsames machen", der vierte Quadrant, ist demnach der Bereich, in dem Arbeit nicht mehr nur als bloßer Job erscheint, der abgeleistet wird.

Solche Konzepte spiegeln eine Unternehmenskultur wider, wie sie unter anderem beim Managementberatungs-Dienstleister Accenture, für den Anja Förster mehrere Jahre gearbeitet hat, praktiziert wird. Die Führungen dieses und anderer Unternehmen gehen nicht davon aus, daß sich die Arbeitsleistung mit der Stechuhr erfassen und kontrollieren läßt, sondern daß die Mitarbeiter selbst wissen, was sie arbeiten müssen, und daß sie arbeiten. Der Maßstab ist nicht mehr allein die Zeit, die im Unternehmen verbracht, sondern vor allem die Leistung, die erbracht wird.

Da könnte der irrtümliche Eindruck entstehen, daß Leistung den Menschen nicht mehr abgerungen werden muß, sondern daß sie freiwillig mitmachen, weil es ihnen schlicht eine Freude ist und sie voller Begeisterung dabei sind. Bei dieser Vorstellung wird jedoch übersehen, daß in der modernen Unternehmenskultur die Stechuhr nicht ersatzlos gestrichen wurde. Sie existiert weiter, und das in einer so subtilen Qualität von Verfügbarkeit, daß es der Stechkästchen, jener tumben Wächter an den Ein- und Ausgängen der Fabriken und Bürotürme, nicht mehr bedarf. Um nur ein Beispiel zu nennen: Was ist der zeitlich befristete Druck, den eine Stechuhr ausüben kann, gegenüber dem Druck einer 24/7-Erreichbarkeit durch das Mobiltelefon, dem sich heute immer weniger auf Flexibilität getrimmte Arbeitnehmer entziehen können?

Das Autorengespann, das im Jahr 2007 mit dem Buch "Alles, außer gewöhnlich" die wohlwollende Aufmerksamkeit von Wirtschaftskreisen erlangt hat, ist Bestandteil einer Bewegung, die sich als die Spitze von Marketing und Innovation betrachtet. Bei Förster und Kreuz schauen die Menschen nicht mehr auf den Lohn, die Beschäftigung selbst wird zur Belohnung: "Dann dienen wir nicht mehr anderen Herren, sondern unserem Selbst." (S. 186)

Gedient wird also weiterhin. Doch wo Diener sind, muß es auch Herren geben. Wer also herrscht in dem hier propagierten Weltbild? Und wer oder was ist dieses "Selbst", dem hier das besitzanzeigende Fürwort "unser" vorangestellt wird, als handelte es sich um eine der eigenen Verfügbarkeit unterworfene Sache? Eine andere Zitatstelle liefert hierzu eine Spur. Dort wird das Selbst als Bestandteil von Selbstbestimmung näher beschrieben: Selbstbestimmung, so lesen wir, ist die "freiwillige Zustimmung zu bestimmten Abhängigkeiten" (S. 154), und sie bewirkt, "dass aus Zwang Freiheit wird, aus Notwendigkeit Möglichkeit und aus Passivität Aktivität." (S. 153) Es läßt sich gut vorstellen, daß Förster und Kreuz bei ihren Vorträgen mit solchen Selbstausbeutungsoptimierungskonzepten ein zustimmendes Lächeln auf die Lippen ihres wohl eher gehobenen Publikums zaubern können.

Allem Anschein nach soll nicht die zu leistende Arbeit überwunden werden, sondern der Begriff der Arbeit, was darauf hinausläuft, daß für die Leistungsanforderung und natürlich die Möglichkeit zu ihrer Verweigerung irgendwann die Worte fehlen. Das Konzept zwingt die beiden Autoren aber zu einem Spagat, bei dem sie über eine Vielzahl von immanenten Widersprüchen hinweggehen müssen. Einen Widerspruch haben wir oben schon angedeutet: Ob etwas bloß "sein Ding machen" oder etwas "Bedeutsames" ist, hängt wesentlich von der Betrachtung im nachhinein ab: "Das sicherste Zeichen, dass es nicht funktioniert, ist schlicht der ausbleibende geschäftliche Erfolg" (S. 130).

Das bedeutet aber, daß sich erst im nachhinein, wenn ein Entrepreneur mit seiner Idee entweder Erfolg hatte oder gescheitert ist, feststellen läßt, welcher Kategorie er zugehört. Selbst wenn jemand nur "sein Ding macht", aber damit Erfolg hat, leistet er etwas "Bedeutsames" und müßte konsequenterweise dem vierten und letzten Quadranten der "Hört auf zu arbeiten"-Matrix zugeordnet werden.

Um zu begründen, warum etwas nicht funktioniert hat, wird dann eine ganze Palette an teils psychologistischen Erklärungen aufgeboten, deren gemeinsamer Nenner darin besteht, daß die Schuld für den Mißerfolg auf den Gescheiterten zurückgeworfen, diese mithin individualisiert wird.

Bei vielen Mein-Ding-Machern stehe "die Flucht aus dem ungeliebten Alltag des Angestelltenlebens" (S. 132) im Vordergrund, sie seien "oft sprunghaft". Sie verzettelten sich leicht, tanzten auf zu vielen Hochzeiten. Mein-Ding-Macher seien oftmals "kritikunfähig" und "uneinsichtig" (S. 132). "Wenn ein anderer etwas besser könnte als sie selbst, dann würde das ja möglicherweise einen Beweis liefern, dass ihr Ding gar nicht exklusiv IHR Ding wäre. Und das wäre für sie schlimm." (S. 132/133) Es gebe zwar eine Idee, aber noch überhaupt keinen Plan, wie aus dieser Idee ein marktfähiges Produkt entstehen könne, wird den Mein-Ding-Machern attestiert.

Und was ist demgegenüber mit denen, von denen "bedeutsame Tätigkeiten" ausgeübt werden? Kein erkennbarer Unterschied zu den Mein-Ding-Machern: "Bedeutsame Tätigkeiten geben uns das Gefühl, etwas zu tun, was uns wichtig ist, und Zielen verpflichtet zu sein, die uns persönlich am Herzen liegen." (S. 154) Hatten wir nicht etwas sehr Ähnliches wenige Seiten zuvor über die Mein-Ding-Macher gelesen?

Geradezu banal mutet die Erklärung an, daß Tätigkeiten erst dann von Bedeutung sind, "wenn es eine Form von Resonanz gibt, eben auch (aber nicht nur) in Form von Geld". Und weiter: "Nur Tätigkeiten, die auch anderen etwas bedeuten, erfahren Resonanz, alles andere verpufft." (S. 154)

Auf eine einfache Formel gebracht, wird die Zirkelschlüssigkeit dieser Aussagen deutlich:

Tätigkeiten + Resonanz = Bedeutung

Tätigkeiten + Bedeutung = Resonanz

Fassen wir die Matrix zusammen: Wer wirtschaftlich gescheitert ist, war ein Mein-Ding-Macher, wer Erfolg hatte, hat etwas Bedeutsames geleistet.

Bei einem so simplen Menschenbild wundert es nicht, daß häufiger Mystizismen zur Würzung der faden Kost herangezogen werden. So zitieren Förster und Kreuz "unseren Autorenkollegen Gunter Dueck", demzufolge den erfolgreichen Entrepreneur vom erfolglosen "die Aura des professionellen Gelingens" (S. 130) unterscheidet. An anderen Stellen ist schon mal die Rede davon, daß aus etwas mehr "Energie" zurückkommt, als man hineingesteckt hat (S. 154/155), und von der "Wellenlänge", die paßt, so daß sich "das ganze System" hochschaukelt, oder auch daß "die Schwingungen explodieren". Immer wieder lesen wir vom "Funkeln in den Augen", auf das es ankomme, oder auch, daß bedeutsame Tätigkeiten etwas "tief in unserem Innern aulösen, was nach außen strahlt" (S. 155).

Ein Nutzen solcher Anleihen aus Esoterik und Physik besteht sicherlich darin, daß sie in die Welt trockener, betriebswirtschaftlicher Kalkulationen konkurrenzgetriebener Konzerne das Versprechen implementieren helfen, es gebe noch etwas anderes, Jenseitiges, das mit der "Hört auf zu arbeiten"-Matrix nicht nur beschrieben, sondern sogar verfügbar gemacht werden könne. Und doch muß man sich fragen, ob Begriffe wie Aura, Energie, Schwingungen und das Funkeln in den Augen nicht wie leere Gefäße sind, in die jeder seine eigenen Vorstellungen und Erwartungen füllen kann. Somit wären sie Ausdruck der Beliebigkeit.

Auf die folgenden beiden Zitate können Unternehmensführer und Personalchefs schon das eine oder ander Gläschen kühlen Sekts anstoßen:

"Der Leistungsanspruch an die Mitarbeiter erfordert echte Freiheit und echtes Vertrauen, denn nur wer Freiräume hat, kann kreativ, innovativ, risikobereit, experimentierfreudig und enthusiastisch sein." (S. 75)

"Von uns allen wird heute etwas ganz anderes verlangt als Gehorsam. Wir haben nur dann eine Zukunft, wenn wir beginnen, sie zu bauen - und zwar innerhalb unseres Einflussbereichs." (S. 145)

Freiräume und Einflußbereiche bilden Bezugsgrößen, die von Förster und Kreuz nicht weiter in Frage gestellt werden und schon immer das Rückgrat der arbeitsteiligen Gesellschaft bildeten, in der jeder seinen Platz einnimmt und nach besten Kräften ausfüllt. Freiräume und Einflußbereiche sind Ausdruck der Einschränkung, denn sie werden immer von jemandem vorgegeben. In diesem Beispiel sind sie Bestandteil einer geschickten Unternehmensführung, die darauf abzielt, daß sich das Subjekt selbst optimiert oder, noch umfassender, selbst regiert. Durch die Verinnerlichung des Arbeitszwangs werden die vorherrschenden gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen dies geschieht, zunehmend unkenntlich gemacht und fortgeschrieben.

Das propagierte neue Unternehmertum ist das alte, nur angepaßt an die heutige Zeit und mit einem neuen Repertoire an Mitteln der Arbeitsorganisation ausgestattet. Der in diesem Ratgeberbuch hindurchschimmernde Gesellschaftsentwurf ähnelt frappant dem, wie sich aus menschlicher Sicht Ameisen gemeinschaftlich zu organisieren scheinen. Man könnte sagen, daß die Arbeit im Ameisenstaat überwunden ist, indem sie verinnerlicht und so zum Bestandteil des evolutionären Entwurfs wurde, der dann unverändert über Generationen hinweg weitergegeben wird. Jede Ameise vollbringt ununterbrochen, bis zur Selbstaufopferung, immer nur bedeutsame Dinge, ob sie Baumaterial schleppt, Nahrungsquellen aufspürt oder die Reproduktion der Gesellschaft sicherstellt, und sie erfährt dafür ständig Resonanz von ihren Artgenossen. Aber: "Alles, was keinerlei Resonanz erhält, lebt nicht, ist nicht von Dauer, hat keine Zukunft" (S. 154), schreiben Förster und Kreuz, und beinahe könnte man meinen, sie berichteten von menschlichen Ameisen, die nicht zu denen gehören, die Bedeutsames leisten, und deren Chemie deshalb nicht stimmt.

25. Juni 2013


Anja Förster, Peter Kreuz
Hört auf zu arbeiten!
Eine Anstiftung, das zu tun, was wirklich zählt
Pantheon, 3. Auflage, März 2013, München
240 Seiten, 14,99 Euro
ISBN 978-3-570-55189-9