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REZENSION/609: Jörg Diehl, Thomas Heise, Claas Meyer-Heuer - Rockerkrieg (SB)


Jörg Diehl, Thomas Heise, Claas Meyer-Heuer


Rockerkrieg

Warum Hells Angels und Bandidos immer gefährlicher werden



Wenn vom "Rockerkrieg" in deutschen Landen die Rede ist, hängt der unreflektierte Gewaltbegriff wie ein Damoklesschwert über dem Nacken des Lesers. Mit einer akuten Bedrohung assoziiert, die mit Zwangsmitteln abgewendet werden müsse, blendet er den Charakter der demgegenüber als friedlich und geschützt apostrophierten alltäglichen Lebensverhältnisse aus. In Schule, Ausbildung, Beruf und Familie allen erdenklichen Zwängen ausgesetzt, die das Ensemble der herrschenden Verhältnisse konstituieren, befleißigt sich der Mensch als Bürger, die eigene Ohnmacht zur bestmöglichen Existenzweise zu verklären. Gewalt tritt dieser Sichtweise zufolge entweder als legitimes Monopol des Staates oder als Delinquenz einer Einzelperson oder Gruppe auf den Plan, nicht jedoch in Gestalt jener gesellschaftlichen Widerspruchslage, die den individuellen und kollektiven Ressourcen und Entfaltungsmöglichkeiten mehrheitlich enge Grenzen setzt.

Wollte man das mit Gewalt gleichgesetzte Phänomen der Rocker angemessen bewerten, bedürfte es folglich seiner analytischen Einbettung in die wachsenden Nöte bundesrepublikanischer Verhältnisse. Rechtfertigt man diese wie die drei Autoren des vorliegenden Buches unbesehen als wünschens- und verteidigenswert, indem man Hells Angels, Bandidos und andere Gruppierungen demgegenüber als Fälle sozialer Entartung ausgrenzt und kesseltreibt, leistet man dem erhobenen Anspruch, Aufklärung zu leisten, einen Bärendienst. Scheuklappenfixiert auf die Spuren und Taten dieser Organisationen, als zeichne sie allein eine ganz besondere Bösartigkeit aus, wie man sie schwerlich anderswo in der Normalgesellschaft antrifft, verschwimmt letztere zusehends zu einem Hort der Geborgenheit, erschallt der Ruf nach der Staatsmacht immer lauter.

Was kritisch zu würdigen man beansprucht, verwandelt sich so in Händen einer journalistischen Bürgerwehr von einem Gegenstand fundierter Recherche und sozialwissenschaftlicher Untersuchung in eine Projektionsfläche der Bezichtigung, der man all jene Gewaltverhältnisse in überzeichnendem Kalkül zulastet, von denen man sich und die gesellschaftliche Norm und Praxis unter der Hand freispricht. Eine Minderheit restlos zu diskreditieren, die sich in ihren Ursprüngen in gewisser Weise als lebenspraktischer Gegenentwurf zur Mehrheitsgesellschaft verstanden hat, entsorgt im exorzistischen Drang, das Übel auf simplifizierende und brachiale Weise zu personifizieren, insbesondere jegliche Auseinandersetzung mit den konstitutiven Bedingungen der eigenen Bürgerlichkeit.

So bricht sich unverhohlen ein sozialrassistischer Impetus Bahn, wenn die Rekrutierungsbasis der Rockergruppen als eine Gemengelage aus sozialen Versagern und gescheiterten Existenzen ausgewiesen wird, die nirgendwo anders zum Zuge kämen als in der Kutte. Nachvollziehbare Bürgerangst vor der Handgreiflichkeit solcher Clubs schlägt übergangslos in entufernde Häme um, wenn die Autoren die gefürchtete physische Stärke und Durchsetzungsfähigkeit der Rocker als tumbe Primitivität mangels rudimentärster sozialer Kompetenzen verhöhnen. Um diesem Entwurf des Zusammenlebens selbst den kleinsten Keim bedenkenswerter Gegenwehr angesichts einer ansonsten fragmentierten, entmächtigten und perspektivlosen Existenzweise abzusprechen, reduziert man ihn auf ein Gefüge von Machtausübung und erzwungener Unterwerfung, als verbiete sich jeder andere Erklärungsansatz von selbst.

Der zentrale Vorwurf gegen die Rockergruppen, sie entzögen sich im Betreiben ihrer Geschäfte behördlicher Kontrolle und verweigerten sich der Zusammenarbeit mit Polizei und Justiz, trifft im Kern für eine ganze Reihe gesellschaftlicher Akteure zu. Im Unterschied zu all jenen Fraktionen und Organisationen, die ihren Vorteil im Kontext anerkannter ökonomischer Verwertung und politischer Einflußnahme erwirtschaften, betätigen sich die verfemten Banden zwar auf vergleichbare Weise, jedoch in zunehmend kriminalisierten Sektoren. Abschottung nach außen, Kodizes des Zusammenhalts und Verfolgung ihrer Ziele auf wirksame Weise unterscheiden die Rocker nicht von anderen durchsetzungsfähigen gesellschaftlichen Zirkeln, wohl aber ihr marginaler Rang und ihre der Beförderung gesamtgesellschaftlicher Ziele abholde Interessenlage.

Was vor Jahrzehnten in den USA bei aller vorgehaltenen Antigesellschaftlichkeit der Motorradgangs doch erhebliche Schnittmengen mit einer damals noch weit verbreiteten Liberalität in der Wahl persönlicher Lebensentwürfe und Erwerbsweisen aufwies, ruft in der bundesrepublikanischen Gegenwart forcierten Verfolgungsdruck auf den Plan. Unkontrollierbare Kollektive, die nicht dem legalisierten Spektrum gesellschaftskonformer Konkurrenzweisen angehören, werden kriminalisiert, auch wenn sie kaum politische Ambitionen erkennen lassen und sich in dem überwiegenden Teil ihrer Denkweisen und Bestrebungen keineswegs vom Mainstream unterscheiden. Ihre Existenz sperrt sich jedoch der vorangetriebenen Spaltung, Individualisierung und Überwachung all jener Bevölkerungsteile und Sektoren, die zu beherrschen für die Staatsräson unabdingbar ist, drohen doch Krise und Verelendung auch hierzulande Versorgungsaufstände auszulösen.

Wie immer, wenn eine inkriminierte Randgruppe zur Bedrohung der gesamten Gesellschaft hochstilisiert wird, stellt man die realen Machtverhältnisse auf den Kopf. Auch die Spiegel-Autoren bedienen sich dieser Verkehrung, um die Rockerbanden zu einer ernstzunehmenden Gefahr für den Rechtsstaat aufzuwerten. Dieser kaum als Kunstgriff zu bezeichnende opportunistische Appell an die Strafverfolgungsbehörden nimmt in pseudokritischem Gestus des Bürgerschutzes gefahrlos rivalisierende Gruppierungen aufs Korn, die ihre Revierkämpfe in erster Linie untereinander austragen. Affirmativer könnte die Gutheißung des Überwachungsstaats kaum sein, wenn das Verwanzen der Klubheime, das Abhören von Handys, die Rollkommandos polizeilicher Sondereinsatzkräfte, Festnahmen nach bloßem Augenschein und ausgesprochene Vereinsverbote wie ein Sieg der Heimmannschaft abgefeiert und juristische Hürden bei der strafrechtlichen Verwertung des auf diese Weise gewonnenen Materials beklagt werden. Allenthalben konstatieren die Autoren eine Zugriffsschwäche der Polizeien und Gerichte, weisen sie die Beweispflicht als ein gravierendes Manko in der Strafverfolgung der Rocker aus, fordern sie Geheimhaltung innerhalb der Sicherheitskräfte, um den Erfolg der Razzien nicht zu gefährden.

Dabei haben die drei Autoren die Latte ihres Anspruchs, an dem sie sich messen lassen müssen, hoch gehängt. So heißt es im Vorwort, daß in den vergangenen Jahren zahlreiche Bücher über die Motorradgangs erschienen seien, bei denen es sich durchweg um subjektive Berichte von Insidern, Undercover-Polizisten oder ehemaligen Bandenmitgliedern handle. "Die Autoren beschreiben, was sie (angeblich) in ihrer kleinen Rockerwelt erlebt haben, einen größeren Kontext vermögen sie nicht herzustellen." Demgegenüber sei das vorliegende Buch etwas anderes, das es in Deutschland noch nicht gegeben habe. Aus Tausenden Seiten exklusiv vorliegender und vertraulicher Akten, aus Dutzenden Gesprächen mit Polizisten, Milieugrößen und Rockern sei die erste objektive Darstellung eines Phänomens entstanden, das die Sicherheitsbehörden in den nächsten Jahren massiv beschäftigen werde. (S. 14)

Dieses ambitionierte Vorhaben mutet beeindruckend an, erweist sich jedoch in seiner Faktizität für den Leser als gänzlich unüberprüfbar. Erstaunlicherweise findet er keine einzige Fußnote, und wer im Anhang ein Quellenverzeichnis sucht, geht gleichermaßen leer aus. Dort stößt man lediglich auf ein Personenregister, das freilich zum überwiegenden Teil nur die Vornamen samt abgekürzten Nachnamen enthält. Wohl sind in den laufenden Text immer wieder Zitate und Verweise auf Aktenvermerke eingearbeitet, doch hat man auch dabei die Quellen kaum jemals eindeutig ausgewiesen. Das mag dem raschen Konsum des behandelten Stoffs entgegenkommen, verlangt jedoch dem Leser ein Übermaß an gutem Glauben in die Vertrauenswürdigkeit der Darstellung ab, die sich angesichts der gravierenden Vorwurfslage und strafrechtlich relevanten Aussagen von selbst verbietet.

Man kann sich des Eindrucks kaum erwehren, daß die Autoren ihr Material ganz nach eigenem Gusto gesammelt, verwertet und interpretiert haben, wobei sie sich in ihrer Publikation jeglichen Maßgaben seriöser journalistischer Recherche wie auch wissenschaftlichen Minimalstandards wohlweislich entziehen. Was harte Fakten und gesicherte Quellenlagen oder im Gegenteil bloße Mutmaßungen, Räuberpistolen und assoziative Verknüpfungen sind, verschwimmt im Nebel selbstreferentiellen Expertenanspruchs, der sich nüchternen Prüfkriterien verweigert.

Nun könnte man einwenden, daß dieses Buch von vornherein nicht fachwissenschaftlich konzipiert, sondern auf einen Durchschnittsleser zugeschnitten ist, der in flüssiger, ansprechender und nachvollziehbarer Argumentationsweise informiert werden soll. Selbst das ist leider nicht der Fall. "Rockerkrieg" zählt bedauerlicherweise zu jenen Publikationen, bei denen schon die ersten Sätze Schlimmes ahnen lassen, das sich auf den folgenden gut 300 Seiten als programmatisch bestätigen wird. Vergleichbar einem Aufeinandertreffen der Boxlegenden Muhammad Ali und Mike Tyson sei die Spezialeinheit GSG 9, "die Elite der Elite, die Enkel der Helden von Mogadischu, das ultimative Mittel des Rechtsstaats" auf Frank Hanebuth getroffen, "mächtigster Hells Angel in Europa, Ex-Schwergewichtsboxer, 1,96 Meter groß, locker 140 Kilo schwer", steht da zu lesen. Da unerfindlich bleibt, was der frühmorgendliche Angriff eines schwerbewaffneten Spezialkommandos auf einen einzelnen Rockerboß mit Ali und Tyson zu tun haben soll, drängt sich der Verdacht auf, daß grelle Schlaglichter, zusammenhangslose Versatzstücke und reißerische Sprache das Mittel der Wahl sind, um auf Stammtischniveau Zuspruch zu generieren.

Dabei ist nicht auszuschließen, daß diese boulevardjournalistische Ausbeutung und Übertrumpfung des Trends ihre Leserschaft findet, stellt sie doch für die groben Klötze, als die die Rocker in ausdrucksarmen Wiederholungsschleifen beschrieben werden, nicht minder grobe Keile bereit: Kraftausdrücke, Kurzsprache und Krawallszenen schienen den Autoren offenbar am besten geeignet zu sein, ihre Botschaft ans breitere Publikum zu bringen. Hier einige wenige peinliche Kostproben aus einem Menü, das dem Rezensenten verständlicherweise schwer im Magen liegt:

Wenn Sie vorhaben, in eine der Banden einzutreten, sollten Sie angstfrei sein, mit ihren Oberarmen Nüsse knacken können und ein Motorrad besitzen. (...) Ratterknatter geht es dann mit dem Zweizylinder zum Vereinsheim. Das zu finden ist nicht so einfach. Im Telefonbuch und den Gelben Seiten gibt's keinen Hinweis. Ein Blick ins Internet hilft ab und an weiter. Sonst fragen Sie einfach in der nächsten Polizeistation. (...) Wenn Sie das Clubheim betreten, dann schauen Sie gleich am Eingang mal rechts neben die Tür. Stehen die Baseballschläger griffbereit? Dann ist ja alles gut. Was Sie nicht sehen können: Hinter dem Tresen liegt ein Revolver. Macheten werden auch gern genommen, denn die machen böse Wunden. Im Vereinsheim geht es jedoch meist weit weniger aufregend zu, als Sie denken. Es riecht intensiv nach Männern. Marke Umkleidekabine."
(S. 26-28)
Stabile Familien im bürgerlichen Sinne haben die meisten Rocker nicht. Den jüngeren scheint auch wenig daran zu liegen. (...) Die allermeisten Rocker sind Kraftsportler, Liebe und Fürsorge gelten in erster Linie den eigenen Muskeln. (...) Dieses einschüchternde Schönheitsideal ist nicht zu erreichen ohne pharmazeutische Hilfsmittel. (...) Die Kraft der Lenden geht dahin, und niemals kehrt sie wieder. Langjähriger (sic!) Steroidmissbrauch, noch dazu mit obskuren Präparaten aus fernöstlichen Labors, hält der stärkste Mann nicht aus. Die Zukunft der Rocker und ihrer Ideale erscheint also zunehmend düster: Ihr bisheriges, in allen Lebenslagen erprobtes Handlungsmuster

"Draufhaun und besoffen sein
Des echten Rockers Sonnenschein"

wird nicht zu halten sein.
(S. 36)

Vortäuschung von Kenntnissen des Milieus oder Mißbrauch zu Lasten realer Informanten, kübelweise Verhöhnung plattester pseudoironischer Couleur und notorische Herablassung aus sicherer Schreibtischperspektive - von investigativem Journalismus kann keine Rede sein. Das gilt um so mehr, als verschiedentlich Szenarien auf eine Weise beschrieben werden, die den Eindruck der Authentizität erwecken soll. Ob er auf Grundlage einer fundierten Recherche gewissermaßen Zeuge tatsächlicher Begebenheiten oder im Gegenteil Opfer fiktiver Ergüsse wird, vermag der Leser in vielen Fällen nicht zu unterscheiden. Erschwerend kommt ein nicht eben stringenter, bisweilen regelrecht verworrener Aufbau des Buches hinzu, der den Eindruck erweckt, die Autoren seien sich lediglich ihrer Botschaft, nicht jedoch einer substantiellen Begründung derselben sicher. Wenn dann noch gewisse spektakuläre Höhepunkte des Rockerkriegs in ermüdender Redundanz ein ums andere Mal wiedergekäut werden, beschleicht einen zwangsläufig der Verdacht, hier werde fehlende Substanz durch vorgetäuschte Masse notdürftig kaschiert.

Die berufsständische Interessenlage der Spiegel-Autoren liegt auf der Hand. Sie springen auf einen fahrenden Zug auf, um sich der journalistischen Deutungshoheit über ein Thema zu bemächtigen, das sich gegenwärtig und wohl auch in naher Zukunft einer gewissen Resonanz beim Medienpublikum erfreut. Fortan soll ihre vorgebliche Expertise wie ein Türsteher vor dem Clubhaus der Rocker, an dem niemand ohne Reverenz und Obolus vorbeikommt, den Fortgang der Geschäfte befördern. Daß die drei Autoren dies mittels eines handwerklich dürftigen Buches zu bewerkstelligen hoffen, ist dabei noch nicht einmal der gravierendste Einwand. Viel schwerer wiegt ihr von jeder Distanz ungetrübter Gleichschritt mit dem Ausbau staatlicher Repressionsinstrumente, als dessen Marktschreier und Bannerträger sie sich andienen. Die auf aktuelle Verhältnisse übertragende Lehre aus der deutschen Geschichte, daß man heute besser nicht jubeln sollte, wenn sie die Rocker holen, da man morgen selbst an der Reihe sein könnte, scheint spurlos an den drei Autoren vorübergegangen zu sein.

12. März 2013


Jörg Diehl, Thomas Heise, Claas Meyer-Heuer
Rockerkrieg
Warum Hells Angels und Bandidos immer gefährlicher werden
Deutsche Verlags-Anstalt, München
und SPIEGEL-Verlag, Hamburg 2013
320 Seiten, 19,99 Euro
ISBN 978-3-421-04569-0