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REZENSION/581: W. Hathaway - Das Ende der Kriege (Friedensaktivismus) (SB)


William T. Hathaway


Das Ende der Kriege

Wie Kriegsgegner in Deutschland, Amerika, Afghanistan und im Irak für den Frieden kämpfen



Durch die Veröffentlichung am 18. April in der Los Angeles Times von Fotos von Soldaten der berühmten 82. Luftlandedivision der US-Armee, die in Afghanistan grinsend und feixend vor den Leichen getöteter Taliban posieren, die zum Teil durch die frühzeitige Explosion der eigenen Bomben verstümmelt sind, sieht sich das Pentagon erneut medial in der Defensive. In den vergangenen Monaten haben Bilder von US-Marineinfanteristen, die auf die Leichen getöteter Taliban urinieren, das Verbrennen einer unbekannten Anzahl von Kopien des Korans auf dem NATO-Luftwaffenstützpunkt Bagram bei Kabul sowie das Massaker an 17 Bewohnern zweier Dörfer bei Kandahar das Ansehen des amerikanischen Militärs schwer beschädigt. In solchen Fällen läuft die Erklärung Washingtons stets auf dasselbe hinaus: Hier handelt es sich um die Verfehlungen von Wenigen; das Gros der Soldaten verhalte sich korrekt. Am Mythos des ehrbaren Kriegers wird eisern festgehalten.

Daß es sich hier tatsächlich um einen Mythos handelt, mit dem das Grauen des Krieges verschleiert und verdrängt wird, läßt sich daran erkennen, wie derzeit die US-Behörden bis zum vermeintlich liberalen Präsidenten Barack Obama hinauf mit dem Gefreiten Bradley Manning umgehen. 2006 diente dieser beim US-Militärgeheimdienst auf einem Stützpunkt nahe Bagdad. Als er mitbekam, wie im Irak unschuldige Korruptionsgegner als "Terroristen" von der irakischen Polizei verhaftet und gefoltert wurden, meldete er dies seinen Vorgesetzten, die - wenig verwunderlich - davon nichts wissen wollten. Schockiert über die systematische Mißachtung sowohl von US-Militärgesetzen als auch des Völkerrechts hat Manning 2010 dem Enthüllungsportal Wikileaks eine erhebliche Menge vertraulicher wie belastender Dokumente aus dem US-Sicherheitsapparat zukommen lassen - darunter das Skandalvideo "Collateral Murder" über die Tötung einer Gruppe Zivilisten 2007 in Bagdad, unter denen sich auch zwei Journalisten der Nachrichtenagentur Reuters befanden, durch Beschuß aus einem US-Kampfhubschrauber. Statt als Held, der für die hehrsten Prinzipien der Menschlichkeit eingetreten ist, gefeiert zu werden, muß sich Manning derzeit wegen "Unterstützung des Feindes" vor einem Militärgericht in Fort Meade, Maryland, verantworten. Den 24jährigen erwartet eine lebenslange Freiheitsstrafe.

William Hathaway hat den Krieg ebenfalls aus nächster Nähe erlebt, und seine Erfahrungen haben auch ihn zum Gegner solchen organisierten Wahnsinns gemacht. Als Mitglied der US-Spezialstreitkräfte nahm er am Vietnamkrieg teil. Jahrelang hatte er mit seinen Erlebnissen in Indochina zu kämpfen. Mittels der transzendentalen Meditation (TM) gelang es ihm, seine Dämonen, wenn nicht zu verbannen, so doch ì zumindest in ihre Schranken zu weisen. Zurück im Zivilleben schlug der ehemalige Zeitungsreporter aus San Francisco eine akademische Laufbahn ein und lehrte an mehreren US-Hochschulen. Zuletzt war er Gastprofessor für Amerikanistik an den Universitäten Bonn und Oldenburg. An letzterer arbeitet er heute als Lehrbeauftragter. Im Rahmen seiner Aktivitäten in der US-Friedensbewegung hat Hathaway über die Jahre zahlreiche Artikel veröffentlicht. Für sein erstes Buch, "A World of Hurt", über die Welt der Soldaten und die dort herrschenden Zwangsmechanismen erhielt er den Rinehart Foundation Award.

Auch das neueste Werk Hathaways, "Das Ende der Kriege", ist auf Lob gestoßen. Der berühmte Linguist Noam Chomsky, bekanntlich einer der prominentesten Kritiker der Außen- und Sicherheitspolitik der USA, hat dazu folgende Empfehlung abgegeben: "Ein Buch, das weit über die unmittelbare Botschaft hinaus die Komplexität der menschlichen Existenz begreifbar macht." Darin erzählen verschiedene Amerikaner Hathaway, wie sie zu überzeugten Kriegsgegnern wurden. Diese Geschichten - zum Beispiel die der Radikalpazifistin, die nach einer Protestaktion von einer Gruppe Soldaten schwer mißhandelt und im Moment ihrer größten Pein seelischen Beistand von Jesus Christus persönlich erhielt, oder der Mutter, die ihren kriegsgeschädigten Sohn zum Liebhaber nimmt, um ihn zu heilen, oder der Soldatin, die im Irak wegen Kritik an der Regierung George W. Bush von einem Kameraden vergewaltigt und anschließend von den Behörden im Stich gelassen wurde - berühren und rütteln zugleich auf. Dazu kommen die Schilderungen von einer in Deutschland lebenden irakischen Studentin und einem ebenfalls in der Bundesrepublik ansässigen, ehemaligen afghanischen Journalisten.

Für den deutschen Leser bietet Hathaways Buch aufschlußreichen Einblick in eine hierzulande ob ihrer Bedeutung viel zu wenig beachtete Szene, nämlich die der US-Friedensbewegung. Traditionell stehen die meisten Amerikaner dem Einsatz der eigenen Soldaten bei Militärkonflikten in Übersee ablehnend gegenüber. Mittels vermeintlich unvorhergesehener Ereignisse wie des japanischen Angriffs auf Pearl Harbor 1941 und der Flugzeuganschläge auf das New Yorker World Trade Center und das Pentagon in Arlington 2001 sowie der ständigen Diffamierung der Kriegsgegner als weltfremde Spinner und "Isolationisten" gelingt es der Machtelite der USA immer wieder, ihr imperialistisches Weltherrschaftsprogramm voranzutreiben.

Zwei von Hathaways Gesprächspartnern betreiben aktiv Sabotage an der US-Kriegsmaschinerie; der eine als Hausmeister, indem er bei Gewittern die internen Stromnetze größerer Rüstungsunternehmen zum Überlasten bringt und damit die Vernichtung der Computerfestplatten und ihrer Datenbestände herbeiführt; der andere, der gelegentlich als Tourist getarnt mit Wohnmobil durchs Land fährt und nachts auf unzureichend gesicherten Militärarealen Dienstfahrzeuge und Panzerwagen in Brand setzt. Alle, auch der Autor selbst, lehnen Gewalt gegen Menschen nicht nur als zerstörerisch, sondern auch selbstzerstörerisch ab. Die meisten von ihnen halten eine Überwindung des kapitalistischen Systems, das ständig Kriege produziert, für den einzigen Ausweg aus der derzeitigen Situation. Angesichts von Klimawandel, Weltwirtschaftskrise, Ressourcenschwund, Artensterben und Nahrungsmittelknappheit kann der Schrei gegen Rüstungswahn und Militarismus nicht laut genug ertönen. So unterschiedlich und gelegentlich etwas abstrus die Ansätze von Hathaway und Co. - TM, Zen-Buddhismus, Christentum et cetera - auch klingen mögen, im Vergleich zur alltäglichen Kriegspropaganda der westlichen Mainstream-Medien lesen sich ihre Berichte wie die Offenbarungen der wenigen nicht-geistesgestörten Menschen auf Erden.

20.‍ ‍April 2012


William T. Hathaway
Das Ende der Kriege
Wie Kriegsgegner in Deutschland, Amerika, Afghanistan und im Irak für
den Frieden kämpfen
(Aus dem Englischen "Radical Peace: People Refusing War" von Melanie
Tönies und Daniela Rommel)
Jesbin Verlag, Oldenburg 2011
188‍ ‍Seiten
ISBN-13: 978-3939276043
14,90 Euro