Schattenblick →INFOPOOL →BUCH → SACHBUCH

REZENSION/561: Heiko Möhle (Hrsg.) - Branntwein, Bibeln und Bananen (deutscher Kolonialismus) (SB)


Heiko Möhle (Hrsg.)


Branntwein, Bibeln und Bananen

Der deutsche Kolonialismus in Afrika - Eine Spurensuche



Der Geschichtsunterricht, mit dem die Generation der Eltern und Großeltern traktiert wurde, verlief in der Regel konfrontativ. Wenn das pädagogische Ziel darin bestanden haben sollte, Widerwillen gegen dieses Schulfach oder gar völliges Desinteresse an historischen Entwicklungen und Zusammenhängen zu wecken, so hat der Lehrkörper hervorragende Arbeit geleistet. Nur gut, daß damals noch nicht das Buch "Branntwein, Bibeln und Bananen" aus dem Verlag Assoziation A erschienen war, seine Lektüre hätte die Gefahr heraufbeschworen, die Schülerschaft für geschichtliche Themen zu begeistern. Da sei das Curriculum der Herrschenden vor!

Was der Herausgeber und Autor Heiko Möhle und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter wider das Vergessen der deutschen Kolonialgeschichte, die zwar kurz, aber nicht minder blutig war als die anderer europäischer Länder, zusammengetragen haben, liefert so viele Anknüpfungspunkte, anhand derer Historie kritisch reflektierbar wird und die den Heranwachsenden die Kontinuität vorherrschender Profitinteressen der Wirtschaft und ihre enge Verzahnung mit administrativen Strukturen greifbar vor Augen führen, daß ein solches Buch tatsächlich Anlaß zur Sorge geboten hätte. Gab und gibt es doch nichts Schlimmeres für den etablierten Schulbetrieb, als wenn die Zöglinge anfangen, Fragen zu stellen, und sich nicht durch vorgefertige Antwortschablonen zufriedenstellen lassen. Fragen beispielsweise hinsichtlich der Kontinuität der Plünderung afrikanischer Naturressourcen, der Ausbeutung der Einwohner zunächst als Sklaven und später als Plantagen- und Minenarbeiter oder auch hinsichtlich der Übervorteilung afrikanischer Staaten beim vertraglich abgesicherten bi- und multilateralen Handel mit den europäischen Kolonialstaaten bzw. ihren Rechtsnachfolgern.

Die heutige Pädagogik sieht nur vordergründig anders aus. Allerdings konnte sie sich der Globalisierung nicht entziehen, so daß sehr wohl eines oder mehrere der Themen aus dem vorliegenden Sammelband, der in sechs Ober- und 27 Einzelkapitel gegliedert ist, als Schulstoff vorstellbar wäre - vielleicht begleitet von einer Alternativen Hafenrundfahrt oder einem Dritte-Welt-Rundgang in Hamburg. Die Stadt war Dreh- und Angelpunkt des deutschen Kolonialismus und bildet den Themenschwerpunkt des Buches. Zudem gehörte der im August vergangenen Jahres verstorbene Möhle zur Hafengruppe Hamburg, die so instruktive wie spannende Rundfahrten, an denen der Rezensent selbst einmal teilzunehmen das Vergnügen hatte [1], auf die Beine stellt.

Im Hafen wie auch in der übrigen Hansestadt und dem norddeutschen Umland über Ahrensburg bis hinauf nach Flensburg finden sich viele Spuren des deutschen Kolonialismus in Afrika - in Form von Inschriften, Gedenktafeln und Denkmälern, aber mehr noch in Form eines allgemeinen Reichtums. Vergleichbar mit anderen europäischen Städten wie Glasgow, Rotterdam und Lissabon wurzelt der Wohlstand Hamburgs nicht zuletzt im Sklavenhandel, der direktesten Ausbeutungsform menschlicher Arbeitskraft. Jahrhundertelang bestand ein reger Handelsverkehr zunächst zwischen den europäischen Hafenstädten und Westafrika, wo die Sklaven aufgeladen wurden, um sie von dort weiter zur Karibik oder nach Südamerika zu verschiffen. Dort wurden die Überlebenden solch mörderischer Atlantiküberquerungen zum Plantagendienst gezwungen, dessen Erträge schließlich den Käufern in Europa verfügbar gemacht wurden.

Die Abschaffung der Sklaverei trug zu wirtschaftlichen Umorientierungen bei, wie sie ohnehin mit den politischen, technologischen und sozioökonomischen Veränderungen der sich wandelnden Zeitläufte einhergingen. Möhle schreibt über die Vorphase des deutschen Kolonialismus: "Gegen Ende der 1870er Jahre setzte überall in Deutschland eine Agitation für Kolonien ein. Den Hintergrund bildete eine tiefe strukturelle Krise in der Ökonomie des erst 1871 gegründeten Reichs. In den konservativen Kreisen erhoffte man sich von Kolonien neue Rohstoff- und Absatzmärkte für die Industrie, aber auch den 'Export der sozialen Frage'. Ein Ventil für die wachsende soziale Unruhe breiter Bevölkerungsschichten sollte durch die Förderung der Auswanderung nach Übersee - bis hin zur Gründung von 'Verbrecherkolonien' - geschaffen werden." (S. 26)

Die große Afrika-Konferenz 1888/89 in Berlin, auf der die europäischen Kolonialmächte die Aufteilung des schwarzen Kontinents unter sich vereinbarten, war Folge unter anderem der Bemühungen der Kaufleute, die Politik für ihre Profitinteressen einzuspannen. Ebenso wie umgekehrt die Politik im Rahmen nationaler Konkurrenzen vom räuberischen Engagement der Privatwirtschaft in den Kolonien zu profitieren hoffte.

Weitere Kapitel behandeln den Aufstieg der Woermann-Linie in der Handelsschiffahrt, die Ausstellung von "Negern" im Tierpark Hagenbeck, die Vernichtungspolitik gegen die Herero und Nama im damaligen "Deutsch-Südwest" (heute: Namibia), die Ablehnung des Kolonialismus durch einen der Gründer der Sozialdemokratischen Partei, August Bebel - dann das Einknicken der SPD-Mehrheit in dieser Frage -, die oft unterschätzte Rolle der Kolonialwissenschaften und der Tropenmedizin bei der Effizienzsteigerung der Ausbeutung der Kolonien, um nur einige Themen aus dem reichhaltigen Fundus zu nennen.

Möhle hat die vollständige Überarbeitung seines erstmals 1999 erschienenen, mit zahlreichen Fotos und Abbildungen ausgestatteten Buchs nicht mehr realisieren können, wie Peter Langlo von der Hafengruppe Hamburg und Christoph Schmitt, ehemals BUKO-Arbeitsschwerpunkt Antirassismus, in ihrem gemeinsamen Nachwort zur Neuauflage 2011 schrieben. Auch und gerade mit Blick auf die unverhohlene Entsendung deutscher Bundeswehrsoldaten zur Sicherung von Rohstoffen und Handelswegen und des Schürens angeblich unterdrückten natürlichen Nationalstolzes in Deutschland könnte manches Kapitel aus "Branntwein, Bibeln und Bananen" trefflich fortgeschrieben werden.

[1] http://schattenblick.de/infopool/politik/report/prber037.html

31. Mai 2011


Heiko Möhle (Hrsg.)
Branntwein, Bibeln und Bananen
Der deutsche Kolonialismus in Afrika - Eine Spurensuche
Verlag Assoziation A
4., neu bearbeitete Auflage
Hamburg, Januar 2011
ISBN: 978-3-86241-404-8
14,80 Euro, 180 Seiten.